Autoritäre Herausforderung

Da wird allenthalben über neuen und alten Autoritarismus geredet. Aber redet man eigentlich über die richtigen Weltgegenden? Wer redet eigentlich mit Bush darüber?

Ja, sagte jemand in der Debatte zur deutschen Außenpolitik, und dann müsse wirtschaftliche Hilfe und Zusammenarbeit von der Einhaltung der Menschenrechte abhängig gemacht werden. Da müsse dann auch gegenüber der chinesischen Führung über die Abschaffung der Todesstrafe gesprochen werden. Ja, dachte auch ich, das kann man versuchen; aber wer redet eigentlich mit Bush darüber?
Da wird allenthalben, in den Medien und in Parlamenten, über neuen und alten Autoritarismus geredet, über die chinesische KP, Fidel Castro, Putin. In Kambodscha gibt es neue Repressionen gegen Oppositionelle, in Thailand Wahlergebnisse, die auf ein Ein-Partei-System hinauslaufen. Nachdem im Gefolge des Dahinscheidens des europäischen Realsozialismus über wellenartige Demokratieausbreitung schwadroniert wurde, ist nun die Rede von neuer autoritärer Herrschaft, die um sich greife. Aber redet man da eigentlich über die richtigen Weltgegenden?
Der neue Justizminister der USA heißt Alberto Gonzales. Seinem Herrn hatte er sich besonders angedient, als er, damals "Rechtsberater" des Weißen Hauses, in einem für den Präsidenten bestimmten Memorandum begründet hatte, daß die Folter von Gefangenen im "Krieg gegen den Terror" erlaubt sei. Die Praxis von Guantanamo, von der seit längerem alle wissen, war eine Folge dessen. Welch ein Rechtsstaat!
Nun kommen peu à peu weitere Tatsachen (oder sollte man besser gleich Taten schreiben?) ans Licht. Das Wochenmagazin The New Yorker berichtete kürzlich von dem Fall des aus Syrien stammenden Kanadiers Maher Arar, der einer al-Qaida-Zugehörigkeit verdächtigt wurde. Er wurde beim Rückflug von einem Familienbesuch im Nahen Osten beim Umsteigen (!) in New York verhaftet, dreizehn Tage lang von der CIA verhört und anschließend über Rom nach Jordanien und dann nach Syrien geschafft. Dort warf man ihn in eine Dunkelzelle und folterte ihn, monatelang. Der Libanese Khaled el-Masri wurde auf dem Wege von Ulm nach Mazedonien "von Unbekannten" nach Afghanistan entführt und dort verhört und ebenfalls gefoltert. Liegt Ulm nicht in Deutschland? Hätten nicht deutsche Behörden ermitteln müssen? Was tun eigentlich deutsche Truppen bei der "Verteidigung deutscher Interessen am Hindukusch", wenn derlei Taten ungesühnt bleiben? Oder gibt es eine heimliche Amtshilfe? Für Folterer?
Das Outsourcing des Folterns durch die USA-Behörden erfolgt in Länder, die sowieso auf der Kritikliste der Menschenrechtsorganisationen stehen - und offiziell auch von den Außenministerien nicht nur der USA, Deutschlands ebenfalls, wegen Menschenrechtsverletzungen getadelt werden, darunter Ägypten, Syrien, Jordanien, Marokko. Und die gedungenen Folterknechte "foltern bis zum Tode", wie der vormalige CIA-Agent Robert Baer der BBC berichtet hatte. Grundlage sind geheime Anordnungen der US-Regierung. Die Süddeutsche Zeitung hat das alles "Imperiale Anmaßung" genannt. Doch eine solche Rubrizierung ist verharmlosend. Genauer muß es heißen: Die Herrschenden in den USA haben sich inzwischen vom Rechtsstaat verabschiedet.
Hinzu kommt: diese Herrschaft soll nun verewigt werden. Präsidentenberater Karl Rove will die dominierende Position der Republikanischen Partei für die nächsten fünfzig Jahre festzurren. Ist sie nach den jüngsten Wahlen bereits bestimmend nicht nur im Weißen Haus, sondern auch im Kongreß, in den Gouverneurssitzen und in den Gerichten, so soll dieser Zustand für die nächsten Jahrzehnte andauern. Durch den "Umbau" des verbliebenen Sozialsystems, gemeint ist die Abschaffung der noch von dem demokratischen Präsidenten Franklin D. Roosevelt in den 1930er Jahren geschaffenen sozialstaatlichen Einrichtungen wie der Krankenkassen, soll eine "Gesellschaft von Besitzenden" geschaffen werden. Mit dem üblichen Argument des Neoliberalismus, wenn dann jeder selbst entscheide, wieviel Geld er für Krankenversicherung und Altersvorsorge ausgebe, nehme seine "Selbstbestimmung" zu, wird das zu begleiten versucht. Und die Gewinner dessen würden es der Partei danken, die das gemacht hat: den Republikanern. Das geht nicht? Oh doch: die Gewinner werden das wohl tatsächlich tun, die Armen gehen ja ohnehin immer weniger wählen. Und so hätten die Republikaner eine stabile strukturelle Mehrheit. Wenn es nach Rove geht, auf Dauer. Zugleich erinnert sich die Partei ihres Gründers Abraham Lincoln undverweist auf die durch ihn erkämpfte Abschaffung der Sklaverei, während die Demokraten die Partei der Sklavenhalter waren. Es sei gleichsam ein historischer Irrtum gewesen, daß die Minderheiten im 20. Jahrhundert meist Demokraten wählten.
Die Ernennungen von Gonzales zum Justizminister und von Rice zur Außenministerin sollen auf symbolischer Ebene zeigen, es ist der Republikaner Bush, der solche zuvor ungekannten Karrieren für Latinos und Schwarze eröffnet. Bei den Wahlen 2004 hatten sich bekanntlich mehr Menschen aus beiden Wählergruppen für die Republikaner ausgesprochen. Das soll so fortgesetzt werden.
Der luzide Analytiker totalitärer und autoritärer Herrschaft, Juan Linz, hat vor einiger Zeit geschrieben, neue wie alte Demokratien seien im 21. Jahrhundert vor autoritärer Gefahr nicht sicher (Juan J. Linz: Totalitäre und autoritäre Regime, 2. Auflage, Berlin 2003). Diese komme aber nicht mit dem Anspruch daher, einen anderen, nicht-demokratischen Typus von Herrschaft zu kreieren, wie vielfach im 20. Jahrhundert, sondern sei bestrebt, "neue Formen nichtlegaler Repression und staatlicher Gewalt" hinter "pseudo-demokratischer Institutionalisierung" zu verstecken. Wir sollten also nach den USA sehen, bevor wir über Rußland oder China reden.

in: Des Blättchens 8. Jahrgang (VIII) Berlin, 28. Februar 2005, Heft 5