Linksfusion mit Hindernissen

Die Euphorie war groß. Nach dem Achtungserfolg der WASG bei der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen im Mai 2005 und dem Übertritt des früheren SPD-Vorsitzenden Lafontaine strömten der im Protest g

Die Euphorie war groß. Nach dem Achtungserfolg der "Wahlalternative Arbeit und soziale Gerechtigkeit" (WASG) bei der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen im Mai 2005 und dem Übertritt des früheren SPD-Vorsitzenden Oskar Lafontaine strömten der im Protest gegen die Hartz-Reformen entstandenen Partei tausende neuer Mitglieder zu. Angesichts der von Gerhard Schröder überstürzt angesetzten Neuwahlen zum Bundestag schmiedeten WASG und PDS eine Wahlallianz, in der viele die "historische Chance" sahen, erstmals eine Formation links von der SPD im bundesdeutschen Parteiensystem zu etablieren.1 Gekrönt wurde dieser Sommer des Aufbruchs schließlich durch das Ergebnis der Bundestagswahl im September, bei der "Die Linke" 8,7 Prozent der abgegebenen Stimmen sowie 54 Mandate erringen konnte und damit auf Anhieb stärker wurde als die Grünen.

Ein gutes halbes Jahr später ist die Euphorie verflogen. Im März gelang es der WASG bei den Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland- Pfalz nicht, die Fünf-Prozent-Hürde zu überwinden. Mit 3,1 bzw. 2,5 Prozent der Stimmen scheiterte die Partei auf dem Niveau der NRW-Wahl, was jedoch inzwischen - gerade angesichts der großen Koalition im Bund - keinen Achtungserfolg mehr darstellt, sondern Stagnation bedeutet. In Sachsen-Anhalt schließlich konnte die Linkspartei. PDS zwar zulegen und sich als zweitstärkste Partei behaupten, wird aber an der Machtkonstellation auf absehbare Zeit nichts ändern können.

Inzwischen scheint den Verantwortlichen zu dämmern, dass auch das gute Bundestagswahlergebnis vom Herbst einer einmalig günstigen Situation geschuldet war, denn wer im September "Die Linke" wählte, stimmte sowohl gegen Schwarz-Gelb als auch gegen die Schröder-Hartz-IV-SPD - eine Traum- Konstellation, die es so kaum wieder geben dürfte.

Das bedeutet, dass die in Entstehung begriffene Partei umso mehr ihr eigenes Profil schärfen und ein inhaltliches Angebot ausarbeiten muss, will sie sich auf Dauer im bundesdeutschen Parteiensystem etablieren. Dem steht entgegen, dass in und zwischen den beiden Parteien ein erbitterter Streit über die für Mitte 2007 vereinbarte Vereinigung entbrannt ist, der das gemeinsame Projekt an den Rand des Scheiterns zu bringen droht. Gleich mehrere WASGLandesverbände kritisieren den Zeitplan der Fusion, und etliche Mitglieder lehnen einen Zusammenschluss mit der Linkspartei.PDS grundsätzlich ab. Mit der WASG in Berlin und in Mecklenburg- Vorpommern haben sich zwei Landesverbände sogar entschieden, bei den am 17. September in beiden Ländern anstehenden Wahlen gegen die Linkspartei.PDS anzutreten.

Auch die vom Bundesvorstand im März zum Zweck der Klarstellung angesetzte Urabstimmung der WASGMitglieder, bei der sich 78,3 Prozent für und 19,4 Prozent gegen die Fusion aussprachen, ließ die Kritik trotz des eindeutigen Votums nicht abreißen. Denn auch die Minderheit reklamierte - in abenteuerlicher Art und Weise - das Ergebnis als Bestätigung ihrer Position, indem sie errechnete, dass bei einer Wahlbeteiligung von 57 Prozent keine absolute Mehrheit der Mitglieder zugestimmt habe.2

Der Widerstand gegen die Fusion kommt innerhalb der WASG insbesondere aus den ostdeutschen Landesverbänden. Das hat für die dort organisierten Mitglieder ganz handfeste Gründe: Wer in Ostdeutschland mit der PDS zusammengehen möchte, der hätte es sich leichter machen und gleich dort eintreten können. Mehr noch: Einige WASGWortführer sind selbst ehemalige Mitglieder der PDS - und entsprechend wenig geneigt, auf diesem Wege wieder in die Partei zurückzukehren, die sie durch eine bewusste Entscheidung gerade erst verlassen haben.

