Red Jet Set oder Welttreffen der Basisgruppen?

Nairobi ruft zum Weltsozialforum 2007

"An Diskussionsveranstaltungen nehmen meist nur die gleichen Leute teil, die über die gleichen alten Ideen reden und darum kämpfen, Anknüpfungspunkte bei den alltäglichen Realitäten der Menschen

... zu finden." Mit dieser Beschreibung werden nicht die Probleme einer beliebigen linken Gruppe in Deutschland reflektiert, sondern es handelt sich um eine Analyse über den Zustand afrikanischer sozialer Bewegungen, die im April 2006 bei pambazuka-news erschien. Der Autor Mouhamadou Tidiane Kasse schreibt darin über die afrikanische Entwicklung der Sozialforen. Erst beim polyzentrischen Forum, welches Anfang 2006 in Bamako in Mali für Afrika, parallel zu den Foren in Caracas für Lateinamerika und Karachi für Asien, stattgefunden hat, wurde dem Autor zufolge erstmals der elitäre Konklavencharakter der vorherigen Sozialforen überwunden. Über 30.000 Menschen beteiligten sich an diesem Treffen und die Agenda wurde zum ersten Mal von den lokalen Problemen und Konfliktlagen dominiert. Für das Treffen in Nairobi erhofft sich der Autor eine ähnliche Dynamik und betrachtet das erste Weltsozialforum (WSF) in Afrika im kommenden Monat in Übereinstimmung mit vielen AutorInnen und AktivistInnen als einen Meilenstein, der den Kontinent auf der internationalen Landkarte der Kämpfe für eine Globalisierung von unten positionieren und den kontinentalen Bewegungen Auftrieb verschaffen wird. Doch offen bleibt bislang die Frage, welche sozialen Gruppen für die sozialen Bewegungen und Sozialforen in Afrika zur treibenden Kraft werden könnten. Daran geknüpft ist die Frage, welche Themen das WSF in Kenia dominieren werden. Ende November war der Anmeldeschluss für Veranstaltungen und Workshops und es ist zu wünschen, dass den Kontinent betreffende Themen einen großen Anteil an dem Programm haben werden. Neben der Rohstoffförderung und den diesbezüglichen Machenschaften internationaler Konzerne und afrikanischer Regierungen, werden voraussichtlich das Thema Migration und die europäische Abwehrpolitik gegenüber Flüchtlingen aus Afrika seinen Raum finden.

