Für eine dritte Stimme

Nahost - Schlachtfeld des Bösen (Teil 2)

Überall im Nahen Osten hört man die Stimme des Bösen: die USA, Israel und andere kapitalistische Großmächte auf der einen Seite, die Islamisten auf der anderen Seite.
Die einen intervenieren mit allen Mitteln ihrer Dominanz und mit brutaler kapitalistischer Ausbeutung. Die anderen nutzen die schlechte Lebenssituation der Bevölkerung, um ihre reaktionäre Macht zu etablieren (so der Iran).

Gibt es bei dieser strategischen Gemengelage auch Chancen für einen menschlichen, linken Ausweg aus dieser Hölle? Gibt es eine Chance für die Bevölkerung im Nahen Osten, sich zu befreien von ihren korrupten, kapitalistischen Regierungen? Eine Chance, die weder die USA noch die Islamisten stärkt?

Das wäre ein echter Schritt zur Emanzipation, keine Befreiung aus dem einen Loch, während sich das nächste bereits auftut. Das würde bedeuten, dass Folgen wie die der iranischen Revolution 1979 vermieden würden. Es wäre auch eine Möglichkeit, den Abgrund des Hasses zwischen Palästinensern und Juden zu überbrücken.
Das hieße, die Bevölkerung aus der absoluten Armut herauszuführen und ihr so ihre Würde wieder zu geben. Es hieße auch auf eigenen Beinen zu stehen und in allen Lebensbereichen für sich selbst zu entscheiden, ohne Beeinflussung oder Nötigung durch innere despotische oder äußere imperialistische Herrschaft.

Diese Möglichkeit besteht, wenn man sich vollständig lossagt von den Machenschaften der beiden Kontrahenten: USA/Israel und die anderen kapitalistischen Großmächte auf der einen Seite, die Islamisten auf der anderen Seite. Eine dritte unabhängige Stimme wäre denkbar. Ihre Grundlage könnte das Lager der potenziellen Emanzipation, könnten unabhängige soziale Bewegungen sein.

Voraussetzungen für einen Ausweg

Der Hass zwischen Palästinensern und Israelis kann nicht durch politisch-religiöse Gruppen oder Staaten überwunden werden. Die Ansichten von Zionisten und Islamisten sind in dieser Situation eher Gift als Heilmittel. Man kann nicht für Frauenrechte kämpfen und gleichzeitig an der Seite der Islamisten und anderer religiöser Fundamentalisten (Juden und Christen) stehen. Man kann auch nicht von Pressefreiheit und Gleichberechtigung der Menschen sprechen und gleichzeitig mit religiös-politischen Gruppierungen zusammenarbeiten oder die Augen davor verschließen, welche Zustände in einem religiösen Staat herrschen.

Wer von der Arbeiterbewegung spricht, sollte sich von jeder Form kapitalistischer Ausbeutung distanzieren. Wie kann man sich Internationalist nennen, aber vor der brutalen Unterdrückung der Menschen in vielen Ländern die Augen verschließen? Wie kann man vom Selbstbestimmungsrecht der Menschen sprechen und gleichzeitig die imperialistischen Interventionen ignorieren?

Nicht vergessen dürfen wir auch die Frage: Was lehrt uns die Geschichte im Nahen Osten? Die Khomeini-Parole in der iranischen Revolution hieß: "Alle miteinander". Tatsächlich bedeutete das damals das Zusammenwirken aller politischen, religiösen und sozialen Kräfte unter der Führung Khomeinis mit dem einzigen Ziel, den Schah zu stürzen. Es gab keine Möglichkeit für die verschiedenen Schichten der Bevölkerung, ihre tatsächlichen Klasseninteressen wahrzunehmen und eigene Methoden ihrer Befreiung zu finden. Es hätte nicht alles bis zum Sturz des gemeinsamen Feindes offen gelassen werden dürfen. Man muss für seine eigenen Interessen und Ziele einstehen. Sonst ziehen immer die Mächtigen und die Herrscherschichten ihren Nutzen aus der Situation.

