Glanz und Elend der Regulationstheorie

Einige Reflexionen zum Begriff der Regulation

Im Unterschied zu den 1980er Jahren sind die Wogen, die die französische Theorie der Regulation in der neomarxistischen Theoriebildung einst schlug, deutlich abgeebbt.
In den 1980er Jahren nämlich fungierte sie noch - neben der Rezeption der politischen Theorie Antonio Gramscis - als entscheidendes Vehikel für eine nicht-ökonomistische Neupositionierung kritischer Gesellschaftstheorie.
Tempi passati. Heute scheint der Regulationsansatz weder als eine Theorie des Kapitalismus und seiner Periodisierung noch als analytisches Konzept zur Erforschung der Grundstrukturen eines historisch-spezifischen Entwicklungsmodells oder eines Prozesses kapitalistischer Transformation und der in ihm wirkenden Umwälzungen sozialer und politischer Formen zu taugen. Die Regulationstheorie - nur noch ein Konzept des "besseren Regierens"? Aufstieg und Fall der Regulationstheorie Die Regulationstheorie - folgt man der die "école de la régulation" grundlegenden Arbeit von Michel Aglietta (1979a: 16) - verstand sich als ein Konzept für die Analyse der "Transformation sozialer Beziehungen, die sowohl ökonomische wie nicht-ökonomische Formen neu produziert, in Strukturen organisiert und ihrerseits eine determinierende Struktur reproduzieren, die Produktionsweise".
Im Mittelpunkt des regulationstheoretischen Erkenntnisinteresses stand also - in den Worten von Alain Lipietz (1985: 109) - die Frage nach der historischen Kontinuität des Kapitalverhältnisses, nach der "Art und Weise, in der sich dieses Verhältnis trotz und wegen seines konfliktorischen und widersprüchlichen Charakters reproduziert".
Den empirischen Ausgangspunkt regulationstheoretischer Forschung markierte die fordistische Revolutionierung der Lohnarbeit, letztlich der Einbau der Arbeiterbewegung in den "keynesianischen Staat" (Buci- Glucksmann/Therborn). Die Theorie der Kapitalakkumulation konnte auf diesem historischen Hintergrund als Theorie der Regulation reformuliert werden. Das wechselseitige Konstitutionsverhältnis von Ökonomie und Politik wurde ins Zentrum der Untersuchungen gerückt. Von diesem Standpunkt gelang es, - in durchaus unterscheidbaren Ausprägungen - Elemente einer allgemeinen Theorie kapitalistischer Reproduktion in krisentheoretischer Perspektive mit empirischen Untersuchungen zur Stabilisierung kapitalistischer Gesellschaftsformationen durch Wandel zu integrieren. Dies begründete ihre zunächst ungezügelte Attraktivität. Sie konnte sowohl als Theorie und Kritik des Kapitalismus fungieren, zugleich aber war sie als eine sog. "Theorie mittlerer Reichweite" empirisch anschluss- und letztlich mainstreamfähig (nicht zuletzt durch die Einbindung eines makroökonomischen oder institutionentheoretischen Analyseinstrumentariums).
Als ein Ansatz der Kritik der politischen Ökonomie hatte die Regulationstheorie - wie es Marx vorexerziert hat - zwei Dimensionen zu integrieren: erstens die Kritik theoretischer Vorläufer bzw. konkurrierender Erklärungsansätze, zweitens die Kritik realer Ausbeutungs-, Unterdrückungs- und Machtverhältnisse.
Faktisch wurde in der Regulationstheorie vor allem die Kritik der neoklassischen Ökonomie (Robert Boyer) und eines wesentlich von Louis Althusser bestimmten strukturalen Marxismus (Alain Lipietz) akzentuiert; die Kritik fordistischer Unterordnungsverhältnisse blieb dagegen unterbelichtet.
Sie findet sich noch in den früheren Arbeiten (in Gestalt der Kritik einer fordistischen Kanalisierung der Klassenkonflikte in mit den Gesetzen der Akkumulation kompatible Formen (Aglietta) oder durch Bezug auf Gramsci und die Metapher vom "dressierten Gorilla" (Lipietz)), ist aber mit anhaltender nachfordistischer Restrukturierung weitgehend einer sozialstaatlichen Verklärung der fordistischen Formation gewichen.
