Deutschland und die Atombombe

Am 6. August 1945 wurde eine Uranbombe über der japanischen Stadt Hiroshima abgeworfen, drei Tage später eine Plutoniumbombe über Nagasaki. 350 000 Menschen starben. Die Folge dieses Grauens war ..

... nicht etwa ein weltweiter kategorischer Verzicht auf Atombomben, sondern ein weltweites atomares Wettrüsten, das bis heute anhält.

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Dr. med. Shuntaro Hida, geboren 1917 in Hiroshima, arbeitete 1945 als junger Armeearzt in einem Lazarett in seiner Heimatstadt. Am Vorabend des 6. August wurde er wegen eines Notfalls in ein fünf Kilometer entferntes Dorf gerufen. Ohne diesen Notruf und seine Übernachtung außerhalb Hiroshimas hätte er nicht überlebt, was am nächsten Morgen geschah. Er berichtet: "Um Viertel nach acht explodierte plötzlich die Bombe. Mit einem Schlag leuchteten millionenfache Blitze auf und blendeten mich. Es folgte eine ungeheure Hitze, die meine unbedeckte Haut verbrannte. Dann, einige Sekunden später, kam der ungeheure Druck, der einem Orkan gleich den Hügel heraufraste und die Häuser in diesem Dorf erfaßte. Er riß das Dach des Hauses, in dem ich mich befand, ab und schleuderte mich etwa zehn Meter weit. Als ich aus den Trümmern des Hauses hervorkroch, sah ich auf den riesigen Atompilz, der höher wuchs, in fünf verschiedenen Farben leuchtete und sich über ganz Hiroshima ausbreitete. Da ich mich als Militärarzt zum Helfen verpflichtet fühlte, nahm ich sofort mein Fahrrad und fuhr in Richtung Hiroshima. Als ich etwa die Hälfte des Weges hinter mir hatte, sah ich den ersten Menschen, der aus dem Flammenmeer entflohen war. Und wie er aussah! Er war kein Mensch mehr. Vom Leib, von allen Teilen des Körpers, hingen zerfetzte Lappen herunter. Von den Spitzen der Finger, die er sich vor die Brust hielt, fielen schwarze Tropfen herab. Und das Haupt, der ungeheuer große Kopf, an dem kein einziges Haar zu sehen war, geschwollene Augen, die beiden Lippen, die bis zur Hälfte des Gesichtes aufgedunsen waren! Erschrocken trat ich einige Schritte zurück. Die hängenden Lappen waren nichts anderes als abgeschabte Haut des lebenden Menschen. Die schwarzen Tropfen waren sein Blut. Ob Mann, ob Frau? Ob Soldat, oder Zivilist? An nichts konnte man das ablesen. Von seiner Sehkraft war vielleicht noch etwas übrig. Er trottete mit vorgestreckten Händen einige Schritte auf mich zu und fiel auf den Bauch. Ich lief hin und wollte den Puls fühlen. Aber an diesem Fleischklumpen war nirgendwo eine Stelle mit trockener Haut. Bestürzt und hilflos stand ich da, schon überfielen ihn starke Krämpfe, aber bald gingen auch diese vorbei."

Hida gehört zu den wenigen Ärzten, die den Atombombenabwurf auf Hiroshima überlebt haben. Seit dieser Zeit engagiert er sich in zahlreichen Gremien für die Belange der Hibakusha (Überlebende der Atombombenabwürfe) und für eine atomwaffenfreie Welt. Seine Memoiren sind auch in deutscher Sprache erhältlich ("Der Tag, an dem Hiroshima verschwand", Donat Verlag). Der deutsche Zweig der Internationalen Ärzte zur Verhütung des Atomkrieges sieht in Hida den "Botschafter" der Überlebenden von Hiroshima und Nagasaki. Hidas unermüdliche Bemühungen sollten als steter Appell an politisch Handelnde, auch außerhalb der Parlamente, sein, sich entsprechend zu engagieren.

