Gotteslästerung im säkularen Staat

Plädoyer für die Abschaffung eines strafrechtlichen Relikts

in (24.10.2007)

Es geht nicht oft um Weltpolitik im Amtsgericht Lüdinghausen. Als allerdings im Februar 2006 der 61-jährige Manfred van Hove dort angeklagt war, wurde das Urteil auch in Teheran zur Kenntnis genomme

Der Angeklagte aus einer westfälischen Kleinstadt, der nach eigenen Angaben zuvor rund 15 Jahre in islamischen Ländern wie Irak, Saudi-Arabien und Kuwait gelebt hatte, hatte nach den Anschlägen auf die Londoner U-Bahn im vorangegangenen Juli mehrere Toilettenpapierrollen mit der Aufschrift "Koran, der heilige QurÂ’an" bedruckt und an verschiedene deutsche Moscheen und Zeitungen geschickt. Ein Fall von Volksverhetzung? Nein, die Aktion stachelte weder zum Hass gegen Teile der Bevölkerung auf, noch griff sie die Menschenwürde eines Bevölkerungsteils in einer Weise an, die von § 130 Strafgesetzbuch (StGB) verboten wird. Ganz im Gegenteil wurde die Aktion in manchen Zeitungen diskutiert, kritisiert und als geschmacklose Aktion verkraftet. Eine Angelegenheit, die keinen der Adressaten auf die Idee brachte, sich an die Polizei zu wenden. Erst als die islamische Republik Iran eine diplomatische Protestnote an das Auswärtige Amt richtete, nahm die hiesige Staatsanwaltschaft Ermittlungen gegen van Hove auf - wegen Gotteslästerung, bzw. "Beschimpfung von Bekenntnissen", wie es heute in § 166 StGB heißt.

"Spielt Jesus noch eine Rolle?"

Und während in den Jahren zuvor, etwa in den berühmten Fällen des Titanic-Titelbildes von einem Kruzifix als Toilettenpapierhalter mit der Aufschrift "Spielt Jesus noch eine Rolle?" - durchaus vergleichbar mit der Koran-Toilettenrolle! - oder der "Anleitung zur Hostienschändung" des Comic-Zeichners Walter Moers,1 die angestrengten Verfahren schnell wieder eingestellt wurden und selbst in Fällen, in denen Bischöfe sich einschalteten, wie etwa dem Fall des gekreuzigten Schweins auf einem T-Shirt der Band WIZO, die Strafen nicht über milde Geldstrafen hinaus gingen, fiel das Urteil dieses Mal drastisch aus: Ein Jahr Freiheitsstrafe auf Bewährung und 300 Sozialstunden. Der Angeklagte habe "den Inhalt des religiösen Bekenntnisses anderer in einer Weise beschimpft", die geeignet sei, "den öffentlichen Frieden zu stören" (§ 166 StGB). Was hatte die Rechtsprechung zu dieser plötzlichen Wende veranlasst? Der Strafprozess fand auf dem Höhepunkt des so genannten Karikaturenstreits statt. Während zu Beginn des Jahres 2006 in vielen muslimisch geprägten Ländern gewaltsam gegen die Veröffentlichung von Karikaturen des Religionsstifters Mohammed in der dänischen Tageszeitung "Jyllands Posten" protestiert wurde und Irans Präsident forderte, die Karikaturisten in ihrer europäischen Heimat zu bestrafen, antwortete das deutsche Gericht auf seine ganz eigene Weise auf die von fundamentalistischen Religionsführern eingeforderten "Grenzen der Meinungsfreiheit": Es zog diese Grenzen. Richter Carsten Krumm begründete die Härte seines Urteils gegen die Koran-Verhöhnung ausdrücklich mit der "erheblich gesteigerten Bedeutung" des Falles "durch die weltpolitische Lage". Der Staatsanwalt fügte hinzu, man wolle mit dem Urteil "ein deutliches Zeichen nach außen" setzen. Ein Zeichen wofür? Mit seinem Urteil hob das Gericht eine Strafvorschrift aus der verdienten Versenkung, die zu den Werten eines säkularen Staates in eklatantem Widerspruch steht. Das Gericht urteilte gegen die Meinungsfreiheit.

