Die Grundtorheit als europäische Norm?

in (20.01.2006)

"Im Namen der gefallenen Genossen" hat der griechische Komponist und Sänger Mikis Theodorakis öffentlich Protest erhoben - dagegen, daß "Opfer mit den Tätern auf eine Stufe gestellt werden sollen,

Kommunisten mit den Nazis". Und er hat gefragt, ob jetzt wieder jener Widerruf aller kommunistischen Ideen verlangt wird, wie ihn einst die Folterer und Henker in Gestapo-Diensten erzwingen wollten.

Gemeint ist ein Vorhaben, das weitreichende politische Folgen haben kann, bisher aber nur wenig kritische Aufmerksamkeit fand: Ende des Monats berät die Parlamentarische Versammlung des Europarats über den Entwurf einer Richtlinie, mit der in allen europäischen Ländern die "Totalitarismus"-Theorie Staatsdoktrin würde. Die kommunistische Geschichte soll in derselben Weise abgeurteilt werden wie die faschistische.

Die Beschlußvorlage lieferten einige konservative und liberale Abgeordnete. Was sie anstreben, ist keineswegs nur eine historisch-politische Abrechnung mit Staatsverbrechen aus der stalinistischen Zeit, sondern eine umfassende, europaweite Kampagne zur Kriminalisierung des Kommunismus insgesamt, und es geht dabei nicht nur um die Vergangenheit.

Eine Sonderkommission der Parlamentarischen Versammlung des Europarats und Komitees in den einzelnen europäischen Staaten sollen bei dieser großangelegten "Säuberung" Regie führen. Verschwinden sollen nicht nur - soweit noch vorhanden - öffentliche Symbole kommunistischer Geschichte, sondern auch "Elemente kommunistischer Ideologie", gedankliche Traditionsbestände.

Geschichtspolitik, das ist offensichtlich, wird hier zum Kampfmittel aktueller gesellschaftspolitischer Auseinandersetzungen. Seit den 1990er Jahren sind in einer Reihe west- und südeuropäischer Länder kommunistische Parteien (oder linke Parteien, in denen Kommunisten mitwirken) wieder stärker geworden, in den sozialen Bewegungen gibt es so etwas wie eine Renaissance kommunistischer Ideale. Dagegen sollen frühzeitig Verbotsschilder aufgestellt werden.

In den postkommunistischen Ländern Ost- und Südosteuropas wird die Unterdrückung kommunistischer Parteien zum Teil schon praktiziert (in Lettland und Litauen), oder kommunistische Aktivitäten werden massiv behindert. Ziel ist hier, einer entschiedenen Opposition gegen die sozialen Folgen der Transformation zum Kapitalismus präventiv die Luft abzuschnüren.

Die antikommunistische Hexenjagd im Zeichen der "Totalitarismus"-Theorie steht allerdings vor einem historischen Dilemma: Der entscheidende Anteil von Kommunisten am Widerstand gegen den Faschismus und an der am Ende erfolgreichen Abwehr hitlerdeutscher militärischer Expansion läßt sich nicht aus den Geschichtsbüchern tilgen. Und wie will eine europaoffizielle Aburteilung kommunistischer Vergangenheit beispielsweise damit fertig werden, daß Frankreichs Präsident Chirac dem kommunistischen Führer der Pariser Resistance alle Ehren zuteil werden ließ und die portugiesische Regierung (mit ihr der jetzige EU-Kommissionsvorsitzende Barroso) für den langjährigen Generalsekretär der KP Portugals ein Staatsbegräbnis veranstaltete? Gar so einfach wird es also nicht sein, in ganz Europa die Kommunisten von Staats wegen zu historischen Schurken zu erklären.

Der Antikommunismus, so sagte Thomas Mann unter dem Eindruck des Kampfes gegen den Faschismus, sei die Grundtorheit der Epoche. Das war bei ihm kein Bekenntnis zum Kommunismus, sondern eine Warnung vor der falschen und gefährlichen Gleichsetzung "Rot gleich Braun" und deren innerer Dynamik: Wenn Kommunismus und Faschismus von gleicher gesellschaftsgeschichtlicher Natur sind, dann scheint es womöglich angebracht zu sein, auf Braun zu setzen, um Rot zu schlagen, wie 1933 geschehen!

Es sollte allen Demokraten angelegen sein, sich einem verordneten Antikommunismus zu verweigern.