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Der Deutsche Bundestag hat am 25. März 1958 die atomare Aufrüstung der Bundeswehr beschlossen. Durch die Ratifizierung des Nichtverbreitungsvertrages (nebst anderen Vertragsabschlüssen) hat die Bundesrepublik später - allerdings gegen massiven Widerstand im Parlament (Franz Josef Strauß empörte sich, der Vertrag sei "ein Versailles von kosmischen Ausmaßen") - rechtsverbindlich auf den Erwerb von Atombomben verzichtet. Im Rahmen der "nuklearen Teilhabe" übernimmt Deutschland jedoch eine wichtige Rolle innerhalb der NATO-Nuklearwaffenstrategie, die noch immer die Option des Ersteinsatzes von Atombomben enthält. Völkerrechtler und Sprecher der Friedensbewegung sehen darin einen Verstoß gegen den Nichtverbreitungsvertrag sowie gegen das Gutachten des Internationalen Gerichtshofs (IGH) vom 8. Juli 1996.

Damals hat der IGH in Den Haag auf Anforderung der UN-Generalversammlung ein völkerrechtliches Gutachten erstattet und darin zum Ausdruck gebracht, daß der Einsatz von Atomwaffen und schon dessen Androhung generell gegen diejenigen Regeln des Völkerrechts verstoßen würden, die für bewaffnete Konflikte gelten, insbesondere gegen die Prinzipien und Regeln des humanitären Kriegsvölkerrechts. Zudem hat der IGH in seinem Richterspruch einstimmig die völkerrechtlich verbindliche Pflicht festgestellt, über die vollständige nukleare A brüstung zu verhandeln. Dieter Deiseroth, Richter am Bundesverwaltungsgericht, folgert daraus, daß die geltenden Nuklearstrategien der NATO sowie die ihrer Atommächte USA, Frankreich und Großbritannien mit dem geltenden Völkerrecht nicht vereinbar sind und deshalb dringend revidiert werden müssen. Zudem ist er der Auffassung, daß auch die Nicht-Atomwaffenstaaten, die im Rahmen der nuklearen Teilhabe die NATO-Nuklearwaffenstrategie unterstützen, dafür keine völkerrechtliche Basis haben. Das trifft auch auf Deutschland zu, da die Einsatzplanung der Bundeswehr vorsieht, daß deutsche Tornado-Flugzeuge mit US-amerikanischen Atombomben beladen werden können, und daß deutsche Piloten und Besatzungen sie dann gemäß den Plänen und Einsatztaktiken der NATO-Stäbe an den Einsatzorten abzuwerfen haben. Dafür wird am Fliegerhorst Büchel (Rheinland-Pfalz) tagtäglich geübt.

Der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesverteidigungsministerium, Walter Kolbow (SPD), umschreibt dies mit den Worten: "Das gemeinsame Bekenntnis der Bündnispartner zur Kriegsverhinderung, die glaubwürdige Demonstration von Bündnissolidarität und das nukleare Streitkräftepotenzial erfordern auch in Zukunft die deutsche Teilhabe an den kollektiven nuklearen Aufgaben. Dazu gehören die Stationierung von verbündeten Nuklearstreitkräften auf deutschem Boden, die Beteiligung an Planung, Konsultationen sowie die Bereitstellung von Trägermitteln."

Vor anderthalb Jahren - sieben Jahre nach jener denkwürdigen Entscheidung des Internationalen Gerichtshofs - befragte die Initiative "Atomwaffen abschaffen" schriftlich sämtliche Bundestagsabgeordneten. Ihnen wurden folgende Fragen gestellt: 1. Wie bewerten Sie das Sicherheitsrisiko, ausgelöst durch die in der Bundesrepublik stationierten Atomwaffen beziehungsweise die damit verbundene nukleare Teilhabe? 2. Halten Sie den Appell des Internationalen Gerichtshofs - beziehungsweise die vom Trägerkreis ›Atomwaffen abschaffen‹ erhobenen Forderungen an die Bundesregierung - für unterstützenswert? 3. Können Sie sich vorstellen, sich im Rahmen Ihrer politischen Arbeit diesem Ziel entsprechend zu engagieren? 4. Würden Sie einer auf die Zielsetzung des Trägerkreises ›Atomwaffen abschaffen‹ ausgerichteten Gesetzesinitiative zustimmen?

Die Initiative, in der zahlreiche Friedensgruppen zusammenarbeiten, hatte zuvor von der Bundesregierung gefordert: a) den Verzicht der Bundesrepublik auf sämtliche Optionen nuklearer Teilhabe; b) den Ausstieg aus der NATO-Atomwaffenstrategie und die Schaffung einer atomwaffenfreien Zone in Mitteleuropa; c) das Verbot von Produktion, Stationierung oder Forschung von Atomwaffen in Deutschland und d) internationale Verträge zur weiteren Abrüstung von Atomwaffen und deren vollständige Abschaffung.

