Von begabten und unbegabten Studierenden

In letzter Zeit erfreut sich die Vorstellung, wir lebten in einer Leistungsgesellschaft, immer größerer Popularität. Dies betrifft auch und sogar in besonderem Maße die bildungspolitische Debatte.

Denn konstitutiv für eine kapitalistische Marktwirtschaft und ihr entsprechendes Bildungssystem ist die ideologische Vorstellung, jede und jeder könne durch eigene Leistungen etwas erreichen. Bei der Rede von Leistungseliten wird daher immer so getan, als ob der Zugang zu Hochschulen heute nicht etwa durch die soziale Herkunft, sondern durch rein individuelle Leistung bestimmt würde. Die soziale Offenheit des Bildungssystems und seiner Eliteeinrichtungen sei ja immerhin prinzipiell und formell gegeben. Und jede und jeder habe die Möglichkeit, sich die für die Elitenauswahl entscheidenden Leistungsqualifikationen anzueignen.

Im Zuge ihrer programmatischen Erneuerung verkündete daher die SPD, dass in Zukunft statt der traditionellen Verteilungsgerechtigkeit nun die Chancengerechtigkeit im Vordergrund stehen müsse. Die unterschiedlichen Leistungen des Einzelnen zur Nutzung dieser vermeintlich gleichen Chancen sollen die enormen Verteilungsunterschiede rechtfertigen, die - auch bezüglich der Bildungsmöglichkeiten - den Unterschied zwischen Elite und Masse bestimmen. Dabei wird allerdings der direkte Zusammenhang zwischen Verteilungs- und Chancengerechtigkeit ignoriert. Also die Tatsache, dass ökonomisches Kapital überhaupt erst die Grundlage zum Erwerb kulturellen Kapitals und damit von "Leistung" im gesellschaftlich erwarteten Sinne bildet.1

So reichen die privat zu bewältigenden Kosten einer - im bürgerlichen Sinne - erfolgreichen Bildungslaufbahn von Kita-Plätzen über hohe Mietpreise für die Stadtteile mit den besseren Schulen, über Lernmaterialien, Sprachreisen und Nachhilfeunterricht bis hin zu Immatrikulations- oder Studiengebühren und den allgemeinen Lebenshaltungskosten eines Studiums. Studierende aus so genannten bildungsfernen Schichten müssen daher auch etwa doppelt so oft neben dem Studium einer Beschäftigung nachgehen, was sich in einem ebenfalls doppelt so hohen Anteil an Langzeitstudierenden niederschlägt. Von allen Promoventinnen und Promoventen sind daher auch über die Hälfte Bürgerkinder.2

Die Beteuerung von Bundeskanzler Gerhard Schröder, Leistung und nicht Herkunft sollte bestimmen, wer Elite in Deutschland sei, gibt mehr über sein Politikverständnis und seine verkürzte Sicht auf sozialselektive Mechanismen preis, als ihm lieb sein kann, denn besonders in Deutschland hat die herkunftsbedingte Sozialbiografie eine lange und noch lange nicht überwundene Tradition: Die wichtigste "Leistung" besteht nämlich darin, über ein betuchtes Elternhaus zu verfügen, sodass die oder der Studierende sich die Bücher kaufen kann, die in der Unibibliothek ausgeliehen sind, und sie auch durcharbeiten kann, weil sie oder er nebenbei eben nicht jobben muss.

Darüber hinaus wird in der aktuellen Debatte das Bestehen einer offensichtlichen Chancenungleichheit in der Wahrnehmung von Bildungsmöglichkeiten ignoriert, die darin besteht, dass z. B. Eltern aus bildungsfernen Schichten ihre Kinder in wesentlich geringerem Ausmaß in Ausbildungsfragen unterstützen können. Durch die geringe Bildungsbeteiligung der unteren Schichten wird eine höhere Bildungslaufbahn oft auch gar nicht als Option wahrgenommen - und falls doch, fehlt es nicht selten am familiären Rückhalt, also der schieren Akzeptanz für einen solchen Werdegang.

