Abschied vom "Ernährermodell". Zur Familien-, Sozial- und Arbeitspolitik der Neuen Linken

in (17.11.2006)

Ob und wie die sozialen Sicherungssysteme zukunftsfähig gemacht werden können, ist auch in der Linkspartei ein umstrittenes Thema. Die Geschlossenheit in der Ablehnung der Agenda 2010 und der Hartz-

Gesetze bricht in dem Moment auf, in dem unsere Alternativen auch in Detailfragen benannt werden müssen. Umstritten ist dabei neben den inhaltlichen Problemen die strategische Frage, wie man mit dem Angriff auf den Sozialstaat umgeht. Angesichts massiver Angriffe auf den bestehenden Sozialstaat gibt es auch in der Linkspartei Ansätze, die bestehenden Konstruktionen "mit Zähnen und Klauen" zu verteidigen - und damit auch die ihnen innewohnenden überholten Vorstellungen, die dem deutschen Sozialrecht eingeschrieben sind.

Ich möchte demgegenüber argumentieren, dass die simple Verteidigung des real existierenden Sozialstaates in seiner Verfasstheit vor der Agenda 2010 auf die Dauer kein tragfähiges Konzept darstellen kann. Zum einen deshalb nicht, weil es schwierig werden wird, in der öffentlichen Debatte mit einer reinen Blockadehaltung bestehen zu können, zum anderen, weil dies die Strukturprobleme des Sozialstaates tatsächlich nicht löst und bereits vor der Agenda 2010 eine Reihe von Gerechtigkeitsfragen aufgeworfen waren. Wenn wir als Linke glaubwürdig sein wollen, dann können wir das nur, wenn wir den Mut haben, eine progressive Auflösung nach vorne vorzuschlagen.

Deshalb plädiere ich dafür, einen eigenständigen Gestaltungsanspruch zu formulieren, der auch mit denjenigen Strukturelementen bisheriger sozialstaatlicher Arrangements bricht, die wir seit langem als sozial ungerecht kritisiert haben.

Als zentrale Strukturprobleme des heutigen Sozialstaatsmodells werden zum Beispiel der Charakter der sozialen Sicherungssysteme als Arbeitnehmerversicherung, ihre Finanzierung über Löhne und Gehälter und eine verbleibende bzw. sich verstärkende Fürsorgeorientierung einschließlich autoritärer und Zwangselemente genannt.

Ein weiteres dieser überholten und dysfunktionalen Strukturelemente stellt das "Ernährermodell" dar, das die traditionelle geschlechtsspezifische Arbeitsteilung zum Vorbild hat und das die bundesdeutsche Gesetzgebung in vielfacher Hinsicht durchzieht. Darauf konzentriert sich dieser Aufsatz, da es zum einen weder innerhalb der Linkspartei noch innerhalb der WASG eine deutlich wahrnehmbare systematische Auseinandersetzung damit gibt und weil es auch in beiden Parteien Kräfte gibt, die Sozial- und Arbeitspolitik nach wie vor aus der Perspektive des Familienvaters betreiben.

Wo manifestiert sich das "Ernährermodell"?
Das "Ernährermodell" verbirgt sich explizit oder implizit hinter wesentlichen Instrumenten der Sozial-, Arbeitsmarkt- und Steuerpolitik. Zu nennen wären:
a) das Ehegattensplitting, das eine geschlechterhierarchische Arbeitsteilung steuerlich belohnt;
b) die Konstruktion der Bedarfsgemeinschaft, die durch die eingeführten gegenseitigen Unterhaltsverpflichtungen familiäre Abhängigkeiten der Ehe auf nicht-eheliche Lebensgemeinschaften und Hausgemeinschaften ausweitet;
c) die Finanzierung der Elternzeit durch ein niedriges Erziehungsgeld, das eine eigenständige Existenzsicherung nicht ermöglicht;
d) die in Deutschland vergleichsweise schlechte Infrastruktur von frühkindlichen Bildungs- und Betreuungseinrichtungen;
e) bestehende Mini-Job-Regelungen, die die Sozialversicherungsfreiheit für geringfügige Beschäftigung formulieren und insofern der Vorstellung eines "Hinzuverdienstes" zum eigentlichen Familieneinkommen entsprechen;
f) Ehegattenzuschläge auf die Gehälter im öffentlichen Dienst;
g) die beitragsfreie Mitversicherung von nicht-erwerbstätigen Ehepartnerinnen und Ehepartnern in der Kranken- und Pflegeversicherung;
h) nacheheliche Unterhalts- und Versorgungsansprüche;
i) Unterhaltsverpflichtungen von Eltern gegenüber erwachsenen Kindern - zum Beispiel während der Ausbildung oder in der Bedarfsgemeinschaft;
j) Unterhaltsverpflichtungen von Kindern gegenüber Eltern, zum Beispiel im Falle der Pflegebedürftigkeit.

Um es gleich vorweg zu nehmen: Ich plädiere nicht dafür, alle genannten Instrumente von heute auf morgen abzuschaffen oder gar ersatzlos zu streichen. Vielmehr sollte geschaut werden, wie der Abschied vom "Ernährermodell" als ein Transformationsprojekt begriffen werden kann und entsprechende Alternativen mittelfristig realisiert werden können, um die mit dem "Ernährermodell" einhergehenden Gerechtigkeitsdefizite zu beseitigen, ohne dass dies gleichzeitig zu weiteren sozialpolitischen Härten führt.