Nachfolgend eine Auswahl von Antworten.

Der Parlamentarische Staatssekretär Kolbow aus dem Verteidigungsministerium erklärte für die SPD-Bundestagsfraktion: "Der Hauptzweck des Bündnisses ist, Schutz und Sicherheit seiner Mitgliedsstaaten vor jeder Art einer militärischen Bedrohung zu gewährleisten. Auch im neuen Sicherheitsumfeld setzt die NATO dabei auf Abschreckung. Zusammen mit den konventionellen Streitkräften tragen die nuklearen Streitkräfte der NATO dazu bei, die Kernaufgabe der kollektiven Verteidigung des Bündnisses zu erfüllen. (...) Deutschland erlangt durch die nukleare Teilhabe weder im Frieden noch im Verteidigungsfall jemals eine Verfügungsgewalt über Nuklearwaffen." Aber wer hat dann die Verfügungsgewalt? Könnte uns etwa der Gedanke beruhigen, daß die deutschen Soldaten, die auf dem Fliegerhorst Büchel tagtäglich den Einsatz von Atomwaffen üben, auf Grund einer Entscheidung eines US-Präsidenten wie George W. Bush mit "Tornados" der Bundesluftwaffe Atomwaffen ins Ziel fliegen? Oder daß ihnen ein NATO-General (vielleicht ein Deutscher) den Befehl gibt? Welchen militärischen Sinn sollte die nukleare Teilhabe haben, wenn es im sogenannten Verteidigungsfall nicht zum "worse case", dem Atombombenabwurf, kommen darf?

Im Auftrag der Bundesregierung schrieb ein Mitarbeiter des Auswärtigen Amtes: "Die Bundesregierung ist dem Ziel der vollständigen Abschaffung nuklearer Waffen verpflichtet und setzt sich nachdrücklich für die vollständige Implementierung der auf der Überprüfungskonferenz des Nichtverbreitungsvertrages 2000 erzielten Ergebnisse ein." Dazu gehörten die Bekräftigung der aus Artikel IV des Nichtverbreitungsvertrags resultierenden Verpflichtung der Kernwaffenstaaten zur vollständigen nuklearen Abrüstung sowie ein Katalog an praktischen Schritten zur Stärkung der nuklearen Abrüstung und Nichtverbreitung. "Die Nuklearen Streitkräfte sind ausschließlich defensiver Natur und dienen dem politischen Zweck, den Frieden zu wahren und Gewaltanwendung und Krieg zu verhindern." Die Antwort bringt durchaus den Willen zum Ausdruck, Atomwaffen abzuschaffen, leider jedoch ohne einen Bezug zur nuklearen Teilhabe der Bundeswehr herzustellen, geschweige denn aus diesem Willen politische Intervention abzuleiten.

Für den SPD-Abgeordneten Gernot Erler ließ dessen Referent wissen: "Diese Bundesregierung und ihre Vorgängerinnen haben mehrfach erklärt, daß die Bundesrepublik Deutschland weder im Frieden noch im Verteidigungsfall eine Verfügungsgewalt über Nuklearwaffen erlangen kann und wird. (...) Der Verzicht der Bundesrepublik Deutschland auf Herstellung und Besitz von oder Verfügungsgewalt über Nuklearwaffen ist eindeutig und endgültig." Aber widerspricht die nukleare Teilhabe der Bundeswehr nicht jenem Verzicht?

Für die Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen teilte Winfried Nachtwei mit: "Deutschland besitzt keine Atomaffen, sondern stellt mit den Tornados Trägersysteme zur Verfügung. Für mich ist kein Szenario denkbar, wonach sich die Bundeswehr mit Tornado-Flugzeugen an einem Einsatz taktischer Atomwaffen beteiligt. Völlig unwahrscheinlich halte ich die Möglichkeit, daß dies gar von Seiten einer rotgrün geführten Bundesregierung geschehen könnte." Diese Antwort schreit geradezu nach einer bündnisgrünen Forderung, die nukleare Teilhabe aufzukündigen, doch eine solche Forderung wurde bisher nie erhoben.