Derlei strukturelle Nachteile, wie sie häufig aus dem kulturellen Hintergrund entstehen, werden von staatlicher Seite kaum thematisiert, geschweige denn kompensiert. Die schichtspezifischen kulturellen Unterschiede wiegen aber noch schwerer: Wer während der Primärsozialisation in der Familie weder mit Relativsätzen im alltäglichen Sprachgebrauch noch mit kulturellen oder wirtschaftlichen Fachsimpeleien der Oberschichten vertraut gemacht wurde, der wird auch später große Schwierigkeiten haben, sich den akademischen Habitus anzueignen, wie er im Sinne eines "inoffiziellen Lehrplans" als Grundlage einer Elitetauglichkeit in Hochschulen erwartet wird. Der persönliche - sehr stark vom sozialen Umfeld geprägte - Habitus entscheidet insofern häufig über den Aufstiegserfolg, als er das "(Nicht-)Dazugehören" im Sinne der habituellen Verhaltensmuster der bildungsnahen Schichten belegt.

Dies beginnt bereits in der Grundschule, wo sich nicht nur die milieubedingt besseren Leistungen der Kinder aus höheren Schichten bemerkbar machen, sondern auch die je nach sozialer Herkunft stark differierenden Beurteilungen der Lehrkräfte. So benötigt z. B. nach einer Erhebung unter allen Hamburger Fünftklässlern ein Kind, dessen Vater Abitur gemacht hat, ein Drittel weniger Punkte für eine Gymnasialempfehlung als ein Kind mit einem Vater ohne Schulabschluss. Ähnliches gilt bei Versetzungsentscheidungen.3

Dieselben Mechanismen sind, so der Elitenforscher Michael Hartmann, auch im Hochschulbereich zu beobachten.4 So werden beispielsweise an amerikanischen Elite-Universitäten, die bei den Auswahlverfahren persönliche Gespräche mit den Professoren vorsehen, bei formal gleicher Qualifikation die Bewerber mit bürgerlichem Hintergrund - getreu dem Motto "Bürgerkind sucht Bürgerkind " - signifikant bevorzugt.

Und wer es als Arbeiter- oder Angestelltennachwuchs trotz der sozialen Selektion im Bildungssystem bis zum Diplom oder gar zur Promotion geschafft hat, findet genau diese habituellen Auswahlkriterien in der freien Wirtschaft wieder. Nun allerdings als noch weniger regulierte und noch schwerer zu überwindende Hürde im Zugang zu den Elitepositionen der Gesellschaft. Dies, obwohl er mit seinem Bildungsabschluss das gleiche Maß an Talent und Leistung nachgewiesen hat wie seine Kommilitonen aus dem Bürgertum. Es spricht sogar viel dafür, dass er ein größeres Quantum an Leistungsbereitschaft und Fleiß benötigt hat, weil er die zahlreichen Hindernisse, die ihm auf seinem Bildungsweg aus sozialen Gründen entgegenstehen, erst einmal überwinden musste, anstatt wie die Kommilitonen aus dem Bildungsbürgertum schlicht die habituellen Verhaltensmuster der Eltern zu reproduzieren. Trotz dieser "Mehrleistung" sind nach einem Abschluss die Aufstiegschancen für den Nachwuchs der unteren Schichten in der so genannten Leistungsgesellschaft deutlich schlechter. So stammen bei der Besetzung der gesellschaftlichen Elitepositionen in Deutschland erstaunliche vier von fünf Topmanagern, zwei von drei hohen Beamten und Richtern und immerhin noch jeder zweite Inhaber einer Professur aus bürgerlichem oder großbürgerlichem Elternhaus und gehören damit zu den oberen 3,5 % oder gar den obersten 0,5 % der Bevölkerung.5