Es kam, wie es vielleicht kommen musste: Die Theorie kapitalistischer Regulation, von Aglietta am "Experiment USA" entwickelt, war als Theorie einer Formation entstanden, die schon zum Zeitpunkt ihrer Theoretisierung dem Untergang geweiht war. Die Eulen der Minerva setzten auch für die Theorie der Regulation erst spät zu ihrem Flug an. Die Theorie der Regulation schien weniger als ein Konzept zur Erforschung kapitalistischer Umwälzungen und Restrukturierungsprozesse zu taugen, als zu einer Theorie eines kapitalistischen "Wachstumsmodells" (Robert Boyer) oder einer "Prosperitätskonstellation" (Burkhard Lutz) zu werden. In Frankreich folgte eine Phase formaler Bilanzierungen oder sogar (eingeschränkter) Abgesänge.
In der deutschen Rezeption rückten nicht mehr die Verdienste, sondern die Lücken der Regulationstheorie in den Vordergrund, die man glaubte, mit anderen Theorieversatzstücken füllen zu können. Dies bildete den Hintergrund, auf dem ich mich zu der Formulierung hinreißen ließ, "wie viele Lücken eigentlich eine Theorie aufweisen (kann), um nicht als ‚Grundgerüst‘ einer kritischen Gesellschaftstheorie zusammen zu purzeln? Der immer ausgefuchster werdende Methoden- Eklektizismus jedenfalls" - so meine Befürchtung - "erledigt einen strukturierten Gesellschaftsbegriff en passant gleich mit und lässt eine kritische Gesellschaftstheorie .
. weit hinter sich" (Röttger 2001). Schon früher hatte ich vermutete, dass die Malaise vor allem damit zusammen hing, dass die Analysen dahin tendierten, die "fordistische Bedingungskonstellation .
. zum Maßstab der Geschichte" zu machen, "an dem die Widersprüche des neoliberalen Kapitalismus und die politischen und sozialen Formen ihrer Bearbeitung vermessen wurden" (Röttger 1997: 101).
Erst die Neuauflage von Michel Agliettas die Theorie der Regulation grundlegenden Buches 1997 in Frankreich, für die Aglietta ein neues Nachwort schrieb (dt.: Aglietta 2000) schien das Blatt erneut zu wenden und meine pessimistischen Verdüsterung zu entkräften.
Allerdings erhielt die Theorie der Regulation hier eine grundlegende Wendung.
Nicht mehr die "rationalistische Endzeiterwartung", von der Alain Lipietz selbstkritisch einst die regulationstheoretische Vorstellung von der Notwendigkeit des Übergangs zum Sozialismus bezeichnete, sondern das "Einrichten in den Verhältnissen" dominierte von nun an die Debatte. Die neue Epoche des Kapitalismus bedeutet für Aglietta (2000: 107), "eine Konzeption des sozialen Fortschritts (gleich: Regulation, B.R.) zu erarbeiten, die mit dem Regime des Vermögensbesitzes zusammenpasst, vor allem aber mit der Globalisierung und der Ausrichtung des technischen Fortschritts auf die Dienstleistungen".
Diese Neukonzeption erscheint als Ausdruck einer regulationstheoretischen Kultur der "neuen Bescheidenheit" (Dräger 2001). Aglietta möchte den Weltkapitalismus und seine sozialen Polarisierungstendenzen sozial regulieren und den Kapitalismus so (erneut) "auf sozialen Fortschritt" programmieren.
Boyer (2000) dagegen zieht es vor, weiterhin eine (keynesianisch motivierte) Kritik einer Politik hoher Profitraten zu formulieren, um die Krisentendenzen des "Akkumulationsregimes des Vermögensbesitzer" aufzudecken.