Rupert Polenz (CDU/CSU-Bundestagsfraktion): "Die Politik meiner Fraktion zielt auf ein Festhalten am Atomwaffensperrvertrag und unterstützt alles, was der Erfüllung dieses Vertrages dient. (...) Die Nuklearstrategie des Bündnisses ist ein wesentlicher Garant der Sicherheit Deutschlands. Das Gutachten des IGH widerspricht der Nuklearpolitik der NATO in keinem Punkt, sondern stimmt mit ihr überein. (...) Risiken sehe ich hingegen insbesondere durch die Proliferation von Massenvernichtungswaffen durch Staaten, die in Verbindung mit dem internationalen Terrorismus stehen." Folgte man dieser Auffassung, so wäre offenbar zu unterscheiden zwischen den guten Atombomben der NATO und anderen, die zu verdammen sind...

Für die FDP-Bundestagsfraktion antwortete der frühere Staatssekretär im Bundesverteidigungsministerium, Werner Hoyer: "Deutschland hat völkerrechtlich verbindlich (zuletzt im 2+4-Vertrag von 1990) auf den Erwerb, den Besitz und die Verfügungsgewalt über die Nuklearwaffen verzichtet. Deutschland ist als Mitglied der NATO verpflichtet (und auf Grund unserer eigenen Sicherheitsbedürfnisse auch daran interessiert), an der kollektiven Verteidigung des transatlantischen Bündnisses mitzuwirken. (...) Die Stationierung von Teilen des amerikanischen Waffenpotenzials auf dem Territorium europäischer Bündnispartner ist nicht nur ein wichtiges Element dieser NATO-Strategie, sondern auch ein Bindeglied transatlantischer Sicherheit. (...) Ich teile allerdings Ihre Auffassung, daß die aus Artikel 6 des Nichtverbreitungsvertrages für Atomwaffenstaaten resultierende Pflicht zur Abrüstung bislang auf allen Seiten nicht ausreichend umgesetzt wurde. Das liegt natürlich in erster Linie in den Händen der Bundesregierung, aber wir werden aus der Opposition heraus trotzdem weiter nachhaken, wie die Bundesregierung sich auch für die Umsetzung dieses Teils des Nichtverbreitungsvertrages einzusetzen gedenkt." Unerwähnt bleibt hier, daß Hoyer selber, als er zuständiger Staatssekretär war, es vermieden hat, sich für eine strikte Einhaltung des Nichtverbreitungsvertrages stark zu machen.

Die Antworten der Bundestagsabgeordneten brachten auf verschiedene Weise mehr oder weniger den Wunsch nach einer Abschaffung aller Atomwaffen, nach Stopp der Produktion neuer Atomwaffen und nach vertraglicher Festlegung auf diese Ziele zum Ausdruck. Insbesondere waren sie wohl von dem Wunsch getragen, daß niemals ein Bundeswehrpilot in die Lage kommen möge, mit seinem "Tornado"-Flugzeug im Rahmen der nuklearen Teilhabe eine Atombombe in ihr Ziel zu fliegen. Nur: Quer durch die Parteien schien kein Bundestagsabgeordneter bereit zu sein, über bloße Wunschformulierungen hinausgehend unmißverständlich ein Ende der nuklearen Teilhabe der Bundeswehr oder den Abzug sämtlicher Atomwaffen aus Deutschland zu fordern. Das änderte sich erst vor wenigen Wochen durch einen parlamentarischen Vorstoß der FDP-Fraktion.

Am 14. April debattierte der Bundestag nach Anträgen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen sowie der FDP über die Konferenz zur Überprüfung des Nichtverbreitungsvertrages, die zwei Wochen später in New York begann und leider ohne konstruktives Ergebnis zu Ende ging. In dieser Debatte ging es auch um die in Deutschland gelagerten Atomwaffen. Hierzu sagte der FDP-Abgeordnete Harald Leibrecht: "Wir meinen aber, daß der dritten Säule des Nichtverbreitungsvertrages, der Abrüstungsverpflichtung der Nuklearmächte, mehr Nachdruck verliehen werden muß. Deshalb fordern wir (Â…) den Abzug der in Deutschland stationierten etwa 150 US-amerikanischen taktischen Nuklearwaffen. Diese Bomben sind ein Relikt des Kalten Krieges. Sie spielen im Umgang mit den heutigen Bedrohungen keine Rolle mehr und sind angesichts der gültigen NATO-Strategie für Deutschland nicht zwingend erforderlich. Die Tatsachen, daß diese taktischen Nuklearwaffen bis heute in Deutschland lagern und daß auch unsere Soldaten mit diesen Waffen üben müssen, werden in Deutschland weitestgehend totgeschwiegen. Rot-Grün traut sich offensichtlich nicht an dieses Thema heran. Wir fordern die Bundesregierung auf, in der NATO und in Gesprächen mit den USA auf einen baldigen Abzug dieser Waffen zu drängen. Es wäre ein wichtiges Signal an all die Länder, die wir auffordern, abzurüsten, wenn wir selbst mit gutem Beispiel vorangingen und diese Waffen aus unserem Land verbannten." Aus friedenspolitischer Sicht ist dieser Forderung im Grunde nichts hinzuzufügen.

