Die Macht der Acht

Themenschwerpunktseditorial

Man gibt sich mondän. Die Gastgeber der jährlich stattfindenden Gipfel der weltweit führenden Industrienationen laden in der Regel an geschichts- und symbolträchtige Orte. 2001 fand der G8-Gipfel auf einem Luxusschiff und im historischen Hafengelände von Genua statt, 2005 stiegen die Staats- und Regierungschefs in einem Schloss im schottischen Gleneagles ab, vergangenes Jahr ging es in die ehemalige Zarenresidenz St. Petersburg. Und im kommenden Frühsommer wird Angela Merkel ihre männlichen Kollegen im Kempinski-Grandhotel in Heiligendamm an der mecklenburgischen Ostseeküste unterbringen.
Kein Wunder, dass manch KritikerIn bei der G8 die "Führer der Welt" (so der österreichische Alternativ-Fernsehsender KanalB im Vorfeld des diesjährigen Gipfels) am Werk sieht. Denn: "Im Bild der Regierungschefs der acht stärksten Wirtschaftsnationen symbolisiert sich wie kaum sonst die Macht des globalisierten Kapitalismus und seine politische und militärische Gewalt." Schnell ist man bei Weltverschwörungen und Weltherrschern, denen das Handwerk zu legen sei.

Soweit wollen wir nicht gehen. Wiewohl auch uns Fragen kommen, die nicht rein analytischen Interesses sind: Was machen die in so einem Schloss? Stunden-, gar tagelang? Und was reden die miteinander, die Merkels und Bushs und Putins? Geht es wirklich darum, weltpolitisch relevante Strategien zu entwerfen und untereinander abzustimmen? Nach dem Motto: ‚Chinas Anteil am Weltmarkt wird uns zu groß, die machen wir gemeinsam platt, ohne dass sie es merken!Â’ Oder: ‚Wir benötigen besseren Zugang zu den Rohölmärkten. Also: Mehr Druck auf den Iran und mehr Investitionen im Nahen Osten!Â’ Oder reden die auch über die neuesten Kinofilme? Es würde uns nicht interessieren, wenn es nicht geheim gehalten würde.
Wie so oft ist es das Wechselspiel zwischen Regierenden und Protestierenden, welches das Feld für Verschwörungstheorien öffnet. Teile der globalisierungskritischen Bewegung lechzen geradezu nach Enthüllungen, die das Bild von den Weltregenten, die es anzugreifen gilt, stützen. So bauschen Protz, Paparazzi und Protest die G8-Treffen zu einem Spektakel auf, bei dem die Inszenierung längst wichtiger geworden zu sein scheint als der Inhalt (siehe S. 19).

Und dennoch lohnt der Blick nach Heiligendamm. Zwar sind die acht teilnehmenden Staaten Frankreich, Großbritannien, Deutschland, USA, Italien, Kanada, Japan und Russland nicht mehr die allein "führenden Wirtschaftsmächte", hatten doch andere Staaten wie Spanien, Indien oder China (siehe S. 33) in den vergangenen Jahren weitaus bessere ökonomische Daten zu bieten als manches G8-Mitglied. Auch gibt es auf den diversen Teilfeldern der Weltpolitik andere, wirkungsmächtigere Institutionen, etwa die WTO im Welthandel, der IWF in Finanz- und Währungsfragen oder die NATO und der UN-Sicherheitsrat in Fragen der Sicherheitspolitik (siehe
S. 24). Aber gerade diese Uneindeutigkeit in Zuständigkeit, Kompetenz und Inhalt verleiht dem G8-Gipfel das Besondere, stellt er sich doch über alle Tagespolitik und signalisiert: Hier wird das Große und Ganze verhandelt.
Das könnte einen Teil des Rummels erklären, der Zehntausende aus ganz Europa wie zu einem Rockfestival in die ostdeutsche Provinz ziehen und der die demokratisch gewählten Staatsoberhäupter ein paar Tage lang Monarchie spielen lässt. Vielleicht ist doch etwas dran an dem unterstellten abgekarteten Spiel in der Weltpolitik. Vielleicht brauchen Staatschefs wie Protestbewegung in einer medialen Welt die große Bühne, um ihre Inhalte geballt unters Volk zu bringen. Und vielleicht sucht eben dieses Volk jenes Spektakel, in dem es RebellInnen und MeutererInnen genauso gibt wie strenge RegentInnen und gütige FürstInnen. Thesen genug, um einen Themenschwerpunkt zu füllen, der sich der Macht der Acht widmet.

die redaktion