Irakische Pläne

Kriegsfreudige Konzernmedien versuchen uns weiszumachen, die US-Truppen und die Bundeswehr dürften aus besetzten Ländern keinesfalls abziehen, weil dort dann Mord,

Totschlag und Chaos ausbrächen. Der folgende Beitrag legt die Vermutung nahe, daß das Gegenteil stimmt: Der Abzug der Invasionstruppen ist die Voraussetzung dafür, daß Mord, Totschlag und Chaos enden. Red.

In Washington wie anderswo glauben immer weniger Militärs, Regierungsbeamte und Politiker an einen Erfolg der USA im Irak. Derweil beschleunigt sich mit Blick auf die wachsende Chance eines Abzugs der Besatzer - der Prozeß der Einigung der irakischen Opposition. Im April gründeten die wichtigsten bewaffneten Widerstandsgruppen ein "Koordinationsbüro für den irakischen islamischen und nationalen Widerstand" und vereinbarten, verstärkt gemeinsam gegen al-Qaeda-nahe Gruppen vorzugehen, die für verheerende Anschläge auf schiitische Zivilisten verantwortlich gemacht werden. Eine für Anfang Juli in Damaskus geplante Konferenz, auf der mehrere hundert Vertreter diverser Widerstandsorganisationen, Parteien und sozialer Bewegungen eine gemeinsame Plattform gegen die Besatzung und für die Zeit danach beraten wollten, wurde von der syrischen Regierung aus nicht unberechtigter Sorge vor der Reaktion der USA kurzfristig untersagt. In einem Gespräch mit dem britischen Guardian machten schließlich Mitte Juli Vertreter der sieben bedeutendsten Guerillagruppen die Bildung einer gemeinsamen Front bekannt und skizzierten ihre Pläne für die Übergangsperiode nach dem Ende der Besatzung.

Diese Pläne stimmen mit den Vorschlägen überein, die eine breite "Nationale irakische Initiative zur bedingungslosen Beendigung der Besatzung" ausgearbeitet hat. In deren Rahmen diskutieren seit Frühjahr 2005 über hundert Vertreter diverser irakischer Gruppierungen, Wissenschaftler und andere Prominente darüber, wie ein Neuanfang im zerstörten und zerrissenen Land aussehen kann. Im September 2006 wurden die sehr konkreten Vorschläge als 250 Seiten starkes Buch unter dem Titel "Iraks Zukunft planen: ein detailliertes Projekt zum Aufbau des Iraks nach der Befreiung" veröffentlicht und auch an die Abgeordneten des britischen Parlaments und des US-Kongress gesandt. Der Band enthält Entwürfe einer neuen Verfassung und eines neuen Wahlgesetzes sowie Pläne für den Wiederaufbau, die Ölindustrie und -politik des Landes und eine den nationalen Interessen verpflichtete Armee.

Die große Bedeutung des Projektes liegt darin, daß es offenbar gelungen ist, einen Großteil der oppositionellen Kräfte einzubinden. Zwei Drittel der aus allen Bevölkerungsgruppen kommenden Beteiligten leben noch im Irak. Ko-Autoren waren beispielsweise die bekannte Frauenrechtlerin Hana Ibrahim, Direktorin der Bagdader Frauenorganisation WomenÂ’s Will, und Abdul Karim Hani, einer der Führer des Irakischen Nationalen Gründungskongresses (INFC), der, 2004 nach dem Vorbild des südafrikanischen ANC gegründet, mit weit über 100 Mitgliedsorganisationen die bedeutendste Dachorganisation der zivilen Opposition ist. Über die Kontakte einiger Beteiligter zu bewaffneten Widerstandsgruppen wurden auch diese eingebunden und stehen nach Angaben der Autoren hinter dem Projekt. Khair El-Din Haseeb, Exil-Iraker, Generaldirektor des renommierten Beiruter "Centre For Arab Unity Studies" (CAUS) und Herausgeber dieses Buches: "Wir haben erkannt, daß es ein Vakuum des politischen Widerstands gibt. Dieser Plan füllt das Vakuum." Hana Ibrahim: "Wir sind dabei, eine sehr breite, vereinte Widerstandsfront zu bilden, die den Willen der irakischen Bevölkerung repräsentiert." Abdul Karim Hani: "Wir wurden viele Male gefragt, wie das politische Programm des Widerstands aussieht. Gut, hier ist es."