Polyzentrische Zusammenkünfte

Daneben werden die Krisen- und Kriegsentwicklung in der zentralafrikanischen Region, sowie die militärische Präsenz und sicherheitspolitischen Interessen des Westens gewiss Thema sein. Interessant ist, wie von afrikanischen Bewegungen neuere politische und ökonomische Entwicklungen auf dem Kontinent bewertet werden, darunter die Entstehung der Afrikanischen Union (AU) und die Neue Partnerschaft für afrikanische Entwicklung (NEPAD). Beide Ansätze werden vom Westen gefördert und ihre fortdauernde Unterstützung steht im Zentrum des Schwerpunkts der deutschen G8 Präsidentschaft 2007. Jenseits der Kritik an der Herrschaftsbeziehung zwischen Norden und Süden dürfte aber auch die Bewertung neuerer Süd-Süd Partnerschaften eine Rolle beim WSF spielen. Waren die meisten afrikanischen Länder politisch und wirtschaftlich zumeist auf ihre ehemalige Kolonialnation, auf die EU als supranationalen europäischen Rahmen oder die USA bezogen, haben sich die außenpolitischen Kontakte des Kontinents mit Chinas wirtschaftlichem Aufstieg aufgefächert. Chinas Handelsvolumen mit Afrika wächst stärker als mit anderen Regionen der Welt. Somit ist China heute der drittgrößte Handelspartner Afrikas, nach Frankreich und den USA. Dabei bezieht China vor allen Dingen Rohstoffe aus Afrika. Einen besonders hohen Stellenwert hat der Bedarf an Öl, den China bereits heute zu einem Drittel aus Afrika deckt, obwohl der Anteil des Kontinents an der weltweiten Ölproduktion im Jahre 2005 weit unter zehn Prozent lag. Die neuen Süd-Süd Kooperationen haben einen widersprüchlichen Charakter. Einerseits bietet sich für Afrika mit dem neuen Wirtschaftspartner China eine Möglichkeit, die asymmetrischen Wirtschaftsbeziehungen mit und Abhängigkeiten von den Ländern des Nordens zu überwinden oder zumindest abzufedern. Andererseits zeigt sich, dass von Chinas Einfluss in den meisten Fällen nur die gesellschaftlichen Eliten profitieren und eine soziale Entwicklungsperspektive in den Hintergrund tritt. Henning Melber, ehemals Forschungsdirektor am Nordic Africa Institut in Uppsala in Schweden, beurteilt auf einem Wochenendseminar "Afrika vor dem Weltsozialforum 2007" Mitte November in Berlin die chinesische Politik als Beute-Kapitalismus, die dem Vorbild der früheren europäischen (Kolonial-)Politik folge. Daher bezeichnete er die Kritik aus dieser Richtung an dem neuen Einfluss Chinas, wie sie in letzter Zeit von verschiedenen europäischen Seiten vorgetragen wurde, auch als scheinheilig. Europa kritisiere Chinas Profitinteressen und die Nichtbeachtung von demokratischen Prinzipien, während den afrikanischen Staaten gleichzeitig neue Freihandelsabkommen mit der EU aufgedrückt werden, die größtenteils negative Konsequenzen für die Länder haben. Dagegen müssen sich nach Melber die sozialen Bewegungen und linken Kräfte zu Chinas Einfluss positionieren und chinesische Konzerne in ihre Kritik an dem Vorgehen multinationaler Konzerne in Afrika mit einbeziehen. Für viel Gesprächsstoff beim WSF in Kenia wird sicherlich eine Erklärung sorgen, die bei dem polyzentrischen Forum 2006 in Mali veröffentlicht wurde. Mit dem so genannten Bamako Appell haben führende Köpfe der globalisierungskritischen Bewegung ein Dokument verfasst, welches die Sozialforumsbewegung an einem Wendepunkt verortet. Die Mitverfasser des Aufrufs, Samir Amin und François Houtart, legen in der Le monde diplomatique (Mai 2006) dar, dass die sechs Weltforen, die bisher stattgefunden haben, es erfolgreich geschafft hätten, im kollektiven Gedächtnis die Möglichkeit einer Alternative zur neoliberalen Globalisierung zu verankern. Dennoch sei es nun an der Zeit, von der Schaffung eines kollektiven Bewusstseins zum Aufbau von kollektiven Akteuren überzugehen, "um zur Schaffung eines neuen historischen Subjekts zu gelangen, das natürlich - wie im 19. und 20. Jahrhundert - die ArbeiterInnenklasse einschließt, daneben aber auch einen breiten Fächer sozialer Akteure und Bewegungen." Neben diesem Anspruch fordern die Autoren von der Sozialforumsbewegung die Entwicklung kurz- und mittelfristiger politischer Alternativen und problematisieren, dass die Treffen auf Grund ihres vielfältigen Charakters nicht in der Lage sind, Entscheidungen zu treffen. Die konkrete Entwicklung von politischen Alternativen sehen die Autoren aber als Voraussetzung für die Entstehung eines neuen historischen Subjekts an. Zur Frage, wer dieses Subjekt verkörpere, findet sich im Appell dagegen kein Hinweis. Im Bamako Appell wird die Notwendigkeit der Schaffung von Alternativen in zehn politischen Bereichen untergliedert. Die Themenpalette reicht von der "politischen Organisierung der Weltwirtschaft" über die Forderung nach Demokratisierung von Gesellschaften und der internationalen Institutionen wie dem IWF bis hin zum "Aufbau einer vereinten Bewegung der Werktätigen". Hinter der orthodoxen Rhetorik des zuletzt genannten Punktes verbergen sich Forderungen nach einer Transnationalisierung der Gewerkschaften, um sich gegen die Kapitalmacht global zur Wehr setzen zu können und die Konkurrenz der nationalen Arbeiterklassen abzuschwächen.

