Du bist Dein Fußball

in (13.01.2006)

Horst Köhler, der Bundespräsident von Deutschland, hat in seiner wie immer sehr gelungenen Weihnachtsansprache nachdrücklich unterstrichen, daß wir jetzt eine handlungsfähige Regierung haben,

"aus beiden Volksparteien, die bereit sind, gemeinsam anzupacken". Unser Land, so betonte der Herr Bundespräsident, "hat sich auf den Weg gemacht". Unser Ziel ist klar: Jahrzehntelang war Deutschland in Europa an der Spitze. Da wollen wir wieder hin. Also, sprach Horst Köhler am Ende des alten Jahres: "Im kommenden Jahr wollen wir Fußball-Weltmeister werden."

Aber wo läuft der Weg, auf den wir uns da gemacht haben? Horst Köhler hat sich in eine Tradition gestellt, von der er möglicherweise noch nichts weiß: die große Tradition des deutschen Dadaismus.

Der wurde von der damaligen Regierung sehr ernst genommen. Am 7. März 1919 klingelte es bei Wieland Herzfelde, der sich mit seinem Malik Verlag zum Sprachrohr des Dadaismus gemacht hatte. "Sind Sie der Herausgeber?" fragten zwei Polizisten und ein bewaffneter Soldat, die ihm eine Zeitschrift vors Gesicht hielten. Er war`s. Er wurde abtransportiert ins Eden-Hotel, das er überlebte. Mit erhobenen Händen mußte er in einem Zug von Hunderten Gefangenen durch Berlin marschieren nach Plötzensee. Dort hatten sich alle mit dem Gesicht an die Mauer zu stellen. Maschinengewehre wurden aufgestellt. Dann wurde Herzfelde für Wochen in einen von allen Seiten einsehbaren Gefangenenkäfig gesperrt.

Die Zeitschrift aber, die man Herzfelde vorgehalten hatte, ein Satireblatt, das sogleich verboten wurde, hieß Jedermann sein eigener Fußball. Was man in die zupackende Sprache unserer Zeit übertragen könnte: "Du bist Dein Fußball".
Du bist Dein Fußball, das ist die Lösung für all die Probleme, die im großen Reformgeschehen unserer Zeit auf uns eindrängen. Du bist Dein Fußball. Frage nicht, was Dein Land noch gegen Dich tun kann. Tritt dich selbst. Du darfst die Schmutzarbeit nicht der Regierung und den Behörden überlassen. Pack selber an. Wirf Dich selbst aus der Wohnung, wenn Du merkst, daß sie zu teuer für Dich ist. Greif zur Dignitas, wenn die Rente nicht mehr reicht, die Operation sich nicht mehr lohnt.

Du bist Dein Fußball. Tritt Dich selbst. So muß die große Reform gelingen, die über unser Land gekommen ist. So werden wir wieder Weltmeister. Und unser Bundespräsident darf mit uns zufrieden sein.

Ossitzky Heft 1/06