Nichtstun im Ruhrgebiet

Zum wilden Streik bei Opel Bochum

Vom 14. bis zum 20. Oktober haben die ArbeiterInnen bei Opel Bochum die Arbeit niedergelegt - selbstbestimmt und gegen den Willen der Gewerkschaft.

Inzwischen wird wieder gearbeitet, doch ob alles wieder wie vorher ist, darf bezweifelt werden. Der wilde Streik bei Opel Bochum war die zweite Aktion in diesem Jahr, in der eine Belegschaft gegen die Zumutungen des Kapitals "ungehorsamen" Widerstand geleistet und damit viel Aufmerksamkeit erregt hat. Die erste fand am 15. Juli statt, dem DaimlerChrysler-Aktionstag. Deutschlandweit hatten ca. 60.000 Beschäftigte die Arbeit niedergelegt. Das war eine geplante und befristete Aktion. Ungeplant hingegen war, dass ca. 2.000 Mettinger Kollegen nicht wie von der IG Metall organisiert die S-Bahn nach Untertürkheim genommen haben, sondern in einem Protestmarsch über die Bundestrasse 10 gelaufen sind und diese blockierten. Das "Erpresswerk" konnte damit freilich nicht verhindert werden, und DaimlerChrysler hat sein Sparziel auf Kosten der Belegschaft. "In unserem Kampf haben wir die Hauptangriffe abgewehrt, haben aber auch einen Kompromiss geschluckt, der angesichts unserer Kampfbereitschaft nicht nötig gewesen wäre", heißt es in einem Solidaritätsschreiben von KollegInnen von Daimler Chrysler Sindelfingen an die Bochumer Opel-Belegschaft. Die hatte sogar eine ganze Woche lang alle in Atem gehalten - durch Nichtstun. Als spontane Reaktion auf den angekündigten massiven Stellenabbau und die drohende Werksschließung fand eine einwöchige "Informationsveranstaltung" statt; so müssen beim restriktiven deutschen Streikrecht Arbeitsniederlegungen definiert werden, wenn sie keine Sanktionen nach sich ziehen sollen. Das hatten die Bochumer schon im Juni 2000 erprobt, als sie in der Motorenfertigung Informationen über die Allianz von GM und Fiat verlangten. Zwei Tage standen alle Räder still. Damals wie heute hatten die Streikaktionen schnell dazu geführt, dass auch in den anderen europäischen Opel-/GM-Werken die Arbeit ruhte. Viele dieser Werke sind nämlich auf Teile aus Bochum angewiesen. Man muss nun damit rechnen, dass GM zumindest die Teilefertigung für andere Standorte in Bochum schließen wird.

Misstrauen gegen Gewerkschaften

Die Absichtserklärung des Opel-Vorstandes nach der jüngsten Streikwoche in Bochum ist einigermaßen vage: Man wolle "die Standorte Rüsselsheim und Bochum so weit wettbewerbsfähig machen, dass sie über 2010 hinaus als Automobilwerke erhalten werden können." Doch solche nebulösen Verlautbarungen reichen der IG Metall offenkundig aus, um von einem Erfolg zu sprechen. Die Verhandlungen werden wohl noch länger fortgeführt. Ihr Ausgang ist ebenso ungewiss wie die weiteren Reaktionen der Belegschaft. Dennoch steht eines fest: Dieser wilde Streik hat Wirtschaft, Politik und Gewerkschaften in schiere Panik versetzt. Bricht in Deutschland jetzt der ungezügelte Klassenkampf aus? Haben die Gewerkschaften und Betriebsräte die Belegschaften nicht mehr im Griff? Diskreditieren sie sich damit als Verhandlungspartner und Co-Manager? Der Lohn- und Tarifexperte Hagen Lesch vom unternehmernahen Institut der deutschen Wirtschaft gab bereits Entwarnung. Dass die Suche nach einvernehmlichen Lösungen weiter einen hohen Stellenwert habe, zeige sich im Fall Opel daran, dass die Gewerkschaft mäßigend auf die Arbeiter eingewirkt habe. "Das ist ja auch die Aufgabe der Gewerkschaft, radikale Entwicklungen einzufangen". Die kennt ihre Aufgabe, hatte aber diesmal große Probleme damit. Selbst der SPIEGEL bemerkte: "Nur mühsam konnten Betriebsrat und Management in der vergangenen Woche die wilden Streiks in Bochum beenden." Egal, ob der stellvertretende IG-Metall-Vorsitzende Berthold Huber zur Wiederaufnahme der Arbeit aufforderte, um die Verhandlungen nicht zu gefährden und egal, ob der Bochumer IG-Metall-Vorsitzende Ludger Hinse in jede noch so kleine Äußerung des Opel-Vorstandes eine "Bestands- und Zukunftsgarantie für den Standort Bochum" hineindeutete: Die Belegschaft selbst - voller Misstrauen gegenüber dem Betriebsrat - hatte die Arbeitsniederlegung beschlossen, und sie hat Schicht für Schicht für ihre Fortsetzung gestimmt. Und es war auch die Belegschaft selbst, die schließlich gegen viele Widerstände eine Abstimmung über die Weiterführung des Streiks durchgesetzt hat, auch wenn Betriebsrat und IG Metall diese durch Manipulation zur Farce machten. In dieser Abstimmung hat sich die Belegschaft mehrheitlich für das Ende des Streiks ausgesprochen, doch sie könnte ihn jederzeit wieder aufnehmen. Denn die Opel-ArbeiterInnen verlangen immer noch vom Betriebsrat, dass auch über das zukünftige Verhandlungsergebnis abgestimmt werden soll.

