Der Bauernhof als Kraftwerk

Methan (CH4) ist der gefährlichste Klimakiller. Sein Anteil an den Treibhausgasen beträgt gegenwärtig 20 Prozent. Das sind gut sechs Milliarden Tonnen, die jährlich in die

Atmosphäre aufsteigen und sich dort - bei einer Halbwertzeit von zwölf Jahren - mit Sauerstoff zu Kohlendioxyd und zu Wasser verbinden. 70 Prozent der Methan-Emissionen sind vom Menschen verursacht, hauptsächlich von der Landwirtschaft: bei Tierhaltung (Faulgas) und Reisanbau (Sumpfgas).

Eine Biogasanlage, die zwar nur wenig dazu beiträgt, das Kohlendioxyd-Problem zu reduzieren, aber erneuerbare Energie liefert, wodurch Ressourcen geschont werden, gibt es bisher nur auf jedem 500. deutschen Bauernhof. Die große Mehrheit der Bauern wirtschaftet traditionell: flächenverbrauchend, die Pflanzenvielfalt vernichtend, bodenverdichtend, grundwasserbelastend, energieverschwendend, giftversprühend, zum Schaden von Natur und Umwelt. Die Lobby der Bauernverbände, der petrochemischen Industrie sowie der Energiewirtschaft verhindert zusammen mit konservativen Politikern - nicht nur in Deutschland - ökologisch überfällige Strukturveränderungen auf dem Lande.

Am Beispiel meiner engeren Heimat, des Kreises Herzogtum Lauenburg, läßt sich das darstellen. In diesem schleswig-holsteinischen Landkreis - er grenzt im Westen an Hamburg und im Norden an Lübeck - leben 185.000 Menschen. Es gibt 1094 Landwirtschaftsbetriebe, von denen 443 Rinder halten und 225 Schweine züchten. Im ganzen Kreis sind lediglich vier kleine Biogasanlagen in Betrieb, eine fünfte ist geplant. Anträge auf weitere Baugenehmigungen liegen der Kreisverwaltung nicht vor, weder von privaten Interessenten noch von Genossenschaften noch gar von Kommunen.

Bauer Hubert Hümme betreibt in Behlendorf auf 40 Hektar Land eine Schweinezucht mit 1300 Tieren und seit 1998 eine kleine Biogasanlage, die zweite, die in Schleswig-Holstein errichtet wurde. Er verwendet dafür die Gülle aus den Schweineställen und zugemischten Mais. Die Anlage hat eine Nennleistung von 75 Kilowattstunden Strom und 120 Kilowattstunden Wärme. Sie erreicht 8300 Betriebsstunden im Jahr, kann also fast ununterbrochen laufen. Etwas mehr als die Hälfte der Wärmeproduktion wird für den Betrieb der Anlage gebraucht. Jährlich verbleiben 415.000 Kilowatt Wärme, das entspricht 41.000 Litern Heizöl. Hümmes Eigenbedarf für Heizung und Warmwasserbereitung beträgt aber nur 25.000 Liter. Der Überschuß geht verloren, denn ein Fernwärmenetz, in das er eingespeist werden könnte, hat Behlendorf nicht. Anders beim Strom: Hümme produziert jährlich 62.000 Kilowattstunden, benötigt selbst für Haus und Ställe nur 18.000 kWh und verkauft 44.000 kWh ins öffentliche Netz. Was er dafür bekommt, lohnt kaum die Mühe.

In Hümmes Ställen fällt bei Strohschüttung viel Mist an. Durch Zumischung von Pflanzenabfall würde er gern in einer neuen, moderneren, die Nasen weniger strapazierenden Anlage (Trockenfermentierung) jährlich 4,3 Megawatt Strom produzieren. Damit wäre der Elektrizitätsbedarf von 4000 Haushalten zu decken.
Der Behlendorfer Bebauungsplan stand dem Vorhaben nicht im Wege. Aber Hümmes Nachbarn. Sie befürchteten noch mehr Gestank und Lärmbelastung durch Lkw-Verkehr. Sie trommelten im Dorf eine massive Abwehrfront zusammen. Auch die örtliche CDU und Bauernverbandsvertreter legten sich quer.

Der Gemeinderat verweigerte unter Verletzung des Kommunal- und des Baurechts die Baugenehmigung. Die Aufsichtsbehörden und schließlich sogar Ministerpräsident Carstensen schalteten sich ein. Die Baugenehmigung erfolgte schließlich per Anweisung. Aber Hümmes Widersacher zogen vor Gericht - mit der Folge, daß dem Landwirt, der gern auch "Energiewirt" wäre, alle fristgebundenen Fördermittel entgingen. Die Anlage steht noch immer nicht. Die Dorfbevölkerung ist in feindliche Lager gespalten. Die Geschichte füllt Aktenbände und die Seiten der Lokalpresse.