Lipietz (1998: 121ff.) hält ungeachtet der interessenpolitischen Rückschritte in der nachfordistischen Produktionsweise des "rheinischen Kapitalismus" an "verhandelten Strategien zur intensiven Mobilisierung der Humanressourcen" fest, um das Potenzial einer "high-road"-Restrukturierung dieses Kapitalismusmodells die Stange zu halten. Dieses eher diffuse mixtum compositum vertretener Positionen und Ansätze scheint mir vor allem der Tatsache geschuldet, dass die Regulationstheorie ihre Maßstäbe für die Bewertung der kapitalistischen Entwicklung eingebüßt hat: während für die einen der Durchbruch zum Shareholder-Value-Kapitalismus und des ihn ihm wirkenden Zusammenspiels von Weltmarktstrukturen und Interessen eine neue Formation des Kapitalismus bereist eingeläutet hat, können andere aufgrund seiner makroökonomischen Widersprüche und Krisenanfälligkeiten kein neues Regime erblicken.
Meine These ist, dass sich hinter dieser Ungereimtheit letztlich ein defizitärer Begriff der Regulation verbirgt, der mit dem Gerede von der Regulationsweise als Ausdruck spezifischer "institutioneller Formen" der kapitalistischer Produktionsverhältnisse nicht verbergen kann, dass die "Gesetze", unter denen das Kapital in der Geschichte immer wieder an die "Kette der Regulation" (Marx) gelegt wird und im Prozess kapitalistischer Restrukturierung eine ständige "Neuproduktion und Destruktion der alten (sozialen und politischen) Formen" durchgesetzt wird, in denen sich die Menschen der Widersprüche bewusst werden und sie ausfechten (ebenfalls Marx), gar nicht mehr enthüllt werden können.
In der gegenwärtigen Verfassung jedenfalls stößt der regulationstheoretische Zugriff auf die Reorganisationsrealitäten des nachfordistischen Kapitalismus auf erhebliche Probleme. Regulationstheorie taugt - mit Gramsci - kaum noch "die tatsächliche Wirklichkeit in einer anderen Umgebung als der, worin sie entdeckt worden ist, besser zu erkennen". Diese "Unfruchtbarkeit" wurzelt in einer gewissen Borniertheit eines sich immer mehr formalisierenden Forschungsund Deutungsrepertoires, das sich in einer Standardisierung des verwendete Indikatorensystems, d.h. eines mehr oder weniger fixierten "Settings" zu analysierender institutioneller Formen, und einer zunehmenden Mathematisierung, d.h. einer Orientierung auf makroökonomische Stabilitätsanforderungen, ausdrückt. Um nicht missverstanden zu werden: es gibt durchaus die Möglichkeit, die Regulationstheorie als politökonomische Theorie und Kritik zu revitalisieren. Am Anfang einer solchen Rückkehr zu den Traditionen kritischer Gesellschaftstheorie könnten Reflexionen über den Begriff der Regulation stehen.
Regulationsweise oder Regulationsdispositiv? Bekanntlich hat sich Lipietz mit der Formel von der Regulation als einer "geschichtlichen Fundsache" schon immer gegen funktionalistische bzw. versöhnerische Vorstellungen vom Verhältnis von Akkumulation (Ökonomie) und Regulation (Politik) gewehrt. Mit diesem Begriff sollten vielmehr Klassenkonflikte und politische Kämpfe, als deren Prozessresultat eine Regulationsweise sich herausschält, ins Zentrum der Untersuchung treten. Regulation als "Fundsache" bedeutet die Verabschiedung von jeder irgendwie gearteten Idee einer "logischen Korrespondenz" bzw. eines notwendigen "Entsprechungsverhältnisses" von prosperierendem Akkumulationsregime und einem kohärenten Set regulativer Normen und Institutionen, der den aktuellen Diskurs so umtreibt.
Dieses Forschungsprogramm wurde jedoch zum einen nie eingelöst. Faktisch bildeten nie die sozialen Auseinandersetzungen, sondern immer nur ihre Ergebnisse in geronnener Form den Analysegegenstand. Zum anderen unterstellt diese Konzeption der Regulation eine quasi politisch-voluntaristische Offenheit der Geschichte und vernachlässigt systematisch strukturell verankerte Herrschaftsverhältnisse.