Vorbild oder letztes Aufbäumen?

Auch die IG Metall in Stuttgart hat weniger Probleme mit dem Sparvertrag, den sie ohne Not und gegen die kampfwillige Belegschaft abgeschlossen hat. Ihr Problem sind eher diejenigen Teile der Belegschaft, die sie offensichtlich nicht im Griff hat und gegen die sie innergewerkschaftliche Konsequenzen anstrebt. "Ohne die Geheimverhandlungen des DaimlerChrysler Gesamtbetriebsrats ,hinter verschlossenen Türen` in Möhringen wären die von Tom Adler angeführten Arbeiter noch heute auf der B 10", zitiert und kritisiert ein Gewerkschaftsfunktionär ein in Mettingen kursierendes Flugblatt. Er tat das in einer öffentlichen Debatte, die als "Startschuss zum Ausschluss" empfunden wird. In Bochum übernimmt die Repression (noch) die Arbeitgeberseite. Gegen einen Kollegen und einen Betriebsrat laufen Kündigungsverfahren, beide sind von einem Meister denunziert worden. Ihnen wird vorgeworfen, am ersten Streiktag Arbeitswillige genötigt zu haben. Doch ob die Gewerkschaft oder das Management sanktioniert - angestrebt ist stets ein Signal der Disziplinierung an die gesamte Belegschaft. Mehrere hundert nationale und internationale Solidaritätsbekundungen haben die Bochumer KollegInnen erreicht. Sie waren nicht an die Betriebsräte adressiert, sondern an die eigenständig handelnde Belegschaft. "Mit der fragwürdigen Abstimmung am 20.10.2004 hat die Betriebsratsspitze sich nicht auf Eure Seite gestellt. Wir sind uns sicher, dass ihr daraus für die Zukunft die richtigen Lehren zieht.", so die Daimler-Kollegen aus Sindelfingen. Sicherlich ist es offen, ob die BochumerInnen durch den Streik wirklich etwas für sich erreichen konnten. Doch für unzählige Beschäftigte v.a. in Deutschland war der Streik ein wichtiges Symbol der Hoffnung und des Widerstandes. Und er hat eine überfällige Debatte über Form und Inhalt gewerkschaftlicher Gegenwehr angestoßen, die nicht einschlafen darf. In einer Solidaritätserklärung von Daimler-Kollegen aus Stuttgart heißt es: "Die beste Antwort auf diesen Generalangriff der Arbeitgeber wäre nämlich eine Generalmobilmachung aller ,angegriffenen' Belegschaften. (...) Lohnverzicht und Arbeitszeitverlängerungen können keine erfolgreiche gewerkschaftliche Strategie sein! Wir wollen uns nicht gegenseitig in den Keller hinunterkonkurrieren!" Andere äußerten grundsätzliche Kritik oder zumindest breitere Skepsis gegenüber dem Gewerkschaftsapparat und dessen "intelligenten Verhandlungen". Sie mahnten mehr Basisinitiative und Eigenständigkeit der Gewerkschaftsmitglieder an. Angesprochen wurde auch die Notwendigkeit eines Fonds, aus dem solche Art von Streiks, die vom Apparat der Gewerkschaften nicht unterstützt werden, finanziell abgesichert werden können. In Bochum hätte dies wahrscheinlich große Auswirkungen auf das Abstimmungsergebnis gehabt. Der Bochumer Streik hat noch einige andere wichtige Punkte aufgezeigt. So heißt es in einem Schreiben philippinischer KollegInnen von Toyota: "Wir sind der Überzeugung, dass der Kampf der Arbeiter bei General Motors auch der Kampf der philippinischen Toyota-Arbeiter und der Arbeiter auf der ganzen Welt ist." Demgegenüber haben die Funktionäre der IG Metall alle Bekundungen zum Internationalismus komplett "vergessen". "Europa ist nicht Texas", äußerte sich Berthold Huber an die Adresse des US-Konzerns GM. Bei Ludger Hinse klang es ähnlich: "Wir brauchen einen Zukunftsvertrag für Europa, für Deutschland. Wir brauchen europäische Perspektiven, damit wir uns nicht von den USA vorführen lassen." Dabei geht es ja um "Kapital gegen Arbeit" und nicht um Deutschland oder Europa gegen die USA.

