On ne joue plus

Antonella Corsani, Koordinatorin der "Intermittents", spricht über neue Spielregeln, feministische Organisationspraxis und Kapitalismus als Hexerei - nicht über Ségolène Royal.

an.schläge: Was ist ein/e Intermittent/e du spectacle?

Antonella Corsani: Die/der Intermittent/e du spectacle ist eine Ausnahmefigur in Europa. Es ist kein Status, sondern das System der Intermittents ist eine besondere Form der Arbeitslosenentschädigung, die im Kulturbereich arbeitenden Personen zugute kam, die keine kontinuierliche und immer gleich bezahlte Beschäftigung haben. Vor der Reform 2003 hatten diese Menschen in Frankreich Anspruch auf Unterstützung. Dies wurde durch das Arbeitslosenversicherungssystem gewährleistet, das mit dem Sozialsystem seit den 1960ern entstand und von den Sozialpartnern, nicht vom Staat, getragen wurde.

Was wurde 2003 geändert?

Bis 2003 war es verhältnismäßig einfach, diese Unterstützung zu bekommen. Der Medef (franz. Arbeitgeberverband) hat jedoch zehn Jahre beharrlich auf eine Reform hingearbeitet, hat mit einem Defizit argumentiert, und konnte - auf eine Art und Weise, die Teil des Skandals ist - durchsetzen, dass die Zugangsbedingungen massiv eingeschränkt und die Höhe der Beträge verringert wurden. Verantwortlich für dieses Ergebnis war eine Gewerkschaft, in der die prekär Beschäftigten kaum vertreten sind, die also vorgab jene zu repräsentieren, die sie gar nicht repräsentieren konnte.

Die Protestaktionen als Reaktion auf diese Reform waren damals sehr spektakulär und hatten eine große Medienpräsenz. Mittlerweile gibt es die nicht mehr Â…

Im Gegenteil! Die Medien haben auch damals schon versucht, uns unsichtbar zu machen. Es war ein großer und bedeutender Erfolg, es in die Abendnachrichten des öffentlich-rechtlichen Fernsehens zu schaffen. Aber das ist erst gelungen, als das Festival von Avignon bestreikt wurde, als gesagt wurde: "on ne joue plus." Das hat im Französischen zwei Bedeutungen. Einerseits bezieht sich " joue" hier auf schauspielen, andererseits ist das auch eine Redewendung, die Kindern gegenüber gebraucht wird, um sie an die Spielregeln zu erinnern. "Wir spielen nicht mehr mit, wir wollen die Regeln verhandeln", das wurde mit dieser Parole zum Ausdruck gebracht. Wir mussten immer wieder neue Aktionsformen entwickeln, um uns bemerkbar zu machen.

Was waren die Auswirkungen der Kürzungen und was die Erfolge der Proteste? Und hat sich seit 2003 etwas geändert?

Das Defizit hat sich nicht verringert, dafür aber die Zahl der Anspruchsberechtigten drastisch. 30.000 Intermittents verloren ihren Anspruch. Nur noch jene, die viel arbeiten und gut verdienen, erhalten weiterhin Unterstützung in Zeiten ihrer Arbeitslosigkeit. Durch die Demonstrationen und den öffentlichen Druck konnte erreicht werden, dass immerhin 20.000 jetzt von staatlicher Seite unterstützt werden. Das war aber nicht das Ziel. Es ging um die Solidarität zwischen den unterschiedlichen Berufsgruppen, wie sie im alten System bestand.
Es gab schließlich auf Initiative der Grünen eine interparlamentarische Kommission und im April 2006 wurde eine neue Reform beschlossen, die de facto die erste aber nur wiederholt und bestätigt hat. Mit der Erweiterung, dass zur Politik des Medef nun auch noch eine Regierungspolitik der Kontrolle hinzugekommen ist.

Welche Entwicklungen gab es seither innerhalb der Bewegung? Gab es feministische Debatten?

Es gab nie die "feministische Frage", es gab nie explizit feministische Diskussionsprozesse. Dennoch sind die Intermittents meiner Meinung nach eine feministische Bewegung. Es gibt nicht eine/n SprecherIn. Jede/r Einzelne kann das Wort ergreifen und die Bewegung nach außen repräsentieren, es herrscht ein absolut horizontales Prinzip. Diese Art des Umgangs, diese Art der Wissensproduktion und der Diskussionskultur ist Ausdruck einer feministischen Praxis und Resultat einer feministischen Geschichte.

Das funktioniert tatsächlich?

