Maximallohn

in (05.11.2005)

Die Forderung nach Mindestlohn (s. Ossietzky 21/05) ist zumindest in Kreisen der Gewerkschaften und der Linkspartei im Gespräch. Das ist gut so und entspricht dem Stand internationaler Debatten. Aber

Aber der Diskussion bei uns fehlt es am Ausgleich. Wer über eine Begrenzung der Löhne nach unten nachdenkt, sollte sich die Frage erlauben, ob die Einkommen nicht auch nach oben begrenzt werden sollten - schon der sozialen Geometrie wegen.

In den angelsächsischen Ländern, in denen sich die Gier der Reichen seit Thatcher und Reagan noch ungehemmter äußert als hierzulande, gewinnt der dortigen Presse zufolge die Diskussion um den Maximallohn gegenwärtig eine erstaunliche Breite. Sam Pizzigati, ein Veteran der US-amerikanischen Gewerkschaftsbewegung und Autor eines jüngst erschienenen Buches "Greed and good" (etwa: Gier und Nutzen), hat kürzlich in einem Interview mit dem linken Monatsmagazin political affairs die Forderung nach einem Maximallohn folgendermaßen erläutert: "Je mehr Wohlstand sich in den Taschen einiger weniger konzentriert, desto brutaler und häßlicher wird die Gesellschaft für alle. In diesen frühen Tagen des 21. Jahrhunderts erscheint das Gespräch über einen Maximallohn wie ein Irrsinn. Heute schaffen wir es ja noch nicht einmal, einen vernünftigen Minimallohn zu garantieren. Aber ich glaube, gerade das Nachdenken und Reden über das Konzept eines Maximallohns kann die fortschrittliche Bewegung beleben und die Gedanken des arbeitenden Amerikas beflügeln. Wie würde ein Maximal-Lohn funktionieren? Wenn er auf das Zehnfache des Minimallohns festgesetzt würde, würde alles, was diese Grenze überschreitet, mit einer 100-prozentigen Einkommenssteuer belegt werden. Wäre diese Zehnfach-Grenze Gesetz, würden die Einkommen der Reichsten der Gesellschaft erst wachsen können, wenn auch der Minimallohn steigt. Mit anderen Worten: Die reichsten, mächtigsten Leute der Gesellschaft hätten dann ein eminentes Interesse daran, daß es den Ärmeren und Schwächeren besser geht. In einer solchen Gesellschaft würde ich gerne leben."
Nun mag zu Recht der marxistisch geschulte Linke rufen: "Illusion - das geht im Kapitalismus nicht!" Aber er hat ja auch gelernt, daß am Beginn großer Bewegungen mit dem Ziel, die steinernen Verhältnisse zum Tanzen zu bringen, oft das Vorspielen einer scheinbar zu den Verhältnissen passenden Melodie steht. In einer Gesellschaft, die postuliert, daß die Menschen nach Leistung bezahlt werden, sollte die Frage erlaubt sein, ob denn irgendjemand mehr als das Zehnfache leisten kann als ein anderer. Wenn die Antwort darauf negativ ist, dann liegt die Forderung nach einem Maximallohn eigentlich schon auf der Hand.

Wer mehr über die Diskussion in den USA erfahren möchte, findet es im Internet (www.toomuchonline.org).

in: Ossietzky Heft 22/05