Gerade weil Regulation als "Prozess ohne steuerndes Subjekt" (Joachim Hirsch) historisch daher kommt, bezeichnet sie keinen kontingenten Prozess, sondern ist selbst kapitalistisch formbestimmt. Genau dies entgleitet der Analyse zunehmend, genauso wie der Regulationstheorie eine Kritik der Politik zunehmend fremd wird.
Die relative Autonomie der Politik, von der jede nicht-ökonomistische Gesellschaftskritik ausgehen muss, gebiert beispielsweise bei Aglietta (2000: 40) eine herrschaftsfreie Zone, wenn er davon ausgeht, dass der Kapitalismus das Regulationsprinzip nicht in sich trage. "Dieses befindet sich (vielmehr) in der Kohärenz der sozialen Vermittlungen, die die Kapitalakkumulation auf den Fortschritt ausrichten".
Regulation wird damit aber nicht mehr aus der kapitalistischen Vergesellschaftung und ihren Widersprüchen entwickelt, sondern voluntaristisch, normativ "aufgepfropft".
Gesellschaftskritische Bescheidenheit paart sich mit Regulationsoptimismus.
Was Aglietta aber als Beginn des Regulationsprozesses vorstellt, was dem neuen Akkumulationsregime sozusagen aufgepfropft werden soll, ist in Wahrheit bereits in die Widerspruchskonstellation des Kapitalismus und damit in die tendenziell "totalisierende Natur" des kapitalistischen Produktionsverhältnisses (Ingrao/Rossanda) eingelassen und lässt sich als doppelte Grenzziehung herrschaftstheoretisch fassen und präzisieren.
Die relative Autonomie der Politik in modernen Gesellschaften fungiert nicht nur als eine politische Form, in der die erweiterte Reproduktion ungleicher Verhältnisse immer wieder gelingen kann; sie eröffnet auch Emanzipationspotenziale. Politische Regulation weist - als Möglichkeit - über das bestehende System der Herrschaft hinaus.
Faktisch vollzog sich in der Geschichte der bürgerlichen Gesellschaftsformation politökonomischer Wandel aber immer über zwei widerstreitende Tendenzen: zum einen eine spezifische politische Konstitution des kapitalistischen Marktes, die die dem Kapital eigene Tendenz zur "freien Menschenverwüstung" (Marx) begrenzt; zum anderen durch die Ausbildung von spezifischen Handlungskorridoren, die dieser "Kette der Regulation" selbst Grenzen setzen, weil das über die Systemgrenzen hinausweisende Potential von Regulationsprozessen von einem historischen Bürgertum oder einem hegemonialen Bündnis der gesellschaftlichen Kräfte aufgegriffen und eingehegt und damit in mit dem vorherrschenden ökonomischen Organisationsprinzip vereinbarende Formen gepresst wird.
Forschungsstrategisch lassen sich solche Prozesse der "Reproduktions-Regulation" (Bob Jessop), in der sich also Grundformen kapitalistischer Herrschaft immer wieder durch neuartige institutionelle Formen der Bearbeitung antagonistischer Verhältnisse reproduzieren, in der Frage formulieren, wie es einem historisch konstituierten Bürgertum gelingt, "die Herausforderung der permanenten Umwälzung seiner Existenz- grundlagen (anzunehmen), sich selbst (zu) transformieren und zu einen neuen Kompromiss- und Regulationsmodus seiner Herrschaft zu finden" (Demirovic 1997: 141).
Es geht um die "Regenerationsfähigkeit des Kapitals": "Wie es permanent dazu gezwungen ist, seine eigenen widersprüchlichen Impulse mit sozialen und ökonomischen Organisationsformen zu verknüpfen, die es zum Vorteil seiner eigenen ‚Logik‘ entsprechend zurechtbiegen kann (Hall 1989: 31). Das Regulationsprinzip also als integraler Bestandteil kapitalistischer Kontrolle, wie es der frühe Aglietta (1979a: 123, 190) durchaus treffend beschrieben hat.
