Local Governance - eine Chance für Frauen?

in (09.11.2005)
Gegenwärtig führen Regierungen in Zusammenarbeit mit Geberorganisationen in vielen Ländern der Welt Dezentralisierungsprogramme durch. Ziel ist die Stärkung lokaler Selbstverwaltung und die Förderung demokratischer Entscheidungsprozesse. In Deutschland sind parallel dazu seit den neunziger Jahren vielfältige neue lokale Strukturen entstanden, die aus der Zivilgesellschaft auf Regierungen Einfluss nehmen. Geschlechterdemokratie scheint allerdings in den meisten lokalpolitischen Aktivitäten kaum eine Rolle zu spielen. Im Zentrum der folgenden fünf Studien(1) stehen daher die Fragen: Wie schaffen Frauen in verschiedenen Teilen der Welt lokale politische Handlungsräume, wie schöpfen sie vorhandene Teilhabe-Möglichkeiten aus? Welche Rolle spielen dabei Beziehungsnetze - einerseits die institutionalisierter exklusiver Männergruppen an der Macht, andererseits solche, die Frauen zu ihrer gegenseitigen Stärkung herstellen? Gibt es neue Verflechtungen, ein "bridging" (Putnam 1993) zwischen verschiedenen Netzwerken? Die Beispiele aus dem ländlichen Südafrika, Davao City, Tansania, Guatemala und Berlin enthalten eine Reihe empirischer Varianten von Sozialkapital, auf die am Schluss dieses Überblicks eingegangen wird. Das Gemeinsame der fünf Beiträge ist die Darstellung von Dominanzstrukturen, die Frauen von der Teilhabe an Entscheidungsprozessen und politischer Macht ausschließen. Gemeinsam ist auch die Analyse von Ansätzen und Handlungsformen, mit denen Frauen Inklusion anstreben, sowie ein Fokus auf die lokale Handlungsebene. Unterschiedlich sind Formen und Strategien sowie Ergebnisse des Handelns in den lokalen politischen Räumen, die hier vorgestellt werden. Dazu gleich mehr. Ganz unterschiedlich ist die Perspektive, aus der die Autorinnen berichten - als handelnde Aktivistinnen mit einer konkreten Innensicht auf ihr eigenes Bewegungsumfeld, als eingreifende Entwicklungsexpertinnen mit Blickwinkel auf Zielgruppen und Fördermöglichkeiten sowie als Forscherinnen, die Handlungsprozesse begrifflich strukturieren und relativ distanziert analysieren. Aktuell ist im Jahr 2005 die Frage nach der politischen Teilhabe von Frauen auf lokaler Ebene sowohl entwicklungspolitisch als auch bewegungspolitisch. Es ist Zeit, Bilanz zu ziehen wie sich das Bemühen um Dezentralisierung von Regierungen in Entwicklungsländern im Zuge der Demokratisierungsprozesse der neunziger Jahre sowie die Politik des Gender Mainstreaming auf die Inklusion von Frauen auswirken. Es ist ebenfalls Zeit, nach fünf Jahren rasch wachsender Aktivitäten in Deutschland einen Blick auf die globalisierungskritische Bewegung zu werfen und zu fragen, inwieweit diese ein Raum ist, in dem Frauen ihre Ziele gleichberechtigt und einflussreich verwirklichen können. Der innere Zusammenhang beider Fragen entsteht aus der gestiegenen Ähnlichkeit der Anliegen wachsender Teile der Gesellschaften in einer unter neoliberalen Vorzeichen globalisierten Welt. Die Privatisierung von ehemals staatlichen Einrichtungen, die Überwälzung von Kosten auf individuelle NutzerInnen zu Lasten der Schaffung und Erhaltung solidarischer Sicherungssysteme, verschärfte Konkurrenz auf Arbeitsmärkten und die Prekarisierung von Arbeitsverhältnissen gehören zu einer globalen Wirtschaftspolitik, die weltweit Machtzentren stärkt und Peripherisierungsdruck erzeugt. Sowohl Local Governance als auch die lokale Aktion, die die globalen Dimensionen des "Sozialabbaus" deutlich macht, rücken zivilgesellschaftliches Handeln in den Vordergrund mit der Absicht, Politik stärker gesellschaftlich zu kontrollieren und an die sozialen Bedürfnisse - auch der Frauen - rückzubinden. Aus den fünf folgenden Beiträgen kristallisieren sich folgende zentrale Herausforderungen für Frauen heraus, die sich um politische Einflussnahme bemühen: 1. Unterschiedliche Dominanzstrukturen behindern Frauen in der Durchsetzung ihrer Interessen. Im ländlichen Südafrika sind diese Strukturen von den Interessen der Arbeitsmigranten geprägt, die traditionale Gremien aufrechterhalten, um wenigstens in ihren Heimatdörfern Machtpositionen einzunehmen, während sie in ihren städtischen Arbeitsorten meist zu den Machtlosen gehören. In den Philippinen ignorieren partriarchalisch-katholische Familienoberhäupter häufig die Anliegen von Frauen, betrachten sie als "unwichtig" und übergehen sie. Dreifache Dominanzstrukturen - Rassismus, eine patriarchale Gesellschaft und geringe Bildung - schließen Indígena-Frauen von Mitsprache und Einflussnahme in Guatemala aus. Dies bezieht sich sowohl auf politische Teilhabe in der äußeren Gesellschaft wie auch innerhalb der sozialen Bewegungen von Indígena. In der globalisierungskritischen Bewegung in Deutschland sind Diskussionsverhalten wie auch die Themensetzung häufig von Männern dominiert. Frauenpolitische Aktivistinnen erfahren teils eine konstruktive Mitwirkung "linker Männer", die bereit sind, neue Regeln im Umgang in der Bewegung mitzutragen, teils starre Verhaltensweisen von "Kadermännern", mit denen eine Zusammenarbeit wegen ihrer Aufrechterhaltung von Dominanzstrukturen fast unmöglich ist. 2. Die Öffentlichkeit, die Frauen mit ihren Anliegen erreichen oder mobilisieren können, ist begrenzt. In allen vorgestellten Fällen erweist es sich als schwierig, breitere Unterstützung zu gewinnen. Dies wirft in den ganz unterschiedlichen Kontexten ähnliche Fragen auf und führt teilweise zu neuen Handlungsformen. Vielerorts versuchen Frauen, Öffentlichkeit und Vernetzung als Alternative für einen Machtgewinn durch Massenmobilisierung aufzubauen. Im ländlichen Südafrika verhandeln Frauen mit den traditionalen sowie neuen Gremien und Organisationen mit dem Ziel, ihre eigenen Projekte durchzusetzen. Sie entwickeln neue Kommunikationsbezüge und -wege mit den diversen lokalen Institutionen und gewinnen dabei an Anerkennung. Die Lokalregierungen sind für die Stärkung der Frauenbelange weniger von Bedeutung als die im ländlichen Raum aktiven Nichtregierungsorganisationen. Getragen sind die Initiativen der Frauen von dem Interesse, den ländlichen Raum als ihren Lebensraum besser zu gestalten. Dafür besteht unter den Landfrauen eine hohe Motivation und damit ein Mobilisierungspotential. In Davao in den Philippinen haben Frauen eine Stadtverordnung erkämpft, die Frauenrechte gezielt schützt und 30 Prozent des offiziellen Entwicklungsbudgets Genderprojekten vorbehält. Eine Vorbedingung war ein größerer demokratischer Freiraum, in dem sich Frauengruppen und Nichtregierungsorganisationen aktiv für Fraueninteressen einsetzen konnten. Ein großes Problem besteht darin, dass die meisten Frauen die neu errungenen Rechte nicht kennen und die Aufklärung von der Initiative einzelner Aktivistinnen abhängt. Es gibt eine aktive Bewegung für Fraueninteressen, aber die Mehrheit übt große Zurückhaltung. Feministinnen in der deutschen globalisierungskritischen Bewegung treffen auf wenig Resonanz und erreichen nicht die notwendige Öffentlichkeit, um effektiv gegen die Streichung von Frauenprojekten vorgehen zu können. Sie suchen einerseits die Vernetzung mit gleichgesinnten, auch gemischten Gruppen, die die Initiativen der Frauen unterstützen. Andererseits sind sie ausgesprochen kreativ bei der Schaffung autonomer Freiräume unter erschwerten Bedingungen. In Guatemala ist die Öffentlichkeit, die indigene Frauen erreichen, ganz besonders eingeschränkt. Hier nutzen sie ihre zugeschriebenen Rollen als Mütter affirmativ, um auf der Gemeindeebene ihre Ziele voranzubringen. 3. Fraueninitiativen im lokalen Bereich haben Dimensionen mit Ausschluss oder Einschlusswirkung. Der Ausschluss von einflussreichen Positionen kann Marginalisierung bedeuten, insbesondere wenn er mit geringer Bildung und Armut einhergeht wie bei den Indígena-Frauen in Guatemala. Das Ausgeschlossensein kann aber auch die Chance bieten, eigene Strukturen zu schaffen - so z.B. Frauen im ländlichen Südafrika und in Berlin -, oder es ermöglicht einen Reflektionsraum, wie ihn sich autonome Frauen im Berliner Sozialforum errungen haben. Der Einschluss von Frauen und ihren Organisationen in Entscheidungspositionen führt leicht zur Vereinnahmung und Kooptation. Dies kann so weit führen, dass Gender-Budget-Initiativen gedrängt werden, Haushaltsumschichtungen mitzutragen, die wichtige Unterstützungsstrukturen von Frauen zerstören. Dies betrifft vor allem solche, die Frauen sich außerhalb staatlicher Strukturen aufgebaut haben und die mit staatlichen Mitteln gefördert wurden. Eine weitere Form der Vereinnahmung vollzieht sich durch die Formalisierung vormals inhaltlicher Forderungen durch die Einführung von Quotierungen von Ratssitzen oder Frauenbeauftragten. Dadurch verlieren die Inhalte der Frauenanliegen häufig ihre politische Stoßkraft und landen auf einem Nebengleis. Neben dieser Wirkung erfahren Frauenorganisationen in Tansania eine Art von Vereinnahmung, die ihre Ressourcen bindet und von ihren eigenen Zielen abzieht. So werden die wenigen Fraueninitiativen, die auf lokaler Ebene existieren, massiv als Bewusstseinsbildnerinnen eingesetzt und haben eine Dauerbeschäftigung im "Capacity Building" lokaler Institutionen. Dies schränkt ihre Kapazitäten für Lobby-Aktivitäten erheblich ein. Dennoch scheint im Rahmen der Dezentralisierungsprogramme die Mitwirkung an dieser Art von Institutionenbildung die einzige Möglichkeit zu sein, Fraueninteressen politisch einzubringen und Einfluss von unten auf höhere Regierungsebenen zu nehmen. 4. Eine große Rolle für die Durchsetzung von Frauenrechten spielt es, ob Frauen sich Handlungsräume erstreiten oder ob sie ihnen von oben oder außen zugestanden werden. Besonders deutlich wird dies am Beispiel von Gesetzen, die nationale Frauengruppen, unterstützt von Geberorganisationen, durchgesetzt haben. Auf der lokalen Ebene verändert sich zunächst nichts, da die Frauen dort weder über ihre neuen Rechte informiert sind, noch sie in ihrem soziokulturellen Kontext einfordern würden. Schwieriger noch als die Durchsetzung von Neuerungen erscheint damit der Prozess der Aneignung frauenrechtlicher Reformen. Die Förderung und Begleitung dieser Aneignung, die Voraussetzung für die Umsetzung der neuen Gesetze ist, steht erst am Anfang, wie an den Beispielen der Philippinen und Tansanias deutlich wird. In der Sozialforumsbewegung besteht ein ähnliches Dilemma - von Feministinnen erstrittene Räume werden von Gruppen, die mögliche Bündnispartnerinnen wären, nicht angeeignet und sind in Gefahr, wieder verloren zu gehen. 5. Frauen, die Sitze in lokalen Regierungen gewonnen haben, sind nicht notwendig für Fraueninteressen aktiv. Gewählte lokale Abgeordnete auf Quotensitzen werden häufig mit Erwartungen überfrachtet und verlieren den politischen Rückhalt ihrer Basis. In Guatemala delegieren die WählerInnen die Verantwortung an die, die die Macht besitzen. Oft nutzen Frauen nicht direkt lokale Machtpositionen, sondern benutzen ihre Männer oder Söhne zu Durchsetzung ihrer Ziele, indem sie sie bei Wahlkampagnen unterstützen. Sehr verbreitet sind Alibifrauen, die entweder gar nicht an Ratssitzungen teilnehmen oder dort schweigen. 6. Local Governance ist auf verschiedene Weise mit globalen Strukturen verknüpft. So treibt der globale Diskurs über Indígena-Rechte lokale Aktivitäten voran und wirkt auf die Durchsetzungschancen von Indígena-Rechten zurück. Gender-Budget-Initiativen sind ein Beispiel dafür, wie Frauen sich Strukturen lokal zu eigen machen, die sie durch globale Vernetzung kennen gelernt haben. Globale Diskurse und Bewegungen haben also lokale Rückwirkungen, die neue Arenen für das Handeln von Frauen öffnen können. Dabei entstehen Spannungsfelder, denen Frauen mit neuen Aushandlungs- und Kommunikationsformen begegnen. Sie rufen aber auch neue Marginalisierungen hervor. Auf die Budgetkürzungen, die weltweit mit der Verbreitung neoliberaler Politik einhergehen, reagieren Frauen vielfältig mit Selbsthilfeprojekten. Teils setzen sie sich offensiv mit (lokalen) Regierungen auseinander, um ihre Projekte abzusichern. Teils nutzen sie Bewegungen und autonome Strukturen und verwirklichen ihre Projekte, indem sie sich Freiräume in Aushandlungsprozessen mit anderen gesellschaftlichen Gruppen erringen. Insgesamt machen die fünf Beiträge das Bestreben von Frauen, Beteiligung zu erweitern, sehr deutlich. Aber dies wirft eine Reihe von Dilemmata auf: Die Spannung zwischen Ehrenamt und beruflichem Engagement wird bei den Gender-Budget-Initiativen und Quotenfrauen sichtbar. "Institutionenfrauen" tragen einerseits zur Verbesserung der rechtlichen Lage von Frauen bei, andererseits ist die Umsetzung der Gesetze bisher selten gelungen. Tendenziell geraten sie in einen Widerspruch zu "Bewegungsfrauen" und wirken lähmend auf die Bewegung. Zwischen Parteien und unabhängigen Frauenorganisationen treten ähnliche Reibungen auf. Autonomie und Kooperation, Widerstand und Reform, Aushandlung und Aneignung bestimmen das lokale Handlungsfeld. Eine wichtige Erkenntnis ist, dass sowohl Ausschluss als auch Einschluss beide nützliche wie auch einschränkende Facetten haben. Die Beleuchtung lokaler Machtverhältnisse aus der Perspektive von Frauen, die um politische Teilhabe ringen, macht sehr deutlich, dass "bonding social capital" (Putnam 1993) unter Männern den zentralen Mechanismus zur Abschottung von Machtpositionen bildet. Diese Form von Sozialkapital tritt sowohl in den traditionalen Gremien im ländlichen Südafrika auf, in die männliche Arbeitsmigranten integriert sind, als auch in der Besetzung öffentlichkeitswirksamer Positionen in der Initiative für ein Berliner Sozialforum mit Männern. "Investiert" wird diese Form des Sozialkapitals in die Kommunikation - in Form von Definitionsmacht über wichtige und unwichtige Themen, wie auch am Beispiel Davao City gezeigt wird. Einwirken auf Kommunikationsstrukturen gehört daher zu den wichtigsten Mitteln, mit denen Frauenorganisationen sich Mitsprache erkämpfen. Meist ist eine derartige Einflussnahme nur mit Hilfe eigener sozialer Netzwerke und der Anbindung an andere Institutionen möglich, die (noch) nicht von sozialkapitalkräftigen Männerbünden vereinnahmt worden sind. Dazu gehören in Südafrika, Tansania und den Philippinen NGOs, in der Sozialforumsbewegung "undogmatische linke Männer", die offen für neue Kommunikationsformen sind. Das Eindringen in männerdominierte Institutionen führt längst nicht immer zu einer Überbrückung bzw. Bildung von gemeinsamem Sozialkapital mit inklusiver Wirkung. Häufig kommt es zu einer Vereinnahmung der Kräfte aus den Frauenorganisationen für Ziele, die entgegengesetzte Institutionen hervorgebracht haben, wie die Beispiele der Sparpolitik, der fremdbestimmten Nutzung von Aktivistinnen für "capacity building" und der schweigenden Quotenfrauen zeigen. Ein letzter Gesichtspunkt ist mit dem Thema Öffentlichkeit und Mobilisierung angesprochen. Die Schwierigkeiten der Frauenbewegung, Anerkennung und breite Unterstützung zu erhalten, deuten auf eine schwache Sozialkapitalbildung der Frauenbewegung als solcher hin. Insbesondere in Deutschland scheint derzeit nur noch ein "pooling" von Sozialkapital mit anderen sozialen Bewegungen möglich zu sein, um überhaupt als autonome Frauenbewegung öffentlich Gehör zu erhalten. Gleichzeitig existiert dort wie auch in Südafrika, Tansania und den Philippinen ein begrenztes "bridging social capital" zwischen professionalisierten Aktivistinnen und politischen Institutionen. In Guatemala dagegen finden Indígena-Frauen Anerkennung in erste Linie funktional als Mütter, und nur im Rahmen der auf diese Institution gegründeten Beziehungen können Frauen Einfluss nehmen. Während es in den Beispielen aus den Philippinen, Tansania und Deutschland an Verbindungen in die breitere Bevölkerung hinein mangelt, sind im ländlichen Südafrika die Netze unter den Landfrauen auf Grund besonders homogener gemeinsamer Interessen stark genug, um Gestaltungsmacht nicht nur institutionell zu erringen. Ergebnisse lassen sich hier in der Breite umsetzen. Außer im Fall der vereinnahmten "Institutionenfrauen" scheint das Sozialkapital der Frauen allerdings nie so beschaffen zu sein, dass es sich in nennenswertes ökonomisches Kapital umwandeln ließe (vgl. Bourdieu 1983). Die Beiträge werfen neues Licht auf einige zentrale Fragen: - Kann die Vernetzung von Frauenorganisationen die lokale Mobilisierung von Frauen ersetzen? - Wie weit sollte und kann Frauenpolitik heute überhaupt "anschlussfähig" in der Breite sein? - Wie können Frauen in exponierten Stellungen und Entscheidungspositionen Rückhalt finden? - Wie können die Netzwerke von Frauen zu bedeutenden Machtfaktoren, sowohl politisch, als auch in ökonomischer Hinsicht werden? Hier liegt noch eine Zukunftsaufgabe, an deren Klärung sich auch die Peripherie in späteren Heften hoffentlich beteiligen wird.

