Adieu, Ulrich Zwiener

Jenaer Universitätsreformer wollte nicht mehr

Die Sensiblen gehen oft vorzeitig von uns. Rolf-Richard Grauhan verbrannte sich auf dem Campus seiner Reformuniversität, Nicos Poulantzas sprang mit all seinen Büchern von einem Pariser Hochhaus...


An der Jenaer Universität war er Direktor des Instituts für Pathophysiologie und erforschte Störungen auf biophysikalischer, biochemischer und psychosomatischer Ebene - am 19. Juni 2004 stürzte sich Professor Dr. med. Dr. phil. Ulrich Zwiener, Tage nach seiner Einlieferung in die Jenaer Universitätspsychiatrie, vom zehnten Stock der Leipziger Universitätsklinik aus dem Leben.

Der 1942 in Thüringen Geborene begann seine wissenschaftliche Laufbahn mit Stationen an der Charité in Berlin und der Nervenklinik Erfurt, bevor er 1978 Professor in Jena wurde. Inspiriert von dem in der DDR in Ungnade gefallenen Robert Havemann, studierte er noch Philosophie. Im DDR-Wendejahr 1989/90 wurde Zwiener außerhalb von Fachkreisen bekannt als Vorbereiter und Leiter des innerdeutschen Treffens der Studenten und Hochschullehrer "Ein demokratisches Deutschland für Europa" in Eisenach mit 1000 Studenten und 250 Hochschullehrern, das - wie das Wartburgtreffen 1817 - aufgrund eines Aufrufs aus Jena stattfand. Trotz Widerstands der Universitätsleitung nahm Zwiener im Dezember 1989 Kontakt mit der Coimbra-Group, einer Vereinigung traditionsreicher alter europäischer Universitäten, auf und lud diese zum Wartburgtreffen ein. So wurde 1990 Jena als erste Universität des einstigen Ostblocks in die Coimbra-Gruppe aufgenommen, vertreten durch Zwiener, der dann 1991 das Collegium Europaeum Jenense gründete, das sich um die Erneuerung der Universität und - mit zahlreichen Tagungen und Publikationen - um deren Öffnung zum europäischen Dialog und für die Begegnung vor allem mit den östlichen Nachbarn engagierte, unterstützt von Mitgliedern wie Ralf Dahrendorf, Alfred Grosser, Claudio Magris oder Christian Meier. Als ihm 1993 der Preis des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft für hervorragende Leistungen in der internationalen Hochschulkooperation verliehen wurde, gab er die 25000 Mark Preisgeld als Basis für die Ulrich Zwiener Stiftung für Internationale Verständigung und Menschenrechte, zu deren Preisträgern Tadeusz Mazowiecki, ersten Ministerpräsident des nachkommunistischen Polens, und Zoran Djindjić, Ministerpräsidenten von Serbien und Montenegro, gehörten. Das von einem Leipziger Medizinprofessor beschriebene psychosomatischen "DDR-Syndrom" erläuternd, bemerkte Zwiener auf dem Wartburgtreffen 1990 im Eisenacher Landestheater: "Ich füge dieser Bedrohung durch Identitätsverlust noch das Gefühl vieler älterer Menschen, auch vieler Hochschullehrer, hinzu, 40 Jahre umsonst gelebt zu haben."