Selbsthilfegruppe für Kriegsverbrecher

Über das Treffen der Gebirgsjäger von Wehrmacht und Bundeswehr in Mittenwald 2005.

Pfingsten 2005: Eine Woche zuvor jährt sich der Tag der Befreiung vom deutschen Faschismus zum 60.Mal. Etliche aber wurden damals nicht befreit, sondern besiegt, und diese Niederlage steckt ihnen noch 60 Jahre später in den Knochen. Und so werden sich auch dieses Jahr zu Pfingsten über tausend ehemalige Wehrmachtssoldaten, gegenwärtige Bundeswehrsoldaten und ihre Gesinnungsgenossen aufmachen zu einer Gedenkveranstaltung der ganz anderen Art: Nach Mittenwald, zum Ehrenmal‚ der Gebirgsjäger am Hohen Brendten, wohin der Kameradenkreis der Gebirgsjäger seit 48 Jahren lädt, damit sie dort ihrer‚ Toten aus zwei Weltkriegen gedenken.

Wir finden: Sie müssen sich ihrer Täterschaft erinnern und der Opfer gedenken. Darum sind die Gebirgsjäger seit 2002 bei ihrer widerlichen Veranstaltung nicht mehr ungestört: Vor drei Jahren enterte eine Gruppe Antifaschisten das traditionelle Schweinebratenessen von Gebirgsjägern im Postkeller‚ in Mittenwald und forderte eine Gedenkminute für die Opfer der Verbrechen der Gebirgsjäger. Für diese sicherlich nicht unbillige Forderung wurden sie von Greisen mit Stühlen attackiert, aus dem Lokal geworfen und anschließend von der bayrischen Polizei für 24 Stunden in der Jugendherberge festgesetzt.
In den vergangenen beiden Jahren wurde öffentlich und breiter nach Mittenwald mobilisiert: Gegen den Skandal eines Tätergedenkens, an dem sich nicht nur die noch lebenden Täter, sondern auch die Bundeswehr beteiligt, bei dem unbeirrt an der Mär von Ehre und Tugend des deutschen Gebirgsjägers, am generationenübergreifenden soldatischen Geist, gestrickt wird, und dies alles im Angesicht der Tatsache, dass diese Truppe während des Zweiten Weltkriegs eigenhändig Massenmorde in über 50 Orten quer durch Europa verübte.
Kommeno, ein Dorf in Nordgriechenland, wo sie über 317 Zivilisten ermorden, und Kefalonia, eine Insel bei Korfu, auf der sie 5000 entwaffnete italienische Soldaten niedermetzelten, sind von den Verbrechen der Gebirgsjäger nur die bekanntesten: Von Griechenland über den Balkan, nach Italien und Frankreich bis hinauf nach Finnland zieht sich eine breite Blutspur.
Die alljährliche Selbstvergewisserung der Gebirgsjäger an Pfingsten hat so immer auch den Charakter einer Selbsthilfegruppe für Kriegsverbrecher, ideell und ganz konkret: Hier werden Absprachen getroffen für den Fall, dass die Strafverfolgungsbehörden doch noch einmal mit einer Mordanklage an die Tür klopfen. Das alles ist widerlich, und wir wollen, dass das aufhört.
Darum gibt es seit zwei Jahren zu Pfingsten in Mittenwald nicht nur gedenkende Gebirgsjäger, sondern auch Veranstaltungen mit Überlebenden der Massaker der Gebirgstruppe, die so am Ort der Täter eine Stimme erhalten. Es gibt Aktionen und Demonstrationen, die dazu geführt haben, dass das Gebirgsjägertreffen vom alljährlichen normalen Vorgang zum brisantesten Thema der örtlichen öffentlichen Debatten geworden ist. Aber das reicht uns nicht! Wir fordern: Weg damit! Es muss endlich Schluss sein mit dem Gebirgsjägertreffen in Mittenwald! Es muss Schluss sein mit Feierlichkeiten, bei denen Täter zu Opfern umgelogen werden! Erst dann kann die Frage eines Mittenwalder Bürgers, wie denn der antifaschistische "Sauhaufen" am besten aus Mittenwald fernzuhalten sei, eine Antwort finden.
Wir werden diesen Forderungen 2005 mit Zeitzeugenveranstaltungen, mit einem Sternmarsch, mit Demonstrationen, mit Straßentheater, mit eigenen Mahn- und Reuegottesdiensten auf dem Hohen Brendten und einem "Wiederentwaffnungs"-Camp in Mittenwald Nachdruck verleihen.
In den kommenden Monaten wird es eine Fülle an Gedenkveranstaltungen und Feierlichkeiten zur Niederlage des Faschismus und zum Ende des zweiten Weltkriegs geben, die in einem Staatsakt von Bundestag und Bundesrat am 8.Mai und der offiziellen Eröffnung des Holocaust-Mahnmals am Tag darauf ihren vorläufigen Höhe- und Schlusspunkt finden.
Selbstverständlich begrüßen wir viele Veranstaltungen in diesem Kontext, aber es liegt darin auch eine Gefahr: die Gefahr, dass die Deutschen zu Weltmeistern im Gedenken‚ werden, einem Gedenken, das zur Routine gerinnt und darunter einen Raum eröffnet, in dem die Forderung nach einem Schlussstrich und einer Normalität im Umgang mit der deutschen Geschichte laut wird.
Zwischen Staatsakt am 8.Mai und der offiziellen Eröffnung des Holocaust-Mahnmals droht die Forderung nach einer aktiven Auseinandersetzung mit der eigenen Tätergeschichte, nach der Verfolgung der zahlreichen noch lebenden Täter und nach einer Entschädigung der Opfer unterzugehen.
Dem demonstrativen öffentlichen Gedenken in der Hauptstadt entspricht das massive öffentliche Verdrängen, Umbiegen und Leugnen an Orten, für die Mittenwald nur ein besonders krasses Beispiel ist. Berlin und Mittenwald sind aber geeint in der offiziellen Deutung der militärischen Niederlage des Nationalsozialismus in einen Sieg der Demokratie über den Extremismus. Indem man sich so moralisch auf die Seite der Kriegsgewinner projiziert, ist es möglich, die Bundeswehr mit dem Argument der Verhinderung eines neuen Auschwitz wieder Angriffskriege führen zu lassen.
Auch hier sind die Gebirgsjäger, in Traditionspflege den alten Kriegsverbrechern der Wehrmacht eng verbunden, ganz vorne dabei. Wir fordern darum: Wiederentwaffnung der Bundeswehr. Was wir wollen: NS-Täter verfolgen, Opfer entschädigen.