Ausschlaggebend ist in jedem der genannten Fälle der Habitus der Bewerber. Wer in die Eliteeinrichtungen (von den Bildungsinstitutionen bis zu den Vorständen und Geschäftsführungen großer Unternehmen) oder, mit Pierre Bourdieu gesprochen, in "das Feld der Macht"6 gelangen will, der muss vor allem eines besitzen: habituelle Ähnlichkeit mit den Personen, die dort schon sind. Diese beinhaltet vor allem die Kenntnis der in den "höheren Kreisen" gültigen Dress- und Verhaltenscodes, einen ungezwungenen und geübten Umgang mit den Werken legitimer Kunst, eine breite bildungsbürgerliche Allgemeinbildung, aber auch das Eingestehen einer Wissenslücke, eine lockere, jedoch nicht anmaßende Haltung, die optimistische Lebenseinstellung sozial Privilegierter und nicht zuletzt Souveränität und Selbstsicherheit beim Auftreten im sozialen Feld der Elite. Diese Souveränität weisen in der Regel nur diejenigen auf, denen das Milieu von Kindesbeinen an vertraut ist, die sich in bürgerlich-elitären Kreisen nicht fremd, sondern zu Hause fühlen.7

Der klassenspezifische Habitus wirkt, so Bourdieu, an den Entscheidungsstellen der entsprechenden Karriereinstanzen in doppelter Hinsicht: Zum einen werde die Auswahl durch die dafür zuständigen Lehrpersonen - und später Personalleiter - entscheidend beeinflusst durch eine habituelle Affinität den Kandidaten aus den "besseren Kreisen" gegenüber. Eine gleiche "Wellenlänge" schafft Sympathie. Zum anderen böten sich die Kandidaten durch ihr Verhalten auch selbst für die Aufnahme an, während andere sich selbst spontan ausschlössen.8

Es gibt also ganz unzweifelhaft einen direkten Zusammenhang zwischen Klassenherkunft und Berufsperspektiven. Die soziale Herkunft entscheidet, teilweise über den Umweg von kausalitätsverschleiernden formalen Bildungsabschlüssen, teilweise direkt über das Erfüllen habitueller Verhaltenscodes über das Erreichen gesellschaftlicher Elite- und damit Machtpositionen.

Obwohl rein formell (aber auch ideologisch) gesehen die Weitergabe von Machtpositionen in unserer Gesellschaft auf der Grundlage individueller Leistung und bei grundsätzlicher Chancengleichheit erfolgt, unterscheidet sich das Ergebnis de facto nur geringfügig von einer auf reiner Vererbung beruhenden Machtweitergabe. Von einer Leistungsgesellschaft, in der die individuellen Fähigkeiten und Anstrengungen von Schülerinnen und Schülern und Studierenden über die eigene berufliche Zukunft entscheiden, kann daher keine Rede sein. Die deutsche Elite ist keine Leistungselite, sondern überwiegend eine Herkunftselite.

Das Bildungssystem erfüllt in diesem Zusammenhang weniger den Zweck einer Nivellierungs- denn einer Legitimationsinstanz, bei der ökonomisches Kapital (Geld) in kulturelles Kapital (Bildungstitel) umgewandelt wird, welches im Anschluss den erneuten Erwerb von ökonomischem und sozialem Kapital (Beziehungen) erlaubt. Da der Besitz von ökonomischem Kapital den Ausgangspunkt dieses Transformationsprozesses darstellt, resultiert die Verteilung sozialer Chancen primär aus der ungleichen Verteilung von Einkommen und Vermögen. "Das Bürgertum behält die Macht in seinen Händen."9

Diese Reproduktionsstruktur existierte schon lange vor der aktuellen Elite-Debatte. Sie ist eine Tatsache der bundesdeutschen Sozialstruktur: Es gibt Eliten, und diese reproduzieren sich quasi "inoffiziell" schon seit Jahrzehnten unter anderem durch das Bildungssystem. Der Beschluss, Eliten nun offen mit eigenen Bildungseinrichtungen zu fördern, ist also eigentlich nur der Entschluss, die Elitenbildung in der Bundesrepublik endlich zu institutionalisieren. Wer erst darin die einst verpönte Elitebildung entdeckt, der hat den entscheidenden Skandal des hiesigen Bildungswesens bereits verpasst: dass nämlich gerade unser Bildungssystem schon immer gesellschaftliche Ungleichheit produziert und reproduziert.

Jede bürgerliche Gesellschaft hat eine Elite; also eine mit Geld- und Staatsmacht ausgestattete führende Klasse. Das ist in einer Klassengesellschaft mit ihren Gegensätzen objektiv notwendig. Etwas anderes ist allerdings die ideologische Botschaft, die bei dem Begriff "Elite" mitschwingt: Diese will nämlich dem Volk die Herrschaftsverhältnisse als Verhältnisse natürlicher Auslese vorgaukeln.