Anders sah es der schon zitierte CDU-Abgeordnete Polenz, der lakonisch entgegnete: "Lassen Sie mich noch etwas zum FDP-Antrag sagen, in dem gefordert wird, daß die amerikanischen Nuklearwaffen aus Deutschland abgezogen werden sollen. Ich weiß nicht, ob die FDP der Meinung ist, daß die US-Truppen gleich mit abgezogen werden sollen, oder ob sie der Meinung ist: Die amerikanischen Truppen sollten schon in Deutschland bleiben. Wenn sie aber Letzteres meint - was ich vermute -, dann spricht eigentlich vieles dafür, die Frage, wie die Truppen geschützt und wie sie bewaffnet werden sollen, denen zu überlassen, die sie stellen."

Winfried Nachtwei (Bündnis 90/Die Grünen) stellte hingegen fest: "Für die Stationierung der amerikanischen Atomwaffen auf deutschem Boden gibt es keinerlei Rechtfertigung und auch keinerlei militärische Begründung mehr. Das gilt, so meine ich, erst recht für die Vorbereitung von bundesdeutschen Tornadopiloten darauf, auch solche Waffen gegebenenfalls einsetzen zu können." Die anderen Redner zu diesem Thema vermieden es, konkret zur nuklearen Teilhabe der Bundeswehr Stellung zu nehmen, geschweige zu ihrer Vereinbarkeit oder Nichtvereinbarkeit mit dem Nichtverbreitungsvertrag.

Nach der Debatte im Bundestag entschlossen sich auch mehrere Fraktionen im rheinland-pfälzischen Landtag, das Thema Atomwaffen zum Gegenstand von Anträgen zu machen. Rheinland-Pfalz ist das Bundesland, in dem derzeit Atomwaffen gelagert sind (Ramstein und Büchel) und die nukleare Teilhabe der Bundeswehr praktiziert wird (Jagdbombergeschwader 33 in Büchel).

In dem Antrag von Bündnis 90/Die Grünen heißt es: "Mit auf dem Militärflugplatz in Büchel/Eifel stationierten atomwaffenfähigen Tornado-Jagdbom-bern trägt die Bundeswehr zur ›technischen nuklearen Teilhabe‹ bei. Das bedeutet: Im Kriegsfall und nach Freigabe durch den Präsidenten der USA könnte die Bundeswehr etwa 20 in Büchel gelagerte Atomwaffen aus US-Beständen einsetzen. (...) Dies steht einer konsequenten und glaubwürdigen Nichtverbreitungspolitik im Wege." Entsprechend forderten die rheinland-pfälzischen Grünen die Landesregierung auf, "darauf hinzuarbeiten, daß die noch immer in Rheinland-Pfalz stationierten US-Atomwaffen vollständig abgezogen werden. Sie soll die Bundesregierung bei entsprechenden Konsultationen mit den anderen NATO-Staaten unterstützen, damit der Abzug mit einer klaren Perspektive und innerhalb eines verbindlichen zeitlichen Abrüstungsrahmens erfolgen kann", und "sich dafür einsetzen, daß die Bundesrepublik Deutschland im Rahmen ihrer Möglichkeiten aktiv und mit eigenen Schritten zur atomaren Abrüstung beiträgt, indem sie umgehend die ›technische nukleare Teilhabe‹ innerhalb der NATO beendet und damit die technische Fähigkeit zum Einsatz US-amerikanischer Atomwaffen mit von deutschen Piloten geflogenen Flugzeugen der Bundesluftwaffe im Rahmen von Operationen der NATO in Kriegszeiten aufgibt".