Auf keinem Schlachtfeld gibt es, fein säuberlich getrennt, nur ein Lager der Guten und eins der Bösen. In der iranischen Revolution von 1979 fanden sich die reaktionären Feinde der Menschen (Khomeini und seine Islamisten) sowohl in Führungspositionen als auch in der Bevölkerung. Doch muss man deutlich unterscheiden zwischen dem Islam als Religion und dem Islam als politische Strömung. Das ist Voraussetzung für einen menschlichen, linken Ausweg. Diese Trennung braucht konkrete Konzepte wie:

• Säkularisierung der Politik und der politischen Aktivität,

• Abschaffung des Despotismus, Herstellung uneingeschränkter politischer Freiheit,

• Gleichberechtigung, Frauenrechte, Minderheitenrechte,

• Kampf gegen alle neoliberalen wirtschaftlichen Programme,

• Kampf gegen alle Formen der imperialistischen Intervention.

Aktive Teilnahme an der sozialen Bewegung ist der Schlüssel zum Aufbau. Dringend nötig für den Aufbau einer linken, dritten Stimme in Nahost ist außerdem die Hilfe, oder besser die Mitarbeit der antikapitalistischen Bewegungen der Welt. Diese Mitarbeit ist nicht nur wichtig für den Aufbau im Nahen Osten, sie dient auch der Stärkung der internationalen Bewegung. Das Schlachtfeld heute ist der Nahe Osten. So wie die Imperialisten dort an der Seite ihrer Verbündeten wirken, sollten auch wir mit unseren potenziellen Mitkämpfern auf der ganzen Welt und den sozialen Bewegungen im Land zusammenarbeiten. Diese Bewegungen sind aktiv und kämpfen im eigenen Land. Sie haben den Prozess der Trennung bereits vollzogen, das kann man als Grundstein für einen soliden Aufbau betrachten,

Die potenzielle Lage

Basis für einen menschlichen Ausweg und ein Beispiel für eine "andere Politik" sind die sozialen Bewegungen im Iran, die seit Jahren für die Verwirklichung ihrer Ziele kämpfen. Ihr Widerstand, wie auch der anderer sozialer Bewegungen im gesamten Nahen Osten, gilt nicht nur den Folgen der neoliberalen Wirtschaft. Sie kämpfen auch gegen einen religiösen Staat, in dem eine islamistische politische Gruppe die Macht innehat. Iranische Aktivisten und zum Teil auch die Bevölkerung sind durch langjährige leidvolle Erfahrungen gegen die Viren geimpft, die islamische populistische politische Strömungen verbreiten. Das kann man am Beispiel verschiedener aktiver Bewegungen im Land sehen.

Die Frauenbewegung im Iran ist heute so stark, dass sie von niemandem, auch nicht von den Mullahs, ignoriert werden kann. Die Frauen geben nicht auf, trotz brutaler Repression seitens des religiösen Regimes. Laut Gesetz sind Frauen Menschen zweiter Klasse. Im Juni 2006 haben Frauen eine Protestdemonstration für Gleichberechtigung mitten in Teheran organisiert. Obwohl diese Kundgebung von der Polizei brutal aufgelöst wurde, führten die Frauen nur zwei Monate später, im August, eine neue Kampagne durch. Sie sammelten eine Million Unterschriften und forderten Gesetze zur Gleichberechtigung und für Frauenrechte.
Das Jahr 2006 ist auch ein Wendepunkt für die Arbeiterbewegung im Iran. Nur islamische Gruppen, also Staatsanhänger, dürfen Arbeitnehmerorganisationen aufbauen. In diesem Jahr aber haben die Arbeiter des öffentlichen Nahverkehrs der Hauptstadt Teheran nach langem Kampf eine unabhängige Gewerkschaft geschaffen. Die Polizei nahm daraufhin 1500 Aktivisten fest. Einige von ihnen, darunter der Vorsitzende der Gewerkschaft, saßen sechs Monate lang im Gefängnis. Dennoch führten sie ihre Organisation weiter und haben sich sowohl innenpolitisch wie auch international etabliert.

