Methanhydrat für Energie und Klimaschutz?

Methanhydrat? Bundeskanzlerin Merkel erwähnte es, als sie ankündigte, die Bundesregierung werde bis Juli kommenden Jahres ein "energiepolitisches Gesamtkonzept" vorlegen. Zu der Frage, wie einmal

Kohle, Öl, Gas und Uran ersetzt werden sollen, verwies sie auf "neue" Energieträger wie Methanhydrat, dessen Abbaumöglichkeiten und Gewinnungspotentiale innerhalb der nächsten zehn Jahre zu erforschen seien. Was hat es damit auf sich?

Wissenschaft, Wirtschaft und Politik stimmen überein: Bei weiter steigendem Energieverbrauch werden die weltweiten Ölvorräte in spätestens 45 Jahren ausgebeutet sein, die Uranerzlager in 50 Jahren, die Erdgasvorkommen in spätestens 60 Jahren und die Kohle in 150 Jahren - bis auf kleine Reste, deren Abbau sich nicht lohnen würde. Werden diese Brennstoffe in gleicher Weise genutzt wie bisher, so wird die Lagerung des radioaktiven Abfalls zu einem immer größeren Problem, immer mehr Kohlendioxyd wird die Erde einhüllen, und der Klimawandel wird sich beschleunigen.

Vom Klimagipfel 2006 in Nairobi ging erwartungsgemäß keine Hoffnung auf einen energiepolitischen Kurswechsel aus. Das Jahr 2006 brachte jedoch erstmals realistische Schätzungen, was die zum Klimaschutz notwendige Kappung des globalen CO2-Ausstoßes kosten wird: eine Billion US-Dollar. Die Wahrscheinlichkeit, daß die sieben entwickelten Industrienationen USA, Japan, Deutschland, Großbritannien, Frankreich, Kanada und Italien mindestens drei Viertel dieser gewaltigen Summe werden aufbringen müssen, um globale Katastrophen zu verhindern, scheint in der Politik noch nicht recht begriffen worden zu sein.

Der in Deutschland produzierte elektrische Strom stammt zu rund 23 Prozent aus Steinkohle, 27 Prozent aus Braunkohle, elf Prozent aus Erdgas, knapp zwei Prozent aus Schweröl und zu 28 Prozent aus Atomkraftwerken. Der Anteil der aus erneuerbarer Energie (zum Beispiel Wind- und Sonnenenergie) erzeugten Elektrizität beträgt hingegen weniger als zehn Prozent. Der Energiebedarf im Verkehrswesen wird zu mehr als 92 Prozent mit Mineralölprodukten gedeckt, der Wärmebedarf zu zwei Dritteln. Die Erkenntnis, daß das Öl nur noch wenige Jahrzehnte reicht und deshalb eine "Energielücke" geschlossen werden muß, führte zu der Frage, ob Methanhydrat aus der Tiefsee dereinst die fossilen Energiequellen und die Atomkraft wird ersetzen können. Die Politik demonstrierte Unbedarftheit ("unerschöpfliche Energievorräte"), die Wirtschaft Profitgier ("Weißes Gold"). Und obwohl die Wissenschaft Zurückhaltung empfahl ("globale Gefahr für Mensch und Natur"), geriet die Bedrohung des Weltklimas bei der Debatte über die "neue" Energiequelle weitgehend aus dem Blickfeld.

Methanhydrat ist eine feste Verbindung aus Gas und Wasser. Das Gas Methan entsteht an Land aus Fäulnisprozessen ("Sumpfgas") und vor allem am Meeresgrund in und unter den dort lagernden Sedimentschichten. Bei hohem Druck und niedrigen Temperaturen verbindet es sich mit Wasser zu einem eisähnlichen Material, dem Methanhydrat. Dieses "brennbare Eis" hat sich an den Kontinentalhängen zur Tiefsee hin und im Permafrostbereich der Arktis sowie der Antarktis zu festen "Gletschern" mit einem Gesamtgewicht von mehr als zehn Billionen Tonnen abgelagert. Nach seriösen Schätzungen ist im Methanhydrat der Tiefsee doppelt so viel Energie gebunden wie in allen Kohle-, Öl- und Gasvorkommen unserer Erde zusammen. Klar, dass vor allem die Ölmultis und die Stromerzeuger bereits untersuchen, ob sich Methanhydrat mit ähnlichen technischen Mitteln abbauen läßt, wie sie bei der unterseeischen Ölförderung angewandt werden.

An der Universität Kiel und vielen anderen Hochschulen und Forschungsinstituten untersuchen Wissenschaftler verschiedener Fachrichtungen die Möglichkeiten und Schwierigkeiten einer Umstellung auf eine "Methanwirtschaft". Da Methanhydrat an den Kontinentalschelfen die unterseeischen Hänge wie eine Mörtelschicht überzieht und die darunter liegenden Sedimentschichten stabilisiert, könnte ein Abbau dazu führen, daß die Kontinentalsockel abrutschen, unterseeische Erdrutsche könnten mächtige Flutwellen auslösen, maritime Ökosysteme könnten ge- oder gar zerstört werden; vor allem aber droht die Freisetzung gewaltiger Methangaswolken. Daraus ergeben sich große technische, wirtschaftliche und auch rechtliche Fragen: Wer bekommt unter welchen Kautelen Schürfrechte? Inwieweit gelten für die Grenzziehung in der Tiefsee und am Meeresboden die Regeln der Internationalen Seerechtskonvention? Haben Länder, die nicht selbst über Lagerstätten verfügen, Anspruch auf Beteiligung am wirtschaftlichen Ergebnis aus der Förderung in internationalen Gewässern? An welchen Rechtsnormen haben sich internationale Konzerne beim Methanhydratabbau in der Tiefsee zu orientieren? Wie könnte ein internationales Haftungsrecht für den Fall von Umweltschäden aussehen?