Vor allem aber sind die Größenverhältnisse der beiden Formationen im Osten der Republik kaum kompatibel. In den jeweiligen Landesverbänden stehen wenige hundert WASGler etlichen tausend PDSlern gegenüber. Wie soll man unter diesen Bedingungen "auf Augenhöhe" miteinander verhandeln? Tatsächlich scheint bei diesen Größenordnungen eine echte Fusion kaum realistisch; vielmehr handelt es sich eher um einen Beitritt der WASGMitglieder zur Linkspartei.PDS.

Umgekehrt stellt sich die Situation in Westdeutschland dar. Hier hat die von fränkischen Gewerkschaftern gegründete WASG über 10000 Mitglieder, die Linkspartei.PDS wenige tausend. Dementsprechend sind auch die bisherigen Wahlergebnisse der WASG rund drei Mal so hoch wie diejenigen der PDS, deren "Westaufbau" längst als gescheitert anzusehen ist. Während die WASG hier auf eine reale gesellschaftliche, wenn auch immer noch marginale, Verankerung verweisen kann, ist es der PDS trotz großem Aufwand nur an wenigen Orten gelungen, funktionsfähige Gruppen aufzubauen, die über politische Ausstrahlungskraft verfügen. Immerhin gibt es jedoch im Westen, wie zuletzt die relativ erfolgreichen Kommunalwahlen in Hessen gezeigt haben, anders als im Osten etliche Regionen, für die man sinnvoll von einer Fusion beider Parteien sprechen kann. Die tatsächliche Vereinigung an der Basis wird daher im Westen stattfinden.

Dass die Fusion auf die eine oder andere Art und Weise zustande kommen wird, steht außer Frage, stellt sie doch für beide Parteien gleichermaßen eine Notwendigkeit dar - bei Strafe ihres (zumindest bundespolitischen) Untergangs. Die Frage lautet deshalb nicht, ob sie stattfindet, sondern wie sie gestaltet wird - und wer letztlich, auch jenseits der jetzigen Parteimitglieder, bereit sein wird, sich in der neuen Partei zu engagieren.
Regieren oder nicht regieren?

In diesem Kontext gewinnt die Debatte um die strategische und inhaltliche Ausrichtung der Partei ihre eigentliche Brisanz. Kern des aktuellen Streits ist weniger das konkrete politische Angebot der Akteure als vielmehr die Frage, ob die Partei sich an Regierungen beteiligen soll. Während sich die PDS schon lange auf dem Weg der "Mitgestaltung" befindet, dominiert in der WASG bislang die "Alternative Opposition",3 auch wenn die Konfliktlinien in dieser Frage nicht nur zwischen den, sondern auch innerhalb der beiden Parteien verlaufen. Es ist jedenfalls keineswegs ein Zufall, dass sich der aktuelle Streit gerade an der Regierungsbeteiligung der Linkspartei.PDS in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern entzündet. In beiden Ländern bildeten sich Koalitionen aus SPD und PDS unter sehr schwierigen Bedingungen: Es gibt faktisch keine finanzpolitischen Spielräume und nichts zu verteilen - die Landesregierungen sind beinahe Konkursverwalter. Diese Ausgangslage mag auch ein Grund dafür gewesen sein, dass die SPD ihre linke Konkurrenz überhaupt an der Regierung beteiligte. Linke Profilierung fällt unter diesen Bedingungen jedenfalls extrem schwer. Zu schwer?

Gerade am "rot-roten" Berliner Senat scheiden sich die Geister. Während die Linkspartei.PDS wortreich ihre politischen Erfolge als Regierungspartei feiert, kritisiert die lokale WASG deren Politik in drastischen Worten. Bei nüchterner Analyse erweist sich diese Gegenüberstellung jedoch als ausgesprochen unproduktiv - und als zentrales strategisches Dilemma im Parteibildungsprozess.