Anmerkungen

(1) Die folgenden fünf Beiträge sind aus einem Fachgespräch des NRO-Frauenforums und Womnet (www.womnet.de) hervorgegangen. Gefördert wurde die Veranstaltung von InWEnt.

Literatur

Bourdieu, Pierre (1983): "Ökonomisches Kapital, kulturelles Kapital, soziales Kapital". In: Kreckel, Reinhard (Hg.): Soziale Ungleichheiten. Göttingen, S. 183-198. Putnam, Robert (1993): Making Democracy Work. Civic Tradition in Modern Italy. Princeton. Anschrift der Autorin: Elke Grawert grawert@uni-bremen.de Andrea Marianne Lang

Beteiligung von Frauen an der Lokalpolitik in ehemaligen Homelands Südafrikas

Traditionally women do have little power. Of course things do change - but very slowly. (Mosilo Kuali, Environmental Development Agency, eda, Matatia, am 12. 7. 1999) Die neugewählte ANC-Regierung trat 1994 mit dem Ziel an, Südafrikanerinnen an politischen Entscheidungsprozessen auf allen Ebenen zu beteiligen. Es ist an der Zeit nachzufragen, inwieweit dieses Versprechen in den ehemaligen Homelandgebieten, die von Wanderarbeit und einem an die Bedürfnisse des Apartheidstaates angepassten Traditionalismus geprägt sind, eingelöst wurde. Wie finden Frauen und ihre Anliegen heute im Kompetenzwirrwarr zwischen Traditionalen Herrschaftssystemen, neugewählten lokalpolitischen Gremien, lokalen Selbsthilfegruppen und Nichtregierungsorganisationen (NROs) Beachtung? Welche geschlechtsspezifisch unterschiedlichen Erwartungen bestehen gegenüber dem "Traditionalen Raum", und wie gehen lokalpolitische AkteurInnen damit um?

Der "Traditionale Raum" aus weiblicher und männlicher Sicht

Kolonialismus und Apartheid haben die Lebensumstände in den bis heute als "traditional" bezeichneten Gebieten grundlegend verändert. Die afrikanische polygyne Familienform, in der jede Frau Anspruch auf Land und Vieh hatte (Krige 1981), wurde von einer Familienform abgelöst, in der die Frauen abhängig vom Einkommen der als Wanderarbeiter in den "weißen" Gebieten tätigen Ehemänner waren (Sharp & Spiegel 1990: 528ff, Cloete 1992) und juristisch als "Unmündige" den Ehemännern oder Vätern unterstellt wurden (Black Administration Act 1927, Chapter IV,11 [3]). Frauen aus den Homelands wurde eine Arbeitsaufnahme in den "weißen" Gebieten gesetzlich verboten. Mit der Abschaffung der Apartheid endete der gesetzliche Ausschluss von schwarzen Südafrikanerinnen aus dem Arbeitsmarkt. Dennoch wirken die durch die Apartheid geschaffenen Strukturen bis heute nach. Unter der Woche - und in entlegenen Gegenden sogar monatelang - leben Frauen mittleren Alters, Alte, Kranke, Kinder und Jugendliche in Gemeinschaften weitgehend ohne Männer. Die in den Städten arbeitenden Verwandten kehren nur an den Wochenenden und während der Weihnachtsferien in "ihre" Gemeinschaften zurück (Bank 1999; Lang 2004: 143). Doch nicht nur die Abwesenheit der Männer im arbeitsfähigen Alter prägt den lokalen Raum. Die Wanderarbeit führte auch zu grundsätzlich unterschiedlichen Lebensentwürfen von Männern und Frauen. Viele Männer verstehen die Traditionale Gemeinschaft als Gegenraum zu dem als chaotisch, respektlos und entwürdigend empfundenen städtischen Lebensbereich und legen Wert auf die Beibehaltung ihrer Position in der Familie und in traditionalen Gremien (Cross 1999; Waetjen 1999: 653). Eine auf Dauer angelegte Rückkehr wird von vielen Männern im arbeitsfähigen Alter als "Versagen" aufgefasst, das zu einer "schlechten Stimmung in den Familien" bis hin zu Gewalt und Alkoholismus führt (Interview mit Khosi Ntsanwisi, 2.5.00). Nach der Pensionierung genießen jedoch viele alte Männer die Vorteile des Lebens in der Traditionalen Gemeinschaft, das für sie nur mit geringen Kosten verbunden ist, während die Arbeit des Wasser- und Holzholens und der Zubereitung der Nahrung meist von (jüngeren) Frauen ausgeführt wird. Zudem rücken die älteren Herren selber in die Position eines angesehenen Mitglieds Traditionaler Gremien auf und genießen den Respekt der anderen (Lang 2004: 132). Demgegenüber haben Frauen mittleren Alters meist ihren ökonomischen und sozialen Lebensmittelpunkt in den ländlichen Gebieten und sehen dazu auch keine Alternative. Aufgrund familiärer Bindungen sowie einer Landvergabe an ledige Mütter haben Frauen heute Zugang zu einigen Ressourcen, die sie durch Abwanderung verlieren würden. Ihr Interesse an einer Verbesserung der Infrastruktur ist hoch, da dies ihre konkrete Lebenssituation erleichtert, aber sie verfügen häufig nicht über die nötigen Mittel, um Strom, Wasser etc. zu bezahlen. Gleichzeitig führen die prekären Lebensumstände dazu, dass Frauen auf eine Kombination von unterschiedlichen Ressourcen und Netzwerken zur Sicherung ihres Lebensunterhaltes angewiesen sind. Dies bedeutet, dass sie Angebote von NROs oder anderen Gruppen in einer Weise nutzen, die es ihnen ermöglicht, weiterhin Unterstützung aus anderen Kontexten zu erhalten (Artz 1999: 57). Sie bringen ihre Forderungen in einer sehr diplomatischen Weise vor und versuchen, eine Instrumentalisierung durch den einen oder anderen lokalpolitischen Akteur so weit wie möglich zu vermeiden.

Kompetenzstreit auf der lokalen Ebene

Im lokalpolitischen Raum agieren unterschiedliche Institutionen, die sich in mannigfacher Weise gegenüber Frauen öffnen oder verschließen. Entsprechend gibt es auch nicht "die" lokalpolitische Situation, sondern jeweils einzigartige lokale Arrangements. Im Folgenden werden die wichtigsten Akteure und ihre Haltung gegenüber einer Beteiligung von Frauen vorgestellt.