Erst in diesem historisch sich immer neu austarierenden Zusammenspiel von Ökonomie und Politik wird darüber "entschieden", welche konkreten Formen die Arbeitsgesellschaft annimmt und ob bestimmte Ziele der ökonomischen Restrukturierung verwirklicht werden können oder nicht. Dies ist für jede Periodisierung essentiell. Regulation bezeichnet keine Regulationsweise im statischen Sinne, sondern einen sozialen und politischen Prozess und spezifische politische Praxisformen. Der "Regulationsprozess" (Painter/Goodwin 1995) bildet die Grundlage jeder Gesellschaftsformierung. Regulationsverhältnisse schreiben die Pfade politökonomischer Entwicklung fest. Letztere können als ein "Regulationsdispositiv" (Becker 2002: 165ff.) konzipiert werden, als ein "heterogenes Ensemble", in dem unterschiedliche Regulationsebenen (Weltmarkt, Nationalstaat, Region; Ökonomie, Gesellschaft, Politik) spezifisch in-Beziehung-gesetzt werden, Widersprüche und Konflikte zum Prozess kommen und ein Regulationsmodus von Herrschaft etabliert wird. In jeder Formation stehen die Regulationsebenen in einem Gesamtzusammenhang.
Ihr konkretes Wirken ist allein im Kontext der anderen Elemente zu verstehen. Ihre Stellung zueinander kann, wenn auch nicht völlig beliebig, verändert werden. Solche Verschiebungen im Regulationsgefüge aber werden zum Anlass, geronnene Institutionensysteme (Ordnungen) zu sprengen, neue Regulationsprozesse zu generieren und einen neuen Modus der Herrschaft zu etablieren. Dabei kommen nicht unbedingt die aus der Geschichte bekannten Formen zum Prozess, die aus ihrem historischen Entstehungs- und Funktionskontext herausgesprengt und zu allgemeinen Reproduktionsbedingungen kapitalistischer Gesellschaften stilisiert werden - etwa all jene (verteilungspolitischen) Formen, die im Fordismus eine sowohl makroökonomische wie soziale Kohärenz generierten.
Ein zentrales Problem der Regulationstheorie liegt also darin, dass die von ihr standardmäßig eingefangenen Formen sozialer Konflikte und (institutionalisierter) Kompromisse die aktuelle Geschichte kapitalistischer Expansion nicht mehr tragen. Werfen wir also einen Blick auf die auf die treibenden Kräfte des nachfordistischen Regulationsdispositivs und auf die Neuzusammensetzung einer "kondominialen Herrschaftsstruktur" (Otwin Massing). Meine These ist, dass sich im nachfordistischen Kapitalismus grundlegende Verschiebungen im Regulationsgefüge eingestellt haben, die sich zunächst innerhalb der bestehenden, im Fordismus ausgebildeten institutionellen Formen des "rheinischen Kapitalismus" vollziehen, diese aber zunehmend inhaltlich entkernen. Solche Formen der Regulation nenne ich geschliffene Regulation. Die Gewerkschaften als "intermediäre Organisationen" der fordistischen Formation sind die ersten, die diese Veränderungsprozesse mit aller Gewalt zu spüren bekommen.
Geschliffene Regulation im neuen Marktregime Insbesondere das bundesdeutsche System industrieller Beziehungen samt der Funktionen der Gewerkschaften gilt den Vertretern einer neo-institutionalistischen Kapitalismustheorie (Hall/Soskice 2001) als eine nicht zu erobernde Bastion des "rheinischen Kapitalismus".
Nichtsdestotrotz sind seit kurzer Zeit die Gewerkschaften zum Synonym für "Blockierer" und "Verhinderer" vermeintlich notwendiger Reformen geworden. Faktisch jedoch haben sie jahrelang wenig blockiert, das Gegenteil ist sogar der Fall: innovative Formen betrieblicher oder regionaler Regulation sind durch Gewerkschaften oft erst initiiert worden. Und dennoch: die Folgen des strukturellen Wandels in der BRD mussten von den Gewerkschaften in den letzten Jahren vor allem ohnmächtig hingenommen werden, obwohl dieser Wandel selbst teilweise auch im politischen Tausch oder in den Institutionen der industriellen Beziehungen aktiv gestaltet und gestützt wurde.
