Kampf um die Bahn

Die Bahn soll an die Börse - darüber sind sich die Spitzen der Koalitionsparteien einig. Das Volksaktien-Modell des SPD-Parteitags wird erwartungsgemäß

nicht weiter bedacht. Das Großkapital erwartet schließlich, daß sein Profitinteresse befriedigt wird. Ihm soll endlich auch die Bahn geopfert werden. Angeblich ist sie auf Beteiligung und finanzielle Hilfe der Privatwirtschaft angewiesen, um modern und leistungsfähig zu werden. Das behaupten Bahnchef Hartmut Mehdorn und Verkehrsminister Wolfgang Tiefensee bei ihren öffentlichen Auftritten immer wieder, und die Massenmedien geben es unkritisch weiter. Genauer wollen sie es gar nicht wissen, denn solche Sprüche passen zu gut ins herrschende Gesellschaftsbild.

Klar ist, daß die Deutsche Bahn weiterhin alljährlich Milliardenzuschüsse vom Staat erhalten soll. Sie benötige aber, schrieb Mehdorn der SPD-Bundestagsfraktion, "zusätzliches Eigenkapital, wenn sie langfristig ein europäischer Champion bleiben will". Und er erläuterte, daß er unter anderem "erheblich in frankreichtaugliche ICE-Züge investieren", im internationalen Seeverkehr verstärkt aktiv werden, zusammen mit Rußland in eine Transsibirien-Landbrücke bis zum Pazifik entwickeln und überhaupt in den "Wachstumsmarkt Osteuropa" einsteigen will. Er bekomme "vermehrt Anfragen, Staatsbahnen vollständig zu übernehmen". Auch im städtischen Nahverkehr - in Großstädten wie Prag, Lyon oder Stockholm - sehe er "große Wachstumsmöglichkeiten".

Mehdorn hat das Staatseigentum Deutsche Bahn AG in wenigen Jahren zu einem Global Player deformiert (nach der Deutsche Post AG ist sie heute das weltweit zweitgrößte Logistik-Unternehmen). Deutscher Größenwahn hat sich in Weltkonzern-Form konstituiert und realisiert wirtschaftliche Weltmachtträume.
Zumeist auf Pump hat die Bahn AG bereits 200 Unternehmen aufgekauft. Im Inland nicht nur den Speditionskonzern Stinnes AG/Schenker (Railion), sondern auch so branchenfremde Firmen wie die DB Zeitarbeit GmbH mit unbeschränkter Lizenz zur Arbeitsvermittlung und Arbeitnehmer-Überlassung, die Medizin-Firma dbgs GesundheitsService GmbH oder den Industrieversicherungsmakler Deutsche Verkehrs-Assekuranz-Vermittlungs-GmbH. Im Ausland die NS Groep N.V., Joyau, Internmodal, Transa, Autotransportlogistic und viele andere. Fern der Schiene beteiligt sie sich an Hafen-Anlagen, am Transportwegebau, an Luftfrachtfirmen und an der Schifffahrt. Nicht nur in unserer unmittelbaren europäischen Nachbarschaft, sondern auch in Hongkong, Australien und Japan. An 1500 Standorten in 150 Ländern.

Was haben die Bahnkunden hierzulande von dieser globalen Geschäftemacherei? Ihnen geht es doch nur darum, daß die deutsche Eisenbahn ihren eigentlichen Auftrag erfüllt, nämlich den schnellen, pünktlichen, komfortablen, umweltschonenden und preiswerten Transport auf einem möglichst engmaschigen, das ganze Land erfassenden Schienennetz. Dürfen die Großmannssucht eines Managers, der Starrsinn eines überforderten Ministers und die intrigante Mitwirkung eines Hintermannes namens Gerhard Schröder ein in 170 Jahren Bahngeschichte erarbeitetes Volksvermögen der Gewinnsucht von Spekulanten opfern?
Ein Verkauf der Beteiligungen in anderen Branchen und anderen Ländern brächte genügend Kapital, um die deutsche Eisenbahn im Inland zu einem hocheffizienten Transportunternehmen zu machen, mit guten Leistungen auch im ländlichen Raum. Mit den Bahnen der Nachbarstaaten könnte und sollte sie kooperieren, statt zu konkurrieren. Die brachialen deutschen Privatisierungsmanöver und Übernahme-Versuche im Ausland dienen der Völkerfreundschaft ebenso wenig wie der internationalen Bahnkundschaft.

1994, beim Zusammenschluß der vormaligen Staatsbahnen DB (Deutsche Bundesbahn der Bundesrepublik Deutschland) und DR (Deutsche Reichsbahn der Deutschen Demokratischen Republik), war das Unternehmen schuldenfrei. Die Züge verkehrten in der Regel noch pünktlich und sicher, Erneuerungsbedarf bestand jedoch hinsichtlich Schnelligkeit und Servicequalität; viele Anlagen mußten auf neuen Stand gebracht werden. Das Verhängnis begann aber schon gleich nach dem Anschluß der DDR: Konzerne, Wirtschaftsverbände, Treuhandanstalt und konservative Politiker entdeckten das Profitpotential der Staatsbahnen und ließen sie von den bereitwilligen Massenmedien als "Behördenbahn" verunglimpfen. Das Parlament verkrüppelte sie zur Aktiengesellschaft, sogenannte Unternehmerpersönlichkeiten aus der Privatwirtschaft wurden in den Vorstand gehievt: Heinz Dürr, Johannes Ludewig und schließlich der Schröder-Intimus Hartmut Mehdorn. Sie legten mehr als 10.000 Schienenkilometer still, verscherbelten vor allem im Osten ungezählte Bahneinrichtungen, vernichteten mehrere hunderttausend Arbeitsplätze und schafften zukunftsweisende nationale Bahnangebote wie die Interregio-Züge ab Die neue Bahnpolitik benachteiligte strukturschwache Gebiete und kleine Industriestandorte und beschleunigte, mit umweltschädigenden Folgen, die Verkehrsverlagerung von der Schiene auf die Straße. Die Parlamentsmehrheit aber bejubelte ihre "Bahnreform".

Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland legt in Artikel 87e, Absatz 4 fest: "Der Bund gewährleistet, daß dem Wohl der Allgemeinheit, insbesondere den Verkehrsbedürfnissen, beim Ausbau und Erhalt des Schienennetzes (...) Rechnung getragen wird". Absatz 3 dieses Verfassungsartikels schreibt vor: "...Eisenbahnen des Bundes werden als Wirtschaftsunternehmen in privatrechtlicher Form geführt. Diese stehen im Eigentum des Bundes, soweit die Tätigkeit des Wirtschaftsunternehmens den Bau, die Unterhaltung und das Betreiben von Schienenwegen umfaßt." Das Grundgesetz schließt also den Verkauf des Bahn-Netzes aus. Tiefensee, Mehdorn und Konsorten handeln in ihrem Privatisierungseifer verfassungswidrig. Trotzdem sind sie bisher in ihren Ämtern geblieben und schmieden weiter Pläne zur Verschleuderung von Volksvermögen.

Betriebs- und Personalräte aus mehreren Mitgliedsorganisationen des Deutschen Gewerkschaftsbundes haben in diesen Tagen gemeinsam zur Solidarität mit den streikenden Lokführern aufgerufen: "Das Bahnmanagement und der Bund als Eigentümer der Bahn wollen ein Exempel statuieren. Eine Niederlage der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) würde Tür und Tor öffnen für einen Angriff auf alle Gewerkschaften und auf erkämpfte elementare gewerkschaftliche Rechte."