›Kommunismus‹, Antisemitismus und der Kreml

Über den jüngsten Skandal in Russland

Neunzehn Deputierte - zumeist aus der Fraktion der Partei Rodina - der russischen Staatsduma haben am 27.Januar, dem Jahrestag der Befreiung von Auschwitz durch die Rote Armee, an den russischen Generalstaatsanwalt appelliert, alle jüdischen Organisationen zu verbieten. Präsident Putin sah sich zu einer Entschuldigung gezwungen.
Drei Wochen später ging der Skandal weiter. Das staatlich kontrollierte Fernsehen gab antisemitischen Abgeordneten ein Forum zur besten Sendezeit und erlaubte ihnen ihre Ansichten gegenüber orthodoxen Juden und schwächlichen Gegnern aus dem liberalen Lager zu verfechten. Und in der Duma wurde über die ganze Angelegenheit abgestimmt. Die Pro-Regierungs-Partei "Vereinigtes Russland" brachte eine äußerst weiche Resolution gegen den Antisemitismus ein - die "Kommunistische Partei der Russischen Föderation" (KPRF) stimmte gegen diese Resolution und unterstützte den "Appell der 19".
Doch tatsächlich war dies alles gar nicht so neu. Nur ein extrem naiver Beobachter könnte nicht gemerkt haben, was für Leute dieses Parlament bilden. Es ist allgemein bekannt, dass der Block Rodina [Mutterland] aus den Überbleibseln des politischen Prozesses zusammengebastelt wurde. Und über die nationalistischen Gefühle, die in den Führungsetagen der KPRF vorherrschen, sollte niemand überrascht sein.
Um festzustellen, dass es Antisemitismus in Russland gibt, musste man nicht auf die antisemitischen Abgeordneten warten. Bücher über eine jüdische Verschwörung gegen das russische Volk kann man in Moskau unter jeder Straßenunterführung kaufen. Einige dieser Bücher erscheinen sogar in relativ angesehenen Verlagen. Diese Verlage veröffentlichen jedoch auch Bücher über den israelischen Geheimdienst, Liebesromane und grundsätzlich alles, was eine Nachfrage hat.
Wenn der aktuelle Skandal sich von ähnlichen Skandalen in der Geschichte der Duma-Opposition abhebt, so weil zum ersten Mal in der Geschichte der KPRF hochrangigen Antisemiten seitens der Basis eine klare Abfuhr erteilt wurde.
Am selben Tag begannen Aktive der Jugendorganisation der Partei Unterschriften für eine Antwort von Seiten des linken Spektrums zu versammeln, in der die Abgeordneten verurteilt werden. Der offene Brief der Internationalisten wurde von nahezu allen wichtigen linken Persönlichkeiten außerhalb der KPRF unterzeichnet, u.a. von Alexej Kondaurow (ein unabhängiges Mitglied der KPRF-Dumafraktion), Alexander Busgalin (Herausgeber der Theoriezeitschrift Alternativy), Hejdar Dshemal (islamischer Befreiungstheologe) und sogar von Anton Surikow, der seine Beiträge häufig im nationalistischen Wochenblatt Sawtra veröffentlicht. Die Jugendorganisation der KPRF solidarisierte sich mit den übrigen Linken, nicht mit den Abgeordneten "ihrer eigenen" Fraktion.
Die Autoren des Briefs der Internationalisten sehen in der antisemitischen Petition der Abgeordneten eine klare Provokation zur Kompromittierung der Opposition, wodurch sich der Kreml als ein Verteidiger demokratischer Werte präsentieren kann. Sie weisen auch darauf hin, dass der Antisemitismus die Ideologie der extremen Rechten und untrennbar mit dem Antikommunismus verbunden ist.
Die heftige Reaktion kommt für die Parteiführung wohl überraschend, da sie eine unterwürfige Basis gewohnt ist. Doch die Ereignisse im Januar, als oppositionelle Aktionen unerwartet in Massenproteste mündeten, stärkten das Selbstvertrauen der kommunistischen Jugend. Sie fand ihre Stimme. Gleichzeitig zeugt die Antwort von einer neuen Solidarität zwischen verschiedenen linken Gruppen, Politikern und Intellektuellen, zumindest wenn die Frage auftaucht, ob man gleichzeitig ein Kommunist und ein Faschist sein kann.
Die KPRF-Führung begann auf die Mitglieder, die sich gegen den Antisemitismus ausgesprochen hatten, Druck auszuüben. Privat erklärten Parteivertreter, dass die Partei auf Pluralismus begründet sei und daher die Anhänger internationalistischer Auffassungen nicht unterdrücke. Doch später verteidigten diese Parteivertreter die antisemitische "Petition der 19".
Der Nationalismus an der Spitze der KPRF ist eine Anomalie, selbst in der postsowjetischen Welt. In Osteuropa werden die neoliberalen Reformen sowohl von der Linken als auch von der nationalistischen Rechten angegriffen. Die Linke protestiert gegen die Eingriffe in die Rechte der Werktätigen, die Rechte sind in der Globalisierung eine Ausweitung der jüdischen Verschwörung oder als einen Versuch, die einheimischen Besitzenden dem Willen des internationalen Kapitals zu unterwerfen.
Russland ist das einzige Land, wo diese beiden Haltungen nicht nur vereint sind, sondern wo die erste der zweiten untergeordnet ist.
Die politische Ineffizienz der KPRF ist kein Geheimnis. Doch zu einer erfolgreichen Arbeit gegen ihre eigenen Aktivisten ist die Parteibürokratie noch in der Lage. Zu erlauben, dass rechte Ideologie die Linke dominiert, ist ein unglaublich wirksame Weise, die Linke zu demoralisieren und zu lähmen.
Der Ball ist nun beim Kreml. Das Putin-Regime kann zufrieden sein über die schlichte Kompromittierung der KPRF und die Spaltung der Protestbewegung. Es kann jedoch noch weiter gehen. Putin ist bekannt für seine "asymmetrischen Antworten". Nach der antisemitischen Petition kann er sogar die Duma auflösen, einige politische Parteien verbieten und schließlich das parlamentarische System ganz abschaffen.