Wer A sagt, muss gar nicht B sagen

Wir sind gefragt worden, einen Beitrag für diese Nummer von Bildpunkt zu schreiben, weil wir trotz (oder gerade wegen) unserer Kritik am Kunstbereich, die wir in den 1990er Jahren in Diskussionen und

Artikeln geäußert haben, eingeladen wurden, an "besonders heiklen" Orten zu arbeiten. Wir haben in einigen Fällen diese Einladung ausgeschlagen und sie - im Fall der Generali Foundation in Wien - öfters angenommen.
"Trotz (oder gerade wegen)" scheint dabei der kritische Punkt zu sein. Beides legt den Verdacht der Vereinnahmung kritischer Positionen nahe und der eigenen Korrumpierbarkeit durch den Erfolg. Bei uns trifft dieser Verdacht sehr explizit zu, weil wir uns in unserer Kritik gegen eine ökonomische Abhängigkeit von Kunst gegenüber privaten Firmen gewandt haben, wie sie in den Sponsoringdiskussion in den 90er Jahren extrem ideologisch verhandelt wurde - vielleicht weil diese Diskussion für den Kunstbereich das betraf, was andernorts unter Public Private Partnership, Privatisierung, Verschlankung, all diesen termini technici der Neoliberalisierung, ablief. In dieser Diskussion war uns schnell klar geworden, dass es nicht darum ging, sauberes Staatsgeld gegen böses privates Geld zu verteidigen. Aber es ging darum, die Gewährleistung eines autonomen Raums zu fordern, der das allgemeine Recht auf Wissen und auf kulturelle Äußerungsmöglichkeit betrifft.
Heute würden wir sagen: Dieser Raum ist keine staatliche Kunsthalle, keine Bibliothek und keine Universität, sondern eine Ethik. In dieser Ethik geht es um die Freiheit zu lernen und Zeit dafür zu vergeuden, ohne ökonomisch anwendbar zu sein, um die Freiheit, sich zu äußern und eine Öffentlichkeit ohne Corporate Identity zu bilden.
Wir glauben auch, dass die Forderungen nach Indienstnahme von Kunst zur Motivierung der MitarbeiterInnen oder zur Schaffung eines zeitgemäßen Firmenimages, die in den 1990er Jahren von den Wortführern des Sponsoringkreises des BDI erhoben wurden, nun schon längst von der Regierung übernommen worden ist. Vielleicht, weil die künstlerische und kulturelle Äußerung schon lange in eine gesellschaftliche Dynamik hineingeraten ist, die sämtliche Formen der Produktion von Sinn als Produktion von Image versteht. Es gibt z. B. kaum eine politische Aufklärung der deutschen Bundesregierung mehr, sondern nur noch Kampagnen für verschiedene Gesetzesentwürfe, deren Message sich auf die Vermittlung eines schwammigen United Colours-Gefühls reduzieren lässt.

Es geht sehr schnell, dass man in öffentlichen Diskussionen zu einer Figur festgeschrieben wird. In unserem Fall war das eine Zeit lang: "Sponsoringkritiker". Inwieweit ist man dieser Figur verpflichtet? Inwieweit wird einem damit auch ein Platz zugeschrieben, den man nicht wechseln darf? Inwieweit wird man zur eigenen Trademark? Diese Fragen könnten die Identität der "kritischen Figur" betreffen. Eine andere Frage betrifft ihren Handlungsspielraum, der sich als Raum der Wahl darstellt, der die Kritik überflüssig werden lässt: Warum hält man sich noch auf in diesem Bereich, den man kritisiert? Oder umgekehrt: Wer den Kunstbereich kritisiert und sich trotzdem in ihm aufhält, macht sich unglaubwürdig. Diese Argumente verschleiern einerseits die Drohung: Wer kritisiert, fliegt raus. Andererseits suggerieren sie, dass Kritik ein Karrieremodell ist, das wie das Prinzip der Avantgarde im Zeitalter der Moderne funktioniert. Ausgeschlossen wird, dass der Raum veränderbar ist oder dass er diffus/nicht identitär ist - eher ein Schwamm mit vielen Löchern als eine Front.

