Armut wird gemacht

in (06.06.2007)

Aktuelle Zahlen zur Armut in Österreich erzählen die bekannte Geschichte: Armut ist weiblich. Manchmal wird die Armut sogar per Gesetz verordnet.

Zu alt, zu unerfahren, zu lange Kinderpausen, zu unflexibel durch die Kinder - die Liste der angeblichen Gründe, warum Frauen am Arbeitsmarkt weniger Chancen haben, ist lang. Gerade Alleinerzieherinnen, Migrantinnen und Frauen mit mehreren Kindern tun sich bei der Arbeitssuche sehr schwer. Dabei sind Erwerbstätigkeit und die Höhe des Verdienstes die wichtigsten Kriterien bei der Bekämpfung von Armut. Kein Wunder also, dass Armut auch hierzulande ein überwiegend weibliches Phänomen ist.
"Ich kenne Frauen, die nach Abzug der Fixkosten wie Strom und Miete für sich und die zwei Kinder hundert Euro im Monat für alles andere Wichtige wie Lebensmittel zur Verfügung haben", erzählt die Alleinerzieherin Sylvia Hiptmair. Gemeinsam mit anderen Betroffenen aus Österreich, Menschen mit Behinderungen, Obdachlosen, Erwerbsarbeitslosen und MigrantInnen, flog sie Anfang Mai nach Brüssel zur europaweiten Vernetzung von Menschen mit Armutserfahrungen. Vor dem Abflug am Wiener Flughafen wurde noch ein kurzes Treffen mit Österreichs Sozialminister Erwin Buchinger (SPÖ), der gerade gelandet war, eingeschoben. Der Sozialminister hörte sich die Probleme und Forderungen zumindest an.

Armut per Gesetz. Sylvia Hiptmair forderte mehr Respekt und Verständnis für Arbeitssuchende mit Kinderbetreuungspflichten, etwa Betreuungsplätze während der Jobsuche oder AMS-Kursen. Ein anderer Appell an den Sozialminister kam von der Asylwerberin Ljubov Kortschikova: "Ich möchte Sie bitten, Ihren Einfluss geltend zu machen, dass aus Familien nicht per Gesetz Sozialfälle gemacht werden."
Ljubov Kortschikova lebt seit mehr als fünf Jahren in Österreich und genauso lange arbeiten sie und ihr Mann auch hier. Die zwei Kinder besuchen höhere Schulen, gemeinsam wohnen sie in einem Haus in Graz. "Mit den neuen Gesetzen wurde uns im Herbst 2006 die Familienbeihilfe gestrichen, meine Kinder bekommen keine Fahrtkostenbeihilfe mehr", erzählt Kortschikova. "Und meine Arbeitserlaubnis wird nun auch nicht mehr verlängert." Dieses eine Beispiel von vielen zeigt, dass Armutsbekämpfung allzu oft am Willen oder mangelnder Weitsicht der GesetzgeberInnen scheitert.

Arbeit als Risikofaktor. Anfang Mai wurde der aktuellste Bericht zu Einkommen, Armut und Lebensbedingungen für Österreich (im Rahmen einer EU-weiten Erhebung) präsentiert. Er beinhaltet u. a. die letzten Armutszahlen von 2005. Die "Armutsgefährdung" wurde dabei den europäischen Statistik-Richtlinien entsprechend nach dem Nettoeinkommen eines Haushaltes berechnet: Die Armutsgefährdungsschwelle liegt demnach für Österreich bei rund 900 Euro für Einpersonenhaushalte, sowie 1.170 Euro für Haushalte mit einer/einem Erwachsenen und einem Kind.
2005 waren in Österreich nach dieser Berechnung 12 Prozent der Bevölkerung armutsgefährdet. Im Geschlechtervergleich liegen Männer 11 Prozent unter diesem Gesamtwert und Frauen 13 Prozent darüber. Frauen sind also weitaus häufiger armutsgefährdet, besonders allein lebende Frauen.
Allein lebende Pensionistinnen haben mit 25 Prozent ein sehr hohes Risiko, in Armut zu geraten. Noch größer, nämlich 27 Prozent, ist das Risiko für Alleinerziehende. Die Hälfte aller Haushalte von Alleinerziehenden kann keine Ausgaben über die laufenden Kosten hinaus finanzieren. Besonders gefährdet sind auch Haushalte mit drei oder mehr Kindern sowie Migrantinnen.
Über alle Untergruppen hinweg sind Erwerbslosigkeit und geringes Einkommen die größten Armutsrisiken. Über sechzig Prozent der armutsgefährdeten Frauen im Erwerbsalter sind nicht berufsstätig. Weibliche Erwerbsläufe sind oft gekennzeichnet durch Berufsunterbrechungen und schlechtere Entlohnung. Außerdem drücken sie die Pension. Teilzeitarbeit und geringfügige Beschäftigung - prekäre Beschäftigungsverhältnisse, in denen zum größten Teil Frauen arbeiten - bringen ebenso ein deutlich höheres Armutsrisiko.