Ambivalente Herrschaftsbeziehungen

Besonders der Fokus auf die Herausbildung eines neuen historischen Subjekts hat dem Bamako Appell bisher viel Kritik eingebracht. Ein Quartett von linken AktivistInnen und AkademikerInnen aus Südafrika kritisierte, dass der Aufruf ein Versuch sei, die gescheiterte Politik des 20. Jahrhunderts auf das neue Jahrhundert zu übertragen, wie sie sich im engen Fokus auf die Herausbildung eines neuen revolutionären Subjekts widerspiegele (1). Den AutorInnen zufolge werden die Formen der politischen Kultur und Praxis, die sich in der globalisierungskritischen Bewegung durchgesetzt hätten, wie konsensuale und horizontale Entscheidungsfindungsprozesse und die Akzeptanz von Unterschiedlichkeit, nicht im Bamako Appell reflektiert. Stattdessen gäbe es einen Rückbezug auf die politische Kultur der autoritären Linken, verkörpert durch Elemente wie Einheit, Disziplin und Avantgarde-Denken. Dieser Vorwurf speist sich vor allen Dingen aus der Kritik, dass der Bamako Appell die Absicht verfolgen würde, den Weg zu einer globalisierungskritischen Expertokratie zu bereiten, die sich aus AkademikerInnen und BerufsaktivistInnen zusammensetze. Dagegen fordert das Quartett, dass die widerständigen Subjektivitäten, die im Kampf um die unmittelbaren Bedürfnisse gegen die Ökonomisierung aller Lebensbereiche entstanden sind, als zentraler Bezugspunkt für die Sozialforen betrachtet werden sollten. Die Autoren beziehen sich hier auf die Kämpfe der Arbeitslosen in Argentinien, die politische Praxis der Zapatisten und die sozialen Kämpfe gegen Wasser- und Stromprivatisierung in den südafrikanischen Townships. Diese als "politics of the poor" bezeichneten Kämpfe und die sich darin artikulierten Widerstandspraxen haben den AutorInnen zufolge einen viel größeren Anteil an der Dynamik der globalisierungskritischen Bewegung als die Kämpfe der gewerkschaftlich organisierten Arbeiterklassen, auf deren Organisierung, laut den südafrikanischen Autoren, der Bamako Appell primär abzielt. Die Kämpfe und "life strategies" jenseits des Arbeitsplatzes und der formellen Lohnarbeit würden durch eine Institutionalisierung der Sozialforen auf Basis des Bamako Appells diszipliniert werden und ihren autonomen Charakter und ihre Dynamik einbüßen, so die Kritik der südafrikanischen AutorInnen. Die Warnung, dass mit einer Institutionalisierung der Weltsozialforen auch der basisdemokratische Anspruch der Bewegung für eine andere Globalisierung verloren gehen würde, ist sicherlich nicht ganz unbegründet. Gleichzeitig reflektiert dieses Bedürfnis auch die Zusammensetzung der Weltsozialforen. Ein Hauptteil der TeilnehmerInnen entfällt auf den globalisierungskritischen Jet Set aus der internationalen NGO-Szene, während der Anteil an BasisaktivistInnen und lokaler Bevölkerung stark schwankt und von den lokalen Bedingungen abhängig ist. Der Großteil der professionellen GlobalisierungskritikerInnen braucht für die Befriedigung seines Informationsbedürfnisses kein jährliches Treffen und kann zum nächsten Schritt übergehen, der konkreten Ausarbeitung einer anderen Globalisierung.

Repräsentation von Subalternität

Die Kontroverse wirft einmal mehr das Problem politischer Repräsentation von Subalternität auf. Wer entscheidet, was für wen auf der Weltversammlung der sozialen Bewegungen vor dem Hintergrund einer Ungleichverteilung von Ressourcen die Mobilität und den Zugang zu Informationen ermöglicht? Die Kritik, dass es sich bei den Weltsozialforen mehr und mehr um Treffen einer globalisierungskritischen Expertokratie handelt, wird ähnlich zu der Position der südafrikanischen AutorInnen auch von anderen Seiten erhoben. Barounga Abdal Kader von der Flüchtlingsinitiative Brandenburg (FIB) ging bei dem Wochenendseminar in Berlin sogar so weit, das WSF auf Grund dessen, dass es "von oben" organisiert und geplant sei, mit den Strukturanpassungsmaßnahmen des IWF zu vergleichen. Seiner Meinung nach hätten die NGOs, die das WSF dominierten, nichts mit der gesellschaftlichen Realität in den afrikanischen Ländern zu tun, die vielmehr stark von ethnischen und kulturellen Spaltungslinien geprägt seien. An diesem Punkt widersprach Aissatou Cherif Baldé, die auf Grund ihrer Beteiligung an Studierendenprotesten aus Guinea flüchten musste und als Lehrbeauftragte am Asien-Afrika Institut der Uni Hamburg arbeitet. Sie schwächte bei dem Seminar die Bedeutung dieser Spaltungslinien ab und bestand dagegen auf der Feststellung, dass die gesellschaftlichen Eliten einen wesentlichen Anteil an den Problemen in vielen Ländern haben. Dorothea Haerlin von attac Berlin kritisierte den Vergleich zwischen WSF und Strukturanpassungsmaßnahmen. Für sie handelt es sich bei dem WSF nicht um ein abgeschlossenes Projekt, sondern um einen Versuch, der die Perspektiven und politischen Praktiken von Basisbewegungen aus unterschiedlichen sozialen und politischen Realitäten zusammenzuführen kann. Es wird interessant sein zu sehen, wie sich das WSF in Kenia zusammensetzen wird und welche Themen die politische Agenda bestimmen werden. Romin Khan Anmerkung: 1) Franco Barchiesi u.a.: Does Bamako Appeal?: The World Social Forum versus the Life Strategies of the Subaltern, www.nu.ac.za/ccs/default.asp?3,28,10,2787 aus: ak - analyse & kritik - Zeitung für linke Debatte und Praxis/Nr. 512/15.12.2006