Privatisierung macht krank

Ein Kommentar zur Gesundheitsreform im Rahmen der Agenda 2010

in (01.02.2004)

Bei der anstehenden Gesundheitsreform geht es auch um das Gesundheitswesen. Vor allem aber geht es ums Geld. Mit dem Argument der "Kostenexplosion" wird der Ausstieg aus der paritätisch finanzierten Gesundheitsversorgung und die Abschiebung des Krankheitsrisikos auf den Versicherten als unausweichlich dargestellt.

Nutzlose Arzneimittel dürfen uneingeschränkt weiter verordnet (keine Positivliste), überteuerte Scheininnovationen durch das geplante Qualitätsinstitut nicht abqualifiziert werden (Verbot der Kosten-Nutzen-Bewertung). Kassenfusion - kein Thema mehr. Dafür happige Zuzahlungen, Praxisgebühr, separate Krankengeld- und Zahnersatzversicherung, Streichung und Kürzung von Leistungen. Den Löwenanteil des Milliarden-Sparpakets werden also die Sozialversicherten zahlen müssen, die Arbeitgeber hingegen werden erheblich entlastet. Das ist die kurze und für alle verständliche Bilanz der "Jahrhundertreform".
Konsequent an dieser großkoalitionären Sanierungsmaßnahme ist nur eines: Der Bruch mit einem sozialpolitischen Konsens. Wie zuvor bei der rot-grünen "Reform" der Rentenversicherung wird das Krankenversicherungssystem nach neoliberalem Muster radikal umgestaltet, kommt es zu einer gewaltigen Umverteilung von unten nach oben.
Eine Privatisierung des Gesundheitssystems trifft nicht nur Alte, chronisch Kranke und arme Menschen sondern wird auch für Bezieher mittlerer Einkommen schmerzhaft. Nunmehr wird Krankheit oder gar Sterben für viele auch zu einer finanziellen Bedrohung: sie zahlen nicht weniger für die Krankenversicherung und haben dann auch noch weniger Leistung. Eingespart wird nach den Plänen von Ministerin Schmidt und ihren Konsenspartnern in Wirklichkeit nichts. Denn die als "Kostendämpfungsmaßnahmen" bezeichneten Leistungseinschnitte senken in der Regel nicht die Gesamtkosten, sondern nur die von der Kasse zu tragenden Kostenanteile. Um eine an den Bedürfnissen der Menschen orientierte Gesundheitsversorgung zu garantieren und die sozial bedingte Ungleichheit von Gesundheitschancen abzubauen, ist ein am Prinzip der Solidarität orientiertes Gesundheitssystem unabdingbar. Allen Menschen muss unabhängig von ihrem Einkommen, ihrem Alter oder Gesundheitszustand in gleicher Weise geholfen werden.

Eine solche solidarische Gesundheitssicherung ist durchaus möglich und bezahlbar. Warum nicht die enormen Profite von Pharmakonzernen und anderen privaten Profiteuren im Geschäft mit Krankheit bzw. Gesundheit abschöpfen und damit die Kosten des Gesundheitssystems sinnvoll reduzieren?
Das größte Finanzierungsproblem der gesetzlichen Kassen ist jedoch die Schrumpfung ihrer Beitragsbasis auf Grund von Massenarbeitslosigkeit und niedrigen Tarifabschlüssen während gleichzeitig die Besserverdienenden in die Privatversicherungen, die am Risikostrukturausgleich nicht beteiligt sind, abwandern. Hier müssten ernstzunehmende Reformen ansetzen, um vor allem die Einnahmenseite zu stärken! Alternativkonzepte liegen schon lange auf dem Tisch: eine gesetzliche Versicherung für alle, Abschaffung der rational nicht begründbaren Beitragsbemessungs- und Versicherungspflichtgrenzen, Ausdehnung
der Beitragspflicht auf alle Einkommensarten sind nur einige Stichworte. Und wenn man schon so weit gegangen ist, wäre der Schritt zu einer frei zugänglichen Gesundheitsversorgung als Teil einer steuerfinanzierten Sozialen Grundsicherung auch noch zu schaffen. Man müsste nur wollen.

- Dieser Text erschien in der Ausgabe 1/2004 der "Zündstoff" (Regionalausgabe der Tendenz für Rheinland-Pfalz& Hessen)