Der regionale Stromversorger kann sich über die Behlendorfer Blockade freuen, denn Biogas-Strom muß er 20 Jahre lang zum gesetzlichen Festpreis von 19,8 Cent pro kWh abnehmen. Der Einkaufspreis für Strom aus Kohle, Öl, Erdgas und Atomkraft liegt weit darunter, zwischen 2,2 und 5 Cent pro kWh.

Der Bauernverband agiert als Interessenvertretung der Großbetriebe mit Intensivlandwirtschaft. Diese ist, auch wenn das bestritten wird, höchst profitabel. Dafür sorgen EU-gestützte Abnahme- und Preisgarantien, das Prämienunwesen (Prämien gab es sogar schon für nicht produziertes Fleisch und nicht produzierte Milch), Subventionen, Steuererleichterungen (auch für Dieseltreibstoff) und ein vor internationaler Konkurrenz schützendes Vermarktungssystem. Bauernverband und sogenannter Landhandel (Raiffeisenlager, -banken und andere) sowie die Düngemittel-, Pestizid- und Herbizidhersteller der petrochemischen Industrie sind eng miteinander verbandelt; dadurch werden traditionelle Strukturen und Wirtschaftsweisen auf dem Lande geschützt.

In Biogasanlagen neueren Typs produzieren Bakterienkulturen aus Stalldung und Pflanzenresten nicht nur heißes Biogas. Als Nebenprodukt fällt wertvolle Komposterde an. Sie kann den Industriedünger ersetzen, verpestet die Luft nicht und verbessert, im Gegensatz zur Düngung mit harnsäure- und stickstoffreicher Gülle, den Weide- und Ackerboden. Humusdüngung schont zudem das Klima, denn der Humus bindet Kohlendioxyd und dünstet, anders als Gülle und Mineraldünger, weder Methan noch Schwefelwasserstoffe noch Lachgas aus, eine Stickstoffverbindung, die zehn Prozent Anteil an der globalen Treibhausgas-Emission hat. Humusdüngung fördert Wildkräuterwachstum und schafft eine Biosphäre für viele Kleinstlebewesen.

Zum Kreis Herzogtum Lauenburg gehören fünf Kleinstädte und 127 Dörfer. Stände in jeder Kommune eine einzige Biogasanlage von der Größe, wie Bauer Hümme sie plant, so könnten mindestens 600 Megawatt Strom produziert werden, genug nicht nur für den privaten Strombedarf aller Bewohner des Kreises, sondern auch für den Bedarf aller örtlichen Wirtschaftsunternehmen. Überschüssige Elektrizität könnte in die Großstädte Hamburg und Lübeck fließen.

Mit Energie aus Biomasse könnte die deutsche Landwirtschaft den gesamten Strombedarf unseres Landes decken. Hümme weiß: "Pro tausend Hektar wäre eine Ein-Megawatt-Biogasanlage ohne Minderung der Lebensmittelproduktion möglich." In Deutschland werden 18 Millionen Hektar landwirtschaftlich genutzt. Demnach könnten theoretisch 180 Gigawatt Strom aus Biomasse produziert werden, nicht zu reden von der Fernwärme. Zum Vergleich: Die gesamte gegenwärtig in Deutschland installierte Kraftwerksleistung (Kohle, Atom, Gas, Öl, Wasser, Wind, Sonne) beträgt nur 125 Gigawatt.

Dieses vernünftige Versorgungssystem läßt sich nur deswegen nicht realisieren, weil es sich gegen Bestehendes richtet, auch gegen die Interessen der Nuklearindustrie und des militärisch-industriellen Komplexes (Deutschland hätte keinen Grund mehr, seine Energieversorgung am Hindukusch zu "verteidigen"). Zudem fehlt es an Informationsprogrammen, ausreichenden finanziellen Anreizen (Windenergie und Solarstrom werden viel stärker gefördert), Ausbildungsgängen an den Fach- und Berufsschulen. Aus der Utopie wird wohl erst dann Realität werden, wenn Öl, Kohle und Gas zur Neige gehen und Alternativen sich aufzwingen.

Zu bezweifeln ist allerdings, daß unsere Umwelt es noch 45 weitere Jahre erträgt, wie wir unseren Planeten in eine immer dichtere Gift- und Treibhausgaswolke einhüllen.

Volker Bräutigam hat in Ossietzky 24/06 über Methanhydrat als Energiequelle geschrieben. Im nächsten Heft wird er sich mit dem Klimaschutz beschäftigen.