Bürgerbeteiligung einmal anders

Das Bremer Quartier Tenever

Sind die Kassen der Kommunen erst einmal leer wird der Bürger um Rat gebeten. Jetzt soll der Wähler richten, was die Gewählten mit Hilfe eines mächtigen Verwaltungsapparates angerichtet haben.

Der Bürger darf sich freiwillig engagieren, seine Ideen und Vorschläge in Bürgerforen  einbringen (ein Beispiel unter vielen: Bürgerforum Bremen) oder auch etwas zum Haushalt sagen (wie in Hamburg: www.hamburg-haushalt.de). Entscheidungsmacht bekommt er dadurch nicht.

So wird dem Bürger Beteiligung angeboten, die letztlich wenig verbindlich ist und nach  Ansicht Roland Roths, Professor für Politikwissenschaft an der Hochschule Magdeburg-Stendal und Experte auf dem Gebiet Bürgerorientierung und Bürgerengagement, Gefahren in sich birgt, die von Seiten des Staates zu bedenken sind: „Gerade angesichts der aktuellen kommunalen Finanzschwäche gerät die Ausweitung der Bürgerbeteiligung [zudem] in Gefahr, als Demokratisierung der Ohnmacht und als Teil eines Akzeptanzmanagements für das Unvermeidliche erlebt zu werden.“




Es geht auch anders.




Aufgrund dessen nun aber wie ein Berserker mit dem Hammer auf all die gut gemeinten Beteiligungsprojekte in Deutschland einzuschlagen, wäre unklug und ungerecht zugleich. Denn man kann es schon als Fortschritt werten, wenn Kommunen ihre Bürger nach Ideen fragen und die weit reichenden Kompetenzen ihrer Bewohner nutzen wollen. Die Richtung stimmt also. Bleibt nur die Frage, mit welcher Vehemenz Politik und Verwaltung die Bürger beteiligen und ihnen Rechte einräumen? Denn die Formen demokratischer Mitbestimmung variieren von Bundesland zu Bundesland, von Kommune zu Kommune.

Der politische Wille entscheidet über ein mehr oder weniger an Beteiligung: Und so findet man etwa in Bremen zehn basisdemokratisch organisierte Quartiere, die deutschlandweit einzigartig sind und Bürgerbeteiligung einmal anders begreifen.     



Bremen ist das kleinste Bundesland der BRD und somit schon etwas besonderes. Als Stadtstaat mit rund 700.000 Einwohnern rühmt es sich einer Politik der kurzen Wege. Und das nicht ohne Grund: Wie bürgernah und effizient Politik in Bremen aussehen kann beweisen zehn sozial benachteiligte Quartiere, in denen basisdemokratisch Entscheidungen getroffen und unbürokratisch umgesetzt werden. Das Vorzeigequartier mit der größten Außenwirkung ist Tenever. Experten aus aller Welt reisen in das kleine Quartier am Rande Bremens um neue Beteiligungsformen in der Praxis arbeiten zu sehen. Und das was sie sehen, lässt sie staunen. Denn hier wird Demokratie lebendig.




Ohne die Bewohner wäre alles nichts!




Die Bewohnerschaft Tenevers setzt sich mit großem Engagement für ihre Interessen ein und hat in den vergangenen Jahren viel erreicht: So wurde beispielsweise mit reger Beteiligung von Kindern und Jugendlichen ein Kinderbauernhof innerhalb weniger Jahre geplant und schließlich im Jahre 2002 errichtet.  Auch die Internationalen Gärten, die heute beliebte Oasen in der Großstadtwüste sind, wären ohne das Engagement der Bürger undenkbar gewesen. Undenkbar auch die Recyclingbörse oder die Interkulturelle Werkstatt. Beides gelungene Projekte, von Bewohnern ins Leben gerufen und von Politik und Verwaltung ideell und materiell gefördert. Alles in allem sind so - zwischen 1998 und 2006 - rund 300 Projekte  in der Stadtteilgruppe Tenever, dem lokalen Forum des Quartiers, abgesegnet worden. Und immer mit dabei: die Bürger.  




In Tenever stehen die Bürger im Mittelpunkt
 



„Die Menschen sind hier sehr engagiert und man spürt die Kraft – der Stadtteil lebt.“ Jens Böhrnsen, Bremens Erster Bürgermeister und Präsident des Senats spart nicht mit Lobeshymnen auf Tenever. Einem Quartier am Rande Bremens, das durch seine hohen Bauten nicht gerade heimelig wirkt. Sondern eher grau und unpersönlich dasteht; städtebaulich eine wahre Schande.