Was ist das Problematische am "Ernährermodell"?
Erstens: Das Gerechtigkeitsdefizit. Die mit dem "Ernährermodell" einhergehenden Gerechtigkeitsdefizite und seine anti-egalitäre Wirkungsweise werden in der feministischen Sozialstaatsdiskussion seit Langem diskutiert.1 Dabei geht es um die grundsätzliche Kritik, dass der derzeitige ordnungspolitischer Rahmen am "Ernährermodell" und nicht an der eigenständigen Existenzsicherung von Frauen und Männern ausgerichtet ist. Der bundesdeutschen Soziapolitik wird ein Geschlechterbias nachgewiesen, dem gesellschaftliche Normalitätsvorstellungen unterliegen - nämlich die der männlichen Normalbiographie einer durchgängigen Erwerbstätigkeit und einer "normalen " Familie mit einer nicht-erwerbstätigen Ehefrau. Kritisiert wird in diesem Diskurs unter anderem, dass bestehende Regelungen auf eine Beibehaltung dieser Arbeitsteilung zielen. Bei Frauen - so heißt es in diesem Diskurs - ziele Sozialpolitik nicht auf "Proletarisierung", sondern nicht selten gerade auf den Ausschluss vom Arbeitsmarkt und die mit dem Begriff der "Hausfrauisierung" etikettierte Zwangsrekrutierung zur unbezahlten Familienarbeit.2 Ein anderes Feld der Auseinandersetzung ist die mit dieser Normalitätsannahme einhergehende unterschiedliche Bewertung der Lebensentwürfe von Frauen. Sozialstaatlich begünstigt - so wird hervorgehoben - würden vorrangig Frauen, die sich dem traditionellen Leitbild der Ehefrau fügen. Frauen hingegen, die aus der Hausfrauenehe herausstreben oder herausfallen (alleinerziehende, geschiedene, erwerbstätige Frauen), seien steuer- und familienpolitisch benachteiligt. 3

Kritisiert wird zudem die Tatsache, dass die Leistungsansprüche der Frauen nicht gegenüber dem Staat, sondern gegenüber dem Ehemann formuliert werden. Der den Frauen bei der Entstehung des Wohlfahrtsstaates zugewiesene und die bundesdeutsche Regelung bis heute prägende Status sei nicht als individuelles Rechts-, sondern als paternalistisches Schutzverhältnis konzipiert.4

Dies alles bedeutet eine Reihe von Nachteilen für Frauen: Altersarmut von Frauen, ihre Abhängigkeit von der Unterstützung durch ihre Männer in und nach der Ehe, während eine eigenständige Existenzsicherung durch Anreizsysteme für Nicht-Erwerbstätigkeit (Ehegattensplitting, Versorgungsausgleich, Hinterbliebenenversorgung) bzw. wegen fehlender Möglichkeiten der Vereinbarkeit von Familie und Beruf (fehlende Krippenplätze vor allem in Westdeutschland, keine oder eingeschränkte Rückkehrrechte in den Beruf) systematisch erschwert wird. Für die in Frauenkreisen gelegentlich aufgestellte Behauptung, dass es sich für Frauen mehr lohnt, eine Woche lang mit einer "guten Partie" verheiratet zu sein, als ein Leben lang zu arbeiten, habe ich in diesem Zusammenhang keine empirischen Belege gefunden, halte es allerdings nicht für ausgeschlossen.

Zu betonen bleibt: Die wiedergegebenen Argumente der feministischen Sozialstaatskritik haben explizit oder implizit ebenfalls eine traditionelle Hausfrauenehe vor Augen. Durch die Prekarisierung der Arbeitswelt und Pluralisierung der Lebensweisen können oder wollen aber auch viele Männer dieser "Normalbiographie" nicht mehr entsprechen - und somit sind auch sie Betroffene einer patriarchalen Sozialstaatskonstruktion.

Zweitens: Dysfunktionalität. Neben den genannten Gerechtigkeitsdefiziten wird insbesondere in der aktuellen Debatte um die Familienpolitik die Dysfunktionalität des gegenwärtigen familienpolitischen Leitbildes moniert. Für Familienpolitik wird in Deutschland zwar im europäischen Vergleich relativ viel Geld ausgegeben, ohne dass die wesentlichen Aufgaben einer modernen Familienpolitik gelöst werden. Als solche wären zu nennen: die Verhinderung von Kinderarmut, Verhinderung der Benachteiligung sozial schwacher Kinder im Bildungssystem, die Herstellung von Gleichberechtigung und von Vereinbarkeit von Familie und Beruf für Frauen und Männer. Exemplarisch für diese Kritik heißt es in einem Strategiepapier der IG Metall, dass die familienpolitischen Ausgaben in Deutschland zwar zu den höchsten in der Welt zählten, doch die Ergebnisse dürftig sind: In Deutschland leben immer mehr Kinder in Armut, Jungen und Mädchen aus sozial schwachen Familien haben geringe Bildungschancen, viele Frauen können Familie und Beruf nicht vereinbaren und die steigende Zahl pflegebedürftiger Menschen wird als enorme Belastung wahrgenommen.5

Im Übrigen führt die gegenwärtige Politik zu im europäischen Vergleich niedrigen Geburtenraten - ein Umstand, der in der aktuellen Debatte eine große Rolle spielt. (Womit aber nicht gesagt sein soll, dass ich die Erhöhung der Geburtenraten an sich als ein Qualitätskriterium von Familienpolitik akzeptieren würde.)

Drittens: Legitimationskrise. Die folgenden Elemente des sozialen Wandels führen zu einer Legitimationskrise des ordnungspolitischen Rahmens, der implizit auf dem Modell der Hausfrauenehe aufbaut:
a) Die Emanzipation von Frauen, die mit der Forderung einer gleichberechtigten Teilhabe am Erwerbsleben einhergeht, wie sie in der DDR trotz anderer gleichstellungspolitischer Defizite annähernd realisiert war, führt zum Widerstand gegen die Restaurierung traditioneller Lebensformen, wie sie etwa in der Einführung der Institution der "Bedarfsgemeinschaft" und anderen Konstruktionen besteht, die nicht nur, aber in erster Linie Frauen aus einer gleichberechtigten Teilhabe am Erwerbsleben ausschließen.
b) Die Prekarisierung der Arbeitswelt hat einen Bedeutungsverlust der "Normalbiographie" auch für Männer zur Folge. Auch sie können immer weniger auf eine ungebrochene Erwerbsbiographie hoffen. Dies führt zu einer Situation, in der zunehmend auch Männer in die Situation von Bedürftigkeit und familiärer Abhängigkeit geraten und selbst zu Leidtragenden des "Ernährermodells" werden.
c) Hinzu kommt schließlich die Pluralisierung von Familien- und Lebensweisen, Patchwork-Familien, nicht-eheliche Lebensgemeinschaften von hetero- und homosexuellen Paaren, steigende Scheidungsraten und Single-Haushalte sind Indikatoren einer auch in familiären Dimensionen erodierenden "Normalbiographie". Der diese Entwicklung begleitende Wertewandel führt dazu, dass einige Elemente der sozialen Sicherungssysteme einer normativen Legitimationskrise unterliegen. Für die staatliche Normierung von Lebensweisen durch die Bevorzugung der "Hausfrauenehe" dürfte es zunehmend schwieriger werden, gesellschaftliche Mehrheiten zu finden.

