Schöner Wohnen mit der NPD

Herbstlaub wirbelt über den Friedhof in der Dorfmitte. Vorbei an vier Windkrafträdern fällt der Blick in die Weiten der vorpommerschen Provinz. Lastwagen brettern durch den Ort. Hier, wo die ...

...
Bundesstraße von Anklam nach Altentreptow einen scharfen Knick nach rechts macht, soll sie liegen: die Hochburg des deutschen Rechtsradikalismus. Eine zerfledderte Pommernfahne flattert über einem verlassenen Hof. Die meisten Rolläden sind heruntergelassen. Kein Mensch ist auf der Straße. "Wer hier keine Arbeit hat, verkriecht sich", erklärt Bürgermeister Norbert Mielke. Wie hoch die Arbeitslosigkeit ist, wisse er nicht. Wohl etwa fünfzig Prozent. "Uns werden bewußt keine genauen Daten gegeben." Landesweit beträgt die Quote 17,3, vielerorts über dreißig Prozent.

Postlow in Mecklenburg-Vorpommern. 38,8 Prozent der 400 Einwohner stimmten hier bei den Landtagswahlen im September für die NPD, die mit sieben Prozent in den Landtag einzog. Doch spürbar sei Rechtsextremismus hier überhaupt nicht, wehrt Norbert Dörschner ab, wirft einen Öllappen auf den Boden und grüßt. "Es gibt hier keine rechte Szene." Sicher, die Zeiten seien einmal besser gewesen, sagt der Werkstattinhaber. Eine Gaststätte habe es einst gegeben, Arbeit und soziale Sicherheit. Auch der Konsum-Bus sei ab und an gekommen. Jetzt muß Dörschner zum Einkaufen mehr als zehn Kilometer fahren. Aber dieses Meckern und Mosern, "das haben wir uns aus dem Westen abgeguckt".

Auch wenn nur "Schwachköpfe" NPD wählten, Verständnis habe er dafür. Ein Kunde auf dem Hof fragt: "Was würden Sie denn wählen, ohne Arbeit, ohne Lehrstelle, ohne Hoffnung?" Dörschner schraubt an einem Trabbi herum: "Ein Liebhaberstück." Die Zeiten, in denen Kapitalismus noch ein Wort aus den Schulbüchern war und kein realexistierendes Problem, haben viele Liebhaber hier.

Wer in Postlow prügelnde Nazihorden sucht, sucht vergebens. Den von ihr vor Jahren proklamierten "Kampf um die Straße" hat die Partei vor Jahren gewonnen; es bedarf keiner martialischen Auftritte mehr - nicht nur Springerstiefel, auch Gummistiefel kommen bisweilen ultrabraun daher. Auch die zweite Phase des NPD-Planes, der "Kampf um die Köpfe", wurde längst erfolgreich umgesetzt. NPD ist Normalität, Vorpommern von der Parteiführung als Modellzone auserwählt. Hier werden die Konzepte umgesetzt. Die letzte Stufe, der "Kampf um die Parlamente", ist seit September auch vorangekommen; Postlow eine der "national befreiten Zonen", die die NPD anstrebt: Gemeinden, in denen der Staat nicht mehr präsent ist, die Faschisten die kulturelle Hegemonie anstreben und Andersdenkende ihre Ansichten nicht mehr offen zeigen. Dazu beigetragen haben vor allem die demokratischen Parteien. Denn sie haben Orte wie Postlow längst abgeschrieben. Nicht einmal im Wahlkampf waren sie hier präsent. Ernstgenommen fühlt sich in Postlow niemand von ihnen.

"Die von der NPD", erklärt Dörschners Mutter Annemarie, das seien "ordentliche und vernünftige Jungs". "Die haben auch als einzige ihre Häuser richtig schön renoviert", lobt der Bürgermeister. Schöner wohnen mit der NPD. "Eintritt nur nach Aufforderung", steht auf dem Schild vor Mielkes Görkener Geflügelzuchtbetrieb. Der Hof wirkt trostlos und grau wie das ganze Dorf. "Die verlassenen Häuser bleiben hier stehen, bis sie zusammenfallen", sagt er. Auch der Konsum ist verriegelt. Farbe blättert von der Fassade. "Laden geschlossen", seit zehn Jahren. Görkeners Ex-Frau betrieb diese "Einkaufsstelle". In der Silvesternacht 1996 verschwand sie: "In den Westen geflüchtet." Es irritiert kaum, daß er von Flucht redet. Ein junger Mann schlendert an der Kirche vorbei. Auf seinem Pullover steht in Fraktur HBP - der Heimatbund Pommern ist eine der aktivsten Kameradschaften in der Region. Die Kleidung: "Nur eine Mode", sagt der Bürgermeister. 1989 noch habe er mit Feuer im Herzen die "bundesdeutsche Flagge" gehißt, erzählt Mielke. "Verrottet, wie das ganze System", sei sie inzwischen. Zwar wolle er nichts verharmlosen, doch "was von 1933 bis Kriegsbeginn geleistet wurde", das suche heute seinesgleichen.