Die traditionalen Gremien

Die Traditionalen Räte, die sich zumeist wöchentlich treffen, sind ursprünglich weniger Entscheidungsgremien, als vielmehr Institutionen, die die unterschiedlichen Interessen und Zuständigkeiten von Familien, den Unterbezirken und der Gemeinschaft austarieren und untereinander informieren. Hierbei wird jede Einheit normalerweise nur durch einen älteren Mann vertreten, der seinerseits jedoch die Mitglieder der von ihm vertretenen Gruppe oder Familie informieren und deren Meinung einholen sollte (Lang 2004, 3. Kapitel). Mittlerweile sind einige Traditionale Gremien dazu übergegangen, sich gegenüber Frauen zu öffnen. Dies ist unter anderem ein Versuch, das Traditionale Gremium entscheidungsorientierter zu machen und die Macht der Familien und damit auch der alten Herren zu brechen. Manche Traditionalen Herrscher lehnen eine Beteiligung von Frauen nach wie vor kategorisch ab. Sie befürchten einen weiteren Verfall der Familien (und der Sitten), wenn es für Frauen aufgrund ihres eigenen Ressourcenzugangs sowie eigener Interessenvertretungen keinen Grund mehr für eine Heirat gäbe (Lang 2004: Kapitel 5.3). Die Resonanz von Frauen auf Angebote, an Traditionalen Gremien teilzunehmen, ist auch in den Fällen, in denen es möglich gewesen wäre, nicht groß. Dies mag einerseits an deren langatmigen Verfahren liegen. Andererseits sind in den letzten Jahren informelle Foren entstanden, die eine direkte Kommunikation zwischen Traditionalen Herrschern und Frauengruppen zulassen, wenn der Traditionale Herrscher bereit ist, die Vertreterinnen von Projektgruppen anzuhören und Probleme mit ihnen zu erörtern.

Die Lokalregierungen

Den 1999 und 2000 in Traditionalen Gebieten arbeitenden Lokalregierungen fehlte es an Geld, Erfahrung, Schulungsprogrammen, einer tragfähigen Infrastruktur und häufig auch am Rückhalt in der Bevölkerung (Pycroft 1999). Die Beteiligung von Frauen sollte zwar besonders gefördert werden, allerdings wurde auf den unterschiedlichen Kenntnisstand von Männern und Frauen keine Rücksicht genommen. Männer haben während ihres Aufenthalts in den Städten und durch die Teilnahme an Sitzungen Traditionaler Gremien zumindest einen oberflächlichen Eindruck von politischem Handeln erhalten. Frauen fehlt häufig bereits das Wissen darüber, dass und wie man eine Parteimitgliedschaft beantragen muss (Ndlela & Holcomb 1998: 167), so dass Frauen deutlich unterrepräsentiert sind. 1997 waren nur 10-15 % der Councillors Frauen (Fast 1998: 9). Dies schwächte die Gremien, da das vergleichsweise größere Interesse von Frauen an einer Entwicklung der Gemeinschaft und ihre genaue Kenntnis der lokalen Gegebenheiten nicht berücksichtigt wurden.

Lokale Initiativen und NGOs

Während die Lokalregierungen und die Traditionalen Gremien Frauen eher zögerlich einbeziehen, setzen NGOs und lokale Initiativen ganz bewusst auf eine Beteiligung von Frauen, die als verlässlicher, beständiger und "dankbarer" gelten. Viele NGOs verfügen über eine Genderbeauftragte. Im National Land Committee existiert ein Gender Desk, das die NGO-Genderbeauftragten vernetzt und berät. Mit Unterstützung einiger im NLC organisierter NGOs wurde ein "Rural Women's Movement" gegründet (Small & Kompe 1992; Laburn-Peart 1997). Neben der Durchführung von Selbsthilfeprojekten sollen Frauen aus ländlichen Gebieten so eine Stimme im politischen Raum erhalten (Small & Kompe 1992; Laburn-Peart 1997). Die lokalen Initiativen bieten neben der Verfolgung konkreter Ziele Fortbildungen für Frauen zum Thema "Lokaler Entwicklung" an, wo die Frauen in ähnlichen Verfahren geschult werden, wie sie auch von den NGOs genutzt werden. Dieses hat zur Folge, dass Frauen heute einigen Entwicklungsorganisationen als "kompetenter" gelten als Männer, die in den Verfahren Traditionaler Gremien geschult wurden und deren Argumentation für die NGOs teilweise unverständlich bleibt. Die lokalen Initiativen haben das Informationsmonopol der Männer aufgebrochen und Frauen Räume eröffnet, in denen sie eigene Interessen formulieren und Strategien entwickeln können. In einigen Fällen müssen sich Traditionale Gremien heute überlegen, wie sie auf Frauen zugehen können, um ihren Einfluss auf alle Geschehnisse innerhalb der Gemeinschaft zu erhalten. NGOs drängen Traditionale Gremien zu einer Beteiligung von Frauen. Mittlerweile ist die Unterstützung der Frauen entscheidend dafür, in welchem Umfang der Traditionale Herrscher an einem Projekt beteiligt wird.

Die Beteiligung von Frauen an lokalpolitischen Entscheidungen

Das während der Apartheidzeit entstandene lokalpolitische System pseudotraditionaler Räte mit ausschließlich männlichen Repräsentanten hat sich während der letzten Jahre grundsätzlich verändert. Neben den Traditionalen und den gewählten lokalpolitischen Gremien existieren eine Vielzahl von Initiativen, Komitees und Selbsthilfegruppen. Engagierte Personen haben regelmäßig die Möglichkeit, sich zu unterschiedlichen Themen einzubringen. Auch wenn Frauen in einigen offiziellen Gremien nach wie vor nur gering oder überhaupt nicht vertreten sind, bieten sich ihnen viele Gelegenheiten, an lokalen Entscheidungen beteiligt zu sein. Da Frauen im Vergleich zu den Männern die beständigere Gruppe darstellen und zudem in größerem Maße bereit sind, in Projekten mitzuarbeiten, sind sie auch für Gremien interessant geworden, die ursprünglich ihrem Engagement ablehnend gegenüberstanden. So eröffnen sich ihnen neue Kommunikations- und Aushandlungsmöglichkeiten. Diese vielfältigen Möglichkeiten des sozialen Engagements und der Mitarbeit in Projekten stehen jedoch in einem krassen Widerspruch zu den real vorhandenen Möglichkeiten, die eigenen Lebensumstände grundlegend zu verbessern. Frauen vor allem mittleren Alters nutzen selbst Angebote, die von Männern als "uninteressant" zurückgewiesen werden, als sich bietende Chance zum Ausbau ihrer Netzwerke und Sicherungssysteme. Allerdings sind diese Angebote zumeist nicht eine wirkliche Alternative, sondern allenfalls eine Verbesserung auf niedrigem Niveau, bei denen Frauen zudem Rücksichten auf die Interessen anderer nehmen müssen. So teilen sie Einkünfte mit den Ehemännern, ordnen politische Forderungen strategischen Erwägungen über zukünftige Unterstützungsbedarfe unter und suchen immer wieder nach Ausgleich. Deutlich zeigt sich, dass allein über die Eröffnung von Partizipationsmöglichkeiten im politischen Raum kein wirkliches Empowerment von Frauen stattfinden kann, wenn sich an den ökonomischen Abhängigkeiten von Ehemännern, Verwandten, Projekten und Traditionalen Gremien nichts ändert.

Literatur

Artz, Lillian (1999): "Shelter in the Southern Cape: Gender Violence Undermines Development". In: Agenda, Nr. 42, S. 55-59. Bank, Leslie (1997): "Town and Country - Urbanisation and Migration". In: South African Labour Bulletin, Bd. 21, Nr. 4, S. 20-26. Cloete, Laura (1992): Domestic Strategies of Rural Transkeian Women. Institute of Social and Economic Research, Rhodes University, Grahamstown, Development Studies Working Paper Nr. 54. Cross, Catherine (1999): "Women and Land in the Rural Crisis". In: Agenda Nr. 42, S. 12-27. Fast, Hildegarde (1998): "Rural Women's Participation in Public Life". In: Land Update, Apr., S. 9-10. Krige, Eileen Jensen (1981): "A Comparative Analysis of Marriage and Social Structure Among the Southern Bantu". In: Eileen Jensen Krige & John L. Comaroff (Hg.), Essays on African Marriage in Southern Africa. Cape Town, S. 1-28. Laburn-Peart, Catherine (1997): "Holding the Knife on the Sharp Side - Rural Women and Planning in Mogopa". In: Third World Planning Review, Bd. 19, Nr. 1, S. 71-90. Lang, Andrea Marianne (2004): Traditionale Herrschaft in Südafrika - Anpassungsstrategien und Aushandlungen in einem demokratischen Staat. Münster. Ndlela, Lindiwe; Holcomb, Deevy (1998): "Rural Women and Local Government - The Under-representation of Women". In: Barberton, Conrad; Blake, Michael; Kotzé, Hermien (Hg.): Creating Action Space - The Challenge of Poverty and Democracy in South Africa. Cape Town, S. 161-176. Pycroft, Christopher (1999): "Restructuring Non-Metropolitan Local Government in South Africa". In: Public Administration and Development, Bd. 19, S. 179-192. Sharp, John; Spiegel, Andrew D. (1990): "Women and Wages: Gender and the Control of Income in Farm and Bantustan Homelands". In: Journal of Southern African Studies, Bd. 15, Nr. 3, S. 528-549. Small, Janet; Kompe, Lydia (1992): "Organising Rural Women: The Experience of TRAC". In: Agenda, Nr. 12, S. 9-16. Transvaal Rural Action Committee (Trac) (1991): "Demanding a Place under the Kgotla Tree". In: SASH, September, S. 36-38. Waetjen, Thembisa (1999): "The ‚Home' in Homeland: Gender, National Space and Inkatha's Politics of Ethnicity". In: Ethnic and Racial Studies, Bd. 22, Nr. 4, S. 653-678. Anschrift der Autorin: Andrea Marianne Lang Andrea.M.Lang@t-online.de Arline Ascaño-Cubero

Progressive Bündnisse und der weite Weg zur Gleichstellung der Frau Das Beispiel Davao City, Philippinen

Davao City ist die größte Stadt auf Mindanao, der zweitgrößten philippinischen Insel. Mit einer Fläche von 2.443,1 km² und 1.147.116 EinwohnerInnen (Davao City Online 2004; NSO 2000) ist sie das kommerzielle und Dienstleistungszentrum der südlichen Philippinnen. Davao City findet Anerkennung nicht nur wegen seiner wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit, sondern auch wegen seiner Initiativen für die soziale Entwicklung, insbesondere für die Gleichstellung der Frau (Gerundio 2004). Dies gibt Anlass zur Klärung folgender Fragen: - Wie sind Frauen an der lokalen Regierungsmacht beteiligt? - Welche Faktoren haben ihre Beteiligung behindert und gefördert? - Was ist nötig, um ihre Beteiligung zu steigern?

Meilensteine der Frauenbewegung

Es war in den 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts, mitten im Kampf gegen die Marcos-Diktatur, als die Bewegung für Frauenrechte in den Philippinen an Intensität gewann. Mit der "EDSA-Revolution" von 1986 wurde der Diktator nach nur viertägigem gewaltfreiem Volksprotest aus dem Amt geworfen und ins Exil gezwungen. Daraufhin arbeiteten VertreterInnen der unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereiche eine Verfassung aus, die 1987 verabschiedet wurde und unter anderem betont, dass Männer und Frauen vor dem Gesetz grundsätzlich gleich sind. Während der anschließenden Periode der Demokratisierung wurde diese Verfassung zur Grundlage für ein starkes politisches Engagement von Nicht-Regierungsorganisationen (NGOs) und Frauengruppen für die Steigerung des Frauenanteils in Entscheidungspositionen. Gemeinsames Ziel der unterschiedlichen Organisationen und Gruppen war es, die lokalen Stadtratskandidaten zu überzeugen, sich für eine "Women's Electoral Agenda", ein Programm zur Steigerung des Frauenanteils in Wahlämtern, einzusetzen. 1991 verabschiedete das nationale Parlament den "Local Government Code of the Philippines". Dieses Gesetz regelt Strukturen, Funktionen und Machtbefugnisse der lokalen Regierungsgewalt, so zum Beispiel auch Fragen der Besteuerung und der Beziehungen zu anderen lokalen Regierungen. Insbesondere sieht es eine stärkere Dezentralisierung sowie die Beteiligung von BürgervertreterInnen an den lokalen Regierungen vor. Das Gesetz fördert die parlamentarische Vertretung von Frauen und ihre Beteiligung an der gesellschaftlichen Entwicklung (DPF 1997: 1). Mit dem "Women in Development and Nation Building"-Gesetz, auch bekannt als Republic Act 7192, erhielten Frauen 1992 gleichberechtigten Zugang zu Ressourcen und Ausbildung. Dieses Gesetz verlangt auch, dass bei der Vergabe von öffentlichen Mitteln Programme und Aktivitäten von Frauen substantiell zu berücksichtigen seien (Report on the State of Women in Urban Local Government 2001). Progressive Frauen-NGOs und Basisorganisationen unterstützten auf nationaler wie auf lokaler Ebene diese Gesetze und nutzten den größeren demokratischen Spielraum, den die Regierungen unter Corazon C. Aquino (1986-1992) und Fidel V. Ramos (1992-1998) gewährten, beobachteten dabei jedoch auch wachsam die Einhaltung der neuen Gesetze. Neben der Organisation von öffentlichen Protestaktionen engagierten sie sich in der lokalen politischen Arbeit zu Themen wie der sexuellen Belästigung im öffentlichen und privaten Leben oder der Ehevermittlung von Frauen ins Ausland aus finanziellen Gründen. Sie setzten sich auch für benachteiligte Gruppen, so auch für die Opfer von Vergewaltigungen ein. Die Frauenorganisationen warben neue Mitglieder und bauten die eigenen Kapazitäten aus, um sich stärker an der lokalen Regierungsgewalt und an Wahlen zu beteiligen, mit Regierungsinstitutionen zu kooperieren und in Entwicklungsprojekten mitzuwirken.