Zum einen besaß die PDS im Jahr 2001 keine wirkliche Alternative zur Beteiligung an der Landesregierung. Die langjährige große Koalition, die Berlin - auch durch den Bankenskandal - direkt ins finanzpolitische Chaos gestürzt hatte, war gerade erst geplatzt. In dieser Situation hätte die Partei ihren Wählerinnen und Wählern schwerlich erklären können, dass man die so grandios gescheiterte große Koalition "weiter so" machen lassen wolle.

Andererseits sind die unter diesen Bedingungen erzielbaren Erfolge, zumal gemessen an den eigenen Ansprüchen, so gering, dass bereits die zumeist aufgeworfene Frage, ob das Glas "halb voll oder halb leer" sei, falsch gestellt scheint - denn es ist ohnehin nur ein Schluck Wasser darin. Trotzdem behauptet die Linkspartei mit Blick auf den anstehenden Wahlkampf keck, dass das Glas eben doch halb voll sei.

Während sich die Linkspartei.PDS also ihre Erfolge schönredet, leugnet die WASG umgekehrt jedweden "realpolitischen" Einfluss der mitregierenden Partei und behauptet nicht minder keck, dass das Glas vollständig leer und die PDS folglich eine "neoliberale" Partei sei. Diese Darstellung spiegelt einen geradezu klassischen Fehler des Linksradikalismus wider, nämlich den Drang, die gesellschaftlichen Verhältnisse (und ihre Repräsentanten) schlimmer zu malen, als sie real sind - als wären sie nicht bereits so, wie sie sind, kritikwürdig genug.

Darüber hinaus bleibt auch das jüngste Bestreben, "Minimalbedingungen für Regierungsbeteiligungen auf Landesebene" zu formulieren, ein Holzweg. 4 Abgesehen davon, dass solche Bedingungen formuliert werden, um von vornherein jedwede Zusammenarbeit auszuschließen, ist das Ansinnen, eine "Linie" verbindlich festzulegen, kontraproduktiv. Jede Partei muss sich den politischen Bedingungen konkret stellen und ihre Politik immer wieder am Einzelfall begründen (können). Diese Offenheit - wie handelt man unter welchen Bedingungen am Besten - a priori auszuschließen, macht schlicht dumm, denn ein solches Vorgehen verlangt Gefolgschaft, wo Nachdenken und Argumentieren angezeigt sind.

Diese Aussage bedeutet umgekehrt nicht, dass Inhalte beliebig wären. Im Gegenteil, politische Leitlinien sind die Grundlage politischen Handelns. Will sich "Die Linke" nicht von ihnen verabschieden, dürfen Konflikte nicht gescheut und müssen Kompromisse immer auch als solche kommuniziert werden. Und auch das Ende einer Regierungsbeteiligung bedeutet nicht das Ende politischer Einflussnahme.

Das Berliner Beispiel illustriert insofern, gerade angesichts der Zuspitzung des Streits im Vorfeld des WASGBundesparteitages Ende April,5 die Gefahren, die dem gemeinsamen Parteiprojekt wie auch seinen beiden ungleichen Teilen durch den Konflikt drohen.

Die Bedeutung der Auseinandersetzung über die Strategie lässt sich allerdings nicht am regionalen Kontext festmachen, da es um die generelle strategische Ausrichtung der neuen Partei geht. Dabei ist die für die Durchsetzung der eigenen politischen Inhalte scheinbar zentrale strategische Frage - Eintritt in Koalitionsregierungen versus Oppositions- bzw. Protestpartei - durch ein schlichtes Entweder-oder nicht zu beantworten. Denn eine nüchterne Betrachtung zeigt, dass beide Varianten ihre Vor- und Nachteile haben - auch wenn die in ihren Schützengräben eingegrabenen Akteure dies mitunter nicht wahrnehmen wollen.
Sowohl-als-auch statt Entweder-oder

So hat die Realo-Strategie den Vorzug, dass man, sofern es zur Regierungsbeteiligung kommt, konkret Einfluss auf die Ausgestaltung der Politik nehmen kann. Auch wenn die Erfolge nicht immer groß erscheinen mögen, macht es keinen Sinn, sie in Gänze abzustreiten. Darüber hinaus bieten sich durch eine solche Strategie erweiterte Optionen für die parlamentarische Regierungsbildung, und das Spektrum möglicher Koalitionen rückt objektiv nach links.