Der Antrag der Grünen wurde abgelehnt. Angenommen wurde ein Koalitionsantrag von SPD und FDP, worin erklärt wurde: "Der Landtag unterstützt das Bestreben und die Bemühungen der Bundesregierung und der Landesregierung, in Gesprächen mit den amerikanischen Verbündeten einen Abzug der heute noch in Deutschland und Europa stationierten taktischen Nuklearwaffen zu erreichen." Die Fraktion der Grünen beschloß daraufhin, den wissenschaftlichen Dienst des Landtages mit einem Rechtsgutachten zur Frage der Rechtmäßigkeit der in Rheinland-Pfalz stationierten Atomwaffen (sowie der nuklearen Teilhabe) zu beauftragen. Abhängig von dem Tenor des Gutachtens wollen die Grünen dann entscheiden, welche weiteren Schritte - möglicherweise ein Klageverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht - eingeleitet werden.

Ministerpräsident Kurt Beck (SPD) antwortete auf die Frage, welche Schritte er tue, um zu erreichen, daß die in Rheinland-Pfalz gelagerten Atomwaffen abgezogen werden: "Ich bin sicher, daß der Abzug der Nuklearwaffen nicht nur eine Anpassung an die seit dem Ende des ›Kalten Krieges‹ veränderte sicherheitspolitische Lage bedeuten würde, sondern auch die Glaubwürdigkeit des Nichtverbreitungsgrundsatzes des Nichtverbreitungsvertrages (NVV) stärken würde." Insofern wolle er die Bemühungen der Bundesregierung unterstützen, "in Gesprächen mit den amerikanischen Verbündeten einen Abzug der heute noch in Deutschland und Europa stationierten taktischen Nuklearwaffen zu erreichen".

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In den Wahlprogrammen der Parteien zur bevorstehenden Bundestagswahl spielt das Thema Atomwaffen so gut wie keine Rolle. Hatte die FDP noch vor wenigen Monaten mit ihrem Bundestagsantrag maßgeblich dazu beigetragen, das Thema auf die politische Bühne zu heben, und hatten sich unmittelbar danach verschiedene Bundespolitiker (Claudia Roth, Kurt Beck, Peter Struck, Gert Weisskirchen, Winfried Nachtwei, Guido Westerwelle) der Forderung nach dem Abzug sämtlicher in Deutschland stationierter Atomwaffen angeschlossen, so ebbte das Interesse an dem Thema inzwischen wieder ab.

Vor allem nach dem Scheitern der New Yorker Überprüfungskonferenz zum Nichtverbreitungsvertrag scheint das Thema von der politischen Agenda wieder verschwunden zu sein. Hatte Außenminister Fischer in New York noch erklärt: "Eine Welt frei von der Bedrohung durch atomare Waffen bleibt das Ziel deutscher Politik", so war danach von ihm nicht mehr zu vernehmen, welche Konsequenzen dieses Postulat innerhalb der deutschen Politik haben könnte, ja müßte.

Bundeskanzler Schröder wurde in der tageszeitung in Anspielung auf die in Büchel gelagerten atomaren Sprengköpfe gar mit den Worten zitiert: "Wegen der 20 Dinger verkrache ich mich doch nicht mit den Amis." Schade eigentlich!

Einzig Bündnis 90/Die Grünen wollen laut Wahlprogramm "darauf hinwirken, daß die hier stationierten Atomwaffen abgezogen und unschädlich gemacht werden. Dadurch tragen wir zur Entstehung einer atomwaffenfreien Zone in Europa und zu einem dringend notwendigen Abrüstungsschritt bei. Wir wollen uns dafür einsetzen, dass kein Einsatz von Atomwaffen von militärischen Stützpunkten in Deutschland erfolgen kann, und durchsetzen, daß Deutschland auf die sogenannte nukleare Teilhabe verzichtet." Bleibt zu hoffen, daß die Grünen, sollte es erneut zu einer rot-grünen Regierungskoalition kommen, diese eindeutige Position nicht der Koalitionsräson opfern werden.

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Die Sprengkraft der heute lagernden 30 000 Atomwaffen würde ausreichen, das Leben auf dieser Erde mehrfach auszulöschen. Und die Lage wird immer un-übersichtlicher: Die USA planen neue Generationen von Atomwaffen, und immer mehr Staaten, vielleicht auch nichtstaatliche Akteure greifen nach der Bombe. Die Gefahr eines Einsatzes von Atomwaffen ist deshalb größer denn je. Zurecht mahnt der Generaldirektor der Internationalen Atomenergie-Organisation, Mohamed El Baradei: "Man kann nicht von anderen den Verzicht auf Atomwaffen verlangen, während man selbst eigene besitzt und weiterentwickelt."

in Ossietzky 16/05