Indikator für diese Legitimationskrise ist etwa die aktuelle Diskussion zur Institution "Bedarfsgemeinschaft", die eine Restauration traditioneller familiärer Abhängigkeitsverhältnisse zwischen Erwachsenen zur Folge hat und die selbst von Menschen, die in klassischen Familienmodellen leben, nicht als Rettung, sondern als Zerstörung ihrer Familie empfunden wird. Im Zuge der Einführung von Hartz IV sind viele Lebenspartner auseinander gezogen, haben Kinder früher als ursprünglich geplant das Elternhaus verlassen.6 Die finanziellen Abhängigkeiten führen daher zu einem Anstieg ungewollter Single-Haushalte. Zudem stellt sie eine Belastung für das innerfamiliäre Klima dar, da sich Personen, die sich zuvor auf gleicher Augenhöhe begegnet sind, von nun an in einem Abhängigkeits- und Aushaltungsverhältnis befinden.

In eine Legitimationskrise geraten zunehmend auch die nachehelichen Unterhaltsverpflichtungen zwischen Erwachsenen angesichts steigender Scheidungsraten, kürzerer Ehen und der Tatsache, dass das Eingehen einer neuen Bindung nach einer Ehe heutzutage nicht Ausnahme sondern einen Regelfall darstellen dürfte. Nachehelicher Unterhalt ist daher eine Quelle endloser Rechtsstreitigkeiten und oft auch ein Erpressungs- und Tauschobjekt im Kampf um das Sorgerecht für Kinder.7 Das dürfte auch der Hintergrund dafür sein, dass das Unterhaltsrecht erst kürzlich von der CDU/SPD-Koalition dahingehend modifiziert wurde, dass sich die Unterhaltsansprüche geschiedener Ehepartner verschlechtern, die der Kinder hingegen verbessern.

Für ein neues Leitbild in der Familien- und Sozialpolitik
"An die Stelle der alten bürgerlichen Gesellschaft mit ihren Klassen und Klassengegensätzen tritt eine Assoziation, worin die freie Entwicklung eines jeden die Bedingung für die freie Entwicklung aller ist." (Karl Marx: Manifest der Kommunistischen Partei, MEW 4, S. 482)

Sicherlich gibt es auch in der Linkspartei.PDS nicht wenige, die die oben dargestellten Individualisierungserscheinungen als das Aufweichen innerfamiliärer Solidarität interpretieren und als solches bedauern. Statt der verzweifelten Verteidigung einer Normalität, die nicht mehr existiert, empfiehlt sich aus meiner Sicht allerdings ein realistischer Blick auf die Welt, wie sie ist - verbunden mit dem Anspruch auf die Gleichstellung aller Lebensweisen.

Dies sollte Bestandteil einer emanzipatorischen Sozialpolitik sein, die Christoph Butterwegge von einer kompensatorischen und kompetitorischen Sozialpolitik unterscheidet: "Die Emanzipatorische Sozialpolitik dient der Befreiung unterversorgter bzw. -privilegierter Gesellschaftsmitglieder von Zwängen, welche es ihnen verwehren, ein gutes Leben zu führen, sich optimal zu entwickeln und eine gereifte Persönlichkeit zu werden."8 Sie sollte sich außerdem von patriarchalisch-chauvinistischen, ständisch-paternalistischen und sozialpatriotisch- autoritären Zügen staatlicher Wohlfahrtspflege vergangener Epochen unterscheiden.9

Im Sinne einer solchen emanzipatorischen Sozialpolitik stellt sich die Frage, ob die Organisation von Solidarität noch länger privatisiert werden soll oder ob es ein zeitgemäßeres Konzept ist, die Existenzsicherung während der Phasen der Nicht-Erwerbstätigkeit über die Gemeinschaft zu organisieren. Denn es ist nicht länger zu rechtfertigen, warum die Versorgung im Alter - zumindest für ehemals Erwerbstätige - kollektiv ausgestaltet ist, während die Existenzsicherung in der Kindheit oder während der Elternzeit - also in der Regel für Frauen - in die private Verantwortung verwiesen wird. Das heißt nichts Geringeres, als eine gesamtgesellschaftliche Solidarität einzufordern, anstatt die Lösung sozialer Notlagen zu privatisieren.

Deshalb habe ich die größten Zweifel daran, dass das Subsidiaritätsprinzip 10 ein zukunftsfähiges Strukturprinzip der Familien- und Sozialpolitik darstellen könnte. Während dieses Prinzip zum Beispiel in der Jugendhilfe zu einer Stärkung der Zivilgesellschaft führen kann, erzeugt die "Ehegattensubsidiarität" in der Familienpolitik in der Familie Abhängigkeiten und gesamtgesellschaftlich Ungerechtigkeiten.