In diesem Regulationsprozess wurden sukzessive Verschiebungen in den Kräfteverhältnissen durchgesetzt. Heute, wenn es darum geht, einen Paradigmen- bzw. Systemwechsel in der Sozialpolitik zu blockieren, fehlt ihnen im Rahmen des bestehenden Systems industrieller Beziehungen die Mobilisierungs- und Durchsetzungsmacht.
Empirische Studien zur Reorganisationsrealität des "flexiblen Kapitalismus" (Dörre 2002) haben inzwischen deutlich zeigen können, dass sich innerhalb der formalen Stabilität der institutionellen Formen des fordistischen Klassenkompromisses bzw. des "rheinischen Kapitalismus" ein qualitativer Wandel in den Verhandlungsbeziehungen zwischen Kapital und Arbeit durchgesetzt hat.
Es kann davon ausgegangen werden, dass sich in "der Hülle des Alten" bereits Konturen eines neuen Produktionsmodells, wenn nicht einer neuen Formation des Kapitalismus herausgebildet haben. Wir haben diese als "neues Marktregime" (Dörre/Röttger 2003) bezeichnet. Die verbreitete Rede vom Beharrungsvermögen bestehender instituti oneller Arrangements im Verhältnis von Kapital und Arbeit auf jeden Fall verdeckt den sich innerhalb der alten Formen vollziehenden Bruch in der Qualität der Kapital-Arbeits- Beziehungen.
Was steht also beim aktuellen "Tade-Union- Bashing" zur Disposition? Zuvorderst der politische Ökonomismus" (Richard Hyman) der Gewerkschaften, der auf einer Balance aus Konflikt und Kooperation bzw. Gegen- und Gestaltungsmacht basierte und in einer Art von "strategischen Beziehungen" zwischen Staat und Gewerkschaften einen Prozess der Dekommodifizierung der Arbeitskraft hervorbrachte.
Faktisch bildete die Klassenkämpfe des Fordismus keine Triebkräfte der Überwindung der kapitalistischen Produktionsverhältnisse mehr, sondern wurden "Geburtshelfer eines Systems paritätischer Regelungen der Arbeitsbeziehungen, das sich - zumeist mit staatlicher Beihilfe - in allen liberalkapitalistischen Ländern in je spezifischen Institutionen herausbildete" (Müller- Jentsch 1996: 498). In diesem politischen Ökonomismus, der den "keynesianischen Staat" des Fordismus hegemonial trug, gelang es, die strukturelle Machtasymmetrie zwischen Kapital und Arbeit auf der betrieblichen Ebene durch kollektivvertragliche Regeln abzumildern. Dieser Klassenkompromiss basiert auf einer "sich selbst organisierenden Arbeiterbewegung" in der "großen Industrie", also auf Erfahrungen der Bipolarität zwischen "denen" und "uns", letztlich auf antagonistischer Vergesellschaftung durch abstrakte Arbeit. Wie Robert Castel (2000: 315) treffend hervorgehoben hat, bezeichnete der Fordismus die "Auflösung der revolutionären Alternative und der Neuaufteilung des gesellschaftlichen Konfliktpotentials nach einem anderen Muster als dem der Klassengesellschaft, nämlich dem der Lohnarbeitsgesellschaft".
Auch hier aber: Tempi passati. Im kapitalistischen Restrukturierungsprozess im Gefolge der Weltwirtschaftskrise 1975/75 schwanden zunehmend die Bedingungen, unter denen das Kapital zu Kompromissen gezwungen werden konnte. Die "sich selbst organisierende Arbeiterklasse" verschwand nicht auf den "Gängen der Arbeitsämter" - wie der Soziologie Ulrich Beck glaubt; ihr wurden auch durch den Umbau der Unternehmensstrukturen die Grundlagen entzogen. "Vor zwanzig Jahren genügten einem Gewerkschaftsfunktionär zwei Versammlungen, um an einem einzigen Tag mit mehreren Tausend Beschäftigten in Kontakt zu treten und persönlich die Stimmung zu beurteilen" (Leonardi 2001: 755). Großunternehmen werden im Prozess globaler Reorganisation aber geradezu "pulverisiert"; gewerkschaftliche Organisationsarbeit wird zur Sisyphus-Arbeit.