Methan hat einen bis zu 30mal stärkeren "Treibhauseffekt" als der Klimakiller Kohlendioxyd. Vorrangig muß deshalb geklärt werden, ob beim Hydratabbau in der Tiefsee das Aufsteigen gigantischer Gasblasen überhaupt verhindert werden kann. Eine allzu rasche Hinwendung zum Methanhydrat bei der Suche nach Substituten für Öl und Gas könnte zu unreifen, gefährlichen Lösungen führen und hätte zudem einige bisher nicht öffentlich diskutierte üble Nebenwirkungen: Energiepolitik und Energiewirtschaft würden von dem Druck befreit, die Stromerzeugung aus alternativen Energien voranzutreiben. Und da Methan auch als Treibstoff für herkömmliche Benzinmotoren verwendet werden kann, müßte die Autoindustrie nicht mehr schleunigst nach alternativen Antriebsquellen suchen und umweltverträgliche Fahrzeuge produzieren (das Zwei-Liter-Auto könnte ohnehin schon seit Jahren auf dem Markt sein).

Methan verwandelt sich bei sauberer Verbrennung in Wasser und Kohlendioxyd. Bei ungenügender, unsauberer Verbrennung werden zusätzlich noch das hochgiftige Kohlenmonoxyd und Kohlenstoff in Form von Ruß freigesetzt. Methanhydrat kann also zwar vielleicht die "Energielücke" füllen, aber eine Lösung für den Klimaschutz bietet es (vorerst) nicht.

Vorerst. Offen ist, wie man den im Methan gebundenen Wasserstoff in ökologisch unbedenklicher Form abspalten könnte (ohne dabei CO2 freizusetzen). Er wäre dann ein umweltfreundlicher Energiespeicher. Diese Forschung könnte zu einer umweltfreundlichen Energiewirtschaft führen (s. "Zukunft Wasserstoff?" in Ossietzky 15 und 16/02).

Wir haben noch immer kein befriedigendes technisches Konzept, das Kohlenmonoxyd und das Kohlendioxyd, die bei der Energieproduktion anfallen, zu binden oder zu beseitigen. Pflanzen und Bakterien schaffen das seit Millionen Jahren. Wir Menschen noch nicht. Also muß das Ringen um eine weltweite Reduzierung des Energieverbrauchs wie auch um ein Ende der Waldvernichtung weitergehen - bei aller Rücksicht auf die Interessen der sich entwickelnden Industriestaaten (namentlich China, Brasilien, Indien, Indonesien, Mexiko, Rußland und Türkei). Deren Anteil am globalen CO2-Ausstoß hat zwar bereits 32 Prozent erreicht und wächst weiter. Aber die "alten" Industriestaaten USA, Japan, Deutschland, Großbritannien, Frankreich und Italien kommen zusammen noch immer auf 39 Prozent. Die USA sind mit 23 Prozent Spitzenreiter.

Die Entwicklung energiesparender Technologien muß also beschleunigt, die Ausgaben für erneuerbare Energien müssen vervielfacht, Verhandlungen über ein weltweites, zwingendes Wiederaufforstungsprogramm (zur CO2-Umwand-lung) auf Kosten der Industrienationen müssen unverzüglich aufgenommen werden. Weil 22 Prozent der gesamten CO2-Emissionen in Deutschland allein aus den Auspuffrohren der Autos kommen, müssen auf nationaler Ebene, gemäß den Beispielen anderer Länder, Grenznormen für den sogenannten Flottenverbrauch festgelegt werden. Die Automobilhersteller müssen dann darauf achten, daß der Gesamtverbrauch an Benzin sinkt (Ziel: durchschnittlich 3,0 Liter pro 100 Kilometer und Fahrzeug) und damit auch der Kohlendioxyd-Ausstoß. Die "Selbstverpflichtung" der Automobilindustrie, die CO2-Emissionen der neugebauten Fahrzeuge von 186 Gramm pro Kilometer im Jahr 1998 bis 2008 auf 140 g/km zu senken, ist nicht nur ungenügend, sie wird auch nicht eingehalten. Einer Studie des Europäischen Verbandes für Verkehr und Umwelt zufolgen hinken die deutschen Hersteller ihren jeweiligen Reduktionsvorgaben am weitesten hinterher: Benz (-59%), VW (-48%), BMW (-40%) und Audi (-35%). Wirksamste Sofortmaßnahmen wären ein Autobahn-Tempolimit wie in Dänemark (110 Kilometer pro Stunde) sowie eine stark progressive Kraftfahrzeugsteuer.

Zugleich müssen Entwicklung und Bau dezentraler Biogasanlagen mit Kraft-Wärme-Kopplung beschleunigt werden. Um den Klimawandel zu stoppen, müssen die Industrieländer 80 Prozent ihrer CO2-Emissionen vermeiden oder ausgleichen. Technisch möglich wäre das. Allerdings nur bei Verstaatlichung der gesamten Energiewirtschaft und bei strikten gesetzlichen Vorgaben für die Automobilhersteller.

Aber welche politische Partei hat diese Forderungen im Programm? Welcher Politiker setzt sich dafür ein? Nicht Angela Merkel und Franz Müntefering. Erst recht nicht Guido Westerwelle. Und auch nicht die politischen Paarläufer Künast/Kuhn und Gysi/Lafontaine.