Die Selbstlosen am Hindukusch

Zur Rechtfertigung der Milliardenbeträge, die für die "Verteidigung Deutschlands am Hindukusch" bisher ausgegeben wurden und noch ausgegeben werden sollen, berichten die Militärpolitiker - anders a

die Hilfsorganisationen - gern davon, wieviel Gutes die Bundeswehr mit ihrem ISAF-Kontingent nach Afghanistan gebracht hat. So zum Beispiel der verteidigungspolitische Sprecher der Grünen, Winfried Nachtwei. Auch für den Einsatz des deutschen Kommandos Spezialkräfte (KSK) dort fand der Grüne anläßlich der Mandatsverlängerung Anfang November im Bundestag lobende Worte. Zwar weiß er, daß sich die US-Streitkräfte, mit denen das KSK "zusammenarbeitet", "in erschütternder Weise nicht an die Genfer Konvention halten, vor allem, was die Behandlung von Gefangenen angeht"; dennoch ist er sich trotz der "Geheimhaltung der Bundesregierung" sicher, daß "die deutschen Soldaten eindeutig und zwingend an Recht und Gesetz gebunden" sind.
Die guten Nachrichten von den segensreichen Tätigkeiten der Bundeswehr litten nur darunter, daß sie in der deutschen Öffentlichkeit, so wiederum Nachtwei, noch nicht genügend "öffentliche Akzeptanz und Unterstützung haben". Dafür müßten neben der Bundesregierung auch die "anderen Afghanistan-Engagierten" sorgen. Die sollten verstärkt die "zivilen Aktivitäten" der Bundeswehr (worüber es in einer Pressemitteilung der VENRO, der Dachorganisation von rund 100 freien und kirchlichen Trägern der Entwicklungspolitik hieß, durch die "Wiederaufbaumaßnahmen der Bundeswehr" habe sich "die Sicherheitslage eher verschlechtert") als "good news" zum deutschen Publikum "rüberbringen".

Pünktlich zum Weihnachtsfest 2005 erschien dann ein Buch, das diesem Wunsch nachkommt. Es trägt den Titel "Einsatz am Hindukusch". Darin wird in 13 Kapiteln der "Soldatenalltag in Afghanistan" geschildert. Verfasserin ist die Journalistin Britta Petersen, die seit 2003 in Kabul lebt und hier mit Hilfe eines Vereins und gesponsert vom Auswärtigen Amt afghanische JournalistInnen in die Geheimnisse des "Demokratisierungsprozesses" einführt. Für ihre Arbeit erhielt sie 2005 den Leipziger "Preis für die Freiheit und Zukunft der Medien".

Die Bundeswehr, die im Buch den gleichen Namen trägt wie die deutschen Kolonialtruppen unseligen Angedenkens: "Schutztruppe", bewirkt nach Aussagen der Autorin folgendes: Sie gibt den Menschen ein "Gefühl der Sicherheit", verhindert den Bürgerkrieg, "schafft Arbeitsplätze", "behandelt Kranke", "gräbt Brunnen", "verteilt Kinderspielzeug", "produziert Zeitungen" und "sorgt mit einem eigenen Radiosender dafür, daß die guten Taten auch wahrgenommen werden". Sie handelt ohne "eigne Interessen" ausschließlich "selbstlos". Das soll auch nach Deutschland dringen, wo die Verfasserin eine "Informationslücke" zu diesem Einsatz am Hindukusch festgestellt hat. Ihr Verein "Initiative Freie Presse" (IFP) hat das Motto: "Meinungsfreiheit und Meinungsvielfalt fördern". Wie sie damit in ihrer journalistischen Praxis umgeht, kann man an ihrem Buch studieren: "Es entstand in Abstimmung mit dem Bundesministerium der Verteidigung ... und dem Presseinformationszentrum des deutschen ISAF-Kontingentes in Kabul. Es ist nicht erlaubt, sich als Journalist auf dem Truppengelände in Afghanistan frei zu bewegen. Die Auswahl der ... vorgestellten Soldaten lag in der Hand der Bundeswehr und spiegelt deren Willen wider, sich als moderne, demokratische Armee zu präsentieren."
Im übrigen wurden die Namen der interviewten Soldaten geändert, bis auf drei, darunter den evangelischen Militärseelsorger, der gleich in zwei Kapiteln besonders herausgehoben wird.

Um also dem Verteidigungsminister zu gefallen, werden wesentliche Kom-plexe nicht angesprochen, zum Beispiel diese: "Die Bundeswehr und das GG" oder die "Verteidigungspolitischen Richtlinien" und wie sie die völkerrechtwidrige Einsätze ermöglichen. Vor allem aber wird ein Tabu beachtet: Die deutschen KSK-Truppen, die im Rahmen der "Operation Enduring Freedom" (OEF) mit den folternden und mordenden "US-Sicherheitskräften" zusammenarbeiten, werden nur einmal beiläufig erwähnt; in dem längeren Kapitel über die OEF werden sie totgeschwiegen.

Trotz alledem: Das Buch bringt immer noch genügend Informationen, die interessieren können. So erfährt der Leser, daß jeder deutsche Soldat 92,03 Euro steuerfrei pro Tag zusätzlich zu seinem Grundgehalt erhält; ein Unteroffizier hat dadurch monatlich 5.500 Euro netto und kann demnächst mit weiterer Gehaltssteigerung rechnen. Die meisten Soldaten kommen aus den neuen Bundesländern; das hängt auch mit der schwierigen Arbeitsmarktsituation dort zusammen. Afghanen, die im deutschen Camp dienen, erhalten etwa 250 Euro monatlich, immerhin fünfmal soviel, wie dort ein Universitätsprofessor oder ein Arzt im Monat haben.
Die vielgerühmte zivil-militärische "Aufbautruppe" (Cimic) umfaßt kaum mehr als ein Zehntel des deutschen Kontigents: 120 Leute. Ihre Aufbauprojekte werden aus Spenden finanziert. Die meisten Soldaten fristen ein Campdasein. Manche kommen da in der Zeit ihres Auslandeinsatzes nur zweimal heraus - etwa um Fotoschnappschüsse zum späteren Vorzeigen zu machen. Verständlich, daß ihnen der Sinn ihres Einsatzes unklar bleibt - auch dem Militärseelsorger zunächst, der dann aber weiß: "Das Geld, das man im Auslandseinsatz verdienen kann, ist sicher eine interessante Sache."

Dieser Geistliche, der sich, wie er stolz sagt, von einem ehemals engagierten Mitglied der Friedensbewegung zu einem leidenschaftlichen Vertreter der Bundeswehr bekehrte, erlebte einen Höhepunkt seines Einsatzes, als er zwei tote Bundeswehr-Soldaten bei ihrer Überführung nach Deutschland in einer "leeren Transall" "begleitete". Dabei überkam ihn "das Gefühl der Dankbarkeit für das eigne Leben". So hatte dieser Soldatentod auch seine gute Seite. Doch es irritierte ihn, daß "die Politik" bei der Ankunft der Transall keine Ansprache hielt, weil "sie das Ereignis politisch nicht einordnet". Seine Anregung: Angesichts von Bundeswehr-Toten sei darauf hinzuweisen, daß "unsere Friedenspolitik Opfer erfordert" , damit "wir" uns daran gewöhnen: "Es sterben wieder deutsche Soldaten für Deutschland".

Der Minister wird für das nächste Mal gern von seinem Kriegstheologen lernen, so wie in der Geschichte die Könige und Führer sich die Opfertheologie immer zu eigen gemacht haben.

Heft Ossietzky 1/06