Ob die Partei nun NDSPA oder NSDAP hieß, da sei er sich unsicher; "aber das tut ja nichts zur Sache". Jedenfalls sei es an der Zeit, "wieder eine anständige Fahne zu hissen". Auf die Frage nach den Hakenkreuzen und SS-Runen in seiner Gemeinde geht er nicht ein. Dafür um so leidenschaftlicher auf die Zeiten, als noch "die Asylanten" hier lebten. Selbst die Polizei habe sich "lieber umgedreht". Dreißig bis vierzig von "diesen Dingern" hätten im Dorf "gewütet". All denen, "die noch arbeiten für das Wohl des deutschen Volkes, wird doch täglich in den Arsch getreten".

Von neonazistischen Gewalttaten, er nennt es "Dinge, die passieren und die so nicht in Ordnung sind", distanziert er sich freilich. "Die NPD aber immer an den Pranger zu stellen, oder ein Verbot anzustreben, das ist nicht gerechtfertigt." Aber im Grunde sei es auch egal. Es herrsche ohnehin eine Diktatur in Deutschland. Die große Koalition die das rot-rote Bündnis im Bundesland jetzt ablöste, bestätige ihn da nur.

Die Wahlen, grübelt der Rentner Peter Streblow, müssen gefälscht gewesen sein. "Die NPD hat da Stimmzettel reingeschmuggelt", ruft er aus seinem Wohnzimmerfenster. Nur einmal sei er zur Wahl gegangen. "Aber das ganze Dorf wußte, was ich gewählt habe." Er verzieht angewidert sein Gesicht. Niemandem könne man trauen. Auch an den Mauerfall habe er wochenlang nicht geglaubt. Und da sei er nicht der einzige gewesen. "Wenn das ja nur ‘n Trick gewesen wärÂ’", schreit er gegen den Durchgangsverkehr an, "dann wärÂ’ das ja alles auf uns zurückgefallen". Verläßt man das Dorf in Richtung Anklam, geht es linkerhand nach Tramstow. Im Schneckentempo schaukelt der leere Bus über das Kopfsteinpflaster. Staub wirbelt auf. Ein Pitbullterrier stellt sich mit gefletschten Zähnen auf seine muskulösen Hinterbeine; wirft sich gegen einen baufälligen Gartenzaun. Nebenan hackt ein 37jähriger Mann Brennholz. "NPD?", fragt der arbeitslose Tierpfleger. "Na und? Schlimmer kann es ja nicht mehr kommen."

Unweit des verwahrlosten Hauptgebäudes der ehemaligen LPG, das wie ein Skelett die Dorfmitte bildet, steht eine junge Familie vor ihrem adretten Einfamilienhaus mit exklusivem Biergarten: In der Einfahrt parkt ein neuer Mercedes. Reden will der Familienvater nicht. Mit dem Arm auf meiner Schulter, begleitet er mich höflich-bestimmt zurück auf die Straße.

Ein Jugendlicher trottet mit einem Müllsack die Straße hinab. "Weiße Macht", liest man auf seiner Brust; darunter eine Maschinenpistole. Rechts sei er nicht, aber es sei besser "die selben Sachen zu tragen wie die", sagt er. Es gibt sie also doch, die von den Einwohnern noch nicht gesichteten Nazis im Dorf? Ja, aber früher seien das mehr gewesen. Da hätten sie bei Dorffesten "immer was losgemacht". Der reiche Mann, frage ich: Wer ist das? Der fahre für die Post, kassiere "ein fettes Beamtengehalt". Sonst aber ein "korrekter Typ".

in:Des Blättchens 10. Jahrgang (X) Berlin, 8. Januar 2007, Heft 1

aus dem Inhalt:
Erhard Crome: Sozialismus-Jahr; Hajo Jasper: Mehr Staat wagen; Martin Behrens: Schöner Wohnen mit der NPD; Kaspar Hauser: Herr Wendriner steht unter der Diktatur; Jochen Mattern: Fiskalische Barbarei; Holger Politt, Warschau: Widerruf der Vierten Republik; Klaus Hart, São Paulo: Brasiliens gefeierte Exportrekorde; Wladislaw Hedeler, z. Z. Moskau: Die Pförtner kehren zurück; Ignaz Katz, Philadelphia: Liebesbriefe in Bildern; Klaus Hammer: Gustav Seitz 100; Kai Agthe: "Gehirntier" isoliert im Zettelkasten;