Hanebüchene Abgrenzungen

Während in den 1960er Jahren manche Jurist/innen die Strafbarkeit der Gotteslästerung noch damit rechtfertigten, der Paragraph schütze das "Rechtsgut Gott", setzt die Strafbarkeit seit der Strafrechtsreform im Jahr 1969 voraus, dass der "öffentlichen Frieden" durch eine Gotteslästerung gefährdet ist. Die Änderung wurde damals in linken und liberalen Kreisen begrüßt, erhoffte man sich davon doch ein Ende der hanebüchenen Abgrenzungen zwischen zulässiger Religionskritik und "haltloser" Schmähung. Der breite Auslegungsspielraum, den der Paragraph den Strafgerichten eröffnete, wurde durch die Einführung des Begriffs des "öffentlichen Friedens" jedoch nur scheinbar eingegrenzt. Denn was das Schutzgut des "öffentlichen Friedens" konkret bedeutet, ist in der Praxis weitgehend der Weisheit der einzelnen Richterinnen und Richter überlassen. Eine abstrakte Definition existiert nicht, ausschlaggebend sind letztlich private Vorstellungen von der Rolle, welche den Religionen in einem "öffentlichen Frieden" zukommen sollte. Darf man in der Uni Flugblätter verteilen, auf denen das Kruzifix mit dem gekreuzigten Jesus zu einer Mausefalle umfunktioniert ist, die Mäuse und Ratten fängt? Das Landgericht Bochum sagte im Jahr 1988 ja, das dürfe man.2 Darf man einen Button tragen mit der Aufschrift "Lieber eine befleckte Verhütung als eine unbefleckte Empfängnis"? Das Landgericht Göttingen sagte im Jahr 1986 nein, das sei strafbar.3 Und wie würden Sie entscheiden?

Widerspruch zur Säkularität

Die Abgrenzungen sind durch die Reform von 1969 nicht weniger hanebüchen geworden. Die Fragen, um die es in den heutigen Strafprozessen letztlich geht, sind solche der persönlichen Pietät. Als solche haben sie in der privaten Sphäre eines/r jeden Einzelnen selbstverständlich ihre Berechtigung und dürfen natürlich auch unterschiedlich beantwortet werden. In einer säkularen und pluralistischen Gesellschaft sind solche Fragen als Grundlage von nichtprivaten Entscheidungen, besonders von staatlichen Hoheitsakten, jedoch völlig ungeeignet. Natürlich hat eine säkulare Gesellschaft religiöse Empfindungen zu respektieren - schließlich ist gerade der Achtungsanpruch aller religiösen wie auch areligiösen Weltsichten ein wichtiges Argument für staatliche Säkularität. Aber selbstverständlich wäre es eine uferlose Debatte, wenn man mit dem Anspruch allgemeiner Verbindlichkeit darüber streiten wollte, ob religiöse Gefühle mehr durch Bilder oder durch Bilderverbote, mehr durch Kirchenkritik oder durch Kirchendogmen, mehr durch religiöse Ausdrücke auf Toilettenrollen oder mehr durch religiöse Ausdrücke in Verfassungspräambeln verletzt werden. In einer säkularen Gesellschaft darf der Staat solche Fragen nicht beantworten. Er hat sich zu enthalten, um allen religiösen oder auch areligiösen Empfindungen gleichermaßen Respekt zu erweisen. Seine Enthaltung bedeutet: Er darf in die innergesellschaftliche Auseinandersetzung mit Religionen nicht derart eingreifen, dass er bestimmte Standpunkte fördert oder andere Standpunkte wegen deren angeblicher Frechheit (die immer Ansichtssache bleibt) kriminalisiert. Was Gotteslästerung ist, bestimmen die Beleidigten

 

