Potemkin-Ranking: Unsere Besten

Medien, Dachse & Tenöre

Er war nicht unter den "Größten Deutschen" die im ZDF anno 2003 gewählt wurden: Kardinal Ratzinger, der neue Papst...

Der Beitrag erschien zuerst am 25. April 2005 (in anderer Fassung!) in der wöchentlichen Medien-Kolumne von "Neues Deutschland"

Er war nicht unter den "Größten Deutschen" die im ZDF anno 2003 gewählt wurden: Kardinal Ratzinger, der neue Papst. Was bestätigt, daß die neudeutschen Bestenlisten, die "Rankings", nicht weniger fragwürdig sind als all die Galerien "unserer Besten" aus DDR-Zeiten.

Nicht nur Personen von Luther bis Dieter Bohlen, auch Firmen bevölkern die modernen Bestenlisten. Die Zeitschrift "pressesprecher" veröffentlich den "Mediendax 30" der Unternehmen mit der besten Medienperformance. "Sieger" dieses vom Bonner Institut "Medien Tenor" veranstalteten Rankings ist das Unternehmen, das am häufigsten in den Medien erwähnt wird. Mit dieser Primitiv-"Methode" könnte eine Firma, die wochenlang in den Negativschlagzeilen steht, weil sie Mitarbeiter feuern will, dennoch sich in ihrem Geschäftsbericht mit einem "Sieger"-Siegel schmücken.

Darüber stolperte Professor Klaus Mertens vom Institut für Kommunikationswissenschaft der Universität Münster, und wurde (wie auch der Kommunikationswissenschaftler Professor Michael Haller von der Universität Leipzig) von den Verantwortlichen des kritisierten Instituts verklagt. Was diese inzwischen vielleicht bereuen, denn der ob seiner Kritik juristisch angegriffene Mertens hat seine Selbstverteidigung zu einer 130-seitigen, gerade erschienenen Publikation ausgeweitet, die unter dem Titel "Medien, Dachse & Tenöre / Zur Ethik und Methodik von Medienresonanzanalysen" nachweist, wie manipuliert wird: Sieger ist nicht das Unternehmen mit der besten Bewertung, sondern das mit einer stark negativen. Außerdem hätte die Mehrzahl der 30 Unternehmen, darunter auch der "Sieger", wegen Verletzung der eigentlich von Medien Tenor selbst gesetzten Mindestanforderungen (u.a.: maximal 10 Prozent mehr negative als positive Wertungen) überhaupt nicht in das Ranking aufgenommen werden dürfen. Aber die Medien-Tenöre leben von den so hochgelobten Unternehmen. Beobachtbar ist Ranking zum gegenseitigem Vorteil, fachwissenschaftlich dezent "Win-Win-Gratifikation" genannt, für erfolgreiche Akquise in Kooperation mit dem Trägermedium "pressesprecher". Über die am besten eingestuften Unternehmen wird in der Zeitschrift am meisten berichtet, und die Firmen revanchieren sich mit Aufträgen.

Das paßt zur Mediengesellschaft, in der Fälschungen zunehmen, von den gefälschten Hitler-Tagebüchern des "stern" 1983 bis zu den erfundenen Prominenten-Interviews eines Tom Kummer für das Magazin der "Süddeutschen Zeitung" im Main 2000. Aber Mertens Analyse der Manipulation trifft nicht nur das Bonner Institut, sondern auch gewisse Praktiken der Wissenschaft und des deutschen PR-Managements: "Für die Wissenschaft, insbesondere für die im Beirat des Instituts Medien Tenor vertretenen Kolleg/Innen, ist die hier vorgelegte Analyse sicher kein Ruhmesblatt, denn längst vor unserer Analyse waren fragwürdige Techniken des Medien Tenor bekannt. [...] Für das Berufsfeld Public relations, das noch immer darum kämpft, sein ‚SchmuddelimageÂ’ loszuwerden, ist dieser Fall gewiß keine Empfehlung, sondern viel mehr ein flächendeckender Schaden. Denn die hier aufgedeckten Manipulationen zeigen, dass nicht irgendwelche PR-Schaffende, sondern leitende Kommunikationschefs namhafter Unternehmen darin verwickelt sein müssen."

Zusätzlich brisant wird Mertens Untersuchungsergebnis, da Medien Tenor im Rechtsstreit an Eides statt versicherte, die kritisierte Methode würde in allen Analysen des Instituts angewandt, so daß Fragen nach der Seriosität auch der anderen Aktivitäten des zwielichtigen Instituts zu stellen sind.