Erfolge der Bündnispolitik zivilgesellschaftlicher Organisationen in Davao City

In Davao City schlossen sich ganz unterschiedliche Organisationen wie die Development of Peoples Foundation (DPF), March 8 Women Convenors, Bathaluman Crisis Center, Lawig Bubai, Talikala, Women Savings Group, Women Development and Technology Institute, Women Network Group, Circulo de Abogadas-Mindanao und einige Einzelpersonen zusammen. Ihr Ziel war zunächst ein gemeinsam abgestimmter Vorschlag für ein Entwicklungsprogramm zur Förderung der Geschlechtergerechtigkeit. Trotz aller Unterschiede bezüglich des politischen Hintergrundes und der verfolgten Interessen gelang den Beteiligten tatsächlich ein gemeinsames "Gender Development Framework", ein Rahmenplan zur Entwicklung der Geschlechterbeziehungen. Das veränderte politische Umfeld, die Unterstützung durch Organisationen wie der Ford-Stiftung und der gemeinsam erarbeitete Rahmenplan stärkten die Frauen-NGOs und -Basisorganisationen und erhöhten ihre Motivation für Advocacy- und Lobbyarbeit. Die Gruppen nutzten die politischen Institutionen - den Stadtentwicklungsrat, das Komitee für reproduktive Gesundheit, den Davao City-Koordinierungsrat gegen Gewalt gegen Frauen und das Gender-Watch-Monitoring-Komitee - und arbeiteten mit Angehörigen lokaler Legislativräte zusammen. Daneben organisierten sie ein Theaterforum, das sich mit Fragen und Anliegen der Geschlechterbeziehungen beschäftigte (DPF 1997). Auf diese Weise gelang es den Frauengruppen, Dialog- und Konsultationsstrukturen auf Gemeindeebene aufzubauen. Das Ergebnis all dieser Aktivitäten war die Formulierung des "Frauen-Entwicklungsgesetzes von Davao City" (Women Development Code of Davao City) und die Ausarbeitung von Umsetzungsregelungen für dieses Gesetz.

Der "Women Development Code of Davao City"

Dieses Gesetz, auch bekannt als Stadtverordnung Nr. 5004 von 1997, wird als gesetzgeberischer Meilenstein angesehen. Es war das erste Gesetz dieser Art im Lande (MNICC 2000). Hervorstechend sind folgende Bestimmungen: - Alle lokalen Regierungsabteilungen sollen bei der Umsetzung politischer Maßnahmen die Frage der Geschlechterbeziehungen berücksichtigen. Dies beinhaltet die Durchsicht und Umformulierung aller existierenden Regeln mit dem Ziel, hierin zum Ausdruck kommende Voreingenommenheiten gegen ein bestimmtes Geschlecht zu vermeiden. - 30 % der offiziellen Unterstützungsfonds für Entwicklung, die die Abteilungen und Agenturen der Stadtregierung von ausländischen Regierungen und internationalen Organisationen erhalten, sowie bis zu 6 % des jährlichen Entwicklungsfonds der Stadt sollen für Programme verwendet werden, die sich der Frage der Geschlechterbeziehungen widmen. - Ein Integriertes Gender- und Entwicklungsbüro soll die Umsetzung des Codes koordinieren, steuern und beaufsichtigen. - Räte der Frauenorganisationen werden auf Bezirks- und Barangay-Ebene organisiert. - Die in der Stadt akkreditierten Frauenorganisationen erhalten Sitze für ihre gewählten Vertreterinnen im Stadtrat. - Mindestens ein Drittel der Mitglieder des Barangay- und des Städtischen Entwicklungsrates müssen Frauen sein (GAD 2004). Während die Verordnung Frauen viele Möglichkeiten zu eröffnen scheint, ihre Präsenz und Partizipation auf lokaler Regierungsebene zu erhöhen, ist ihre Umsetzung jedoch nicht ohne Defizite. Der "Report über die Lage von Frauen in städtischen lokalen Regierungen" (2001) zeigt Beschränkungen auf, die die Mitwirkung von Frauen in lokalen Regierungen erschweren, u.a. verbreitete Meinungen und Vorurteile, darunter: - "Frauen werden sowieso nicht gehört." - "Die Anliegen von Frauen können zu Hause gelöst werden." - "Frauenanliegen sind nicht so wichtig wie die Anliegen, die das Familienoberhaupt vorbringt" (das auf den Philippinen traditionell der Mann ist). - "Die größeren Entscheidungen müssen von den (Ehe-)Männern getroffen werden." Außerdem beschränken folgende Faktoren die aktive Teilhabe von Frauen an der Politik: - Mehrfachrollen, die Frauen in der Gesellschaft spielen: Weil sie überlastet sind, finden Frauen wenig Zeit, sich an Entscheidungsprozessen zu beteiligen und an den Ergebnissen aktiv teilzuhaben; - Mangel an Selbstvertrauen; - Mangel an Bewusstsein sowohl bei Männern als auch bei Frauen über die Rechte der Frauen bezüglich des Zugangs zu Ressourcen und zur Mitgliedschaft in Entscheidungsgremien (Report on the State of Women in Urban Local Government 2001). Nicht zuletzt fehlt es an finanziellen Mitteln, damit die lokalen Regierungen die Gender-Gesetzgebungen und Programme umsetzen können (MNICC 2004). In Davao City stehen offensichtlich die legislativen Mechanismen für die Institutionalisierung der Partizipation von Frauen an lokaler Regierungsgewalt zur Verfügung. Die tatsächliche Realisierung bleibt eine Aufgabe, die noch viel Einsatz von der Lokalregierung selbst, von Frauenführerinnen und von Anwältinnen erfordert. Zur vollständigen Umsetzung der genderorientierten Gesetze und der damit verbundenen Programme sind neben der Bereitstellung des notwendigen Budgets seitens der lokalen Regierungen folgende Aktivitäten notwendig: - Auf- und Ausbau der Möglichkeiten für Frauen, ihre Themen und Anliegen gegenüber lokalen Regierungen im Rahmen von legislativen und Entscheidungsgremien selbst zu bestimmen, darzustellen, zu verhandeln und durchzusetzen. - Steigerung des Bewusstseins von Männern und Frauen bzgl. der Rechte von Frauen auf Informationen sowie das Recht auf Organisation und auf Beteiligung an Entscheidungsgremien. - Aufbau eines Monitoring-Systems mit Kriterien zur Beurteilung der Umsetzung von frauenbezogenen Gesetzesmaßnahmen und Programmen der Stadtregierung, speziell des Women Development Code. - Institutionalisierung eines Erfahrungsaustausches zwischen verschiedenen lokalen Regierungen über die Beteiligung von Frauen an lokaler Regierungsgewalt.

Fazit

Das Beispiel von Davao City zeigt, wie Frauen mit langem Atem, Hartnäckigkeit und in organisierter Form eigene gesellschaftliche Gruppen mobilisiert haben, um mit einer abgestimmten Agenda für adäquate Partizipation an die Öffentlichkeit zu treten. Es ist ihnen gelungen, ihre Agenda zu kommunizieren und so ihre Anliegen gegenüber der lokalen Regierung, in der Gesetzgebung, Institutionen und bei Kooperationen geltend zu machen. Festzustellen ist auch, dass die Beteiligung von Frauen an der lokalen Regierungsverantwortung im engen Zusammenhang mit allgemeinen politischen Entwicklungen auf den Philippinen steht: der Demokratisierung, der Dezentralisierungspolitik der Zentralregierung und der Verabschiedung von Gesetzen, die sich der Anliegen von Frauen annehmen. Dies alles und die finanzielle Unterstützung durch Entwicklungsorganisationen hat den Frauen das notwendige politische Selbstvertrauen verliehen und die Voraussetzung geschaffen, sich dem gesellschaftlichen Diskurs zu stellen und mit lokalen Regierungen zu verhandeln. Das Beispiel von Davao City ist viel versprechend. Die Verabschiedung des Women Development Code of Davao City war ein Meilenstein auf dem Weg zu einer größeren Beteiligung von Frauen an lokaler Regierungsverantwortung. Seine grundlegenden Bestimmungen können bahnbrechend sein für eine neue Rolle der Frauen im politischen Leben. Dies alles ist jedoch kein Grund zur Selbstzufriedenheit. Beteiligte Frauen, Anwältinnen und lokale Regierungsstellen haben Probleme und Schwierigkeiten festgestellt, denen sofort und planvoll begegnet werden muss - nicht durch jede Gruppe für sich, sondern konzertiert. Obwohl der Women Development Code of Davao City seit langem in Kraft ist, bleibt für alle Beteiligten die Herausforderung bestehen, für aktuelle Programme und Projekte darzulegen, wie sie die Beteiligung von Frauen an der lokalen Regierungsverantwortung stärken können.

Literatur

Davao City Online. www.davaocity.gov.ph/gen_info/gen_info_history.php (Letzter Aufruf: 26. 11. 2004). Development People's Foundation (DPF) (1997): Women Development Code of Davao City. A Primer. Davao City. Gerundio, Aurea A. (2004): "Davao City Is most Gender Responsive". In: Sun Star (www.sunstar.com.ph/static/dav/2004/12/18/news/davao.city.is.most.gender.responsive.html, letzter Aufruf: 5. 3. 2005). Mindanao News and Information Cooperative Center (MNICC) (2004): "Fund Lack Besets Implementation of Davao's Women Development Code". In: Minda News, Bd. III, Nr. 158, 29 October. Davao City. National Statistical Office (NSO) (2000): 2000 Census of Population. www.davaocity.gov.ph/gen_info_history.ph (Letzter Aufruf: 2. 11. 2004). Philippine Gender and Development Codes (GAD) (2004). www.decentralization.ws/rirf/GAD/phgad.htm (Letzter Aufruf: 2. 11. 2004). Report on the State of Women in Urban Local Government, Philippines (2001). www.capwip.org/readingroom/philippines.pdf (Letzter Aufruf: 20. 11. 2004). Anschrift der Autorin: Arline Ascaño-Cubero Azcubero@hotmail.com Elisabeth Hartwig

Geschlechtergerechtigkeit und Local Governance in Tanzania

Die um die Weltfrauenkonferenzen herum entstandene politische Bewegung zur Durchsetzung von mehr Geschlechtergerechtigkeit hat durch eine konsequente Advocacy- und Lobby-Arbeit dafür gesorgt, dass internationale Geber- und Entwicklungsorganisationen die Prinzipien des Gender Mainstreaming einfordern. Gleichberechtigte Teilhabe und Mitwirkung von Frauen und Männern am Entwicklungsprozess gelten als Grundvoraussetzung für erfolgreiche Armutsverminderung, Dezentralisierung und Demokratisierung. Entsprechend den Geberforderungen hat die tansanische Zentralregierung Programme zur Armutsverminderung, Dezentralisierung und Stärkung der Lokalregierungen entwickelt und ist dabei, diese umzusetzen - ein von oben verordneter Prozess. Sie bemüht sich, den international eingegangenen Verpflichtungen gerecht zu werden (Aktionsplattform von Peking 1995; Erklärung der SADC-Staatsoberhäupter 1998) und stützt sich dabei auf die Expertise zivilgesellschaftlicher Organisationen. Das Engagement des nationalen Advocacy-Netzwerkes FemAct Coalition hat wesentlich dazu beigetragen, dass Geschlechtergerechtigkeit als sektorübergreifende Zielsetzung in den tansanischen Poverty Reduction Strategy Papers (PRSP) berücksichtigt wird (NGO Policy Forum 2004). Bereits 2002 hat das Parlament einer vom Ministerium für Gemeindeentwicklung, Gender und Kinder vorgelegten nationalen Gender-Policy zugestimmt, die für alle Ministerien und deren Abteilungen bindend ist. Dies ist ebenfalls ein Ergebnis des Zusammenwirkens von Geberforderungen, aktiver Lobbyarbeit städtischer Frauenorganisationen und kooperativer Regierungsstellen. VertreterInnen des Tanzania Gender Network Programmes (TGNP) hatten 1997 eine Gender-Budget-Initiative gestartet und erreicht, dass sie als GenderexpertInnen beratend an der nationalen Haushaltsplanung teilnehmen konnten (vgl. TGNP 1999, 2003, 2004). Das Finanzministerium integrierte "Budgeting with a Gender Perspective" in sechs ausgewählte Pilotbereiche, darunter auch "Regional Administration and Local Governance". Die Tanzania Women Lawyers Association (TAWLA) nahm Einfluss auf anstehende Gesetzesreformen, so dass eine Genderperspektive Eingang in das Bodenrecht, insbesondere den Village Land Act, und in die Gesetze für die Lokalregierungen fand. Wie wirken sich diese Änderungen auf der lokalen Ebene aus? Wer betreibt dort Gender Mainstreaming, und welche Gegenströmungen gibt es?