Die Orientierung an einem Famillienmodell mit einem männlichen Familienernährer an der Spitze ist den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts nicht mehr gewachsen. Der Abschied vom "Ernährermodell" muss einem neuen Leitbild in der Familien- und Sozialpolitik weichen. Damit meine ich nicht, eine andere Lebensweise als die der klassischen Hausfrauenehe zum Leitbild zu küren und sozialpolitische Regelungen einseitig darauf abzustellen. Welche Lebensweisen aus Sicht konservativer Politiker mehr oder weniger wünschenswert sind, kann aber nicht Maßstab linker Politik sein. Im Gegenteil: Es geht den Staat nichts an, wer mit wem schläft und wer wie lebt. Normierungen oder ihr Versuch sind aus emanzipatorischer Sicht abzulehnen. Dementsprechend hat sich der Staat neutral zu verhalten gegenüber der Entscheidung der Einzelnen, wie sie leben und lieben möchten.

Aus dieser postulierten Neutralität gegenüber den Lebensentwürfen ergibt sich konsequenterweise eine andere Definition von Familie und ein anderes Kriterium für Familienförderung: Familie ist dort, wo Nähe ist und Förderung gehört dahin, wo Kinder oder Pflegebedürftige sind - und nicht dahin, wo ein Trauschein vorliegt.

Die Neutralität gegenüber den Lebensentwürfen ist auch Hintergrund des von Lessenich und Möhring-Hesse entworfenen Leitbildes eines "demokratischen Sozialstaats".11 Sie schreiben:
"Im Gegensatz zum bestehenden Sozialstaat wird der demokratische Sozialstaat deshalb nicht bestimmte Lebensformen als gesellschaftliche Normalität voraussetzen und damit weder die Erfüllung entsprechender Normalitätsannahmen belohnen noch deren ›Missachtung‹ bestrafen. Der Sozialstaat erfüllt in dieser Weise nicht nur eine elementare Forderung der liberalen Demokratie, sondern reagiert damit auch auf jenen grundlegenden Wandel der privaten Lebensformen, den man gemeinhin als ›Individualisierung‹ bezeichnet und der für einen guten Teil der Leistungsmängel des bestehenden Sozialstaats verantwortlich ist."12

Die Neutralität gegenüber den Lebensweisen geht mit dem Anspruch auf gleiche Entwicklungsmöglichkeiten für beide Geschlechter einher. Es wäre sicherlich falsch, mit dem Argument der Neutralität blind im Bezug auf bestehende Hierarchien und Arbeitsteilungen zu agieren und gleiche Bedingungen für Frauen und Männer simpel zu unterstellen. Vielmehr muss eine aktive Gleichstellungspolitik, die die freie Entwicklung eines und einer jeden Einzelnen zum Ausgangspunkt nimmt, vorhandene strukturelle Unterschiede wahrnehmen und ihnen entgegenwirken. Es ist deshalb kein Widerspruch, einerseits Neutralität gegenüber den Lebensweisen zu fordern und gleichzeitig Maßnahmen zu ergreifen, die geeignet sind, bestehende einengende Rollenklischees zu beseitigen und die Erwerbsintegration von Frauen zu verbessern, zumal an dieser nicht nur symbolisch der vollwertige Bürgerstatus hängt, sondern faktisch eigenständige soziale Absicherung noch immer an Erwerbstätigkeit bzw. an den lohnarbeitsfinanzierten Sicherungssystemen hängt. Zielstellung sozialistischer Familienpolitik muss die Gleichstellung aller Lebensweisen und die Herstellung einer echten Wahlfreiheit sein, die heute nicht gegeben ist. Das heißt, Sozialpolitik nicht länger vom "Familienvater" aus zu denken, sondern aus der Perspektive von Individuen und explizit aus der Perspektive derjenigen, deren Ansprüche sich bislang von diesem Familienvater abgeleitet haben bzw. sich an ihn und nicht an die Allgemeinheit richteten.

In der feministischen Sozialstaatstheorie wird das "adult-workermodel " als Alternative diskutiert bzw. als Beschreibung der bereits erfolgten Modernisierung der Familienpolitik verwendet - einer Modernisierung, die in den verschiedenen Mitgliedsstaaten der EU unterschiedliche Ausmaße angenommen hat und gerade in der Bundesrepublik durch die Betonung von Teilzeitarbeit oder Hinzuverdienst für Frauen sicherlich mit am schwächsten ausgeprägt ist.

Doch das "adult-worker-model" als normatives Leitbild kollidiert gleichwohl mit anderen Ansprüchen einer modernen Sozialpolitik, nämlich dem, die Erwerbs- bzw. Lohnarbeitszentrierung der Sozialpolitik aufzuheben. Dies gilt insbesondere dann, wenn das "adultworker-model" nach der Definition von Klammer und Klenner ein Modell umschreibt, in dem im Allgemeinen "erwachsene Bürger grundsätzlich als Erwerbstätige angesehen und ihre Ansprüche auf wohlfahrtsstaatliche Leistungen weitgehend an diesen Status geknüpft "13 werden. Doch auch die von Woods vorgenommene alternative Definition des "adult-worker-models" als ein Modell, das "von der Fähigkeit des/der Einzelnen als normal und wünschenswert aus(geht), allein für seinen/ihren Lebensunterhalt aufzukommen"14, ist nicht nur angesichts der gegenwärtigen Massenarbeitslosigkeit äußerst schwierig zu realisieren. Es ist auch insofern problematisch, als dass mit genau dieser Argumentation einschneidende Kürzungen bei Langzeitarbeitslosen vorgenommen wurden.