Als wir 2002 eine Ausstellung über Militanz in der Generali Foundation machten, konnte das sowohl als ein Verstoß gegen die Glaubwürdigkeit der "Sponsoringkritikerfigur", als auch als Transport von politischer Radikalität zu einem Versicherungskonzern verstanden werden. Wenn wir eben den Kunstbereich als einen Schwamm mit Löchern beschrieben haben, dann ist die Generali Foundation in Wien eines dieser Löcher. Diese Löcher sind Möglichkeitsräume, innerhalb dieses Bereiches zu agieren und auch eine kunstpolitische Geschichte und Tradition lebendig zu halten, die mit der Grund dafür ist, dass man weiter künstlerisch arbeitet. Es wäre falsch, institutionell zu argumentieren, indem wir sagen, dass DIE Foundation diesen Raum aufgetan hat durch die Ausstellungen und die Publikationen, die sie macht. Denn es ist nicht DIE Generali Foundation, die diese Ausstellungen organisiert, sondern ihre Direktorin und ihre Kuratorinnen und MitarbeiterInnen und ihr künstlerisches und intellektuelles Selbstverständnis. Das Image für den Konzern heißt Progressivität und bleibt diffus darin, und es bleibt fragwürdig zu diesem Image etwas beigetragen zu haben. Aber es wäre für uns unmöglich gewesen, diese Ausstellung z. B. in Deutschland zu realisieren. Wir erinnern an die RAF-Ausstellung in den Kunstwerken in Berlin, die nicht nur durch die Zensur durch den Verfassungsschutz, sondern auch durch den vorauseilenden Gehorsam ihrer KuratorInnen zu einer Apotheose der Springerpresse wurde, wo die Äußerungen der Akteure nur in Vitrinen verschlossen ausgestellt wurden.

In einem anderen Fall haben wir Gelder des Siemens Kulturprogramms abgelehnt, weil wir im Verhandlungsverlauf merkten, dass die Distanz zwischen unserer Arbeit und dem Image des Konzerns nicht gewahrt wurde und dass alles, was wir organisierten, zu einer Initiative dieses Konzerns vereinnahmt zu werden drohte. Wir haben uns auch geweigert, an einem Rahmenprogramm zur Berlin Biennale 1998 teilzunehmen, weil wir kein Teil der CI dieser Stadt werden wollten. Andererseits haben wir eine Arbeit für den privatisierten Teil der Universität Klagenfurt gemacht, gerade weil wir zum Thema Privatisierung von Wissen arbeiteten und das an Ort und Stelle bringen wollten. Wir haben für unser Projekt ExArgentina Gelder von der Bundeskulturstiftung bekommen und trotzdem wird dieses Projekt im Bereich der selbstorganisierten Künstlerprojekte diskutiert, weil wir im dritten Teil die Leitung auf die KünstlerInnen übertrugen.

Diese Fälle zeigen, dass es für uns sehr schwierig geworden ist, in unseren Entscheidungen Kategorien einzuhalten, die auf solche Antinomien wie Staat/Privatwirtschaft, institutionell/nichtinstitutionell, "Straße oder Museum" rekurrieren. Nach unseren Erfahrungen mit Institutionen und mit Gruppenprozessen glauben wir, dass es manchmal präziser ist, davon zu berichten, wie sich politische Tendenzen und Hegemonien in die persönlichen Entscheidungen einzelner niederlassen, als in einen abstrakten institutionellen Corpus.
Wir haben bei Diskussionen mit politischen Gruppen erfahren, dass die radikale Ablehnung DER Institution oft auch die eigenen Klischees von Kunstproduktion oder "Museum" in sich trägt und perpetuiert, oder dass die Distanznahme zur Institution oft auch Personen trifft - z. B. AssistentInnen, deren vollkommene Ausbeutung man aber zuvor zur Realisierung der eigenen Arbeit in Anspruch genommen hatte. Umgekehrt werden in der unhinterfragten Akzeptanz der Aktion auf der Straße die Hegemonien und Gruppendynamiken dort oft nicht thematisiert.

Wir möchten keinen moralischen Nebel verbreiten, sondern wir möchten behaupten, dass es einige sehr konkrete Kriterien gibt, um zu entscheiden unter welchen Bedingungen eine Zusammenarbeit möglich ist.
Veranstaltungsautonomie: Diese Autonomie betrifft nicht nur den Inhalt der künstlerischen Arbeit, sondern auch die Struktur der Präsentation, die Umgangsformen und Diskussionen, die Inhalte und die Art ihrer Thematisierung.
Sich die Vermittlungsarbeit nicht aus der Hand nehmen lassen: Die Pressemitteilung z. B. ist ein politisch sensibler Austragungsort zwischen der CI von Institutionen und ihren LeiterInnen (in ihrer Angst vor Autoritätsverlust oder Repression) und dem, was man öffentlich formulieren will und muss. Pressemitteilungen waren in unseren Projekten immer die Punkte, an denen es die meisten Konflikte gab.
Politische Idiosynkrasien bewahren: Wir meinen kein anything goes gegenüber privaten oder staatlichen Geldquellen und Auftaggebern, solange es z. B. Minenproduzenten, Arisierungs- und Zwangsarbeitsgewinner sind oder solange es die politischen Lobbys dafür gibt. Es gibt nicht die Logik von: Wer A sagt, muss auch B sagen. Es ist anmaßender und dreht die Autoritätsverhältnisse herum, sich in die Position des Auswählenden zu setzen. In diesem Sinne behaupten wir dreist, dass es besser ist, wenn man bei der Generali Foundation in Wien ausstellt, anstatt bei der Flick Collection in Berlin ausgestellt zu werden.

Dieser Artikel erscheint in Bildpunkt. Zeitschrift der IG Bildende Kunst, "Orte der Kritik", Herbst 2006.