Gender Mainstreaming in ländlichen Distrikten

TGNP hat grundlegend dazu beigetragen, dass Geschlechtergerechtigkeit unter dem Blickwinkel der "guten Regierungsführung" ("Good Governance") zu einem Schwerpunkt der Reform der Lokalregierungen geworden ist. Gender Budgeting ist explizit für die lokalen Verwaltungen vorgesehen und das Reformprogramm für den öffentlichen Dienst bezieht die Verbesserung der Situation der weiblichen Arbeitskräfte und Genderfragen ein. Arbeitsstellen von Organisationen der Entwicklungszusammenarbeit (EZ), zum Beispiel des Deutschen Entwicklungsdienstes, sind in den Planungs- und Finanzabteilungen der Distriktverwaltungen angesiedelt und unterstützen die lokalen Regierungen bei der Umsetzung von Gender Mainstreaming. Eine Analyse im Auftrag des Deutschen Entwicklungsdienstes (Hartwig 2004) ergab, dass die Staatsangestellten in den Distriktverwaltungen sich wegen der geplanten Reformen unter einem enormen Druck sehen. Verunsicherte Abteilungsleiter, bis auf wenige Ausnahmen männlich, fürchten vor allem den Verlust von Macht, Einfluss und Kontrolle über die Finanzen für die jeweiligen Abteilungen. Mangelndes Wissen und unzureichende Informationen verstärken die Unsicherheit. Deswegen stehen sie den Anforderungen des Reformprogramms in Bezug auf Gender Mainstreaming reserviert oder sogar ablehnend gegenüber. Ähnliches gilt für Angestellte der Kreis- und Dorfverwaltungen. Fragen der Geschlechtergerechtigkeit sind auch für Distrikt- und Dorfratsmitglieder bisher kein Thema. Es gibt nur wenige weibliche Ratsmitglieder, die direkt gewählt und nicht über die "special seats", die speziell für Frauen vorgesehenen affirmativen Mandate, in die lokalen Parlamente gelangt sind. Ratsmitglieder, die die in ihren Distrikten vorherrschende Benachteiligung von Frauen als Hemmnis für die weitere Entwicklung identifizieren, bringen immer wieder als Entschuldigung an, "but that is our tradition". Dies gilt sowohl für männliche als auch weibliche Ratsmitglieder. Die Politik des Gender Mainstreaming verunsichert auch hier die männlichen Vertreter besonders. Sie fürchten Machtverlust, vor allem in den Familien. Vor welchem Hintergrund fordern Landfrauen politische Teilhabe ein? Die Mehrheit der tansanischen ländlichen Bevölkerung sind Kleinbauern und -bäuerinnen. Untersuchungen des TGNP im Rahmen ihrer Gender-Budget-Initiative (TGNP 2003, 2004) weisen aktuell nach, dass Frauen und Kinder gemeinsam mit ihren Männern die Felder bearbeiten, aber nicht an der Entscheidung über die Verwendung der mageren Einkünfte aus der landwirtschaftlichen Produktion beteiligt sind. Die staatlichen landwirtschaftlichen Beratungsdienste, die auf Distriktebene angesiedelt sind, haben Frauen als Zielgruppe kaum wahrgenommen. Mädchen sind bei der Schulbildung benachteiligt, weil sie im Gegensatz zu Jungen für zahlreiche Aufgaben in der Familie verantwortlich sind (Geschwisterbetreuung, Wasser- und Feuerholzversorgung). Partizipative Erhebungen in Gemeinden zeigen, dass Frauen von den ländlichen Lokalverwaltungen vornehmlich die Sicherung von Grundbedürfnissen erwarten - Wasserversorgung für die Dörfer, die Einrichtung von Gesundheitsposten oder deren Verbesserung, Ausbau der Transportwege vor allem zur besseren Vermarktung der Agrarprodukte, mehr Beratung und Fortbildung für Frauen durch die Landwirtschaftsbehörde, Sicherung der Schulbildung. Den Frauen ist bewusst, dass sie im Zugang zu Ressourcen benachteiligt sind. Sie fordern verstärkt ihr Recht auf Landtitel ein und wollen als Witwe über gemeinsam erwirtschafteten Besitz und Vermögen verfügen. Es gibt eine Reihe von organisierten Frauen in den ländlichen Distrikten, die diese Benachteiligung selbst tagtäglich erfahren und miterleben und bereit sind, sich für eine Veränderung einzusetzen. Da sind zunächst die langjährigen Mitglieder im Frauenflügel der Regierungspartei CCM, die meist über die "special seats" in die lokalen Räte gewählt werden. Sie kritisieren, dass die Männer sie nicht als gewählte Vertreterinnen ernst nehmen, und ihre Stimmen in den Sitzungen wenig Gehör finden. Ihre Einflussnahme auf die Entscheidungen, die in den Räten getroffen werden, ist gering, weil sie keinen Ausschussvorsitz übernehmen können. Frauen aus den neu gegründeten Oppositionsparteien sehen die Dinge genauso. Sie machen aber auch die Erfahrung, dass sie sich auf der Gemeinderatsebene mehr als im Distriktrat einbringen können. Mehr und mehr melden sich auch Frauen aus NGOs zu Wort und nutzen die Foren, die ihnen das nationale Dezentralisierungsprogramm für Kontakte mit der Lokalverwaltung und den Räten bietet. Mitarbeiterinnen der Distriktabteilung für Gemeindeentwicklung, die in ländlichen Entwicklungsprogrammen für die Arbeit mit Frauengruppen zuständig sind, werden oft ohne Vorbildung zu Gender-Beauftragten des Distrikts ernannt. Eine wesentliche Rolle für die Umsetzung des Gender Mainstreaming spielen die wenigen weiblichen Staatsangestellten, die in den Abteilungen der Distriktverwaltung leitende oder zumindest mittlere Positionen erreichen konnten. Sie sind meist gut ausgebildet, manchmal besser als ihre männlichen Vorgesetzten. Es gibt unter ihnen mehrere, die sich aus eigenem Interesse in Genderfragen fortgebildet haben und sich ehrenamtlich als NGO-Mitglieder für mehr Geschlechtergerechtigkeit einsetzen. Vereinzelt sind Gender Desks mit VertreterInnen aus allen Abteilungen eingerichtet worden. Mit deren Hilfe soll Gender als Querschnittsaufgabe und "strategisches Interesse" in die Arbeit und Strukturen der Bezirksverwaltungen integriert werden.

Gender Budgeting

Das Reformprogramm für die lokalen Regierungen sieht neben anderen Maßnahmen zum Gender Mainstreaming ausdrücklich Gender Budgeting vor, um mehr Geschlechtergerechtigkeit in Entscheidungsprozessen, im Versorgungs- und Dienstleistungsangebot und der Struktur der Bezirksräte und -verwaltungen durchzusetzen. Mehr oder minder von oben verordnet sind in vielen Distrikten Prozesse in Gang gesetzt worden, die die Situation der Frauen in ländlichen Gebieten langfristig verbessern sollen. Wesentliche Bedeutung kommt dabei der Erstellung der Haushaltspläne für die Distrikte zu. Der Planungsprozess läuft in der Regel wie folgt ab: - Unterstützt von EZ-Organisationen werden partizipative Bestandsaufnahmen der ländlichen Lebensverhältnisse durchgeführt, um die Bedürfnisse der ländlichen Bevölkerung festzustellen. - "Zonal Reform Teams", die von der Zentralregierung eingesetzt sind, stellen die Anforderungen des Gender Mainstreaming auf Sitzungen vor, zu denen Distriktratsmitglieder, VerwaltungsvertreterInnen und RepräsentantInnen der lokalen Zivilgesellschaft geladen sind. - Die Distriktverwaltungen erstellen, wieder unterstützt von EZ-Organisationen, einen "Strategischen Genderplan" mit einer "District Gender Policy" für drei Jahre inklusive Budget. Die Finanzierung der Maßnahmen soll zum Teil von EZ-Organisationen übernommen werden. - Die Entwicklung dieses Plans wird von "Gender Awareness Building Workshops" für VertreterInnen der verschiedenen Verwaltungsabteilungen, Ratsmitglieder und RepräsentantInnen der Zivilgesellschaft begleitet. - Die in den Workshops erarbeiteten Vorschläge aus einer Genderperspektive werden zurück an die lokalen Regierungsabteilungen geleitet, die den Plan erstellen und an die Planungsabteilung weiter reichen. Diese koordiniert die Gesamtplanung und stellt in Zusammenarbeit mit der Abteilung für Finanzen das notwendige Budget auf. - Plan und Budget werden im Planungsausschuss diskutiert, bevor sie dem Distriktrat zur Genehmigung vorgelegt werden. - Der genehmigte Plan wird dann an die Regionalverwaltung weitergeleitet, die ihn ihrerseits als Teil des Regionalplans der Regierung in Dar es Salaam zur Finanzierung vorlegt. TGNP hat im Rahmen seiner Gender-Budget-Initiative von vornherein die Zusammenarbeit mit der lokalen und regionalen Ebene gesucht und intermediäre Gendernetzwerke aufgebaut. Mit Lobby-Arbeit, Networking und der Bereitstellung von Expertise zur Fortbildung von Regierungsmitgliedern und staatlichen Angestellten versuchen diese Netzwerke, auf regionaler und lokaler Ebene Einfluss zu nehmen. Die von TGNP entwickelten Instrumente (z.B. "Checklist for Mainstreaming Gender into the Government Budget", TGNP 2004) werden dabei den Notwendigkeiten auf lokaler Ebene angepasst. EZ-Organisationen und ausländische Stiftungen unterstützen diese Aktivitäten. Problematisch ist die Finanzierung der Distrikthaushalte. Auch wenn geplant ist, den Distrikten durch die Dezentralisierung mehr direkte Steuereinkünfte zukommen zu lassen, können diese nur einen Bruchteil des Budgets tragen. Es ist also die Zentralregierung, die die Steuermittel weiterhin zuteilt. Als eines der ärmsten Länder der Welt ist Tanzania bei der Finanzierung des Staatshaushalts entscheidend von internationalen Gebern abhängig.

Lokal-globale Verknüpfungen

Die AktivistInnen und WissenschaftlerInnen im TGNP kritisieren zu Recht, dass makroökonomische Faktoren die Entwicklung geschlechtergerechter Strukturen bis hin zur lokalen Ebene beeinflussen und behindern. Gendernetzwerke im Südlichen Afrika setzen sich mit Lobbyarbeit für regionale Lösungen ein. Zu den Geburtstagsfeierlichkeiten für die Weltbank und den Internationalen Währungsfond im April 2004 organisierten TGNP und FemAct eine große Protestaktion in Dar es Salaam gegen die Auswirkungen der Strukturanpassungsprogramme auf die arme Bevölkerung in Tanzania, in der Mehrheit Frauen. Als Mitglieder des "50 Years is Enough Network" entsandten sie auch Vertreterinnen zu internationalen Protestkampagnen in New York und beteiligten sich an Diskussionen mit Weltbankrepräsentanten (Ulingo Wa Jinsia 2004). "Go local" und gleichzeitig "go global" sind also die Strategien, mit denen Frauenorganisationen und Gendernetzwerke in Tansania und der Region mehr Geschlechtergerechtigkeit durchzusetzen versuchen. Das Zusammenwirken mit Regierungen und internationalen Gebern nehmen sie dabei in Kauf, reflektieren es aber kritisch. Sie analysieren ungleiche Machtstrukturen und wehren sich dagegen - von der Gemeindeebene bis hin zu globalen Zusammenhängen.

Literatur

Elisabeth, Hartwig (2004): Gender and Capacity Building in Local Governance. A Strategy on how to integrate the cross cutting issue of gender equality and equity into development co-operation of ded in the Local Government Sector in Tanzania. Unveröffentlichtes Dokument des Deutschen Entwicklungsdienstes Tansania. Dar es Salaam. NGO Policy Forum (2004): Poverty Reduction Strategy II, First Draft, for 2nd Round of Consultations. Dar es Salaam. Southern African Development Community (SADC) (1998): Parliamentary Action on Gender Equality and Personal Security. International Conference, Harare, Zimbabwe, 5.-8. März 1998. AWEPA (African European Institute). Amsterdam 1998. Tanzania Gender Networking Programme (TGNP) (1999): Budgeting with a Gender Focus. Dar es Salaam. Tanzania Gender Networking Programme (TGNP) (2004): Gender Budget Analysis in Tanzania 1997-2000. Dar es Salaam. Tanzania Gender Networking Programme (TGNP) (2003); Rusimbi, Mary: "Mainstreaming Gender into National Planning and Budgeting Processes & Macro-Policies in Tanzania. The Case of the Gender Budget Initiative (GBI)". In: Against Neoliberalism. Gender, Democracy and Development. Dar es Salaam, S. 134-142. Ulingo Wa Jinsia - Gender Platform Quarterly (2004), Nr. 2, April-Juni 2004. Anschrift der Autorin: Elisabeth Hartwig elisabeth.hartwig@kle-net.de Juliana Ströbele-Gregor

Indigene Frauen und soziale Organisierungsprozesse. Anmerkungen zum Beispiel Guatemala

Indigene Frauen - vielfältig marginalisiert - nicht nur in Guatemala!