Nicht nur vor dem Hintergrund der Debatte um die angesichts der Prekarisierung der Arbeitswelt problematisch gewordene Erwerbs- arbeitsfixierung der Sozialpolitik, sondern auch aus feministischer Sicht ist einem solchen Leitbild nicht vorbehaltlos zuzustimmen. Klammer und Klenner wenden sich explizit gegen ein Modell, "in dem durchgängige Vollzeiterwerbstätigkeit für alle Erwachsenen zur Normalität erklärt wird und damit (Â…) das bisherige, auf den männlichen Erwerbstätigen mit erwerbstätiger Ehefrau zugeschnittene Normalarbeitsverhältnis auf alle Erwachsenen zu übertragen wäre."15 Christina Stecker behauptet gar, dass die von Feministinnen erhoffte Verheißung des "adult-worker-models" sich für viele Frauen als ein Fluch herausgestellt hätte, da Arbeitsverhältnisse prekär sind und sich die Formen der Absicherung bei Nicht-Erwerbsarbeit im Zuge des Sozialabbaus verschlechtert hätten.16 Und richtigerweise kritisiert Jane Lewis, dass "die Neujustierung, Männer und Frauen unterschiedslos zu behandeln - allesamt gleichermaßen als Erwerbsbürger -, die komplexen Probleme (übersieht), die mit der unbezahlten Sorgearbeit verbunden sind."17 Sie folgert daraus: "Strebt Politik die Gleichheit der Lebensverhältnisse im Unterschied zur ökonomischen Individualisierung via Erwerbsarbeit an, dann muss sie sich eher auf Fragen der Verteilung und Bewertung der Sorgearbeit konzentrieren - und zwar insbesondere mit Blick auf die Zeitverteilung im Haushalt."18 Und die Autoren Arn und Walter formulieren in diesem Sinne, dass es um eine Weiterentwicklung hin zu einem "integralen adult-worker-model" geht, das auf eine deutliche Arbeitszeitverkürzung und die Förderung von "Hausmännlichkeit" setzt.19

Das "adult-worker-model" bleibt auch die Antwort auf die Frage schuldig, wie die Absicherung zu Zeiten der Nicht-Erwerbstätigkeit zu erfolgen hätte. Lessenich und Möhring-Hesse fordern im Sinne eines demokratischen Sozialstaates "eine dem strukturellen Wandel der Haushalts- und Lebensformen entsprechende Individualisierung sozialpolitischer Leistungen und Belastungen; schließlich eine den veränderten Bedingungen der individuellen Verausgabung von Arbeitskraft Rechnung tragende Neujustierung der sozialstaatlichen Regulierung der Erwerbsarbeit und des Verhältnisses von Arbeit und Leben."20 Um aus dem Widerspruch zwischen dem Anspruch einer gleichberechtigten Teilhabe von Frauen und Männern am Erwerbsleben einerseits und der Kritik an der Erwerbsarbeitszentrierung der Sozialpolitik andererseits herauszukommen, ist es also notwendig, neben dem Abschied vom Ernährermodell auch den Abschied vom Vollzeitarbeitsmodell einzuleiten. Und es wäre eine Konkretisierung eines "adult-worker-models" dahingehend vorzunehmen, dass die eigenständige Existenzsicherung durch Erwerbsarbeit eine tatsächliche Möglichkeit und keinen Zwang bedeuten soll. Angesichts von Massenarbeitslosigkeit, Arbeitsverpflichtungen und verschärften Zumutbarkeitsregelungen ist gegenwärtig weder die Möglichkeit zur Existenzsicherung durch Erwerbsarbeit noch die Wahlfreiheit zur Erwerbsarbeit für alle Menschen gegeben.

Nichterwerbstätige Ehepartnerinnen und Ehepartner müssten vom Grundsatz her über ein Grundeinkommen abgesichert werden. Dieses würde zwar auch keinen Anreiz für eine eigenständige Erwerbssicherung von Frauen darstellen, aber immerhin eine eigenständige Absicherung und somit mehr Freiheitsgrade bedeuten. Vor dem Hintergrund einer von einigen Feministinnen geäußerten Kritik, dass ein nicht an Erwerbstätigkeit geknüpftes Grundeinkommen einer besseren Erwerbsintegration im Wege steht, müsste ein solches Grundeinkommen unbedingt mit einer radikalen Arbeitszeitverkürzung verbunden werden, die die Grundlage für eine solche Erwerbsintegration von Frauen und für eine gerechte Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern liefern würde.21

Dass diese Möglichkeit auch einer besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf bedarf, gehört inzwischen - zum Glück - zu sozialund familienpolitischen Allgemeinplätzen und wird deshalb auch nicht weiter ausgeführt. Die Forderung nach der Realisierung dieses Anspruchs kann allerdings nicht oft genug erhoben werden.

Eine Alternative zum "Ernährermodell" kann also nur im Leitbild einer aktiven Gleichstellungspolitik liegen, welches die konsequente Einführung des Individualprinzips in den sozialen Sicherungssystemen und die Möglichkeit einer eigenständigen Existenzsicherung jedes Menschen miteinander verbindet. Überkommene Normalitätsannahmen und Moralvorstellungen haben nichts in einer emanzipatorischen Sozialpolitik zu suchen.

Handlungsfelder linker Sozial- und Familienpolitik
Aus der Notwendigkeit heraus, sich vom "Ernährermodell" zu verabschieden und eine aktive Gleichstellungspolitik zu entwickeln, die sowohl die Gleichstellung der Lebensweisen als auch die der Geschlechter zum Gegenstand hat, möchte ich die folgenden Handlungsfelder für linke emanzipatorische Politik vorschlagen:

Erstens: Familienförderung gehört dahin, wo Kinder sind: Ehegattensplitting abschaffen, Kindergrundsicherung einführen.

Das Ehegattensplitting ist eines der zentralen Anreizsysteme für die Nicht-Erwerbstätigkeit von Frauen. Es folgt dem Kriterium "Trauschein" bei der Familienförderung und nicht dem Kriterium "Vorhandensein von Kindern". Letzteres wird spätestens dann deutlich, wenn man bedenkt, dass Alleinerziehende keine steuerlichen Vorteile haben. Nicht zuletzt entgehen mit dem Ehegattensplitting dem Staatssäckel Einnahmen in Milliardenhöhe, die familienpolitisch an anderer Stelle besser eingesetzt wären.

