Opium für das Volk

Eine völlig unglaubwürdige Story, ein ganz mieser Film! Halbwegs intelligente Menschen wären sich da schnell einig wenn es sich denn um einen Film handelte: Zwölf Mohammed-Darstellungen ...

... mäßig begabter dänischer Karikaturisten lösen gewalttätige Revolten in diversen islamisch geprägten Ländern aus; das weltpolitisch bedeutungslose Ursprungsland der Provokation wird für die AnhängerInnen des Propheten zum Zentrum des Bösen in der Welt; aber auch der Westen insgesamt gerät unter Anklage; Scharfmacher beider Seiten gießen Öl ins Feuer; besonnene PolitikerInnen und dem Multikulturalismus verpflichtete Intellektuelle mahnen zur Mäßigung, während die "vierte Gewalt", die Bewusstseinsindustrie, die Eskalation für unausweichlich erklärt.

Auch Linke mischen mit beim Malen von Horrorszenarien: "Wer will denn da seine Leitkultur zum Maßstab aller Dinge machen und sie weltweit notfalls mit Gewalt durchsetzen, während er für sich beständig die Opferrhetorik in Anspruch nimmt?" fragt Ivo Bozic in der Jungle World (8.2.06). An gleicher Stelle hält Georg Seeßlen es für "vorstellbar, dass eine Karikatur in einer europäischen Provinz einen Weltkrieg auslöst."

Statt der Bild-Zeitung in Sachen Alarmismus Konkurrenz zu machen, gilt es vielmehr die Motive derer zu analysieren, die im Nahen Osten, in Afghanistan, dem Iran, Indonesien und anderswo randalierend auf die Straßen gehen. Offensichtlich handelt es sich um ein Gemisch von Emotionen, Gefühle der Demütigung durch den "arroganten" Westen und seine ebenso bedrohlich wie verlockend erscheinende Wirtschafts- und Militärmacht. Dass gerade für die im Elend lebenden Massen der "Hauptfeind im eigenen Land" steht, wird durch die Mobilisierung im Namen des Glaubens überdeckt. Reaktionäre Regimes schüren den religiösen Zorn, um von ihrer eigenen Verantwortung für Korruption, Massenarmut und Repression abzulenken.

Die nächste Eskalationsstufe im Karikaturenstreit wird derzeit im Iran vorbereitet nicht mit Raketen, sondern mit dem Zeichenstift: Präsident Ahmadinedschad, der antisemitische Hetzer, hat einen Wettbewerb der Holocaust-Karikaturen ausgerufen. Aus welchen Quellen die Zeichner dabei schöpfen werden, liegt auf der Hand. Verglichen damit erscheinen die dänischen Karikaturen als Lappalien, zumindest den "Ungläubigen" in Europa. Die Zeichnung mit Mohammed, der eine Gruppe Selbstmordattentäter am Himmelstor mit den Worten empfängt "Hört auf damit, wir haben keine Jungfrauen mehr!", mag für einige auf den ersten Blick ganz lustig sein. Aber sie reproduziert auch eine spezielle und sehr beschränkte Auslegung des Islam. Diesem insgesamt Mordlust anzudichten, wäre genau so verfehlt, als würde man einen christlichen Pazifisten als Massenmörder beschimpfen wegen der Kreuzzüge und der Hexenverbrennungen.

Was hilft? Der Spiegel (6.2.06) wünscht sich in seiner Titelgeschichte "Der Heilige Hass" einen muslimischen Martin Luther; andere beklagen das Ausbleiben nicht der Reformation, sondern der Aufklärung in den islamischen Ländern. Doch der Beitrag der Aufklärung zur friedlichen Koexistenz der Religionen und Kulturen ist zwiespältig. So hasste Voltaire nicht nur die Juden, er war auch ein erklärter Feind des "Mörders und Wollüstlings" Mohammed. Lessing dagegen ließ 1779 den weisen Nathan mit seiner Ringparabel zu religiöser und weltanschaulicher Toleranz aufrufen. Ins europäische Alltagsbewusstsein eingegangen und zur Richtschnur der Regierungspolitik geworden ist die Botschaft auch mehr als 200 Jahre später nicht. Siehe den Terrorismus-Generalverdacht, dem sich Muslime seit dem 11. September 2001 ausgesetzt sehen; Oriana Fallacis anti-islamische Hetzschrift, die in ganz Europa zum Bestseller wurde; den diskriminierenden "Muslim-Fragebogen" der baden-württembergischen Christenpartei.

Man kann diesen dumpfen bis offen hetzerischen Anti-Islamismus als eine Spielart des Rassismus bekämpfen, ohne die Religion zu verteidigen. Religion ist "Opium des Volkes", sagte ein großer Denker des 19. Jahrhunderts. Damit ist sie wie jedes andere von Menschen konsumierte Rauschmittel Privatsache, die den Staat nichts angeht. Diese schlichte Erkenntnis hat sich auch im christlichen Europa noch längst nicht durchgesetzt.

aus: ak - analyse & kritik - Zeitung für linke Debatte und Praxis/Nr. 503/17.2.2006