Die gegenwärtige Fassung des Gotteslästerungs-Paragraphen ist nicht nur wegen ihrer nach wie vor bestehenden Offenheit für religiöse Werturteile der Richter/innen problematisch. Mit der Einführung des Erfordernisses einer "Friedensstörung" ist auch ein neues Problem geschaffen worden: Weil das Gesetz nur solche Äußerungen als Gotteslästerung bestraft, die den "öffentlichen Frieden" stören können, hängt die Strafbarkeit heute in der Praxis vor allem von der Reaktion der Beleidigten ab. Im Fall der Toilettenpapierrolle mit der Aufschrift "Koran" wehrten sich die Adressaten in Deutschland allein mit Worten. Wenn, wie in diesem Fall, von den Adressaten keine gewalttätigen Ausschreitungen zu erwarten sind, weil sie über jede Schmähung erhaben sind oder eben gewaltfreie Formen des Meinungsaustausches bevorzugen, so scheidet auch eine Strafbarkeit wegen Gotteslästerung aus. Ganz anders kann die Sache jedoch aussehen, wenn Gewalttaten zu befürchten sind. Dann kann die identische Äußerung plötzlich den Straftatbestand des § 166 erfüllen. Das Gericht springt dann nicht etwa den Opfern von gewalttätig reagierenden Gläubigen zur Seite, sondern stellt sich auf die Seite der mit Gewalt Drohenden. In den 1980er Jahren, als Papst Benedikt XVI noch Kardinal Ratzinger war, analysierte er daher durchaus zutreffend: "Wenn die Rechtsprechung die Eignung zur Friedensstörung mit fehlenden Krawallen und geringem Anzeigeverhalten begründet, so gibt sie indirekt eine Aufforderung zur gewaltsamen Dokumentierung der eigenen Überzeugung und zum Faustrecht." Die Voraussetzung der Friedensgefährdung im Tatbestand von § 166 StGB stellte auch für Bayerns Ministerpräsidenten Edmund Stoiber (CSU) ein Problem dar, als er sich im Sommer 2006 über die satirische Zeichentrickserie "Popetown" des Fernsehsenders MTV empörte und deren Verbot herbeiführen wollte. Solange sich nämlich keine empörten Katholikinnen und Katholiken finden, die Steine auf die MTV-Zentrale in München werfen, kann nach dem Gesetz auch die größte "Lästerung" nicht bestraft werden - es fehlt die Friedensgefährdung. Konsequenterweise forderte Stoiber eine Rückkehr zur alten, schärferen Fassung des Gotteslästerungs-Paragraphen von vor 1969, als es den Gerichten noch unbenommen war, jede "Lästerung" zu bestrafen. Der Zentralrat der Muslime pflichtete Stoiber bei: Wo "das Heilige der Religionen verletzt" werde, da höre "der Spaß auf."

Das Religiöse ist politisch, leider

Nicht der Spaß, wohl aber die vom deutschen Gesetzgeber knauserig gewährte Meinungsfreiheit hört derzeit tatsächlich dort auf, wo Religionen lächerlich gemacht werden. Das ist nicht zuletzt auch für die Rechtsstaatlichkeit von Strafverfahren eine fatale Fehlentscheidung. Denn das Gesetz lässt es für eine Verurteilung nach § 166 StGB schon genügen, wenn der öffentliche Friede nach einer gerichtlichen Prognose künftig gefährdet sein könnte. Im juristischen Nachschlagewerk "Münchner Kommentar zum StGB" heißt es dazu in aller Ehrlichkeit: "Die Eignung, den öffentlichen Frieden zu stören, kann - wenn im Ergebnis gewünscht - fast immer bejaht werden."4 Für ein rechtsstaatliches Strafrecht, das für alle Bürgerinnen und Bürger vorhersehbar sein muss, ist eine solche Feststellung die Bankrotterklärung. Dieser schwammige, Gewalt belohnende Gotteslästerungs-Tatbestand geht auf Kosten der Meinungsfreiheit. Mit dem Gotteslästerungs-Paragraphen hat die Justiz ein Instrument zur Hand, um mit der Strafgewalt des Staates im Einzelfall massiv in die öffentliche Diskussion über Religionen und deren Verhältnis zur Gesellschaft einzugreifen. Diese Diskussion ist - worauf schließlich auch die Karikaturen in der "Jyllands Posten" anspielten - leider keineswegs etwas Persönliches, Metaphysisches, sondern oftmals höchst Politisches und Konkretes. Dass die Justiz hier nach eigenem Ermessen Eingriffe vornehmen kann, ist für eine Demokratie, die die Meinungsfreiheit nicht nur zu ihren viel beschworenen "höchsten Gütern" zählt, sondern schlichtweg auf ihr basiert, nicht länger hinnehmbar.

 

Ron Steinke studiert Jura in Hamburg.

1 Moers, Walter, Schöner Leben mit dem kleinen Arschloch, 9. Aufl., Frankfurt a.M. 1997, 47f. 2 Neue Juristische Wochenschrift (NJW) 1989, 727 (728). 3 NJW 1986, 1652. 4 MüKo-Hörnle § 166, Rn. 22.