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Der weiße Mann hat die Vorherrschaft über die Welt seit Beginn der Moderne nicht erobert, um sie nun freiwillig aufzugeben. Und die weiße Frau ist ihm darin Gefährtin.

Der zunächst von der Besatzungsbehörde nach 1945, dann von den verschiedenen Geheimdiensten der USA in Deutschland aufgebaute Geheimdienst-Medien-Komplex hatte schon, nachdem Kanzler Schröder dem Bush in Sachen Irak-Krieg die Gefolgschaft verweigert hatte, unterstellt, dies sei eine Folge der Eitelkeit des Kanzlers. Von Politik war nicht wirklich die Rede, erst recht nicht von der Kriegsablehnung der Bevölkerungsmehrheit in Deutschland.

Mit Angela Merkel sah man dann eine Milderung der Spannungen. Sie habe, sagt man, die Beziehungen zu den USA, gemeint ist: zu Bush, wieder in ein Lot gebracht. Gewiß, deutsche Truppen stehen nach wie vor nicht im Irak. Man gesellt sich ja auch nicht freiwillig den Verlierern zu. Aber in anderen Teilen der Welt, auf den verschiedenen Meeren sind deutsche Einheiten präsenter denn je, und unter den Argumentationsfiguren "des Sachzwangs" werden wir bald neue Debatten über den Bau von Panzerkreuzern, neuen Flugzeugen oder über Heeresvorlagen zur Aufstellung neuer kriegstauglicher Truppenverbände haben.

Ihren ersten Auslandsbesuch als Inhaberin der Präsidentschaft der Europäischen Union und zugleich Präsidiale der G8 hat Kanzlerin Merkel bereits am 4. Januar in Washington abgestattet. In ihrer schlichten Sprache hob sie hervor: "Daß diese Reise nach Washington geht, ist kein Zufall, sondern das drückt aus, daß wir natürlich eine Vielzahl von gemeinsamen Interessen haben, daß wir gemeinsame Werte teilen Â…" Und dann fügte sie hinzu, in dem Gespräch sei es auch um "das Projekt eines gemeinsamen Marktes" gegangen.

Das nun läßt in besonderer Weise aufhorchen. Nachdem jahrzehntelang der Westen den Freihandel zur eigentlichen Quelle des Reichtums erklärte - was dann sein eigener Reichtum wurde, während die Länder des Südens, die wegen der Bedingungen des Internationalen Währungsfonds darauf hereingefallen waren, immer ärmer wurden, mit Staatszerfall, Bürgerkriegen und grassierender Armut -, ist er nun fest entschlossen, die Festung zuzumachen. Der Chinese oder der Inder soll nicht in die Lage versetzt werden, die Vorherrschaft der Welt des weißen Mannes zu zerstören; und die weiße Frau trägt dazu bei.

Unter den besonders eifrigen Einflußagenten des Geheimdienst-Medien-Komplexes der USA in Deutschland gab es schon immer mal die Einlassung, Westeuropa sollte den USA beitreten, und dann habe der Westen die richtige staatsrechtliche Form.

Bisher haben die unterschiedlichen Sozialsysteme Kontinentaleuropas und der USA (unter Einschluß Großbritanniens) dem entgegengestanden. Nach den Jahren des Sozialabbaus in Deutschland schwinden jedoch diese Unterschiede. Das Kapital wünscht die Kompatibilität. Als Zwischenstadium wird nun also die Idee eines "transatlantischen Partnerschaftsabkommens" lanciert, das EU und NAFTA zusammenbinden soll. Bisher war das ein Tagtraum reaktionärer Weltveränderer; nun also der Frau Bundeskanzlerin.

