Ich komm’ aus Kreuzberg

Bettina Blümner hat in ihrem Dokumentarfilm "Prinzessinnenbad" drei Mädchen aus Kreuzberg porträtiert.

an.schläge: Prinzessinnenbad ist ein schöner Titel für einen Dokumentarfilm. Kannst du kurz sagen, worum es geht?

Bettina Blümner: Der Film handelt von drei Mädchen, die erwachsen werden. Es geht um die Pubertät und um diese besondere Zeit, die intensiven Gefühle, die man in dem Alter hat. Der Film fängt an im Freibad und handelt von einem Sommer mit den Mädchen in diesem Bad und in Kreuzberg.

Eigentlich wolltest du einen Dokumentarfilm über das so genannte "Prinzenbad", das Sommerbad Kreuzberg, machen. Was bedeutet dieser Ort für dich?

Ich bin bei diesem Film von einem Ort ausgegangen, den ich sehr mag. Der ist mitten in der Stadt, mitten in Kreuzberg. Ich war selber oft im Prinzenbad, habe dort Leute beobachtet. Mir sind besonders die Jugendlichen aufgefallen, die da ihre Freizeit verbringen. Denen kann man beim Erwachsenwerden zuschauen.

Wie kam es zu der thematischen Verschiebung hin zu einem Porträt der Jugendlichen Klara, Mina und Tanutscha?

Es war schon immer mein Plan, sowohl das Bad als auch die Jugendlichen in den Film zu integrieren. Irgendwann habe ich aber eine SMS von Klara bekommen "Liebe Bettina, wir gehen nicht mehr ins Prinzenbad, bye Klara." Und da musste ich die Entscheidung treffen. Meistens ist es so beim Dokumentarfilm, dass sich die Schwierigkeiten letztlich als ganz gut erweisen. Wenn man flexibel ist und dran bleibt, dann kehrt sich der Schockmoment zum Guten.

Bleiben wir bei deinen Protagonistinnen, von denen der Film im Wesentlichen lebt und von denen eine ganz starke Wirkung ausgeht.

Klara war 14, als ich sie kennen gelernt habe, und wie ihr Freund so schön sagt, sie ist ein blondes Engelchen, aber hat es faustdick hinter den Ohren. Die drei Mädchen kennen sich seit dem Kindergarten und sind in Kreuzberg aufgewachsen. Mina ist halb Italienerin und verbringt sehr viel Zeit mit ihrem Freund George - auch im Film. Tanutscha ist die beste Freundin von Klara. Sie ist Halbiranerin und nimmt kein Blatt vor den Mund. Diesen Wortwitz und Charme der drei fand ich immer toll. Als ich sie kennen gelernt habe, haben wir uns in einem Café getroffen. Sie haben viel erzählt, mich dann aber auch irgendwann vergessen und einfach weiter geredet. So konnte ich direkt einen Einblick in ihre Welt gewinnen.

Der Film lief sehr erfolgreich auf der diesjährigen Berlinale in der Sektion "Perspektive deutsches Kino". Was begeistert die ZuschauerInnen an deinem dokumentarischen Porträt?

Ich glaube, dass die drei Mädchen eine große Kraft haben und einen großen Charme. Man schaut denen einfach gerne zu. Und jeder kann sich auch ein Stück weit wiedererkennen, viele erinnern sich an dieses Alter. Was mir in Bezug auf die Wahrnehmung des Films noch wichtig ist: dass es kein Problemfilm ist. Die Jugendlichen im Film haben eine unheimliche Stärke. Die werden ihr Leben meistern.

Ich hatte den Eindruck, dass du den porträtierten Menschen mit dem selben Maß an Respekt begegnest, das die drei Mädchen von ihren Freundinnen einfordern.

Für mich stand nie außer Frage, denen auf gleicher Augenhöhe zu begegnen. Es ist wichtig beim Dokumentarfilm, dass man sich für die Menschen, die man porträtieren möchte, interessiert. Ich habe eher als Freundin gefragt, nicht als Filmemacherin.

Wie viel konntest du preisgeben von dem, was die Mädchen ja sehr offen erzählt haben?

Manche Sachen deutet man besser nur an und vieles passiert dann im Kopf des Zuschauers. Man löst das von Szene zu Szene wieder neu - mit der Cutterin und dem vorhandenen Material. Einerseits macht man die Szenen schon punktgenau, aber man lässt gewisse Dinge auch offen.

Diese Offenheit gibt es auch auf formeller Ebene: Du hast alle Fragen aus dem Film herausgeschnitten und keinen Kommentar hinzugefügt.

Das war von Anfang an klar, weil ich eigentlich Spielfilmregisseurin bin. Ich schätze Dokumentarfilme sehr, die auch einen spielfilmerischen Ansatz haben: wo man auch vergessen kann, dass es ein Dokumentarfilm ist. Eine größere Nähe schafft man zu den Figuren unter anderem dadurch, dass man die Fragen nicht im Film hat.