Darüber hinaus bricht das nachfordistische Unternehmen mit dem Vergesellschaftungstypus der Lohnarbeitsgesellschaft. Im Kern lässt sich innerhalb der noch bestehenden institutionellen Formen eine Bewegung ausmachen, in der die Bewertungsmaßstäbe "industrieller Demokratie" ökonomisiert und die Ware Arbeitskraft re-kommodifiziert wird, d.h. abhängige Arbeit wird wieder stärker an Marktrisiken rückgebunden. Und tatsächlich sind institutionelle Garantien für die abhängig Beschäftigten nur noch solange etwas wert, wie sie sich mit der wirtschaftlichen Situation des Betriebs und seinen Reorganisationsstrategien vereinbaren lassen. In neuen Unternehmensorganisationen (Profitcentern etc.) kommt infolge erodierender Tarifdemokratie ein neuer Typus der Integration von Arbeit zum Prozess. Das kapitalistische Unternehmen "integriert die Arbeit (nun) auf individuelle Weise vollkommen in die Logik des Unternehmens, indem sie sie - sowohl räumlich als auch bezüglich der juristischen Normen - als kollektives Subjekt des-integriert. [..] Die Interessen der abhängig Beschäftigten verlieren dabei ihre Identität und Autonomie, das heißt die zwei Ankerpunkte, auf die sich - bis vor nicht allzu langer Zeit - die gewerkschaftlichen Forderungen nach Arbeiterkontrolle und nach demokratischer Beteiligung an der Unternehmensführung gründeten" (ebd.: 756f.).
Die Stellung des Unternehmens in der Hierarchie der kapitalistischen Weltökonomie markiert das zentrale Koordinatensystem, an dem sich betriebliches Handeln ausrichtet.
Vor allem Betriebsräte erlangen Kompetenzen und Entscheidungsbefugnisse im wettbewerbskorporatistischen Standortmanagement und in der Organisation "kompetitiver Solidarität" (Wolfgang Streeck). Die Präge- und Bindekraft des Institutionensystems dagegen erodiert. Von Seiten kritischer GewerkschafterInnen werden zunehmend die durch Öffnungsklauseln im System der Tarifdemokratie bereits ermöglichten Tarifvereinbarungen auf Betriebsebene kritisiert, durch die zwar die formale Hülle des Tarifvertrages gewahrt bliebe, in denen jedoch arbeitspolitisch jeder "Haltegriff" fehle, der den Sturz in den interessenpolitischen Rückschritt wenn nicht aufhalten, so doch in Maßen halten könne. Dabei sollen die Institutionensysteme der industriellen Beziehungen definitionsgemäß doch substanzielle Normen und prozedurale Regeln für Kollektive zur Verfügung stellen, die erlauben, Pfadentwicklungen auf Dauer zu stellen. Sie "stecken den Rahmen der Auseinandersetzungen zwischen Kapital und Arbeit ab; sie legen fest, welche Formen, Gegenstände und Akteure zugelassen sind und welche Handlungsmöglichkeiten diesen für die Lösung spezifizierter Probleme zur Verfügung stehen" (Müller-Jentsch 1996: 498). Genau das gelingt im neuen Regulationsgefüge aber nicht mehr. Die Auseinandersetzung zwischen Kapital und Arbeit läuft aus dem Ruder; Gewerkschaften werden entweder "über den Tisch gezogen", weil ihre Verhandlung nur noch in subalternen Formen, nämlich innerhalb der von der Unternehmenslogik festgelegten Koordinaten verläuft, oder zum Abschuss freigegeben. Handlungskorridore politökonomischer Entwicklung werden so neu vermessen. Vor allem bilden sich im neuen Regulationsdispositiv gesellschaftlicher Arbeit neue Formen der Verschränkung von betrieblicher Reorganisation und weltökonomischen Umbrüchen. Arbeitsregulation wird unmittelbarer den Verwertungsinteressen des kapitalistischen Weltmarkts unterstellt (Röttger 2003a).