Und so hat die SPD nun unter der Überschrift "Elite" eine bildungspolitische "Innovationsoffensive" eingeleitet, welche die Elitetauglichkeit von Studierenden an einem Begabungsbegriff festmacht, der sich längst von jeglicher sozialen Dimension verabschiedet hat. Nach derartigen Vorstellungen ist Begabung komplett auf das biologistische Konzept genetischer Anlagen reduziert, die der Mensch entweder hat oder eben nicht, und die durch eine entsprechende Begabtenförderung nur noch zur Entfaltung gebracht werden müssten. Mit der Implementierung dieses extrem problematischen Begabungsbegriffs wird ein spezifischer Druck auf das öffentliche Bildungssystem in Richtung einer stärkeren Differenzierung und Hierarchisierung ausgeübt.

Die sozialen Hürden, die Schülerinnen und Schüler und Studierende in unserem bereits jetzt sozial hochselektiven Bildungssystem bewältigen müssen, finden dabei kaum Berücksichtigung. Die Folgerung beispielsweise aus den Ergebnissen der Pisa-Studie, dass Kinder in sozial schwachen oder Ausländerfamilien tatsächlich dümmer auf die Welt kommen als die Sprösslinge des Bildungsbürgertums (wie es etwa der Humangenetiker Volkmar Weiss behauptet), wird so zwar öffentlich nur selten ausgesprochen, ist aber der logische Trugschluss dieser Ideologie, wenn man betrachtet, wer sich in unseren Schulen und Hochschulen durchsetzt und wer auf der Strecke bleibt.

Der aus dieser Vorstellung resultierenden (Hoch-)begabtenförderung, wie sie durch den Ruf nach Eliteuniversitäten weiter forciert wird, liegt ein bildungspolitisch induzierter Effekt sich selbst erfüllender Prophezeiungen zugrunde. Wenn etwa spezifische Fähigkeiten besonders gefördert werden, werden sich diese mit hoher Wahrscheinlichkeit auch überdurchschnittlich entwickeln. Natürlich wird sich derjenige in Atomphysik oder Biogenetik gut auskennen, der über die Mittel, d. h. die Finanzmittel, verfügt, die es braucht, um den ganzen Tag lernen zu können. Wenigstens wird er sich um einiges besser auskennen als derjenige Kommilitone, der nachts Taxi fährt, damit er tagsüber studieren kann. Dies wiederum wird dann als Beweis für das vorhergehende Vorhandensein einer "Hochbegabung" herangezogen. Durch diesen tautologischen Zirkel werden die sozialen Ursachen einer ungleichen Verteilung von Bildungsmöglichkeiten (und in der Folge auch von gesellschaftlichem Reichtum) verschleiert. Der strukturelle Zusammenhang von Unterdrückung und Macht, der in dieser Ungleichheit seinen Ausdruck findet, wir durch die Implikationen eines solchen Begabungsbegriffs individualisiert und auf persönliche Unterschiede der Menschen an (genetischer) Eignung zurückgeführt.

Der Elitebegriff ist daher kein Leistungsbegriff, sondern ein Herrschaftsbegriff zur bildungspolitischen Legitimation der gesellschaftlichen Hierarchien, die für unsere Wirtschaftsweise konstitutiv sind. Für die Aufrechterhaltung dieser Hierarchien existieren zwei große gesellschaftliche Interessen, deren soziales Kräfteverhältnis für die derzeitige Bildungspolitik ausschlaggebend ist. Da ist zum einen das Interesse des Kapitals an weiterer steuerlicher Entlastung, also weniger öffentliche Leistungen, und da sind zum anderen die Privatinteressen des Bürgertums. Für letztere sind zwei Fragen vorrangig: Erstens: Wie kann dem eigenen Nachwuchs eine gute Ausbildung garantiert werden, ohne die Ausgaben für das Bildungssystem und damit die steuerliche Belastung zu erhöhen? Zweitens: Wie kann die eigene Stellung - legitimiert durch formale Bildungsabschlüsse - an die eigenen Kinder vererbt werden?10

Die Antwort auf beide Fragen liegt in einer Hierarchisierung der Bildungsinstitutionen. Das heißt z. B. für die Schule die unbedingte Beibehaltung des dreigliedrigen Schulsystems. Dies führt zu einer frühzeitigen Aussortierung der Arbeiterkreise, verbessert die Konkurrenzlage für die eigenen Kinder und sichert die überproportionalen Aufwendungen für die Gymnasialbildung.