Der erste Schritt müßte diesem Programm zufolge die Vereinbarung eines verbindlichen Zeitplans von maximal sechs Monaten für den Abzug der Besatzungsmächte sein. Deren Truppen müßten sich in dieser Zeit aus den Städten in gemeinsam vereinbarte Basen zurückziehen. Der "irakische nationale Widerstand" würde unter diesen Bedingungen einen Waffenstillstand erklären, die Waffen allerdings zunächst behalten. Erst nach vollständigem Abzug der Besatzungskräfte sollen alle bewaffneten Gruppen und Milizen aufgelöst werden.

Unter der Schirmherrschaft des UN-Sicherheitsrates und in Absprache mit dem "nationalen Widerstand" und allen anderen politischen Kräften, die nicht mit den Besatzern kollaboriert haben, soll eine zweijährige Interimsregierung gebildet werden, deren Mitglieder bei den folgenden Wahlen von der Kandidatur ausgeschlossen sind. Eine der wichtigsten Aufgaben dieser Regierung wäre der Aufbau von Sicherheitskräften, die professionell und politisch neutral sind. Die Interimsregierung soll zudem befugt sein, in Absprache mit dem UN-Generalsekretär und dem "nationalen Widerstand" eine begrenzte Anzahl von Truppen arabischer Länder, die sich nicht am Krieg beteiligt haben, einzuladen, Aufgaben der Friedenssicherung zu übernehmen.

Innerhalb eines Jahres müßten Neuwahlen durchgeführt werden - nach verbessertem Wahlgesetz und unter Kontrolle der UNO, der Arabischen Liga und anderer internationaler Organisationen wie zum Beispiel Amnesty International. Die wichtigste Aufgabe des neuen Parlaments wäre die Ausarbeitung einer neuen Verfassung.

Die USA sollen innerhalb der ersten sechs Monate mindestens 50 und Großbritannien mindestens 20 Milliarden US-Dollar für Wiederaufbau und Wiedergutmachung zur Verfügung zu stellen, das wäre gerade mal die Hälfte der Summe, die sie aktuell pro Jahr für den Krieg ausgeben.

Alle Verträge über die Ölproduktion, die während der Besatzung abgeschlossen wurden, würden annulliert, da der Abschluß solcher weitreichender Abkommen unter Besatzungsherrschaft nach internationalem Recht illegal ist. Das gleiche würde für die von der kurdischen Regionalregierung mit ausländischen Konzernen abgeschlossenen Verträge gelten.

Vorschläge gibt es auch zur Freiheit der Medien, zur Überwindung konfessioneller Spannungen und zum Streben der kurdischen Parteien nach Unabhängigkeit. So sollen sich die drei bereits autonomen kurdischen Nordprovinzen auch weiterhin selbst regieren können - in einer Weise, "die die nationalen und kulturellen Rechte Kurdistans innerhalb der irakischen Einheit und Souveränität gewährleistet". Der von den kurdischen Regierungsparteien angestrebte Anschluß des ölreichen Kirkuk wird hingegen abgelehnt. Ein gewisser Grad an Föderalismus wird zwar befürwortet, das Prinzip soll aber nicht die regionale Vorherrschaft einzelner ethnischer Gruppen sein, sondern die Gewährleistung der vollen kulturellen und politische Rechte für alle Bevölkerungsgruppen im ganzen Land.

Sicherlich werden diese Vorschläge so noch nicht von allen wichtigen oppositionellen Kräften des Landes geteilt, von den irakischen Verbündeten der USA ganz zu schweigen. Da die Autoren sich jedoch bemüht haben, konsensfähige Positionen zu formulieren, könnte dieses Programm eine gute Grundlage für Verhandlungen sein.

Ausführlich hat sich unser Autor mit diesem Thema in einem jüngst erschienenen Buch befaßt: Nikolaus Brauns / Dimitri Tsalos (Hg.): "Naher und mittlerer Osten. Krieg - Besatzung - Widerstand", Pahl-Rugenstein Verlag, 209 Seiten, 16.90 Euro