Die Lebensumstände indigener Frauen in Lateinamerika - und gerade auch in Guatemala - sind gekennzeichnet von mehrfacher Marginalisierung. Daran hat sich seit der Re-Demokratisierung in den 1980er Jahren vor allem in ländlichen Regionen wenig geändert. Hier einige Stichpunkte: - Indigene Frauen bezeichnen sich selbst als dreifach diskriminiert: Aufgrund ihrer sozialen Schicht als Landfrauen, Arme oder städtische Unterschicht; ihrer ethnischen und kulturellen Zugehörigkeit zu einem indigenen Volk und als Frau. Ihre Lebenswelt ist geprägt von Rassismus, hierarchischen Klassenstrukturen und patriarchalen Geschlechterverhältnissen, letzteres gilt für viele indigene Kulturen. - Niedriger Bildungsstand: Analphabetismus bzw. sehr geringe Schulbildung und oft mangelhafte Spanischkenntnisse sind unter Frauen - insbesondere auf dem Land - weit verbreitet. Dies verstärkt ihre Ausgrenzung und behindert die Einforderung ihrer Bürgerrechte. - Kulturelle Normen und Brauchtum: Kulturell ist die Außenrepräsentanz nicht Angelegenheit der Frauen. Als Handlungsraum der Maya-Frauen gilt der Haushalt, ihre Aufgaben ergeben sich aus der Reproduktion der Familie. - Rechtsstaatlichkeit und BürgerInnenrechte: Trotz demokratischer Rechtsreformen, Anerkennung der Geschlechtergleichstellung und der indigenen Kulturen ist die rechtsstaatliche Praxis defizitär. Leidtragende sind insbesondere Arme und Indígena. Diese gesamte Situation schlägt sich auch in den Organisierungsprozessen der Frauen nieder.

Wann indigene Frauen das Wort ergreifen

Themen, die die indigene Frauen auf die Tagesordnung setzen, sind in erster Linie nicht "frauenspezifisch". Sie fordern die Umsetzung der BürgerInnenrechte und Anerkennung der indigenen Kulturen, die Verbesserung des Bildungs- und Gesundheitswesens, Nahrungsmittelsicherheit und wirtschaftliche Entwicklung in den Gemeinden. Frauenspezifische Themen wie die Forderungen nach Gleichstellung der Geschlechter, Partizipation in öffentlichen Angelegenheiten, Sicherheit vor häuslicher Gewalt richten sich vor allem an die Praxis in ihren eigenen Gemeinschaften und der Männer. Reproduktive Gesundheit und sexuelle Selbstbestimmung sind hoch sensible Themen, die Maya-Frauen kaum öffentlich einfordern. Kinderreichtum wird kulturell hoch bewertet, Kinder werden als Arbeitskraft und soziale Sicherung benötigt. Häufige Schwangerschaften der Frau gehören zum männlichen Leitbild der sexuellen Potenz.

Politische Rahmenbedingungen in Guatemala

Jahrzehntelang herrschten autoritäre Regime und Militärdiktaturen, begleitet von einem 36 Jahre währenden Bürgerkrieg. Dieser wurde 1996 beendet, ohne dass die wesentlichen Ursachen des bewaffneten Widerstandes behoben worden wären. Seitdem befindet sich das Land auf einem komplizierten und konfliktreichen Weg des Aufbaus demokratischer Strukturen. Hauptsächliches Opfer des Krieges war die indigene Bevölkerung. Verantwortlich für die massiven und systematischen Menschenrechtsverbrechen - die sich auch gezielt gegen indigene Frauen richteten - waren die Militärs und die jeweiligen Regierungen, so das übereinstimmende Ergebnis der internationalen und der kirchlichen Wahrheitskommission (CEH 1999; ODAHG 1998). Nach jahrelangen Verhandlungen einigten sich die Konfliktparteien im Friedensabkommen von 1996 über Maßnahmen in den zentralen Problembereichen, die ursächlich für den bewaffneten Widerstand der Opposition gewesen waren: Landrechte der Bauern, Rechtsstaatlichkeit, Garantie der Menschenrechte und innere Sicherheit, demokratische Strukturen, Anerkennung der indigenen Kulturen und der Rechte der Frauen, Chancengleichheit, politische Teilhabe der indigenen Bevölkerung und von Frauen an Entscheidungen über den Zugang und die Verwendung von Ressourcen, Bildung und Gesundheitsversorgung für die ländlichen und armen Bevölkerungsgruppen. Gleichwohl ist bis heute in den zentralen Konfliktbereichen (z.B. Landfrage, Schutz der Menschenrechte, Rechtstaatlichkeit) noch zu wenig geschehen - wie auch MINUGUA, die UN-Behörde zur Begleitung des Friedensprozesses, in ihren Berichten feststellte (MINUGUA März 2001; Juni 2001 und weitere Halbjahresberichte). Auch wenn die Regierungen seit 1985 in einem demokratischem Prozedere gewählt werden, so ist de facto die Beteiligung der ländlichen indigenen Bevölkerung, vor allem der Frauen, vergleichsweise gering, und Frauen und Indigene sind weiterhin kaum präsent in politischen Entscheidungspositionen. Immerhin: Schritte zu mehr Partizipation sind die im Rahmen der Dezentralisierungsförderung erfolgte Stärkung der Rechte der Kommunen, die gesetzliche Ausweitung der Bürgerbeteiligung und die von Regierungsseite errichtete "Behörde zum Schutz indigener Frauen". Allerdings besteht noch eine eklatante Kluft zwischen Gesetz und Praxis.

Frauen in Bewegung

Bedingt durch die lange Zeit des Krieges in Guatemala entwickelte sich die Frauenbewegung in Guatemala nur zögerlich und ist auf dem Land kaum präsent. Allerdings hat ein Prozess der Organisierung bei den Maya-Frauen begonnen, in dem die Einforderung von Menschen- und BürgerInnenrechten an prominenter Stelle stehen. Indigene Frauen sind schon lange die wesentlichen Repräsentantinnen der Verteidigung der Menschenrechte. Internationales Renommée erwarb sich Rigoberta Menchú, die für ihren Einsatz für die Menschenrechte und die Rechte der indigenen Völker 1992 den Friedensnobelpreis erhielt. Aber mit Menchú verbindet die Frauenbewegung und die Öffentlichkeit in Guatemala nicht den Kampf für Frauenrechte, auch wenn ihre Lebensgestaltung ein Beispiel für den Wandel der Frauenrolle ist. Zaghaft hat unter Maya-Aktivistinnen eine Auseinandersetzung mit indigenen Geschlechterkonzepten und -praxen, insbesondere der Rechtspraxis eingesetzt. Dies betrifft Erbrecht, Landrecht und Repräsentanz im öffentlichen Raum. Ein zentraler Bereich des Engagements von Maya-Frauen ist weiterhin die Aufarbeitung der Hinterlassenschaften des Krieges: Auf lokaler Ebene setzen sie sich für den Wiederaufbau der Gemeinden, die Öffnung von Massengräbern, die Identifizierung der Toten und den Riten entsprechende Begräbnisse ein. Es geht um Trauerarbeit, aber auch um den Nachweis des Todes einer Person, wesentliche Voraussetzung für die Hinterbliebenen, Rechtsansprüche, etwa Erbschaften und Landrechte oder Rentenforderungen geltend zu machen. Das gilt gerade auch für Rechtsansprüche von Zigtausenden von Kriegswitwen. Frauen haben als Folge des Bürgerkrieges eine wichtige Rolle beim sozialen und wirtschaftlichen Wiederaufbau der Gemeinden übernommen. So manche von ihnen hat als Kämpferin im Widerstand ein neues Frauenbild entwickelt. In den Gemeindeentwicklungskomitees sind Frauen sichtbare und anerkannte Protagonistinnen von Entwicklung und auch Akteurinnen des sozialen Wandels der Frauenrolle. Immer häufiger werden sie darin von lokalen Autoritäten unterstützt. Die neuen Verantwortlichkeiten stärken ihre soziale Stellung innerhalb der Gemeinden. Eigenständige Frauenorganisationen, in denen sich Frauen für die Gemeinde engagieren, nehmen zu. Diese Teilhabe am öffentlichen Leben stellt in der Regel allerdings nicht die traditionelle Rollendefinition und die Geschlechterordnung in Frage, sondern baut auf der Rolle der Frau als Mutter und Verantwortliche für das Wohlergehen der Familie auf. Auch im städtischen Kontext setzt die politische Mobilisierung von indigenen Frauen ganz überwiegend an der herkömmlichen Frauenrolle an. Ein Beispiel ist die Beteiligung von Frauen im Maya-Bürgerkommitee Xel-ju in Quetzaltenango: Dessen Sieg bei den Kommunalwahlen 1995 ist dem Engagement von Frauen zu verdanken. Frauen waren schon seit Jahren auf Nachbarschaftsebene aktiv im Komitee Xel-ju und engagierten sich für Verbesserungen in ihrem Umfeld, etwa für die Befestigung von Straßen oder die Einrichtung von Schulen. Bei der Vorbereitung der Kommunalwahlen setzten die Frauen ihre spezifischen Kommunikationsstrukturen massiv und gezielt ein: Sie warben im Verwandtschafts- und im Freundeskreis, in der Nachbarschaft, bei der Kunden, sofern sie Händlerinnen waren, sie organisierten Feste und Kirmesveranstaltungen, um Gelder für die Wahlkampagnen einzunehmen und Wahlwerbung zu machen. Sie traten für die Umsetzung der Bürgerinnenrechte ein, indem sie die Frauen über ihre demokratischen Rechte aufklärten und bei der Beschaffung von Personalausweisen halfen - einer Voraussetzung, um überhaupt wählen zu können. Laut Rigoberta Menchú (in Celigueta Comerma 1998) waren über 90 % der guatemaltekischen Frauen zur Zeit der Wahlen 1995 ohne Ausweispapiere und konnten damit ihr Wahlrecht nicht ausüben. Diese Situation hat sich eindeutig verbessert. Dieses Beispiel verdeutlicht, wie die traditionellen Frauenrollen gezielt strategisch und politisch erfolgreich genutzt werden können. Gleichwohl begrenzt ein solch festgelegtes Rollenverständnis auch das Handeln dieser Frauen. Das Engagement der Frauen für Xel-ju beschränkte sich auf die Unterstützung ihrer Ehemänner, Väter, Brüder oder Freunde. Es gab kaum Frauen, die selber kandidierten. Politik und Repräsentanz werden kulturell als Männerdomänen wahrgenommen, daher scheuen sich Frauen, in diese Domänen einzutreten. Doch es entstehen auch innovative und rollenkritische Frauengruppen. Solche Gruppen sind zumeist auf die Initiative von Frauen zurückzuführen, die nicht mehr im bäuerlichen Leben verhaftet sind: Lehrerinnen, Frauen, die aus dem Exil zurückgekehrt sind und andere Lebenserfahrungen gemacht haben, oder Promotorinnen von NGOs, die Verbindungen zur städtischen Frauenbewegung oder zu internationalen Entwicklungsorganisationen haben und neue Rollenbilder und Informationen über Frauenrechte vermitteln.

Konflikte, Hindernisse und Koalitionen

Organisierung und Einforderung von Frauenrechten erfordern Risikobereitschaft und Standfestigkeit von den Frauen, denn immer wieder sind gewaltsame Überfälle auf Frauen-Menschenrechtsorganisationen, Morddrohungen und Morde zu beklagen. Konflikte haben Frauen, die sich in der Öffentlichkeit engagieren, aber auch mit ihren Ehemännern und mitunter mit traditionellen Führungspersönlichkeiten, wenn ihre Aktivitäten über ein Engagement für allgemeine Belange der Gemeinde hinaus gehen. "Feministin" wird als Schimpfwort gegenüber Frauen gebraucht, die die Geschlechterhierarchie hinterfragen und für Selbstbestimmung eintreten. In traditionsbezogenen Diskursen der Maya-Kultur wird zwar Komplementarität und Dualität der Geschlechter als Norm beschworen, weshalb Frauen in indigenen Organisationen durchaus präsent sind. Aber ihr Einfluss ist gering. Und auch im familialen Kontext werden Frauen massiv benachteiligt. Frauenkritik an dieser Doppelmoral wird als Verrat an der eigenen Kultur gebrandmarkt, als negativer Einfluss des westlichen Feminismus. Als Hindernisse für politische Partizipation von Frauen erweisen sich jedoch auch das Zeitbudget der Frauen, die Sprachprobleme und Informationsdefizite. Koalitionspartner von Fraueninitiativen sind fortschrittliche Führungspersonen im Dorf oder in indigenen Organisationen, andere Frauengruppen etwa aus der Stadt, z.T. auch staatliche Institutionen zur Frauenförderung, bisweilen auch Priester in fortschrittlichen katholischen Basisgemeinden; insbesondere aber die Organisationen der internationalen Entwicklungszusammenarbeit. Zweifelsohne hat der internationale Gleichstellungs- und "Gender-Diskurs" Veränderungen zugunsten der Frauen bewirkt, denn es gilt auch in Guatemala als "politisch korrekt" für die Partizipation von Frauen einzutreten. Jedoch wird die praktische Aneignung der ihnen zustehenden Rechte noch ein langer Prozess für die Maya-Frauen in Guatemala sein.