Die Arbeitskämpfe richten sich gegen die Folgen neoliberaler Politik und der Privatisierung. Über 80% der iranischen Arbeiter (nicht die Staatsbeamten) arbeiten mit befristeten Verträgen von ein bis zwei Monaten. Ein weiterer Teil der Erwerbstätigen arbeitet sogar ohne jeden Vertrag. So gibt es heute Arbeitskämpfe in jeder Ecke des Landes.

Die Studentenbewegung ist noch immer einer der wichtigsten Teile des politischen Lebens im Iran. 2,5 Millionen Studierende sind über das gesamte Land verstreut und vernetzen es. Sie bilden die Spitze der Bewegung für soziale Gerechtigkeit und Demokratie. Die Studierenden gehen heute mit sozialistischen Parolen und Bildern von Che Guevara zu den Demonstrationen, trotz des enormen Drucks, dem Linke und Kommunisten ausgesetzt sind. Tausende von Studierenden wurden in den Jahren 1980 bis 1990 im Iran hingerichtet. Selbst diese Tatsache hat die Bewegung nicht zum Stillstand gebracht. Im Gegenteil, sie breitet sich weiter aus.

Die Potenziale der sozialen Bewegung, einschließlich ihrer Minderheiten, sind enorm - so groß, dass selbst die politischen Gegner im "Lager der Bösen" sich ernsthaft überlegen, wie sie diese Kräfte für ihre Interessen ausnutzen können. Das Ergebnis der Kämpfe der sozialen Bewegungen im Iran wird die gesamte politische Szene des Nahen Ostens beeinflussen. So war es auch 1979 nach der iranischen Revolution.

Wenn die säkulare linke soziale Bewegung stärker wird, wird eine Überwindung der Kluft zwischen Arabern und Juden vorstellbar und eine Rettung aus dem Schlachtfeld der Bösen möglich.

Die Rolle der internationalen Bewegung

Wie schon erwähnt sollte die antikapitalistische Bewegung auf der ganzen Welt als Gegnerin der Imperialisten im Nahen Osten intervenieren. Um ihre Ziele zu erreichen, muss sie sich deutlich von allen reaktionären, religiösen politischen Strömungen und deren Regierungen distanzieren. Im Land bereits aktive soziale Bewegungen müssen ihr als Basis dienen. Die politische, spirituelle und auch die materielle Unterstützung der sozialen Bewegungen wie im Iran ist überaus wichtig.

Die soziale Bewegung braucht internationale Medien, um überall gesehen und gehört zu werden. Im Frühling 2006 waren in Täbris Tausende Azeri auf der Straße. Sie demonstrierten für ihre Muttersprache und für andere Rechte. Nichts davon wurde in den europäischen Medien berichtet. Nur wenn man auf europäischen und internationalen Foren über diese vielen Aktionen spricht, werden sie auch wahrgenommen. Diese Art der Unterstützung und des Engagements ist auch für die Vernetzung der Bewegungen in den verschiedenen Ländern des Nahen Ostens hilfreich.

Ein anderer Aspekt ist die finanzielle Unterstützung. Finanzielle Hilfe für Streikkassen, entlassene Aktivisten sowie die Förderung der Beteiligung an internationalen Versammlungen sind überaus wichtig.

Die kapitalistischen Mächte der Welt nutzen jedes Mittel, um ihre globalen Ziele zu erreichen. Wir können und müssen in Zukunft viel effektiver dagegen angehen, unsere Kräfte bündeln und auf Weltebene kämpfen.

Das emanzipatorische Prinzip unseres Kampfes ist der Schlüssel zum Erfolg. Diese Werte dürfen wir nicht verlassen! Unsere emanzipatorischen Ziele gilt es unbedingt festzuhalten, um die tragischen Erfahrungen auf keinen Fall zu wiederholen. Unser Kampf darf niemals aus taktischen Gründen den Weg frei machen für reaktionäre politische und religiöse Strömungen. Sie sind zwar auch gegen die Imperialisten, verfolgen ansonsten aber ihre eigenen Interessen, die nicht mit den Grundsätzen menschlicher Emanzipation übereinstimmen.

Das ist die tragische Lehre aus unserem über 100-jährigen Kampf.

Wir kämpfen gegen die Imperialisten und gegen alle reaktionären Kräfte. So kann man weiter leben.