Der Bereich der darstellenden Kunst, des Schauspiels, ist ein sehr männlicher. Das Verhältnis ist siebzig Prozent Männer zu dreißig Prozent Frauen. Aber bei der Koordination - das ist natürlich nicht die Gesamtheit der Bewegung - ist es umgekehrt. Und es waren vor allem Frauen, die neue politische Aktionsformen eingebracht haben. Sehr wichtig war dabei die Fähigkeit des Zuhörens. Auf der Ebene der Diskussion gab es tatsächlich kaum vorproduzierte Diskurse, keine tradierten Ansichten, die einfach weiter getragen wurden. Alles kam von unten, aus den Erfahrungen und wurde dann später "antheoretisiert". Es gab keine fertige Ideologie, auch der theoretische Input kam letztlich von der Basis. Und sobald ein neues Problem aufgetreten ist, hat sich innerhalb der Koordination eine eigene Arbeitsgruppe gebildet, die es bearbeitet hat.

Wie konstituiert sich die Koordination?

Jede/r, der/die Lust hat mitzumachen, kommt hin und macht mit. Natürlich ist es schwierig, die Geschichte immer neu zu erzählen und die Erfahrungen jedes Mal neu zu vermitteln. Aber das wird gemacht.

Es ist vorhin schon die andere Form der Wissensproduktion angeklungen, die hier stattfindet. In deinem Vortrag hast du dich auf Donna Haraway bezogen und die gesamte Bewegung als Experiment des "situierten Wissens" bezeichnet Â…

Mittlerweile steht "situiertes Wissen" auf den Aussendungen der Koordination. Das situierte Wissen ist das der gesamten Koordination. Das situierte Wissen ist nicht "mein Wissen" oder "dein Wissen", es ist das Produkt einer Beziehung. Damit einher geht die Dekonstruktion eines "Wir". Das "Wir" ist immer eine Konstruktion. Wir konstruieren in der Koordination eine kollektive Rede, von der aber immer klar ist, dass sie konstruiert ist. Identität ist nicht gegeben, sie muss hergestellt werden. Und diese Identität ist multipel und kann nie vollends in einem Wir aufgehen. Es sind immer Teilaspekte dieses Ichs, die sich mit anderen zu einem Kollektiv verbinden, deshalb existiert immer nur ein "partielles Wir".

Ergibt sich durch dieses Selbstverständnis ein Naheverhältnis zu queeren Bewegungen?

Die Intermittents können als Metapher für das Dazwischenstehen gelesen werden, ein Dazwischen, das weder im einen noch im anderen aufgeht. Intermittents sind weder angestellt noch arbeitslos, weder Arbeit- nehmerInnen noch ArbeitgeberInnen. Das ist das queere Moment: eine Position, die in keiner binären Ordnung aufgeht.

Spiegelt sich das auch in der Praxis wider? In Form von konkreten Allianzen mit queeren, feministischen AktivistInnen?

Ja, die Organisation des Mayday haben wir bspw. gemeinsam mit den Pink Panther gemacht. Ein wichtiger Kooperationspartner ist auch Act up2, außerdem eine Arbeitslosenvereinigung, wir vernetzen uns mit Studierenden, mit WissenschaftlerInnen, wir haben z. B. eine Kommission aus Lehrenden, WissenschaftlerInnen und Intermittents gebildet. Aber auch diese Solidarisierungen können natürlich immer nur partielle sein.

In einem Text nennst du die Wahlmöglichkeiten, die der neoliberale Umbau der Gesellschaften übrig lässt, "infernalische Alternativen", z .B. "entweder weniger soziale Rechte oder mehr Arbeitslose; entweder weniger Beschäftigte oder mehr Auslagerungen; entweder weniger MigrantInnen oder eine soziale Katastrophe"Â…

Der Ausdruck stammt von Isabelle Stengers, die ihn im Zusammenhang ihrer Theorie des Kapitalismus als Hexerei gebraucht. In der neoliberalen Logik sind die Intermittents ein letzter Widerstand, ihr Konzept ist laut dieser Logik längst überholt. Jede/r ist nun für sich selbst verantwortlich, es findet eine Individualisierung von Risiken statt. Die infernalischen Alternativen als Gegenmodell zum Dazwischen der Intermittents sind nun: Entweder bist du Angestellte/r oder UnternehmerIn, entweder du gibst Befehle oder du empfängst sie. Du kannst nur zwischen diesen beiden Optionen wählen.

Wie bist du selbst zu den Intermittens gekommen?

Ich bin Ökonomin und von den Intermittents eingeladen worden, über das bedingungslose Grundeinkommen zu referieren. Aber als Ökonomin habe ich mich nie mit diesem Konzept beschäftigt. Und deswegen habe ich dort mit den Teilnehmenden Virginia Woolfs "Ein Zimmer für sich allein" gelesen. So hat meine Geschichte dort begonnen.

Was hältst Du von Ségolène Royal?

Dazu will ich nichts sagen. Ségolène Royal und Nicolas Sarkozy: das sind auch infernalische Alternativen.

Dieser Artikel erschien in: an.schläge, das feministische Magazin,
www.anschlaege.at