Im Hintergrund stehen die wirtschaftlichen Verflechtungen. Die bilateralen Handelsströme zwischen NAFTA und EU sind einzigartig in der Welt. Der anschwellende wechselseitige Bestand an ausländischen Direktinvestitionen stellt das Herzstück der ökonomischen Interdependenzen dar. Hier geht es um über 1,5 Billionen Euro (in europäischen Billionen gerechnet, das heißt je tausend Milliarden Dollar). Damit kontrollieren die beiden Seiten des angezielten Wirtschaftsblocks - wertmäßig in den Werten des Westens gerechnet - etwa sechzig Prozent des weltweiten Produktivvermögens. Zwei Drittel der ausländischen Direktinvestitionen EU-europäischer und US-amerikanischer Firmen fließen auf die jeweils andere Seite des Atlantiks.

Betrachtet man nun die Produzenten der Meinung der deutschen Großmedien, so hat etwa Der Spiegel (Nr. 37/2006) mitgeteilt, China und Indien seien "Angreiferstaaten", sie hätten dem Westen den "Weltkrieg um Wohlstand" erklärt; die "im Kalten Krieg bewährte Waffenbrüderschaft könnte im Weltwirtschaftskrieg fortgesetzt werden". In diesem Sinne agierte nun also Waffenschwester Merkel bei Bush, um diese weiter zu befördern.

Der CDU-Bundesvorstand hatte bereits am 23. Oktober 2006 beschlossen: "Um die Stärke der Freien Welt (Großschreibung im Original - E. C.) im 21. Jahrhundert zu garantieren, schlagen wir ein Transatlantisches Partnerschaftsabkommen vor, das alle wesentlichen politischen Felder umfaßt Â…" Genau das hat Frau Merkel jetzt in Washington getan.

Hinzu kommt ein weiterer Punkt: Im Interesse einer EU-europäischen "Einrahmung" Deutschlands schien es auch linker Politik geboten, für die Integration einzutreten. Dies erweist sich nun zunehmend als problematisch. Der jährliche Außenhandelsüberschuß Deutschlands von über 150 Milliarden Euro ist vor allem ein Überschuß, der innerhalb der EU erwirtschaftet wird. Der gegenüber den USA ist demgegenüber marginal. Die EU ist immer mehr ein Gefüge, in dem die anderen Länder von Deutschland abhängig sind. Und im Kapitalismus gilt allemal der Grundsatz: Wer bezahlt, bestellt die Musik.

Damit haben wir es mit einer neuen Dialektik zu tun: Europa ist in den vergangenen anderthalb Jahrzehnten immer mehr zu einem "deutschen Europa" geworden. Das heißt, das "europäische Deutschland", um dessen Werden zu Anfang der 1990er Jahre heiße Debatten gingen, ist zwar entstanden, aber nur, weil Europa dabei ein "deutsches Europa" wurde.

Deshalb konnte Frau Merkel als Präsidiale auch so locker mit Bush reden: Sie waren "G 2". Das EU-Europa und "G 8" sind nur Erscheinungsformen dieser Machtkonfiguration. Wenn es gegen den Chinesen und den Inder geht, sind sich die "weißen Männer" noch immer einig, auch wenn eine Frau dabei ist - als "Gefährtin" der Macht.

Zum Weiterlesen: Thomas Fritz: Wehrhafter Westen. Wie ein transatlantisches Partnerschaftsabkommen die unipolare Welt gegen China verteidigen soll. Berliner Landesarbeitsgemeinschaft Umwelt und Entwicklung (BLUE 21), Berlin 2006.

in: Des Blättchens 10. Jahrgang (X) Berlin, 22. Januar 2007, Heft 2

aus dem Inhalt:
Helge Jürgs: Üblichkeiten; Theobald Tiger: Eine Frage; Heerke Hummel: Zwei Döner für Goethe; Gerd-Rüdiger Hoffmann: Leichenfledderei; Margit van Ham: Der Ohrstöpselboom; Sibylle Sechtem: Bubenstückchen; Lars Berthold: Winterstarrer Gedächtnisort; Erhard Crome: G 2; Kurt Merkel: Vor der Wahl, nach der Wahl; Uri Avnery, Tel Aviv: Was läßt Sammy rennen?; Mario Keßler: Stärker als Hitler und Stalin; Hermann-Peter Eberlein: Stassow; Jens Knorr: Die Erschöpfung des Menschen;