Ankündigungen. Frauenministerin Doris Bures hat diese frauenspezifischen Ergebnisse des Armutsberichtes in einer eigenen Pressekonferenz präsentiert. Dabei kündigte sie mehrere Maßnahmen zur Verringerung der Frauenarmut an, wobei einiges schon passiert sein soll: Mit der Einführung der Mindestpension und der Flexibilisierung des Kindergeldes seien erste Schritte gemacht. Nun hofft sie darauf, dass sich die Sozialpartner noch vor dem Sommer auf die kollektivvertragliche Einführung eines Mindestlohns von 1.000 Euro einigen. Damit würden 60.000 Arbeitnehmerinnen über die Armutsgrenze gehoben. Alle armutsgefährdeten Frauen werden damit natürlich noch immer nicht erreicht.
Weitere Forderungen der Frauenministerin: Mindestsicherung durch Reform der Notstandshilfe und ein Ausbau der Kinderbetreuung. Am 29. Mai steht der Kinderbetreuungsgipfel an, der zum Ziel haben müsse, einen "verbindlichen Strukturplan" zu erstellen. "Über das Stadium, darüber zu diskutieren, wie viele Plätze wir wirklich brauchen, sind wir jetzt hinweg", meint die Frauenministerin.

Arme Kinder. Die Armutsgefährdung von Kindern in Österreich liegt laut aktuellem Armutsbericht mit 15 Prozent noch einige Prozentpunkte über der allgemeinen Gefährdung.
Die meisten von Armut bedrohten Kinder leben in Kärnten: 21 Prozent oder 27.000 Kinder. Auf hohe Werte kommen auch Tirol (zwanzig Prozent), Niederösterreich (18 Prozent) und Wien (17 Prozent). In der Bundeshauptstadt sind rund 53.000 Kinder armutsgefährdet. Die geringste Quote - sowohl bei der allgemeinen Gefährdung, als auch bei Kindern - erreicht Salzburg: Hier sind 8,7 Prozent der Bevölkerung und sieben Prozent der Kinder von Armut bedroht.
Die unterschiedlichen Armutsraten in den Bundesländern hängen laut Armutskonferenz mit unterschiedlichen Rahmenbedingungen zusammen: von Ausbildungsmöglichkeiten bis zu Kinderbetreuungseinrichtungen. Die unterschiedlichen Sozialhilfegesetze scheinen damit in keinem Zusammenhang zu stehen. Nichtsdestotrotz fordert die Armutskonferenz, die Sozialhilfe universell und bundesweit neu zu regeln.

Aktionspläne. Die Europäische Union hat ihre Ziele zur Beseitigung von Armut und sozialer Ausgrenzung schon 2000 in Lissabon formuliert. Damals wurden die Mitgliedsstaaten aufgefordert, alle zwei Jahre Strategien in "Nationalen Aktionsplänen für soziale Eingliederung" 1 (kurz: NAPincl) vorzulegen, für deren Umsetzung die jeweilige Bundesregierung zuständig ist.
Die letzten beiden NAPincl von Österreich (für die Jahre 2003-2005 bzw. 2006-2008) legen den Fokus auf die Schaffung von Arbeitsplätzen als Mittel zur Armutsbekämpfung. ArmutsforscherInnen und die Armutskonferenz kritisierten, dass die Aktionspläne hauptsächlich ein Katalog existierender Maßnahmen sind und kaum Strategien und neue Ideen zur Lösung künftiger Probleme beinhalten. Es fehlen noch immer verbindliche und messbare Ziele sowie ein klarer Zeit- und Budgetplan. Mutige Politik ist also gefragt, um die Schere zwischen Arm und Reich nicht noch weiter auseinander driften zu lassen.

Dieser Artikel erschien in: an.schläge, das feministische Magazin,
www.anschlaege.at