Literatur

Comisión de Esclarecimiento Histórico (CEH) (1999a): Guatemala - Memoria del silencio. Tomo V, Conclusiones y Recomendaciones. Guatemala. Comisión de Esclarecimiento Histórico (CEH) (1999b): Tomo IV. Consecuencias y efectos de la violencia. Guatemala. Comisión de Esclarecimiento Histórico (CEH) (1999c): Conclusiones y recomendaciones del Informe de la Comisión para el Esclarecimiento Histórico. Guatemala. Celgueta Comerma, Gemma (1998): "Mujeres e indígenas: dimensión local y acción polític". In: Nueva Sociedad, Nr. 153, S. 73-92. MINUGUA (März 2001): Informe de Verificación - Los desafíos para la participación de las mujeres guatemaltecas. Guatemala. MINUGUA (Juni 2001): Informe del Secretario General de las Naciones Unidas sobre la verificación de los Acuerdos de Paz de Guatemala. (1. 7. 2000-31. 3. 2001). Guatemala. Oficina de Derechos Humanos del Arzobispado (ODAHG) (1998): Nunca Mas. Impactos de la Violencia. Guatemala. Ströbele-Gregor, Juliana (2005): "Hindernislauf. Indígena und Geschlechterverhältnis in Guatemala". In: Kurtenbach, Sabine; Mackenbach, Werner; Maihold, Günther; Wünderich, Volker (Hg.): Zentralamerika heute. Vervuert. Anschrift der Autorin: Juliana Ströbele-Gregor jstroebelegregor@gmx.net Cornelia Reszat und Corinna Genschel

Zwischen sozialem Widerstand und dem Kampf für basisdemokratische interne Strukturen: Feministinnen im Berliner Sozialforum

Anfang 2003 luden etwa 15 Menschen - u.a. die beiden Autorinnen - aus der außerparlamentarischen und parlamentarischen Linken Berlins zu einem ersten Treffen zur Gründung der Initiative für ein Berliner Sozialforum ein. Über die Stärkung und Vernetzung der existierenden politischen Kräfte hinaus, verband sich mit der Sozialforumsidee aber eine weitere politische Dimension, die Idee des offenen politischen Raums, in dem aus dem Austausch und Streit mit anderen neue praktische Schritte der Gegenwehr entwickelt und Visionen einer "anderen Welt" entstehen können. Denn dass neoliberale Politik nahezu ungehindert und grenzenlos in allen gesellschaftlichen Feldern durchgesetzt wird, verdeutlicht eine spezifische Schwäche anti-neoliberaler Kräfte, der es mit mehr als einem weiteren linken Bündnis zu begegnen gilt. Wenn es stimmt, dass deren Hegemonie u.a. durch fehlende Alternativen bedingt ist, muss es politisch darum gehen, radikale Visionen eines Anderen und herrschaftskritische Politiken sozialer und globaler Gerechtigkeit auf der Alltagsebene zu entwickeln. Es geht also darum, eine andere Welt wieder vorstellbar zu machen und einen tatsächlichen Prozess zu initiieren, der von unten basisdemokratisch wächst. Darüber hinaus gilt es, verschiedenen sozialen Realitäten, unterschiedlichen politischen Perspektiven wie auch (linken) Erbschaften der Vergangenheit Rechnung zu tragen. Hierfür aber braucht es neue soziale und politische Räume, Räume für den freien Austausch von Erfahrungen und demokratische Debatten, für politischen Streit und Reflexion wie auch für Vernetzung und Bewegung (Wissen 2004). Die Gründung eines lokalen Sozialforums bzw. einer Initiative für ein Berliner Sozialforum ergab sich jedoch auch aus lokalpolitischen Besonderheiten der Stadt, inklusive der Bewegungsschwäche oppositioneller Kräfte: "Zum einen demonstrierte Rot-Grün auf Bundesebene mit Kriegen, Hartz und Agenda 2010, dass in Zeiten der (Verwertungs-)Krise Opposition keinen Sinn macht. Gleichzeitig entsorgt in Berlin Rot-Rot, die ‚linkeste' aller nur denkbaren parlamentarischen Optionen, die Rest-Illusionen über den parlamentarischen Reformismus. Zurück bleibt eine wütend-hilflose Verzweiflung jener Bevölkerungsgruppen, die zum Objekt einer ‚Haushalts-Sanierung' wurden; dies auch deshalb, weil die kulturelle Hegemonie des Neoliberalismus zu der ‚paradoxen Situation' führte, ‚dass es noch nie so große Mehrheiten (gab), die nicht nur vom Gegensatz von Reich und Arm, sondern auch von Herrschenden und Beherrschten überzeugt waren'" (Hartmann 2004). Aus der Perspektive derer, die nicht zum "Kern der Linken" gehören, griff jedoch diese Überlegung der Bewegungsschwäche zu kurz und musste um dringliche politische Fragen ergänzt werden: Herrschaftsformen und soziale Spaltungslinien haben sich radikal gewandelt und zutiefst verkompliziert. Dies hat nicht nur zu einer Zerklüftung des Sozialen geführt, sondern auch die Bedingungen der Möglichkeit von Politik radikal verändert. So stellte sich für uns Feministinnen schon seit längerem die Frage, wo beispielsweise feministische Politik ansetzen sollte, wenn "Frauenpolitik" zum ideologischen Bestandteil von Regierungspolitik geworden ist. Wo ansetzen, wenn Geschlechterverhältnisse radikalen Transformationen unterworfen sind - "Geschlecht" einerseits erodiert, sich andererseits aber ungleichzeitig dazu intensiviert (Brodie 2004)? Wie damit umgehen, dass unter dem Primat der Ökonomisierung und der damit einhergehenden Gesellschaftstransformation Geschlechterverhältnisse "dereguliert" und entpolitisiert werden? Denn mit Individualisierung und Familiarisierung sind sie eine vermeintliche Privatangelegenheit geworden und kaum sprechbar als politische Anliegen, die gesellschaftlicher Lösungen bedürfen (Lang 2001). Dabei ist das Maß von Individualisierung und Selbstbestimmung so eindeutig wie lange nicht zu einer Frage ethnisierter, vergeschlechtlichter Klassenverhältnisse geworden. Feministische Analysen der letzten Jahrzehnte sind an vielen Punkten gerade auch für die Gegenwart relevant. Die Reformierung von Arbeit, Subjektivität, Gesellschaft und Leben lassen sich durch feministische Arbeiten detailgenauer verstehen. Denn erst wenn ökonomische Verteilungsfragen im Kontext kulturell-symbolischer Ordnungen analysiert werden, scheinen die Ordnungssysteme auf, die die spezifische Verteilung von Gütern legitimieren und definieren, wer unter welchen Umständen und Bedingungen verteilt (Rolle des Staates), sowie festlegen, was zu verteilen ist (z.B. welche Arbeit, welche öffentlichen Güter usw.) und welche Bedürfnisse wie anzumelden sind (vgl. u.a. Fraser 2001). Diese Fragen bildeten die inhaltliche Folie, auf der wir uns beim Aufbau des lokalen Sozialforums beteiligten. Hier bot sich unserer feministischen Einschätzung nach die Chance, Fragen in konkrete Politiken zu übersetzen und mit anderen zusammen herrschaftskritisch zu agieren. Zudem ergriffen wir die Chance, weil sich "alte" Strukturen längst aufgelöst oder auf politische Formen reduziert hatten, die unserem Wunsch von radikaler Veränderung schon lange nicht mehr Rechnung trugen. Die Idee des "offenen politischen Raums" als Leitidee der Sozialforen war die organisatorische Folie, die die Bildung eines Sozialforums für Feministinnen auch auf einer internationalen Ebene attraktiv machte. Vor dem Hintergrund feministischer Erfahrungen, dass eine Formalisierung von Organisationsstrukturen oft zum Ausschluss von Frauen führt und Geschlechterpolitik dem "wichtigen politischen Kampf" nachordnet(1), sahen wir hier die Chance, feministische Bewegungsideen und Grundüberzeugungen von globaler, sozialer und Geschlechtergerechtigkeit praktisch zu machen und an den neuen (und alten) Widersprüchen entlang nach vorne zu entwickeln. Vielleicht ließe sich dieser Raum auch feministisch nutzen, um die Verwobenheit von Transformation und Geschlecht genauso wie die widersprüchlichen Artikulationen der Geschlechterverhältnisse (auch in den sozialen Bewegungen) emanzipativ aufzubrechen und neue soziale und Geschlechterkämpfe zu ermöglichen.

Sozialforumsarbeit vor Ort - die Initiative für ein Berliner Sozialforum aus einer feministischen Perspektive