Was Mertens in seiner Methodenkritik ausblendet: Der neben Roland Schatz tonangebende Obermedientenor Wolfgang Stock, dessen Institut mit immenser manipulatorischer Energie die Berliner CDU im Wahlkampf 2001 hochjubelte und den öffentlich-rechtlichen Medien, insbesondere der Tagesschau, mit abstrusen Argumenten ein Negativimage anhängen will (z.B. mit dem Vorwurf, "die Tagesschau laufe, aber keiner schaut zu" weil "die Menschen...um 20.00 Uhr die Zeit zum Toilettengang nutzten", das zeige die Statistik des Wasserkonsums; der NDR überprüfte: eine solche Statistik gibt es nicht) ist im Kampagnenjournalismus erfahren.

Ja, es stimmt: 1988 habe ich zusammen mit Stock ein Buch über Menschenrechte in der Welt herausgegeben. Ihm - einen damals agilen, jungen Mann - verdanke ich mein erstes Computer-Training, bei ihm in Bonn im Januar jenes Jahres. Als ein "Mini-Wallraff", wie manche damals mich "beschuldigten", hatte ich damals in rechten Kreisen gastiert und dabei für das zusammen mit Stock edierte Buch u.a. ein Kapitel über die Lage in Ungarn verfaßt, dessen ich mich keineswegs schäme und das ich auch heute noch für vorzeigbar und lesenswert halte - gerade eingedenk des Anteils der Volksrepublik Ungarn am Aufbrechen des Eisernen Vorhangs.

Stock, einst tätig für den CSU-Europaparlamentsabgeordneten Otto von Habsburg, engagierte sich in der Paneuropa-Jugend (heute noch Funktionär der Paneuropäer) und in der "Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte", einer Gesellschaft für rechte Menschen, der Geheimdienstverbindungen und Kontakte in den Rechtsextremismus (bis hin zur großrussisch-antisemitischen "Pamjat"-Vereinigung) nachgewiesen wurden. Als Redakteur der "Berliner Zeitung" war Stock verantwortlich für die Titelseite und den "Relaunch" der Ex-SED-Bezirkszeitung. Über "Focus" und "Welt am Sonntag" kam er 2003 zum Medien Tenor; als Vorsitzender des antikommunistischen "Brüsewitz-Zentrums" (das den Suizid eines DDR-Pfarrers für eigene politische Zwecke ausbeutet) wurde er Hofbiograph von Angela Merkel, Roman Herzog und Rita Süssmuth. Reservemajor Stock rühmt sich, als Pressestabsoffizier beim Einsatzführungskommando der Bundeswehr beordert zu sein und an der Gustav-Siewerth-Akademie im Schwarzwald als Nachfolger des ZDF-Geschichte(n)-Erzählers Guido Knopp Journalistennachwuchs heranzubilden. Aber statt Journalisten im manipulierten Mainstream stromlinienförmig zu deformieren, wäre qualifizierte Medienbeobachtung vonnöten.

Die Fehlleistungen der Bonner Medientenöre wäre für die Anfänge wissenschaftlicher Inhaltsanalysen fatal gewesen, etwa als während des Zweiten Weltkriegs amerikanische Wissenschaftler Nazimeldungen auswerteten (H. D. Lasswell, Why be Qantitative?, in: Lasswell/Leites [Hrsg.], Language of Politics, Cambridge 1965) oder als im Kalten Krieg ein Mitglied der linken Frankfurter Schule für die Voice of America (Rundfunk-Kurzwellenprogramm, 1941 vom amerikanischen Außenministerium als Mittel der psychologischen Kriegsführung geschaffen) Inhaltsanalysen betrieb (Siegfried Kracauer/Paul L. Berkman, Satellite Mentality / Political Attitudes and Propaganda Susceptibilities of Non-Communists in Hungary, Poland and Czechoslovakia, New York 1956). Sogar die Zeitungsforschung anno 1926 (Malcolm Willeys Untersuchung über The Country Newspaper) erscheint respektabel im Vergleich zu den zwielichtigen Bonner Praktiken.

Wohlgemerkt: institutionalisierte Medienbeobachtung hat Zukunft. Denn statt der unübersichtlichen Wirklichkeit und deren nicht weniger verwirrenden medialen Abbildungen interessiert zunehmend - in der Hoffnung, daß damit begreifbare (Ein-)Ordnung gestiftet werde - die Beobachtung des Echos auf Abbildungen der Realität. Daher sind wir inzwischen geradezu umzingelt von einer neuen Scheinobjektivität. Aktienindizes-Laufschriften auf dem Fernsehbildschirm signalisieren genauso wie das "(Un)Wort des Jahres" oder Uni-Hitlisten die Ranking-Manie und das Verlangen nach Reduktion der Komplexität.

  • Klaus Merten/Christina Dahm/Tanja Spriestersbach/Jasmin Top/Philipp Winterberg: Medien, Dachse & Tenöre. Zur Ethik und Methodik von Medienresonanzanalysen. Ein Weißbuch zum Mediendax 30. Münster: Lit-Verlag 2005, 132 Seiten, br., 9,90 Euro, ISBN 3-8258-8478-3