Tenever ist kein blinder Fleck auf Bremens Stadtkarte. Denn Tenever ist anders: Höher, internationaler und - an Sozialindikatoren gemessen – benachteiligter als andere Quartiere in der hochverschuldeten Hansestadt. Und dadurch auch bekannt für die sozialen Probleme, die sich hier in der Hochhaussiedlung im Bremer Osten ballen. Aber Tenever ist mehr und vor allem besser als sein Ruf, meint Joachim Barloschky, Geschäftsführer der Projektgruppe Tenever und seit Jahren mit Herzblut ein Kämpfer für die Belange der Bewohner vor Ort. Seiner Meinung nach sind die Bewohner „die Experten ihres Alltagslebens, ihres Wohnumfeldes und nicht zuletzt die Betroffenen aller Maßnahmen im Quartier und darüber hinaus. Dem entsprechend sollen sie im Mittelpunkt stehen und besondere Rechte der Mitbestimmung erhalten. Zugleich kann man davon ausgehen, dass die Qualität und Effizienz der Maßnahmen gesteigert wird.“

Die Hochhaussiedlung Tenever ist eines von zehn Quartieren in Bremen, in dem neue Bürgerbeteiligungsformen ausprobiert und neue Standards in Sachen Partizipation gesetzt werden: Die Bürger werden hier direkt in die Planung und Gestaltung von Politik einbezogen.




Stadtteilgruppe Tenever: Hier schlägt das demokratische Herz




Mittelpunkt und Ort der politischen Auseinandersetzung sind die öffentlich tagenden „lokalen Foren“, auch „Stadtteilgruppen“ genannt. Im Konsensverfahren wird hier über die Vergabe öffentlicher Mittel und die Durchführung von Projekten entschieden. Und genau in diesem Punkt unterscheidet sich das Projekt von vielen anderen Beteiligungsmaßnahmen: Neben den politisch administrativen Akteuren haben die Bewohner vor Ort ein Mitspracherecht und werden ernst genommen. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist das ressortübergreifende Handeln der beteiligten Senatorischen Behörden: Die sieben Senatsressorts sind gemeinsam in der Verantwortung und ermöglichen so eine effiziente Gestaltung und Umsetzung politischer Entscheidungen.

Pro Kalenderjahr stehen dabei allein Tenever sage und schreibe 300.000 Euro zur Verfügung. Öffentliche Gelder, mit denen nicht nur die Wohn- und Lebensbedingungen im Quartier sondern auch Bereiche wie Bildung, Qualifizierung und Beschäftigung gefördert werden können. Aber woher kommen diese Gelder? Und wo liegen die finanziellen Quellen dieses ehrgeizigen Projekts?




Die finanziellen Quellen




Zwei Programme ermöglichen die Finanzierung. Zum einem das kommunale Programm „Wohnen in Nachbarschaften“, kurz „WiN“ genannt. Zum anderen das Bund-Länder Programm „Soziale Stadt“.

WiN war zunächst zeitlich befristet angelegt. Von 1999 bis 2004 sollten die Gelder in die sozial benachteiligten Gebiete fließen. Da der Erfolg des Programms sich recht schnell einstellte, sowohl Bürger als auch die Akteure vor Ort das Programm innerhalb des Fünf-Jahres-Zeitraums zu schätzen lernten, hat die Bremische Bürgerschaft vor zwei Jahren beschlossen, das erfolgreiche Programm weiter fort zu führen. Mit Hilfe kommunaler Gelder sowie den finanziellen Mitteln aus dem Programm Soziale Stadt ist somit der Weg bereitet, die basisdemokratischen Inseln in Bremen – zumindest in den nächsten Jahren - über Wasser zu halten.




Die Bürger als Experten ihres Alltags
        



„Wie kann man für Menschen planen, wenn man ohne sie plant?“ fragt sich der Experte Roth und hält den Finger auf die Wunde deutscher Beteiligungspolitik, die es sich im allgemeinen doch recht schwer macht den Bürger nachhaltig zu beteiligen.

So darf die Politik grundsätzlich nicht vergessen, was zentrale Aufgabe des Staates ist: Die Menschen ernst zu nehmen, denn im Mittelpunkt politischen Handelns steht der Mensch. Er ist als Bürger der Experte seines Alltags. Ihn nach seiner Meinung zu fragen ist geboten! So verwundert es auch nicht, wenn die Evaluation der Programme WiN und Soziale Stadt in Tenever zu dem Ergebnis kommt, dass das lokale Forum, als Ort des Quartiersdiskurses, „in höchstem Maße sachgerecht über beantragte Projekte entscheidet“(Institut für Stadtforschung und Strukturpolitik, 2004).

Den Bürger politisch ernst zu nehmen, ja, ihn am politischen Prozess direkt teilhaben zu lassen, ist keine Kür - sondern Pflicht. Denn schon Bertolt Brecht, der literarische „Sezierer“ der politischen Verhältnisse im 20. Jahrhundert schrieb uns, den Bürgern, das Selbstverständliche ins Stammbuch: „Es ist eine demokratische und inhaltliche Selbstverständlichkeit, dass die Menschen das Haus, in dem sie leben wollen, selbst planen und gestalten können.“ Tenever mit all seinen sozialen Schwierigkeiten hätte ihm bestimmt gefallen, als ein Ort ernst zu nehmender Politik und engagierten Bürgersinns.