Riesenwirtschaftsfaktor

Frauen verschieben, davon profitieren. Mit Unterstützung von LEFÖ-Mitarbeiterinnen machte Regisseurin Anja Salomonowitz einen Film zum Thema Frauenhandel.

"Das Voyeuristische fällt weg. In meinem Film gibt es keine Bilder zu Frauenhandel", sagt Regisseurin Anja Salomonowitz. "Es passieren zwei Filme gleichzeitig. Der eine Film ist das, was man sich während der erzählten Geschichten selber vorstellt, zwei Meter vor der Leinwand. Frauenhandel handelt auf diese Weise von etwas, das nur in den Texten, aber nicht in den Bildern des Films vorkommt. Ich wollte das Mitleid von den Frauen wegnehmen, die Geschichten freilegen und von den Frauen entkoppeln."

Bei der Diskussion im Filmcasino in der Reihe "Frauenwelten" wird der Absolventin der Filmakademie vorgeworfen, dass die Frauen selbst im Film "Kurz davor ist es passiert" nicht erscheinen. "Man bekommt so das Gefühl, dass die Frauen wie ein adressiertes Paket hierher nach Österreich und wieder weggeschickt werden", meint eine Zuschauerin. Eine andere findet es falsch, dass die Frauen verschwinden: "Die Frauen gibt es im Film gar nicht mehr. Das ist eine arge Strategie." "Es geht ja um strukturelle Gewalt", wendet Anja Salomonowitz ein. "Der Kellner erzählt im Film vom Tänzerinnenvisum - alle wissen davon, nur die Frau nicht. Der Zöllner berichtet vom dreimonatigen TouristInnenvisum, das immer wieder durch Ausreise erneuert werden kann. Das System kommt den Händlern entgegen. Der Händler ist ein Arschloch, aber trotzdem gibt es das Gesetz." Betroffene als Opfer sprechen zu lassen, hätte Salomonowitz noch ärger gefunden. Die Vertreterin von LEFÖ weist darauf hin, dass die Frauen im Film doch durch ihre Texte vorkommen: "Es wird in der Ich-Form gesprochen. Und nicht über die Frauen. Sie sind da! Die Zuschauerin kann so eigene Klischees reproduzieren und verarbeiten." "Es ist keiner zuständig für den Frauenhandel", meint Helga Konrad, die ehemalige Frauenministerin, noch. "Viele schauen bei Frauenhandel weg. Man gewinnt den Eindruck, dass es immer mehr wird, aber keine Reaktion gibt. Jeder schaut weg."

Bei der Podiumsdiskussion ist auch eine Vertreterin von KARO anwesend, einer Streetwork-Organisation, die an der 150 km langen Grenze zwischen Tschechien und Deutschland arbeitet. "Ich fand es sehr spannend, diesen Grenzbeamten zu hören und zu sehen, was sein Gesicht sagt", meint sie. (Salomonowitz arbeitete mit einem echten Zöllner, einem Laienschauspieler.) "In der Grenzregion, in der die Infrastruktur schlecht ist, leben die Hotels, die Tankstellen und alle Geschäftsleute davon, dass Frauen verschleppt werden. Der Frauenhandel ist ein Riesenwirtschaftsfaktor." KARO hat seit 1996 168 Frauen aus dem Frauenhandel befreien können. LEFÖ betreute im Jahre 2006 160 Frauen und Mädchen. "Die Frauen werden kriminalisiert und illegalisiert. Legalisiert die Sexarbeit, dann wird der Kampf gegen Frauenhandel leichter!", resümiert Evelyn von LEFÖ.
"Dieses arme, hilflose Opfer hat man am liebsten. Wenn es sich wehrt, hat man dieses Opfer nicht so gerne", schimpft Helga Konrad. "Woran hapert es denn, verdammt noch einmal! Es wird meistens so getan, als ob Frauenhandel ein individuelles Problem wäre. Dabei ist er ein unglaublich kriminelles Geschäft. Für ein Ende der Ausbeutungssituation ist ein systematischer Zugang sehr schwierig und sehr wichtig zugleich. 35 Milliarden Euro gehen weltweit durch den Frauenhandel an Kriminelle." Sie ärgert es auch, dass alle Länder immer nur Transitländer sein wollen und keine Herkunftsländer des Frauenhandels. In der EU gibt es nur Programme für Drittländer, aber jetzt sind bestimmte Länder bereits in der EU und die Frauenorganisationen erhalten aus diesem Grund keine finanzielle Unterstützung mehr. "Was macht die EU? Wie macht sie einen Aktionsplan, wenn sie nicht weiß, wogegen?", fragt Konrad. "Wir sind in der Lage Menschenhandel zu managen, aber nicht zu eliminieren." Sie kritisiert, dass Frauen- und Kinderhandel gerne als nationales Problem gesehen wird: "Es geht immer um nationale Sicherheit. Jedes Land schaut, dass es das Problem, sprich die Frauen, schnell wieder loswird. Die Kinder, die zum Betteln gehandelt werden, schickt man auch so schnell wie möglich wieder zurück. Damit fördern wir indirekt den Menschenhandel, denn der lebt davon, dass es darum geht, Menschen zu verschieben." Konrad betont jedoch, dass Asyl oder die Einzelfallprüfung bei humanitären Gründen allein nicht die Antwort sein können - "ein Aufenthaltsrecht als präventive Maßnahme wäre besser!"