Zu Beginn der Initiative kamen unterschiedliche Leute aus dem linken und sozialpolitischen und mehrheitsdeutschen Spektrum zusammen - davon waren etwa ein Drittel Frauen. Organisierte Frauen- und Lesbenzusammenhänge, soweit es diese überhaupt noch gibt, haben sich ebenso wenig wie "queere" oder migrantenpolitische Zusammenhänge beteiligt. Zwischenzeitlich sind auch die "Organisierungslinken" sowie das sozialpolitische Projektspektrum ausgestiegen. Die Initiative ist auf den Kreis der undogmatischen Linken sowie auf Linke, die in ihren Herkunftsorganisationen oder Bewegungen (kritische Gewerkschafter, Ex-PDSlerInnen, Feministinnen) randständig sind, geschrumpft. Ein lokales Sozialforum funktioniert anders als ein zeitlich begrenzt stattfindendes Weltsozialforum. Hier braucht es regelmäßige Treffen und um sich lokal einen Namen zu machen, ist es erforderlich, sich auch als "Akteur" und nicht nur als abstrakter "Raum" zu etablieren. Notwendig waren eine kontinuierliche Struktur als Plenum mit Koordinierungskreis und Arbeitsgruppen, Pressearbeit und eine gewisse Repräsentanz. Die Spannung zwischen "offenem, politischen Raum" und "lokalpolitischem Akteur" hat auch die feministischen Optionen von Gestaltung geprägt: Ein "offener Raum" eröffnet viele Möglichkeiten für Einfluss und Gestaltung, kann aber auch für machtpolitische Auseinandersetzung um Außendarstellung, Entscheidungsfindung und Binnenstruktur benutzt werden. Dies haben im ersten halben Jahr der Initiative insbesondere die Männer aus der "Organisierungslinken" destruktiv genutzt und damit viele Prozesse blockiert (Initiative für ein Berliner Sozialforum 2003b). Die entgegengesetzte Gefahr ist, dass in einem "offenen Raum" keine Entscheidungen gefunden, Schwerpunkte nicht gesetzt, Konflikte nicht ausdiskutiert werden und Praxen nicht entstehen. Der "Raum" bleibt unbestimmt und ohne politische Wirkung - sicherlich ein Grund, warum ein Großteil der Leute aus der so genannten Projektszene aus der Initiative ausgestiegen sind und sich diese im Laufe der Zeit immer mehr zum "Akteur" gewandelt hat. So hat die Initiative in den vergangenen zwei Jahren unterschiedliche Aktivitäten selber angeschoben oder sich an anderen Aktionen beteiligt. Es gibt die Arbeit an einem "Sozialen Zentrum", das dem politischen Raum materiell einen Raum geben soll. Frühzeitig haben wir uns an Berliner Aktivitäten gegen die Agenda 2010 und die neoliberale "Reformpolitik" eingebracht. Foren der Selbstverständigung (Jour Fixe), aber auch Diskussionsveranstaltungen für ein breiteres Berliner Publikum wurden organisiert. Als die so genannte "Sozialkarte", ein ermäßigtes Ticket für den Berliner ÖPNV, abgeschafft wurde, gründete sich eine "Mobilitäts-AG". Zusammen mit Obdachlosengruppen, Kirchen, Gewerkschaftskreisen und anderen veranstaltete sie Aufsehen erregende Aktivitäten und traf auf Unterstützung in der Berliner Bevölkerung. Anschlussaktivitäten fanden dann aber nur noch wenig Resonanz. Öffentliche Veranstaltungen sollten politische Leerstellen in der sozialpolitischen Debatte besetzen (wie Geschlecht und Migration), Querverbindungen zwischen verschiedenen sozialen AkteurInnen wie illegalisierten ArbeiterInnen und GewerkschaftsvertreterInnen, Berliner Projekten und stadtpolitisch Aktiven sollten hergestellt werden und die sehr unkritische Verteidigung des (idealisierten) Sozialstaats politisch hinterfragt und neue Perspektiven aufgemacht werden. Aus frauen- und geschlechterpolitischer Sicht haben wir im ersten Jahr der Initiative zunächst ausgelotet und erstritten, welchen Raum es für geschlechterpolitische Themen gibt. Wir haben entsprechende Inhalte in die Leitlinien der Initiative eingebracht (Initiative für ein Berliner Sozialforum 2003a) und in Form von Sondertreffen (Jour Fixe) feministischen Themen Raum gegeben. Auf einer organisatorischen Ebene haben wir versucht, die monatlichen Plena unter geschlechterdemokratischen Gesichtspunkten aktiv mitzugestalten. Gerade die organisierte (Partei- und Gewerkschafts-)Linke hat dabei auf aktive feministische Themensetzung teilweise offen, teilweise strukturell und mit Ausschlussversuchen von Themen und Personen reagiert. Es gab zum Teil offene Abwertungen und sexistische Verhaltensweisen. Kritische Beiträge aus feministischer Sicht wurden zu "Beziehungsfragen", als "private" Auseinandersetzungen definiert und damit entpolitisiert. Die Macht der informellen "old boys"-Netzwerke war hier sehr gut zu beobachten. Deren Definition von Expertise und Schnelligkeit schloss all diejenigen aus, die über diese vermeintlichen Qualitäten nicht verfügten und somit "begründet" aus den engeren Kreisen wie z.B. der Pressearbeitsgruppe verbannt wurden. Aufschlussreich ist an dieser Stelle die Konvergenz von Anti-Feminismus und parteiförmigen Politikformen mit ihrer Massenorientierung, die auch an anderer Stelle den Versuch, basisdemokratische Strukturen aufzubauen, blockierte. Männer aus der undogmatischen Linken, mit denen wir zum Teil auf langjährige Erfahrung, Zusammenarbeit und Konfliktkultur zurückgreifen konnten, waren dem feministischen Projekt gegenüber aufgeschlossener. In der gemeinsamen Basis-Orientierung gelang es, sich in der Durchführung und Durchsetzung von Themen gegenseitig zu unterstützen, Bündnisse herzustellen und Aufgaben zu verteilen. Die geschlechterdemokratische Gestaltung der ersten Zeit hatte auch zum Ziel, die aktive Sozialforumsarbeit über die ursprünglichen Kreise hinaus anschlussfähig zu machen. Wir wollten die Idee des offenen politischen Raums als Ort, von dem aus widerständige Politik gegen den neoliberal-kapitalistischen Umbau aus verschiedenen Perspektiven entwickelt werden konnte, auch für Feministinnen attraktiv machen und haben aktiv in frauenpolitischen Zusammenhängen für die Teilnahme geworben. Später, nachdem dieser Versuch der direkten Einbindung gescheitert war, ging es uns darum, Feministinnen über Veranstaltungen inhaltlich anzusprechen und Feminismus inhaltlich zum integralen Thema der Politik gegen den Sozialabbau und -umbau zu machen. Im zweiten Jahr der Initiative ließ sich durch diese Erfahrungen den verschiedenen Ausschlussmechanismen expliziter gegensteuern. Nach wie vor ist es wichtig zu thematisieren, wie viele Frauen auf einem Podium sitzen, welche Themen als relevant gesehen werden und was Feministinnen dazu sagen. Durch eine bewusste Moderation der Plena haben wir zudem Maßstäbe für einen anderen Umgang setzen können. So konnte das (ungebrochen männliche) Redeverhalten mittels zeitlicher Vorgaben und Regulierungen positiv beeinflusst werden. Da aber zu keiner Zeit organisierte feministische Zusammenhänge als solche Einfluss auf die Formierung der Initiative bzw. auf die Gestaltung des "offenen politischen Raums" nahmen, waren es individuelle Durchsetzungsfähigkeit, spezifische Fähigkeiten und das "unsichtbare" Netzwerk der teilnehmenden einzelnen Feministinnen, die die geschlechterpolitische Gestaltung von Form und Inhalt bestimmten. So waren wir zwar insofern erfolgreich, die linke "Geschlechtslosigkeit" in Begriffen wie Sozialstaat, Klasse, Arbeit sowie bei möglichen, gewünschten und ausgeschlossenen AdressatInnen "unserer" Politiken in politischen Diskussionen aufzubrechen, allerdings war dies und ist dies immer an einzelne Personen gebunden gewesen und nicht breiter aufgegriffen worden.

(Geschlechter-)Politische Blockaden und die Idee vielfältiger Berliner Sozialforen

Im dritten Jahr der Initiative stehen wir nun vor dem Problem, dass die Initiative massiv geschrumpft und für neue Leute in der jetzigen Form unattraktiv ist. Organisatorisches und Tagespolitisches dominiert die Plena, es ist zu wenig Zeit für politisch engagierte und fundierte Diskussionen. Der Zwang, unmittelbar zu handeln und den "Apparat" aufrechtzuerhalten, hat Oberhand gewonnen - die Initiative bietet nur formal einen "offenen, politischen Raum". Mangels Kapazitäten bleibt ein Großteil der Aktivitäten an Einzelnen hängen, neue Ideen und Aktivitäten werden oft nur halbherzig umgesetzt, angeschobenen Projekte werden beim ersten anstehenden Frust aufgegeben. Ungewollt ist die Initiative zu einer der vielen sozialpolitischen Treffen geworden, die alle für sich kleinteilig bleiben und somit nicht als Katalysatoren für "mehr Bewegung" wirken. Die Erfahrung der letzten beiden Jahre zeigt, dass die Zerklüftung des Sozialen weitaus mehr Folgen für emanzipatorische Praxis hat, als wir es uns vorgestellt haben. "Bewegungen" lassen sich nicht einfach herstellen, deren Entstehen braucht mehr als individuelles Wollen. Was also tun? Und was lässt sich aus der Tatsache lernen, dass wir zwar einige frauenpolitische Erfolge erreicht, aber weder feministische Perspektiven nachhaltig gesichert noch gesellschaftspolitisch viel in Bewegung gebracht haben? Hat sich mit den beschriebenen Erfahrungen die politische Notwendigkeit eines offenen politischen Raums erübrigt oder bedarf es anderer Formen, um dies tatsächlich zu realisieren? Abschließend einige Gedanken: Die Schwerpunktsetzung der Initiative auf Tagespolitik und deren Logik bedeutet, dass der Raum für offene Debatten und Gesellschaftskritik enger wird. Damit einher geht der Verlust von Anschlussfähigkeit für andere Strömungen und Gruppen, die eine enge Fassung von "Sozialpolitik" ablehnen, weil ihre Interessen und politischen Entwürfe darin verloren gehen. Wenn aber die Idee einer heterogenen sozialen Bewegung mit ihren verschiedenen sozialen Realitäten und politischen Perspektiven ernstgenommen wird, bedarf es weiterhin eines Ortes oder Raumes, an dem kritisch die Auslassungen, politischen Präformierungen und die Reproduktion von Mehrheitsnormen in der sozialpolitischen Debatte hinterfragt werden können. Gleichzeitig gibt es in der Initiative Widerstände gegen eine kritische Reorientierung, was für uns die Initiative als Ort von emanzipatorischer Politik problematischer und prekärer macht. Politische Diskussionen um strukturelle und substantielle Veränderungen werden mit der Begründung ausgebremst, dass die Initiative für die wenigen Aktiven zur politischen Heimat geworden sei. "Heimat" aber für wen? Es scheint, dass die Initiative vergessen hat, dass sie für Anderes als für "linke Heimat" steht und sie mit dieser Argumentation ihre politischen Zielstellungen dem Vergessen preisgibt. Für uns Feministinnen ergibt sich hier ein grundsätzliches Dilemma: Wie lässt sich die erneute Öffnung des Raumes erstreiten, wenn dieser von anderen Strömungen und Gruppen in den letzten Jahren nicht gefüllt wurde? Wie lässt sich plausibel machen, dass gerade in den Querverbindungen zu feministischer, "kanakischer" und queerer Politik emanzipatorische Potentiale liegen, wenn es die Leute nicht gibt, die dieses konkret erstreiten? Wir denken, dass Sozialforen gerade auch auf der lokalen Ebene weiterhin notwendig sind. Denn nur hier lassen sich radikale Visionen konkret aus (auch konflikthaften) Begegnungen mit anderen entwickeln und nur hier kann eine alltägliche Politik von (Geschlechter-)Gerechtigkeit entstehen. Solange es aber Tagespolitik und deren Normsetzungen sind, die die politische Praxis bestimmen, gibt es wenig Raum für querliegende Fragestellungen, für noch unklare, widersprüchliche oder eigensinnige Anliegen, für Vorstellungen alternativer politischer, sozialer und kultureller Projekte und Visionen anderer "Lebensqualität" (Dieckmann 2004). Die Auseinandersetzung um politische Anliegen und den Zusammenhang zwischen verschiedenen gesellschaftlichen Prozessen muss aber auch aktiv geführt und nicht an andere delegiert werden. Es gilt, Auseinandersetzungen um enge "Betroffenheitsbegriffe" und "Teilbereichspolitik" zu führen, die die Einbindung in Politiken um Gerechtigkeit und Demokratisierung verhindern. Wo aber, wenn nicht in solchen Sozialforen, lassen sich die Partikularismen des "fordistischen Normmannes" (und damit "der Linken") ebenso wie die Enge von spezifischen Frauen-, lesbisch-schwulen und migrantischen Anliegen überwinden? Vielleicht sollten wir aus der Erfahrung der Berliner Initiative lernen - es gilt, Sozialforen zu pluralisieren, thematisch zuzuspitzen, zeitlich zu begrenzen und politische Praxis nicht von vornherein festzulegen - also lokale Sozialforen nicht in der Einzigartigkeit sondern in einer Abfolge verschiedener themenspezifischer Ereignisse zu konzipieren. Funktionieren kann dies aber nur, wenn die Idee dann tatsächlich von vielen aufgegriffen und mit eigenen Ideen und Formen gefüllt wird - wenn also der Raum zu einem Eigenen gemacht und erstritten wird.

Anmerkung

(1) Das passiert auch in den Sozialforen wie z.B. beim letzten WSF (2005), vgl. Articulatión Feminista Marcosur (2005).

Literatur

Anand, Anita; Escobar, Arturo; Sen, Jai; Waterman, Peter (Hg.) (2004): Eine andere Welt. Das Sozialforum. Berlin. Articulación Feminista Marcosur (31.1.2005): Political Statement of the Diversity Boat at the World Social Forum, Porto Alegre, 2005. Forummentalismos: The Contradictions of the World Social Forum. www.marcosur.org (englische Übersetzung von Peter Waterman, email vom 7. 2. 2005). Brand, Ulrich (2005): Gegen-Hegemonie. Perspektiven globalisierungskritischer Strategien. Hamburg. Brodie, Janine (2004): "Die Re-Formierung des Geschlechterverhältnisses und die Regulierung des Sozialen". In: Widerspruch, Nr. 46, S. 19-32. Dieckmann, Martin (2004): "Gerechtigkeit und Freiheit - Ein langer Marsch durch die Krise". In: Die Aktion, Nr. 208 (www.labournet.de/diskussion/arbeit/prekaer/freiheit.html). Fraser, Nancy (2001): Die halbierte Gerechtigkeit. Frankfurt a.M. Hartmann, Dieter (2004): "Produktives Missverständnis. Eine Zwischenbilanz der Berliner Sozialforumsinitiative". In: ak - zeitung für linke debatte und praxis, Nr. 481 (20. 2. 2004). Initiative für ein Berliner Sozialforum (2003a): Leitlinien der Zusammenarbeit. www.socialforum-berlin.de. Initiative für ein Berliner Sozialforum (2003b): Was ist das SFB: Raum oder Bewegung? www.socialforum-berlin.de. Lang, Sabine (2001): "Reprivatisierungen im neoliberalen Geschlechterregime". In: femina politica, Nr. 2, S. 91-104. Wissen, Markus (2004): "Globale soziale Bewegungen und radikale Kritik. Spektren, Ambivalenzen, Herausforderungen internationalen Protests". In: Komitee für Grundrechte und Demokratie (Hg.): Eine Politik sozialer Menschenrechte in Zeiten von Verarmung und Repression. Köln, S. 45-58. Anschrift der Autorinnen: Cornelia Reszat co.re@gmx.net

Aus PERIPHERIE 99 "Sozialkapital - Kapitalisierung des Sozialen", Münster 2005, S. 342-377

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