Hättest du dir vorstellen können, einen solchen Film auch über drei Jungen zu drehen?

Ja, das Projekt war nicht unbedingt nur auf die Mädchen abgezielt. Und die Freunde von Klara und Mina spielen ja auch eine große Rolle.

Dennoch ist es sehr auffällig, dass überwiegend Frauen vorkommen. Die Väter sind weitestgehend abwesend.

Das hat sich während der Dreharbeiten herauskristallisiert, mir war das vorher nicht so bewusst, dass die Väter nicht vorhanden sind.

Ich stelle mir das als ein Wagnis vor: Letztlich bekommen wir Einblicke in drei Familiengeschichten von Menschen, die wir in Kreuzberg auf der Straße treffen können - was mir in den letzten Wochen häufiger passiert ist. Glaubst du, dass dieser Film das Leben der Mädchen sehr verändert?

Ich glaube, sie sind ein Stück erwachsener geworden. Auch dadurch, dass die Dreharbeiten so anstrengend waren. Ich musste sie auch immer wieder motivieren. Die drei haben das durchgehalten. Das ist eine große Leistung und darauf sind sie sehr stolz - und ich auch. Klaras Mutter meinte, dass sie selbstbewusster geworden sind. Ansonsten haben noch nicht so viele den Film gesehen, dass man wirklich etwas darüber sagen könnte.

Der Film stellt ja eine unheimliche Aufwertung dieser Lebensverhältnisse dar. Wir alle haben das "Problemkiez"-Gerede von Wowereit um die angeblich schlechten Kreuzberger Schulen noch im Ohr. Der Film zeigt auch, dass es keine Schande ist, ein Schulabbrecherprojekt zu besuchen. Meinst du "Prinzessinnenbad" könnte auch für andere Jugendliche interessant sein?

Das ist auf jeden Fall ein Film, der Mut macht. Der Verleih hat übrigens Klaus Wowereit eine Kopie geschickt. Ich glaube, die Reaktionen waren positiv. Vielleicht sagt der jetzt auch: "Ich komm aus Kreuzberg, du Muschi."

Zu deiner Arbeit als Filmemacherin: Gibt es eine dokumentarische Tradition, der du dich verbunden fühlst?

Zum einen ist es das amerikanische direct cinema der 1960er und 1970er Jahre. Dann schätze ich die Filme von Helga Reidemeister sehr - vor allem ihren Abschlussfilm Von wegen "Schicksal"1. Ich mag das französische Cinéma Vérité und auch Mischformen zwischen Dokumentar- und Spielfilm. Ein Film, den ich vorher auch noch geguckt habe, war Amsterdam Global Village2 von Johan van der Keuken. Es gibt auch diesen schönen Film Chronique dÂ’un été3 von Jean Rouch, in dem Rouch sich mit seinen Freunden porträtiert - halb dokumentarisch, halb inszeniert. Er zeigt einen Sommer in Paris. Vieles spielt auf der Straße. Ich mag Filme, die so lebendig sind. In meinem Film ist Sommer das wiederkehrende Motiv - und das damit einhergehende Lebensgefühl.

Wie sind deine Erfahrungen als Filmemacherin in Bezug auf die Verteilung von Fördermitteln?

Ich glaube nicht, dass man Nachteile hat als Frau. Es ist generell schwierig, Filme zu machen, weil man so viel Geld dazu braucht.

Wie sind die Verhältnisse an den Filmhochschulen?

Bei den Lehrenden in Ludwigsburg, wo ich studiert habe, waren es auf jeden Fall mehr Männer. Bei den Studierenden waren es im Spielfilmbereich auch weniger Frauen. Das ändert sich aber von Jahr zu Jahr. Ich glaube, an der dffb4 haben sie eine Quote.

Ist es schwieriger einen Dokumentarfilm oder einen Spielfilm zu realisieren?

Ich glaube, es gibt mehr Dokumentarfilm- als Spielfilmregisseurinnen. Kann ich aber nicht belegen. Die Kamerafrau Sophie Maintigneux hat einmal in einem Interview5 gesagt, dass viele Frauen nach der Hochschule gar nicht mehr als Filmemacherinnen arbeiten und dass sie sich fragt, wo die ganzen Frauen geblieben sind, die Regie studiert haben. Ich hoffe sehr, dass ich immer in diesem Beruf arbeiten kann.

1 Von wegen "Schicksal" (Regie: Helga Reidemeister | BRD 1978/79)
2 Amsterdam Global Village (Regie: Johan van der Keucken | NL 1996)
3 Chronique dÂ’un été (Regie: Edgar Morin, Jean Rouch | F 1961).
4 Deutsche Film- und Fernsehakademie Berlin
5 www.taz.de/dx/2006/02/06/a0238.1 /textdruck

Dieser Artikel erschien in: an.schläge, das feministische Magazin,
www.anschlaege.at