Nicht umsonst war seine Abschaffung eine zentrale, mit der rotgrünen Bundesregierung verbundene Reformhoffnung - eine Reformhoffnung, die jedoch enttäuscht wurde. Nun obliegt es der Linkspartei, die Forderung nach Abschaffung des Ehegattensplittings glaubwürdig zu vertreten. Sie ist im Steuerkonzept der Linkspartei. PDS bereits integriert, wird allerdings durch den Vorschlag der steuerlichen Absetzbarkeit eines Betrages in Höhe des Existenzminimums des Ehegatten geradezu konterkariert - vor allem dann, wenn es auch dort gelten soll, wo keine Kinder sind. Aus meiner Sicht könnte es daher ersatzlos gestrichen werden - also auch ohne die Variante Realsplitting bzw. Anrechnung von Freibeträgen. Dort, wo Familien in traditioneller Form mit Kindern leben und die Abschaffung des Splittings zu Härten führen würde, müsste eine Übergangs- oder Stichtagsregelung entwickelt werden.Das Steuerkonzept der Linkspartei müsste also an diesem Punkt überdacht und überarbeitet werden.

An diese Stelle müsste in einem ersten Schritt hin zu einer eigenständigen Existenzsicherung für jeden Menschen eine Kindergrundsicherung für jedes Kind treten, die selbstverständlich dem Kind zusteht, sein Existenzminimum abdeckt und deshalb auch nicht auf die Sozialtransfers der Eltern angerechnet werden kann. Inwiefern dies mehr kosten würde also die derzeitige Subventionierung der Hausfrauenehe durch das Ehegattensplitting, müsste durchgerechnet werden.

Zweitens: Weg von monetären Transfers - hin zu sozialen Dienstleistungen: Freibeträge im Steuerrecht durch kostenlose Kitas ersetzen.

Die Analyse der Familienförderung im europäischen Vergleich kommt auch zu dem Ergebnis, dass in Deutschland sehr viel Geld in monetäre Leistungen für Familien versickert, ohne dass diese - gemessen an den Kriterien moderner Familienpolitik - effektiv wären, also zum Beispiel bei der Herstellung gleicher Teilhabemöglichkeiten aller Kinder. Prinzipiell ist ein solches Umsteuern hin zum Ausbau sozialer Dienstleistungen zu begrüßen, sofern es nicht auf Kosten des Kindergeldes geht, das ja als Form der Grundsicherung die Existenzgrundlage des Kindes darstellt.

Im Steuerrecht hat Familienförderung aus meiner Sicht allerdings grundsätzlich nichts verloren, denn dort wirkt sie sozial ungerecht. Von Kinderfreibeträgen im Steuerrecht profitiert man umso mehr, je mehr man verdient. Kinder von Erwerbslosen profitieren überhaupt nicht von dieser Regelung. Aus diesem Grund ist es unverständlich, dass selbst im Steuerkonzept der Linkspartei ein System aufrechterhalten wird, das (Besser-)Verdienenden zugutekommt.

Ein Rechtsanspruch nicht nur auf Kita-, sondern auch auf Krippenplätze und die Herstellung der Kostenfreiheit der frühkindlichen Bildungs- und Betreuungsstruktur stellen demgegenüber wesentlich bessere Möglichkeiten dar, Kinder aus sozial schwachen Familien zu fördern und ihnen gleiche Teilhabemöglichkeiten zu eröffnen. Auch hier gilt: Kostenfreiheit kommt allen Kindern zugute, die steuerliche Absetzbarkeit der Betreuungskosten nur verdienenden Eltern.

Drittens: Soziale Sicherung individualisieren: "Bedarfsgemeinschaften " und gegenseitige Unterhaltsverpflichtungen abschaffen, soziale Grundsicherung individualisieren.

Kaum eine andere Konstruktion wird als so ungerecht empfunden wie die Konstruktion "Bedarfsgemeinschaft". Bereits die vorangegangenen Hartz-Gesetze, die zu einer stärkeren Anrechnung der Partnereinkommen geführt haben, wurden zu Recht vor allem von Frauen kritisiert, die ihre eigenen erworbenen Versicherungsansprüche über Nacht verloren haben. Mit der neuen Regelung verlieren Personen ohne Leistungsbezug faktisch auch den Anspruch auf arbeitsmarktpolitische Maßnahmen. Verschärft wurde die innerfamiliäre Abhängigkeit auch dadurch, dass die CDU/SPD-Koalition die Regelleistungen für Jugendliche unter 25 Jahren weiter reduziert und den Anspruch auf eine eigenständige Haushaltsgründung abgeschafft hat.

Wie bereits dargestellt, unterliegen auch Unterhaltsansprüche zwischen Erwachsenen einer zunehmenden Legitimationskrise. Berghahn bezeichnet den Ehegattenunterhalt als "die zentrale Legitimationsgrundlage für die anti-egalitäre Auswirkung des deutschen Steuer- und Sozialsystems"22 bzw. als "das überkommene Finanzierungsmodell der bürgerlichen Ehe und Familie".23 Durch den Ehegatten- und Verwandtenunterhalt zwischen Erwachsenen wird die Absicherung in Phasen der Nicht-Erwerbstätigkeit privatisiert statt sozialisiert. Zwar kennen die anderen europäischen Staaten mehrheitlich auch Unterhaltsansprüche zwischen Erwachsenen, räumen diesen aber nicht, wie in der Bundesrepublik, Priorität ein. Die in Deutschland angewendete strenge Subsidiarität beim Ehegattenunterhalt wirkt anti-egalitär, weshalb er für Berghahn gar eine mittelbare Diskriminierung darstellt.24

Die Alternative zur Zwangskollektivierung in Bedarfs- und Unterhaltsgemeinschaften besteht darin, eine Grundsicherung und mittelfristig ein Grundeinkommen einzuführen, das sich individuell bemisst, keine Bedarfsprüfung vorsieht und armutsfest ist. Dies ginge deutlich über den Rahmen des Adressatenkreises von Hartz IV, also von Langzeitarbeitslosen, hinaus. Es sollte unabhängig vom Kriterium der "Erwerbsfähigkeit" allen zugutekommen, die nicht erwerbstätig sind, um ihnen Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu ermöglichen. Es würden auch Rentnerinnen und Rentner erhalten, insofern sie nicht höhere Bezüge aus der Rentenkasse bezögen.

Auch die Ansprüche an die sozialen Sicherungssysteme müssten eigenständig sein und sich nicht vom Familienernährer ableiten.