Die Konsequenzen für die Hochschulen liegen eben in der Elitenförderung und sind schon jetzt anhand der aktuellen Ökonomisierung der Bildungspolitik gut beschreibbar: So ist durch die Einführung des Bachelor-Master-Systems (übrigens ein wichtiges Kriterium für die Aufnahme in den "Elite-Campus Deutschland"11) eine weiterführende wissenschaftliche Ausbildung nur noch für eine deutlich kleinere Gruppe von Studierenden vorgesehen. Um diese auszuwählen, sind vielerorts Aufnahmeprüfungen geplant und auch teilweise schon umgesetzt, die von kostenpflichtigen Sprachtests bis hin zu Intelligenztests reichen. Die Kultusministerkonferenz (KMK) plädiert darüber hinaus für eine Lockerung,12 das Centrum für Hochschulentwicklung (CHE) sogar für die Abschaffung 13 der Kapazitätsverordnung, die bisher sicherstellte, dass Hochschulen ihre Lehrkapazitäten auch auslasten. Für Eliteuniversitäten natürlich undenkbar. Zusammen mit der absehbaren Einführung von Studiengebühren und der steigenden Kompetenz der Hochschulen, sich ihre Studierenden selbst auswählen zu dürfen, führt dies zu einem enormen Abbau von Rechtsansprüchen auf Bildung, die durch die aktuelle Bedrohung der Rudimente inneruniversitärer Demokratie begleitet werden.

All dies ist eine eindeutige Entscheidung für ein konkurrenzgetriebenes Bildungssystem, wodurch an vielen Stellen ein Wettbewerbszwang in der Bildung entstehen soll: zwischen Staaten, Bundesländern, Hochschulen, sozialen Gruppen und letztendlich auch zwischen Individuen. Durch diese Übertragung marktförmiger Hierarchisierungsprozesse auf die soziale Zusammensetzung einer Bevölkerung geht es nicht mehr darum, alle Menschen - oder hier: alle Studierenden - möglichst gut zu bilden, sondern diejenigen auszuwählen und zu fördern, bei denen es "sich lohnt". "Wenn etwa Bildungskosten als ›Investition‹ umdefiniert werden, erhöht sich der Druck auf eine präzisere ›Kalkulation‹ dieser Ausgaben."14

Indem nun dieses Kalkül auf die Vorstellung einer natürlichen Begabungsungleichheit der Menschen zurückgeführt wird, verbindet man die obrigkeitsstaatliche Konstruktion ungleicher Bildungsmöglichkeiten mit einer Naturalisierung gesellschaftlicher Unterschiede, wie sie vor allem in der Dimension arm-reich zum Ausdruck kommen. Die derzeit zu beobachtende Verstärkung dieser Unterschiede durch den rot-grünen Sozialabbau (Agenda 2010) bedarf eben auch qualitativ neuer Legitimationen, welche durch die beschriebenen neuen bildungspolitischen Paradigmen beschafft werden sollen, die - im optimalen Fall - alle sozialen Positionen auf Unterschiede an subjektiver Leistungsfähigkeit und -bereitschaft zurückführen - messbar etwa in verschiedenwertigen Bildungsabschlüssen.

So gesehen heißt "Elitenförderung" heute nichts anderes als eine politisch gewollte Institutionalisierung ungleicher Chancen und eine Vergrößerung sozialer Abstände durch eine Zwei-Klassen-Studienstruktur, welche auf konsequente Weise die Sozialstruktur der Gesellschaft widerspiegelt und reproduziert.

Markus Gilles - Jg. 1980, Stipendiat der Rosa-Luxemburg-Stiftung, Bundesvorstandsmitglied des Bündnisses linker und radikaldemokratischer Hochschulgruppen LiRa.