Würde, Selbstachtung, Widerstand

Solche gewerkschaftsoffiziellen Statements waren oft begleitet von Angriffen gegen das "unfähige" Management, das nicht auf die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat hören wollte. Viel zu selten gab es realistische Stimmen wie die in einem Solidaritätsschreiben: "Und lasst euch nicht nationalistisch aufhetzen, nach dem Motto: Dort die bösen Amerikaner mit Wildwest-Methoden und hier die guten deutschen Unternehmer mit zivilisierter Mitbestimmung. Diese deutschen Unternehmer sind es, die jeden Tag eine andere Belegschaft erpressen und die Agenda 2010 in Auftrag gegeben haben" Nicht das Management ist der Fehler, sondern der Kapitalismus. "Kämpfen um jeden Arbeitsplatz", auch wenn der oft gar nicht mehr Existenz sichernd ist? Auch diese Debatte muss weiter geführt werden. Allerdings sei davor gewarnt, weiterhin unrealistische Erwartungen an die Gewerkschaftsbürokratie zu richten, wie beispielhaft in einem anderen Brief: "Euer Kampf ist eine große Ermutigung für alle Belegschaften. (...) Von unserer IG Metall erwarten wir, dass sie diesen Kampf in der gesamten Branche koordiniert." Doch auch hier sind viele aus Erfahrung klug geworden, wie zwei weitere Zitate belegen: "Lasst euch von niemandem spalten - nicht von Clement und auch nicht von denjenigen IGM-Funktionären, die einen Teil von euch in ihren Kungel-Runden mit den Shareholdern zur Verhandlungsmasse machen werden." "Unser Tipp: Besteht darauf, die Mutigsten unter Euch - die nicht in Gewerkschaft und Betriebsrat verfangen sind - mit in die Verhandlungen zu bringen." Diesen Hinweis nicht befolgt zu haben, könnte die Bochumer Belegschaft bald bereuen. Die Auseinandersetzungen bei VW hätten der neue Anlass sein können, diese wichtigen Debatten fortzuführen. Adressiert an die Bochumer Opel-ArbeiterInnen hatten Kolleginnen und Kollegen aus den VW Standorten Wolfsburg und Braunschweig geschrieben: "Faule Kompromisse waren noch nie ihr Papier wert. Euer Kampf ist ein Aufruf an die Würde und Entschlossenheit von uns allen. Gemeinsam können wir unschlagbar sein. Gegen Ausbeutung und Verrat, für eine solidarische Zukunft, für eine Produktion der Bedürfnisse, anstatt des Profits." Es hat sich jedoch gezeigt, dass die Gewerkschaftsbürokratie bei VW die Situation durchaus im Griff hat. Es ist aber auch deutlich geworden, dass einerseits viele Angst vor dem Modell "Opel Bochum" hatten und andererseits überraschend viele ihm gerne gefolgt wären. Denn letztlich es geht nicht nur um die Frage, ob Arbeitsniederlegungen wirklich ernsthaften Druck auf Unternehmer ausüben können, die unter Überkapazitäten "leiden" und ohnehin entlassen wollen. Sowohl den KollegInnen in Mettingen als auch denen in Bochum wie auch ihren UnterstützerInnen ging es vielmehr um einen Akt der Würde, um ein Symbol, nicht kampflos aufzugeben, sich nicht alles gefallen zu lassen. In einem Brief an die BochumerInnen heißt es: "Wir wünschen Euch viel Durchhaltevermögen, und wir stehen schon heute in Eurer Schuld: Mit Euerer Gegenwehr habt Ihr eine Diskussion in Deutschland losgetreten, die niemand mehr für möglich gehalten hätte. Wir lernen von Euch eigentlich nichts Neues, aber Angesichts der Praxis in der Bundesrepublik der letzten Jahre doch außerordentlich Bemerkenswertes: Gegenwehr ist möglich". Dieses offensichtlich breite Bedürfnis nach Selbstachtung in Zeiten systembedingter und staatlich verordneter Erniedrigung lässt hoffen. Mag Wompel, LabourNet aus: ak - analyse + kritik - Zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 489 / 19.11.2004