Freiheit und/oder/durch Sozialismus

DIE LINKE und die FDP streiten von Parteitag zu Parteitag

Als in Berlin am 16. Juni um 16.37 Uhr in der Sonnenallee DIE LINKE gegründet wurde, startete die FDP in Stuttgart in der „Porsche-Arena“ durch.

Als in Berlin am 16. Juni um 16.37 Uhr in der Sonnenallee DIE LINKE gegründet wurde, startete die FDP in Stuttgart in der „Porsche-Arena“ durch. Auf ihrem Parteitag wurde die Antragsberatung unterbrochen und Generalsekretär Dirk Niebel trat mit einer Miene, als wären soeben seine drei Söhne von Bolschewiken in den GULag abtransportiert worden, ans Mikrofon. Der linke Terrors wütete noch nicht vor der Tagungshalle – Niebel überbrachte die Schreckensnachricht vom Zusammenschluss der Linken: „Gegen diese gesellschaftliche Düsternis werden wir mit der Fackel der Freiheit stehen.“

Vor laufenden Kameras wechselte Showmaster Niebel das Parteitagsmotto am Rednerpult gegen das Schild „Freiheit statt Sozialismus“ aus.

Alle großen weltgeschichtlichen Tatsachen und Personen ereigneten sich sozusagen zweimal, das eine Mal als Tragödie, das andere Mal als Farce, schrieb Marx anno 1852. Der Farce in Stuttgart ging die Premiere des Mottos „Freiheit oder Sozialismus“ in einer Zeit voraus, in der es im Osten Deutschlands die DDR und im Westen Gruppierungen wie den mit Pol-Pots Kambodscha verbündeten Kommunistischen Bund Westdeutschlands gab, in dem ein späterer Planungschef in Joschka Fischers Auswärtigen Amt engagiert war.

Bekannt geworden als Wahlkampfmotto der CDU/CSU, begleitet die Alternative schon die gesamte Geschichte der bürgerlichen Gesellschaft, allerdings oft methodisch inkonsequent: Wenn die Bilanz bürgerlicher Freiheiten aus Proklamationen und Rechtsurkunden gezogen wird, ohne dass das Ausmaß in realen Verhältnissen weltweit abgelesen wird; wenn beim Sozialismus hingegen dessen Ansprüche ignoriert und ausschließlich die diesen nicht entsprechenden Realisierungen beachtet werden; wenn die Jahre zwischen 1917 und 1989 für die Bewertung des Sozialismus dienen, aber so getan wird, als wäre der aktuelle Zustand bürgerlicher Gesellschaften immerwährend gewesen: Allgemeines, gleiches und freies Wahlrecht für Mann und Frau gab es anno 1900 nach Jahrzehnten bürgerlicher Herrschaft nur in Neuseeland - seit 1893.

Das freiheitliche Pathos war anfangs antifeudal, später antikollektivistisch. Alexis de Tocqueville warnte in seinem Buch „Die Demokratie in Amerika“ (1835/40), „dass die Menschen die Gleichheit in der Knechtschaft der Ungleichheit in der Freiheit vorziehen“.

1944 versuchte Friedrich August von Hayek, ein Vordenker des derzeit viel zitierten Neoliberalismus, in seinem „den Sozialisten in allen Parteien“ gewidmeten Buch „Der Weg zur Knechtschaft“, sozialistische Wurzeln im italienischen Faschismus und deutscher Nationalsozialismus nachzuweisen.

Demgegenüber warnte der meist verkürzt zitierte Thomas Mann 1943 vor Einäugigkeit: „Sie sehen, dass ich in einem Sozialismus, in dem die Idee der Gleichheit die der Freiheit vollkommen überwiegt, nicht das menschliche Ideal erblicke, und ich glaube, ich bin vor dem Verdacht geschützt, ein Vorkämpfer des Kommunismus zu sein. Trotzdem kann ich nicht umhin, in dem Schrecken der bürgerlichen Welt vor dem Wort Kommunismus, diesem Schrecken, von dem der Faschismus so lange gelebt hat, etwas Abergläubisches und Kindisches zu sehen, die Grundtorheit unserer Epoche.“

Einen intellektuellen Höhepunkt der Auseinandersetzung um Freiheit oder Sozialismus bildete der Congress for Cultural Freedom 1950 in der „Frontstadt“ Berlin/West - einen Tiefpunkt stellte 1976 die Bundestagswahlschlacht dar. In dieser appellierten CDU und CSU mit dem Schlachtruf Freiheit oder Sozialismus an Sekuritätsbedürfnisse, an Ressentiments, die sich aus millionenfachen, negativen Erfahrungen mit Flucht und Vertreibung und in der SBZ/DDR sowie auf die Neigung stützten, dies pauschal dem Sozialismus zuzuschreiben. Bei einer in BRD und international erstarkenden Linken (1976 erhielt die eurokommunistische IKP 34,4 Prozent der Wählerstimmen) wetterte das CDU-Wahlprogramm „gegen ein sozialistisch geprägtes Deutschland in einem von Volksfronten bedrohten Europa“.

Linke Politiker und Theoretiker erleichterten es ihren Gegnern oft, Freiheit gegen Sozialismus auszuspielen. Marx’ Analysen der sozialen Funktion von Rechten wurden so gedeutet, als würden mit dem Untergang des Kapitalismus zugleich alle bürgerlichen Freiheiten entbehrlich. Missachtet wurde, dass im Sozialismus auch eine Erbschaft bürgerlicher Demokratie übertragen werden muss, soweit diese von universalen menschlichen Bedürfnissen her strukturiert, historisch nicht ausgeschöpft, untrennbar mit der ökonomischen und sozialen Differenzierung der Gesellschaft verwoben oder ein Regulativ jeglicher Staatsmacht ist.

Die DDR-Akademiekonferenz 1956 über „Das Problem der Freiheit im Lichte des wissenschaftlichen Sozialismus“ war eine schnell tabuisierte Ausnahme. Dort hatte KPD-Mitgründer Hermann Duncker Friedrich Engels zitiert: „Wir sind keine Kommunisten, welche die persönliche Freiheit vernichten und aus der Welt eine große Kaserne oder ein großes Arbeitshaus machen wollen. Wie haben keine Lust, die Gleichheit mit der Freiheit zu erkaufen.“

Zuerst:
Etwas geändert und leicht gekürzt in NEUES DEUTSCHLAND vom 23. Juni 2007