Viertens: Vereinbarkeit fördern - Erziehungsgeld durch Elterngeld ersetzen.

Um die Berufstätigkeit von Eltern zu fördern, muss die finanzielle Absicherung während der Elternzeit reformiert werden. Und zwar weg vom Taschengeld Erziehungsgeld hin zu einer Lohnersatzleistung, die es ermöglicht, den Lebensstandard zu sichern und schnell wieder in den Beruf zurück zu kehren. Das Elterngeld orientiert sich vom Grundgedanken an der eigenständigen Existenzsicherung von Frauen durch Erwerbsarbeit und eine partnerschaftliche Arbeitsteilung. Zentrales Merkmal sind daher Lohnersatzleistung, eine kurze Bezugsdauer und teilweise Nicht-Übertragbarkeit der Ansprüche bzw. Notwendigkeit der partnerschaftlichen Teilung. Mit diesem Grundgedanken ist es dem bisherigen System des Erziehungsgeldes eindeutig vorzuziehen. Erziehungsgeld ist auch nicht per se sozial ungerecht. Das hängt von seiner konkreten Ausgestaltung ab.25 Kritiken der Linken an dem inzwischen eingeführten Elterngeld müssten an der konkreten Ausgestaltung zu Lasten erwerbsloser oder geringverdienender Eltern ansetzen, nicht jedoch am grundsätzlichen Paradigmenwechsel.

Fünftens: Mehr Männer in Familienarbeit, mehr Frauen in Erwerbsarbeit - ja zu Vätermonaten, nein zu Mini-Jobs.

Damit die Forderung nach einer besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf sich nicht nur auf Frauen, sondern auch auf Männer bezieht, sollte die Linkspartei.PDS die Einführung von Vätermonaten begrüßen, die Vätern Anreize für die Übernahme von Erziehungsverantwortung geben.

Im Sinne der Förderung der Berufstätigkeit von Frauen ist es besser, Erwerbseinschränkung statt Verlängerung der Erwerbsunterbrechung zu fördern - etwa in Form eines uneingeschränkten Rechtsanspruchs auf Teilzeitarbeit oder zeitwerte Leistungen.

Mini- und Midi-Jobs als Ausdruck des weiblichen "Hinzuverdienstes " sind eine Ursache für die überproportionale Repräsentation von Frauen im Niedriglohnbereich. Sie gilt es abzuschaffen - Sozialversicherungspflicht muss ab der ersten Stunde gelten.

Und selbstverständlich wollen wir einen Rechtsanspruch auf arbeitsmarktpolitische Maßnahmen unabhängig vom Leistungsbezug.

Sechstens: Mehr Verfügungsgewalt über Zeit und Leben: Wege zu einer progressiven Zeitpolitik.

Die Forderung nach einer allgemeinen Arbeitszeitverkürzung muss eine wesentlich prominentere Stellung in den Forderungen der Linkspartei.PDS erhalten. Untersuchungen zufolge gilt jungen Menschen die Forderung nach kürzeren Arbeitszeiten als die wichtigste Maßnahme für eine familienfreundliche Welt. Sie ist außerdem die entscheidende Maßnahme zur gerechteren Verteilung von Erwerbsarbeit und Einkommen und somit zentrales Instrument zur Bekämpfung von Massenarbeitslosigkeit. Sie ist Voraussetzung für eine gerechtere Arbeitsteilung in Familien.

Neben einer allgemeinen Arbeitszeitverkürzung müssen auch verstärkt zeitwerte Rechte (das heißt das Recht auf Freistellung vom Arbeitsplatz zur Betreuung von Kindern und Pflegebedürftigen bei gleichzeitiger materieller und sozialer Absicherung) 26 eine Rolle spielen. Das Recht auf Teilzeitarbeit muss uneingeschränkt gelten.

Caren Lay - Jg. 1972; Soziologin; arbeitete als Referentin bei der PDS-Fraktion im Sächsischen Landtag und als Redenschreiberin im Bundesverbraucherministerium; seit 2004 Mitglied des Sächsischen Landtags und dort Stellvertretende Fraktionsvorsitzende und Arbeitspolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE.PDS; seit 2006 Mitglied des Parteivorstandes der Linkspartei. PDS; Veröffentlichung von Texten zu Fragen des Feminismus und zur queer theory.

1 Vgl. für einen aktuellen Überblick: Sigrid Leitner u. a.: Wohlfahrtsstaat und Geschlechterverhältnisse im Umbruch, Wiesbaden 2004.

2 Teresa Kulawik: Modern bis maternalistisch. Theorien des Wohlfahrtsstaates, in: Dies./Birgit Sauer (Hrsg.): Der halbierte Staat. Grundlagen feministischer Politikwissenschaft, Frankfurt a. M./New York 1996, S. 55.

3 Susanne Schunter-Kleemann: Wohlfahrtsstaat und Patriarchat - ein Vergleich europäischer Länder, in: Dies. (Hrsg.): Herrenhaus Europa - Geschlechterverhältnisse im Wohlfahrtsstaat, Berlin 1992, S. 162.

4 Teresa Kulawik, a. a. O., S. 48.

5 Kirsten Rölke, Wolfgang Schroeder: Thesen zum Sozialstaatskongress der IG Metall: Drei Eckpfeiler müssen renoviert werden.

6 Dies so lange, bis das ansatzweise progressive Element - dass nämlich Jugendliche eine eigenständige Bedarfsgemeinschaft begründen, wenn sie aus dem elterlichen Haushalt ausziehen - im Frühjahr mit dem Verweis auf einen angeblich starken Anstieg der Anzahl von Bedarfsgemeinschaften wieder rückgängig gemacht wurde.