Hier wurzelt der Mythos, der dem Festhalten an den "Befreiungspozentialen" des Postfordismus durch "verhandelte Strategien" der Modernisierung anhaftet. Weil die nachfordistische Ökonomie in einem neuen Regulationsdispositiv agiert, in die neue strategische Beziehungen zwischen Kapital und Staat eingebaut sind, fungieren die beschriebenen Erosionsverhältnisse innerhalb der bestehenden Ordnung der industriellen Beziehungen nicht als vereinzelte Phänomene eines Wandels im Arbeits- und Produktionsprozess, die durch "neue Regulationen" eingefangen werden können; sie sind vielmehr als "Ensemble" eines historischen Bruchs unentwirrbar eingewoben in eine gründliche Rekomposition des gesamtgesellschaftlichen Bedingungsgefüges der Regulation.
Theoretisch gewendet: dem bestehenden System industrieller Beziehungen wird nicht eine idealtypische, neoliberale oder US-amerikanische, im "benchmarking" ermittelte Regulationsweise aufgeherrscht; durch die im Regulationsprozess kapitalistischer Restrukturierung verschobenen Kräfteverhältnisse und durch die Durchsetzung neuer (finanzieller) Normen innerhalb der kapitalistischen Weltökonomie hat sich die wechselseitige Bedingungskonstellation von Arbeit und Politik dergestalt verschoben, dass sich die bestehenden Regulationssysteme als internationales System neu austarieren. Kern dieses Prozesses ist die Tendenz zur Durchsetzung einer weltmarktgültigen, hegemonialen Produktionsnorm (Aglietta 1979b), eines vermeintlichen "Sachzwang Weltmarkt", der aber als ein politischer und sozialer Prozess funktioniert. Neue Regulationsverhältnisse selbst werden zu "Subjekten des Wettbewerbs" und "Objekten der Produktion" - zu "Orten, an dem die Ressourcen lokaler Gesellschaftlichkeit mobilisiert und ‚verbraucht‘ werden, d.h. umgewandelt und in das Innere der abstrakten Kreisläufe der globalen Ökonomie transferiert werden" (Revelli 1999: 114ff.). Wettbewerbskorporatismus wird zur "gesellschaftlichen Manier" (Marx). Eine fundierte regulationstheoretische Analyse dieser neuen Formen der Regulation steht jedoch weitgehend aus.
Was bleibt? Im Unterschied zur institutionalistischen Kapitalismustheorie besteht also wenig Anlass, auf die Beharrungstendenzen der geronnene Strukturen der Regulation zu vertrauen.
Die Regulationstheorie könnte wirkichkeitswissenschaftlichere Akzente setzen und so einen Gegenpol zu eher verharmlosenden Vorstellungen strukturellen Wandels und nachfordistischer Reform bilden. Das setzt aber voraus, dass sie ihre verschütteten Traditionen wiederbelebt und sich auf die Analyse der Herrschaftsförmigkeit des Regulationsprozesses konzentriert. Dass diese herrschaftliche Organisation ein hochgradig zerbrechliches Gebilde darstellt, das vergänglich und damit auch historisch veränderbar ist, versteht sich von selbst. Die Bedingungen eines solchen Bruchs jedoch müssen neu bestimmt werden.
Auch das wäre ein eine Forschungsperspektive, die ich eine neo-regulationistische nennen würde (Röttger 2003b). Es kann aber nicht Aufgabe kritischer Gesellschaftstheorie sein, Regulation im Rahmen des neuen Akkumulationsregimes neu zu erfinden. Regulation muss sich so auf einen schmalen Korridor verengen. Das Ergebnis solcher Bemühungen wäre allenfalls eine reformistische Illusion, die vorgaukelt, sozialen Fortschritt innerhalb herrschender Formen zu erzielen, tatsächlich aber nur den dem nachfordistischen Akkumulationsregime immanenten Imperialismus des Reichs der Notwendigkeit politisch nachvollzieht.

Literatur:
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Der Beitrag ist erschienen in spw 135, Januar/Februar 2004