Volksgruppenpolitik und europäische Identitäten

Die Paneuropa-Union arbeitet an einem "Europa der Volksgruppen"

in (01.02.2004)

Wenn die tschechische Republik 2004 Mitglied der EU wird, sorgt ein außenpolitischer Streitpunkt für weitere, diesmal EU-interne Auseinandersetzungen.

Die "Beneš-Dekrete", die die rechtliche Grundlage für die Umsiedlung der Sudetendeutschen aus Tschechien darstellen, werden von konservativen und längst auch linksliberalen deutschen PolitikerInnen fortwährend entkontextualisiert und als ungerecht bzw. verbrecherisch bezeichnet oder gar mehr oder weniger explizit in relativierender Weise in die Nähe zum Holocaust gerückt. Die geplante Errichtung eines "Zentrums gegen Vertreibungen" in Berlin zielt ebenfalls auf die Verwischung historischer Zusammenhänge. Wenn auch die SPD im Gegensatz zur CDU/CSU die Rücknahme der "Dekrete" nicht zur Voraussetzung für den EU-Beitritt Tschechiens machte, betonte Bundeskanzler Gerhard Schröder in seiner Festrede zum "Tag der Heimat 2000" dennoch: "Vertreibung, daran kann es keinen Zweifel geben, ist stets ein Unrecht."

Kritische Stimmen aus dem linken Lager warnen jedoch, diese den Positionen von - neuerdings auch außerhalb der CDU/CSU ernst genommenen - Vertriebenenverbänden nahe stehende Auffassung ziele darauf ab, die Rechtmäßigkeit aller die Umsiedlungen betreffenden Beschlüsse der Potsdamer Konferenz und mithin alle ihre Ergebnisse in Frage zu stellen. Schließlich stehen die Regelungen des Potsdamer Abkommens vom August 1945, in dem sich die Alliierten auf eine Nachkriegsordnung für das besiegte Deutschland verständigt hatten, den Rückerstattungs- und Entschädigungsforderungen der Umgesiedelten und deren Nachkommen bzw. deren Verbänden im Wege. Vorangetrieben wird die Revidierung von Funktionären wie Bernd Posselt, dem Vorsitzenden der Sudetendeutschen Landsmannschaft (SL), der gleichzeitig Bundesvorsitzender der "Paneuropa-Union" ist. Diese strebt seit 1923 ein geeintes Gesamteuropa in der Tradition der Kaiserreiche unter deutscher Führung an und ist europaweit aktiv. Zu den politischen Zielen der Paneuropa-Union gehört das europäische "Volksgruppenrecht", welches unter anderem nationale zugunsten völkisch-identitärer Vorstellungen entwertet, um etwa "Sudetendeutschen" in der Tschechischen Republik Sonderrechte zu verschaffen.

Eine wichtige Ebene der politischen Aktivitäten der Paneuropa-Union bildet das Europaparlament, das sich ebenfalls gegen die "Beneš-Dekrete" aussprach.
Etwa 80 Europaabgeordnete, viele davon aus Deutschland, fühlen sich der Paneuropa-Union verbunden. Unlängst forderte der Präsident des bayerischen Landtags, dass Sudetendeutsche ein Anrecht sowohl auf einen deutschen als auch auf einen tschechischen Pass haben sollten. Gepaart mit weiteichenden, auf Europaebene durchgesetzten "Minderheitenrechten" ließen sich so auch "deutsche Interessen" in tschechischen Parlamenten vertreten. Die Sudetendeutsche Landsmannschaft eröffnete dieses Jahr eine so genannte "Botschaft" in Prag - gegen den heftigen Protest der tschechischen Regierung.

Den denkbaren Vorzügen eines integrierten postnationalen Europa zu den bisherigensouveränen Nationalstaaten steht ein Revival des Volkstumsdenkens entgegen. Im Sinne der Paneuropa-Bewegung wären "Deutsche" in einem Volksgruppen-Europa ein nicht zu unterschätzender Faktor - nicht zuletzt auch in den nationalen Parlamenten, in denen Deutsche dank speziellen Volksgruppenrechten oder doppelter Staatsbürgerschaft erhebliches Mitspracherecht hätten - also nicht nur über europäische Institutionen, sondern auch an deren "Basis".

Aus dem "Europa der Vaterländer" würde ein Europa der Volksgruppen - wodurch das postmoderne Staatengefüge auch anschlussfähig für Rassenideologien werden könnte. Europäische Minderheiten- und Identitätspolitik könnte sich als Türöffner für Propagandisten "sudetendeutscher", "deutsch-ostbelgischer" oder auch deutsch-österreichisch-südtiroler Identitäten entpuppen.

Harald Pittel
ist Mitglied im Vorstand des bundesweiten studentischen Dachverbands "Freier Zusammenschluss der Studierendenschaften" (fzs).
Weitere Informationen und Hintergrundberichte zum Thema unter www.german-foreign-policy.com.

- Dieser Text erschien in der Ausgabe 1/2004 der "Zündstoff" (Regionalausgabe der Tendenz für Rheinland-Pfalz& Hessen)