Weltmeister in Uneigennützigkeit

Editorial

Im sportlichen Wettkampf sind Deutsche seit jeher Spitze: Fußball-Weltmeister, Export-Weltmeister, Formel-1-Weltmeister. Jetzt also auch Spenden-Weltmeister. Für die Opfer der Tsunami-Flutkatastrophe wurden hierzulande schon mehr als 400 Millionen Euro gesammelt, dazu kommen 500 Millionen, die aus der Staatskasse zugesagt sind.

Die Flut hat Menschenleben in kaum vorstellbarer Zahl gekostet, ganze Küstenstreifen sind völlig zerstört, Millionen Menschen wurde die Existenzgrundlage entzogen. Dass viele angesichts dieses Schreckens das Bedürfnis haben, irgendetwas zu tun, daran gibt es überhaupt nichts auszusetzen. Im Gegenteil. Die Spenden sind größtenteils Ausdruck spontanen und persönlichen Mitfühlens, von Solidarität und von sozialer Verantwortung. In den Notstandsgebieten helfen die Gelder, zumindest das Nötigste zu organisieren: medizinische Hilfe, Medikamente, Trinkwasser, Lebensmittel, Kleidung usw. Und sie werden ein wenig zum langwierigen Wiederaufbau beitragen.
Wozu aber die Spendentabellen und Rankings - mal sortiert nach den größten Privatspenden, mal nach Prominenz der Wohltätigen, meist aber schlicht nach ihrer Nationalität? Ist es lobenswert, dass der Klimasünder Nr. 1 Michael Schumacher auch bei den Spenden Spitze ist und so viel an Hilfsorganisationen überweist, wie andere Menschen auch in fünf Leben nie verdienen werden? Ist es nötig, dass sich Showmaster und Politiker, Christen und Christiansens, Sportler und Manager permanent gegenseitig und allen Deutschen versichern, dass es um dieses Land nicht schlecht bestellt sein kann, wenn genügend auf der hohen Kante liegt, um in der Not helfend einspringen zu können?

Man könnte die vielen Eitelkeiten und Geschmacklosigkeiten getrost übersehen - und nach dem Motto "Der Zweck heiligt die Mittel" froh um jeden privaten und staatlichen Euro sein, der im Katastrophengebiet landet. Doch die Erfahrungen mit früheren (Spenden-)Katastrophen verbieten solche Nachsichtigkeit. Genau ein Jahr vor dem Tsunami hatte ein Erdbeben die Region um die iranische Stadt Bam zerstört. Ebenfalls Weihnachten, ähnlich schreckliche Bilder im Fernsehen. Millionen an privaten Spenden und Hunderte von Millionen zugesagter staatlicher Hilfsgelder waren die Folge. Nun beklagt die UNO, sie habe nur 17 der angekündigten 32 Millionen Dollar von den Mitgliedsstaaten erhalten. An bilateraler Hilfe waren mehrere hundert Millionen Dollar zugesagt, wovon gerade mal 100 Millionen im Iran ankamen.
Ohnehin geht ein mehr oder minder großer Teil der von den Regierungen der wohlhabenden Staaten bewilligten Gelder zunächst einmal an die jeweils heimische Industrie. Die dort georderten medizinischen Geräte, Fahrzeuge, Medikamente und selbst Nahrungsmittel werden tausende Kilometer weit transportiert, um sie dann an die Bedürftigen zu verteilen. Trotz des damit verbundenen Mehraufwandes an Kosten und Zeit wirbt die deutsche Bundesregierung sogar mit dieser Verkoppelung von internationaler Not- und nationaler Wirtschaftshilfe. Denn der Kritik von Seiten der CSU, das 500-Millionen-Hilfspaket sei nicht zu finanzieren, wird jeder Wind aus den Segeln genommen, wenn das Geld gleichzeitig die deutsche Wirtschaft anzukurbeln hilft Â…

Die Flut bringt noch einem weiteren Exportschlager einen Zuwachs an Renommee: Mit dem Einsatz in den Katastrophengebieten arbeitet die Bundeswehr nicht nur an ihrem Image als humanitäre Organisation, sie sucht auch ihre Auslandseinsätze insgesamt zu legitimieren. Wer Soldaten Brunnen und Brücken bauen sieht, der, so die unausgesprochene Hoffnung, wird künftig auch leichtherziger für "humanitäre" Einsätze am Hindukusch oder in Bosnien votieren.
Wie weit diese Art der Image-Förderung gehen kann, macht das US-Militär gerade vor. Ganz offen plädierte der Katastrophen-Botschafter der US-Regierung, George Bush sen., dafür, die Hilfe auf Indonesien zu konzentrieren, um in der islamischen Welt den Ruf der USA zu verbessern. Eine Demonstration, die kaum geeignet ist, die Weltmeisterschaft in Uneigennützigkeit zu gewinnen. Aber diesen Titel überlassen die USA ohnehin ihrem konkurrierenden Bündnispartner.

die redaktion

PS: Sie werden sich schon gewundert haben, warum die iz3w diesmal so umfangreich ist. Der Grund ist eine Kooperation mit dem Berliner Büro vom Memri (Middle East Media Research Institute). Das daraus hervorgegangene, von Memri mit Unterstützung der iz3w-Redaktion erstellte Dossier ermöglicht durch die Dokumentation zahlreicher ins Deutsche übersetzter Originalbeiträge einen einzigartigen Überblick über gesellschaftskritische Debatten in arabischen Medien. Hinsichtlich unserer Motivation, das Dossier statt eines Themenschwerpunktes in die iz3w einzuheften, können wir uns nur dem anschließen, was Memri im Editorial (siehe S.2 des Dossiers) schreibt: "In ihrer Unterschiedlichkeit und Widersprüchlichkeit verkörpern die ausgewählten Beiträge die Hoffnung auf Veränderung und Emanzipation in einem Teil der Welt, der heute vor allem als Quelle von staatlicher Repression, radikalen Ideologien und Terrorismus wahrgenommen wird." Wir danken Memri für die angenehme und konstruktive Zusammenarbeit.

Artikel in iz3w 283 (März 2005)