Gleichzeitig birgt eine Realo-Strategie auch unübersehbare Nachteile, insbesondere die Gefahr, dass die eigenen Ziele durch die Kluft zwischen politischem Anspruch und harter Wirklichkeit sukzessive "kleingearbeitet" werden. Regierungsparteien und -personal haben sich noch immer "logisch gezwungen" (Rosa Luxemburg), die eigenen Handlungsspielräume zu überschätzen und die Erfolge zu übertreiben - ein Prozess, wie er an der Entwicklung der Grünen exemplarisch nachgezeichnet werden kann. Zudem lässt sich der Ausstieg aus einer Regierung politisch schwerlich durchsetzen - auch aufgrund der lieb gewonnenen Posten und Pöstchen.

Die Vorzüge einer Profilierung als Oppositionspartei liegen insofern auf der Hand: Man muss sich nicht auf die Winkelzüge der Etablierten einlassen und kann stattdessen dem gesellschaftlichen Protest eine parlamentarische Stimme verleihen. Man muss nicht in den vielstimmigen Chor des Sachzwangs einstimmen, den die anderen Parteien singen, kann sich inhaltlich klar positionieren und unterliegt weniger der Gefahr, in den politischen Mainstream zu diffundieren.

Andererseits hat auch eine bloße Protestpartei eindeutige Nachteile. Zunächst bedeutet eine Festlegung auf die Oppositionsrolle, dass die Regierungsbildung objektiv nach rechts rückt. Darüber hinaus unterliegt man der Gefahr, sich nicht auf die gesellschaftsimmanenten Auseinandersetzungen einzulassen, weil man politische Taktik tendenziell ausschließt. Dadurch wiederum wächst die Gefahr einer ideologischen Verfestigung, die nur mit dem Allgemeinen, vermeintlich Notwendigen argumentiert, nicht aber mit dem Konkreten und Möglichen.

Trotz der Dilemmata und Widrigkeiten haben Linkspartei.PDS und WASG derzeit allerdings einen Grund, ihrer Vereinigung gelassen entgegenzusehen - nämlich die strategischen Fehler ihrer Konkurrenz. Wenn SPD-Generalsekretär Hubertus Heil am Wahlabend des 26. März eine Zusammenarbeit auf Bundesebene "auf alle Zeiten" ausschließt, dann ist das nicht nur politisch dumm, sondern verschafft der Linken zugleich die erforderliche Zeit, die sie für den Fusionsprozess benötigt. Während also Gerhard Schröder mit seiner überraschenden Neuwahl-Entscheidung zum Geburtshelfer der neuen Linkspartei wurde, könnte die neue Führung unter Kurt Beck zu ihrem Babysitter avancieren.

Man gebe sich dabei jedoch keinen Illusionen hin: Die Frage, ob und unter welchen Bedingungen die neue Partei zur Zusammenarbeit mit anderen Parteien bereit sein will, ist damit nur aufgeschoben. Entscheidend wird es dabei darauf ankommen, ob es der neuen Partei gelingt, die Alternative "Koalition oder Opposition" nicht als Prinzipienangelegenheit, sondern als jeweils konkret am Einzelfall zu diskutierende, taktische Frage zu behandeln.

1 Vgl. Albert Scharenberg, Linker Aufbruch? In: "Blätter" 8/2005, S. 903-906.
2 Allerdings kopierte die Minderheit hier das Vorgehen des Bundesvorstands, der zuvor mit Blick auf das (extrem knappe) Abstimmungsergebnis über den eigenständigen Wahlantritt der Berliner WASG ähnlich argumentiert hatte.
3 Detlef Hensche, Alternative Opposition, in: "Blätter" 11/2005, S. 1331-1333.
4 Vgl. den u.a. von Sahra Wagenknecht, Tobias Pflüger sowie acht Bundestagsabgeordneten unterzeichneten Aufruf unter www.antikapitalistische- linke.de.
5 Vgl. "Neues Deutschland", 7.4.2006.

Blätter für deutsche und internationale Politik © 2006
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