7 Sabine Berghahn: Der Ehegattenunterhalt und seine Überwindung auf dem Weg zur individualisierten Existenzsicherung, in: Sigrid Leitner u. a., a. a. O., S. 109

8 Christoph Butterwegge: Krise und Zukunft des Sozialstaates, Wiesbaden 2005, S. 12.

9 Ebenda, S. 60.

10 Der Begriff der Subsidiarität stammt aus der katholischen Soziallehre und beschreibt das Prinzip, nach dem der Staat nur diejenigen Aufgaben übernehmen soll, die die Gesellschaft selbst nicht lösen kann. Bezogen auf das Sozialrecht beinhaltet es, dass der Staat erst dann die Sozialleistungen finanziert, wenn die als vorrangig betrachtete private Versorgung nicht vorhanden ist.

11 Stephan Lessenich, Matthias Möhring-Hesse definieren in ihrer Expertise im Auftrag der Otto- Brenner-Stiftung "Ein neues Leitbild für den Sozialstaat" (Berlin, September 2004) diesen als einen Sozialstaat, "der Ausdruck und Garant der wechselseitigen Anerkennung und gegenseitigen Solidarität untereinander verpflichteter, politisch gleicher und sozialpolitisch gleich berechtigter Bürgerinnen und Bürger ist."

12 Ebenda, S. 4.

13 Ute Klammer, Christina Klenner: Geteilte Erwerbstätigkeit - gemeinsame Fürsorge. Strategien und Perspektiven der Kombination von Erwerbs- und Familienleben in Deutschland, in: Sigrid Leitner u. a., a. a. O., S. 178.

14 Dorian R. Woods: Das "adult worker model" in den USA und in Großbritannien, in: Sigrid Leitner u. a., a. a. O., S. 212.

15 Ute Klammer, Christina Klenner a. a. O., S. 197.

16 Christina Strecker: Der Fluch der Verheißung: Kommodifizierungszwang und De-Kommodifizierungsrisiko im "adult worker model", in: Sigrid Leitner u. a., a. a. O., S. 234.

17 Jane Lewis: Auf dem Weg zur Zwei-Erwerbstätigen- Familie, in: Sigrid Leitner u. a., a. a. O., S. 75.

18 Ebenda, S. 78.

19 Christoph Arn, Wolfgang Walther: Wer leistet die andere Hälfte der Arbeit? Die Beteiligung von Männern an der Hausarbeit als Bedingung eines "integralen " Modells der Zwei- Verdiener-Familie, in: Sigrid Leitner u. a., a. a. O., S. 132 ff.

20 Stephan Lessenich, Matthias Möhring-Hesse a. a. O., S. 3.

21 Für die feministische Diskussion zum Grundeinkommen vgl. exemplarisch: Michaele Schreyer: Grundeinkommen - Das Brot der Emanzipation oder Schweigegeld für Frauen?, in: Michael Opielka, Ilona Ostner (Hrsg.): Umbau des Sozialstaats, Bd. 2 der Reihe Perspektiven der Sozialpolitik, Essen 1987, S. 270-276; Irene Pimminiger: Grundeinkommen und Geschlechterverhältnisse, unveröff. Manuskript, Wien 2000.

22 Sabine Berghahn a. a. O., S. 109.

23 Ebenda, S. 110.

24 Ebenda, S. 120.

25 In dieser Diskussion verweise ich auf Falk Neubert: Pro Elterngeld - Überlegungen zur Familienpolitik der Linkspartei, www.emanzipatorische-linke.de.

26 Margrit Schratzenstaller: Neue Dilemmata - neue Bedarfe. Synopse und Ausblick, in: Sigrid Leitner u. a., a. a. O., S. 388.

in: UTOPIE kreativ, H. 193 (November 2006), S. 1004-1014

aus dem Inhalt:

VorSatz; Essay WERNER SCHMIDT: Peter Weiss - Intellektueller in der geteilten Welt; Partei ohne Bewegung ERHARD CROME: Nach der Wahl ist vor der Wahl; WOLFRAM ADOLPHI: Kaderpartei. Skizze für ein HKWM-Stichwort; JÖRN SCHÜTRUMPF: Rosa Luxemburg, die Bolschewiki und "gewisse Fragen"; Gesellschaft - Analysen & Alternativen CAREN LAY: Abschied vom "Ernährermodell". Zur Familien-, Sozial- und Arbeitspolitik der Neuen Linken; CARSTEN HERZBERG Der Bürgerhaushalt - ein Transformationsprojekt der Linken?; MARCUS HAWEL: Normalisierte Außenpolitik. Zum Verhältnis von Vergangenheitsbewältigung und der Restauration des ius ad bellum in Deutschland; Konferenzen & Veranstaltungen BRIGITTE HOLM: Gemeinsam sind wir Stadt; Festplatte WOLFGANG SABATH: Die Wochen im Rückstau; Bücher & Zeitschriften Hermann Weber, Ulrich Mählert, Bernhard H. Bayerlein, Horst Dähn, Bernd Faulenbach, Jan Foitzik, Ehrhart Neubert, Manfred Wilke (Hrsg.): Jahrbuch für Historische Kommunismusforschung (REINER TOSSTORFF); Gunnar Heinsohn, Otto Steiger: Eigentumsökonomik (ULRICH BUSCH); Christoph Henning: Philosophie nach Marx. 100 Jahre Marxrezeption und die normative Sozialphilosophie der Gegenwart in der Kritik (INGO ELBE); Matthias Steinbach (Hrsg.): Universitätserfahrung Ost. DDR-Hochschullehrer im Gespräch (KAI AGTHE); Günther Glaser: "Â…auf die andere Seite übergehen". NVA-Angehörige in Krise und revolutionärem Umbruch der DDR. Studie mit Dokumenten (22. September - 17./18. November 1989) (PAUL HEIDER); Mike Davis: Die Geburt der Dritten Welt. Hungerkatastrophen und Massenvernichtung im imperialistischen Zeitalter (ULRICH VAN DER HEYDEN); Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliches Institut (Hrsg.): WSI Tarifhandbuch 2006 (MARCUS SCHWARZBACH); Bernd Hüttner, Gottfried Oy, Norbert Schepers (Hg.): Vorwärts und viel vergessen. Beiträge zur Geschichte und Geschichtsschreibung neuer sozialer Bewegungen (PETER BIRKE); Summaries