1 Vgl. Pierre Bourdieu (1983): Ökonomisches Kapital, kulturelles Kapital, soziales Kapital, in: Reinhard Kreckel (Hrsg.): Soziale Ungleichheiten. Soziale Welt, Sonderband 2, S. 196, Göttingen.

2 Vgl. Michael Hartmann (2003): Macht muss gelernt sein, in: junge Welt, 19. 9. 2003.

3 Vgl. ebenda.

4 Vgl. Michael Hartmann (2004): Freie Bahn den Aufsteigern, in: Jungle World, 4. 2. 2004.

5 Vgl. Michael Hartmann (2004): Elitäre Sorgen, in: uni spezial. Beilage der Tageszeitung junge Welt, 21. 4. 2004.

6 Pierre Bourdieu (1985): Praktische Vernunft - Zur Theorie des Handelns, S. 48 ff., Frankfurt am Main.

7 Vgl. Michael Hartmann (2003): Macht muss gelernt sein, a. a. O.

8 Vgl. Pierre Bourdieu, Loic J. D. Wacquant (1996): Reflexive Anthropologie. S. 141, Frankfurt am Main.

9 Michael Hartmann (2003): Macht muss gelernt sein, a. a. O.

10 Michael Hartmann (2004): Freie Bahn den Aufsteigern, a. a. O.

11 Vgl. Kultusministerkonferenz (KMK) 2004: Länderpapier zum Netzwerk der Exzellenz.

12 Ebenda.

13 Vgl. Torsten Bultmann (2004): Wettbewerbshindernisse, in: uni-spezial, Beilage der Tageszeitung junge Welt, 21. 4. 2004.

14 Torsten Bultmann (1996): Die Eliten und die Massen - Kritik eines bildungspolitischen Stereotyps, in: Christoph Butterwegge, Gudrun Hentges (Hrsg.) (1999): Alte und Neue Rechte an den Hochschulen, Münster.

in: UTOPIE kreativ, H. 174 (April 2005), S. 342-348

Inhalt der Print-Ausgabe (ab Mai 2005 alle Artikel auch in Internet unter http://www.rosalux.de/cms/index.php?id=5659)

VorSatz; Essay HERMANN KLENNER: Vorwärts, doch nicht vergessen: Die Babelsberger Konferenz von 1958; Nachhaltigkeit & Ökologie MICHAEL LÖWY: Destruktiver Fortschritt. Marx, Engels und die Ökologie; ROLF KUHN: Neue Chancen für eine gestörte Landschaft Die Internationale Bauausstellung (IBA) Fürst-Pückler-Land in der Lausitz; JOACHIM H. SPANGENBERG: Nachhaltigkeit - Konzept, Grundlagen, Herausforderungen, Anwendungen; Gesellschaft - Analysen & Alternativen DETLEF KANNAPIN: Die internationale Ideologie Anmerkungen zu Hardt/Negri "Multitude"; MARKUS GILLES: Von begabten und unbegabten Studierenden; Dokumentierte Geschichte HUGO EBERLEIN: Erinnerungen an Rosa Luxemburg bei Kriegsausbruch 1914; Standorte LOTHAR RATAI: In welcher Zeit leben wir?; In memoriam ULRICH BUSCH: Von der "Roten Fahne" zur "Financial Times" Zum Tode von Günter Reimann (1904-2005); Festplatte WOLFGANG SABATH: Die Wochen im Rückstau; Bücher & Zeitschriften HANS KLEIN: In eine neue Zukunft. Dokumente einer Hoffnung (JENS LANGER); Eric Hobsbawm: Gefährliche Zeiten. Ein Leben im 20 Jahrhundert (PETER ULLRICH); Renate Reschke (Hrsg.): Nietzsche. Radikalaufklärer oder radikaler Gegenaufklärer? Nietzscheforschung, Sonderband 2 (ULRICH BUSCH); Rainer Funk: Ich und Wir - Psychoanalyse des postmodernen Menschen (JÜRGEN MEIER); William Taubman: Khrushchev. The Man and His Era (Chruschtschow. Der Mann und seine Ära) (HORST SCHÜTZLER); Summaries