"Der Verein LEFÖ, der seit Jahrzehnten gegen Frauenhandel arbeitet, vermittelte mir die Möglichkeit bei ihnen zu recherchieren, sie gaben mir Interviews und Texte und schließlich habe ich auch selber Frauen interviewt", erzählt Anja Salomonowitz im Interview. "LEFÖ-Mitarbeiterinnen stellten mir ihr Wissen zur Verfügung. Bedingung für die Zusammenarbeit war, dass man die Frauen nicht erkennen darf. Die Geschichten sollten auch die unterschiedlichen Bereiche beleuchten, in denen Frauenhandel stattfindet, weil ein Normalsterblicher Frauenhandel immer schnell mit Prostitution gleichsetzt, aber es ebenfalls um sklavenähnliche Zustände für Hausarbeiterinnen in Diplomatenhaushalten geht oder das Ausnutzen durch den eigenen Ehemann. Das, was es bräuchte für die Frauen, wäre eine Perspektive des Widerstandes oder der Selbstorganisation. Das ist aber schwierig für gehandelte Frauen. Ich denke, dass die Handlungsmöglichkeiten in erster Linie bei Vereinen wie LEFÖ liegen. LEFÖ sind Kraft ihrer Erfahrung eine Autorität auf dem Gebiet. Sie können Gesetzesänderungen einfordern. Ich denke, der Film kann diese Organisation mehr ins Blickfeld rücken.

Warum ist das Bild des hilflosen, armen Opfers in den Medien so beliebt? "Weil es darum geht, einen kolonialen Blick aufrecht zu erhalten und das exotische Andere zu konstruieren, mit dem man Mitleid haben kann. Weil das Verhältnis nicht gleichberechtigt sein soll."
Anja Salomonowitz beschäftigt sich mit dem Thema Frauenhandel, weil es sehr eng mit dem restriktiven Fremdenrecht verknüpft ist: "Das Thema Frauenhandel wird benutzt. Da wird immer von der großen, bösen Kriminalität gesprochen, die es zu bekämpfen gilt und deswegen braucht man noch mehr Spezialeinheiten, Kieberer, Grenzen, Schlepper usw. Im Endeffekt bewirkt das Ganze nur, dass es noch schärfere Gesetze gibt und noch mehr illegale MigrantInnen.
Das System der Illegalisierung hinterfragt keiner. Dadurch, dass der Mann der Frau mit der Ausweisung drohen kann, weil sie eben illegal da ist und nur eine Zeitlang bleiben kann, fängt die Erpressbarkeit an. Frauenhandel funktioniert ja immer so: Schlechte ökonomische Ausgangslage in dem Land, aus dem du kommst, du reist aufgrund falscher Versprechungen in ein anderes Land und kannst dort wegen der schlechten rechtlichen Lage dermaßen ausgebeutet werden.
Diese schlechte rechtliche Lage ist das Problem und um die zu verheimlichen, wird das Gespenst der organisierten Kriminalität erfunden. In ‚Kurz davor ist es passiert‘ soll gezeigt werden, dass strukturelle Gewalt andere Formen der Gewaltausübung begünstigt und hervorbringt. Zum Beispiel in der Geschichte, die der Zöllner erzählt: Wenn man der Frau nicht mit Illegalität und Ausweisung drohen könnte, hätte man nicht so ein starkes Druckmittel in der Hand."

Dieser Artikel erschien in: an.schläge, das feministische Magazin,
www.anschlaege.at