Marketing und Propaganda

''Du bist Deutschland'' - eine Kampagne mit Tradition

Peinlicher Zufall oder das Werk eines in der Werbung tätigen Neonazis? Der Slogan "Du bist Deutschland" der Initiative "Partner für Innovation" stammt gar nicht von der Hamburger Werbeagentur ...

... Jung von Matt, sondern von ganz anderen Fachleuten für Volksaufklärung und Propaganda. Erstmals dokumentiert ist der Spruch auf einem zwischen 1933 und 1935 in Ludwigshafen aufgenommenen Foto mit Hitler-Porträt; "im Hintergrund", so das Stadtarchiv Ludwigshafen, "ist der damalige Hauptbahnhof zu sehen, von dem aus noch 1933 zahlreiche Ostjuden abgeschoben wurden."

Lassen wir die Unterwanderungsthese mal beiseite und unterstellen als wahr, dass Oliver Voss, Kreativdirektor bei Jung von Matt, mit Nazi-Ideologie nichts zu tun haben will: "Unser Spot ist Multikulti vom Feinsten." Beweis: Auch Gerald Asamoah (schwarz), Xavier Naidoo (Migrationshintergrund: Indien/Südafrika) und Minh-Khai Phan-Thi (dito: Vietnam), Juden, Behinderte und andere "Minderheiten" dürfen mitmachen. Das hätte Goebbels und Göring, die seinerzeit an dem Ludwigshafener Aufmarsch teilnahmen, gar nicht gefallen. Auch die renommierten Historiker Hans-Ulrich Wehler und Hans Mommsen geben Entwarnung: Der Slogan sei im Dritten Reich "nicht gängig" gewesen, seine Wiederverwendung eine "zufällige Analogie".

Ersteres mag stimmen, letzteres wohl kaum. Denn wo "die größte Social-Marketing-Kampagne in der Mediengeschichte der Bundesrepublik" (1,6 Mrd. mediale "Kontakte") auf die Beine gestellt wird, meldet sich das kollektive Gedächtnis offenbar von selbst. Die Identifikation des Individuums mit "Deutschland" ist zwar nicht spezifisch nazistisch, zielt aber offen auf die Stimulierung von Nationalgefühl. Wer könnte das besser als die auf die Erzeugung von Emotionen spezialisierten "Kreativen" der Werbebranche? Über die "Botschaft" der Kampagne schreiben deren MacherInnen: "Jeder Einzelne braucht mehr Zuversicht in die eigene Kraft und Leistungsfähigkeit. Positive Selbstwahrnehmung ist eine wichtige Voraussetzung für unsere wirtschaftliche und kulturelle Entwicklung. Die Kampagne lädt dich und alle anderen Menschen in Deutschland ein, es anzupacken, etwas Neues zu wagen und mit frischem Elan mit- und weiterzumachen."

Dass "jedeR Einzelne" für sich selbst verantwortlich ist und nur die "wirklich Bedürftigen" der Allgemeinheit zur Last fallen dürfen, hören wir seit Jahren tagtäglich. Bei "Du bist Deutschland" ist jedeR Einzelne zusätzlich verantwortlich für das Ganze - Deutschland nämlich, seine wirtschaftliche Entwicklung und Innovation. Gemeckert wird nicht - "mein Land ist mein Kumpel" (Johannes B. Kerner), und alles wird gut, "wenn wir im Kopf einfach einen Schalter umlegen" (Günther Jauch). Blöder geht's nicht - wohl aber aggressiver, z.B. im Manifest der Kampagne: "Genauso wie sich ein Lufthauch zu einem Sturm entwickelt, kann deine Tat wirken. (...) Dein Wille ist wie Feuer unterm Hintern. (...) Doch einmal haben wir schon eine Mauer niedergerissen. Deutschland hat genug Hände, um sie einander zu reichen und anzupacken. Wir sind 82 Millionen. Machen wir uns die Hände schmutzig. Du bist die Hand. Du bist 82 Millionen. (...) Du bist Deutschland." Sturm, Tat und Wille - die Zusammenballung dieser für sich genommen "unschuldigen" Wörter, lässt, ganz unabhängig von dem Skandalbild, Erinnerungen wach werden an eine Zeit, in der Millionen Deutsche nur allzu bereit waren, sich für Führer, Volk und Vaterland "die Hände schmutzig zu machen".

Robert Kurz hat in diesem Zusammenhang von "faschistischen Durchhalteparolen" gesprochen; Ziel der Kampagne sei, dass "mitten im Hurrikan des globalen Krisenkapitalismus die deutsche Volksgemeinschaft als ideologische Not- und Zwangsgemeinschaft auferstehen" möge. (Neues Deutschland, 30.9.) Von den staatstragenden Zeitungen haben bislang nur taz und Zeit kritische Kommentare gedruckt. Was nicht verwundert: Springer, Bauer, Gruner + Jahr, Spiegel, FAZ, Burda, WAZ-Mediengruppe und diverse andere Verlage gehören - wie auch ARD, ZDF, Premiere, ProSiebenSat.1 und RTL - zu den "Initialpartnern" von "Du bist Deutschland".

Ein Fall freiwilliger Gleichschaltung also, der über die Meinung der umworbenen 82 Millionen erstmal wenig aussagt. Zwar äußerten sich im Oktober 54% der Befragten positiv zu dem vaterländischen Werbefeldzug. Weniger das NS-Plagiat als der in der Kampagne angelegte Zynismus geben Anlass zu der Hoffnung, dass die Zustimmung zumindest nicht zunehmen dürfte: Denn wenn gutverdienende Promis Wasser predigen und Champagner saufen, dann kommt ihre volkspädagogische Message erfahrungsgemäß nicht so gut rüber. Da nützen auch die schönsten Bilder und Slogans wenig.

Js.

aus: ak - analyse & kritik - Zeitung für linke Debatte und Praxis/Nr. 501/16.12.2005