Zwischen Utopie und Alltag

Arbeiten in feministischen Kollektiven

Für die Ausstellung DIY - Wir machen es uns selbst! im Mai 2007 in der Galerie IG Bildende Kunst haben wir [1] aktivistische, journalistische, künstlerische, musikalische und politische Kollektive u

Netzwerke [2] eingeladen, ihre Tätigkeiten in Selbstdarstellungen und Beiträgen vorzustellen. Damit versuchten wir, feministische Kulturarbeit und Ausdrucksformen, die sich außerhalb eines etablierten Hochkulturkontextes bewusst selbst organisieren, zu dokumentieren. Ein Schwerpunkt lag auf feministischer Selbstorganisation wie Medienproduktion (Fanzines, Radio) und Ladyfest. Während der Ausstellung fand auch das Ladyfest Wien 07 statt. Das Projekt verstanden wir als eine Fortsetzung unserer Zusammenarbeit sowie unserer journalistischen und künstlerisch-kuratorischen Auseinandersetzung. Weiters war es uns nach mehrjährigen Auslandsaufenthalten ein Bedürfnis, uns einen Überblick über aktuelle feministische Selbstorganisation in Wien und Österreich zu verschaffen und infolge dessen eine Ausstellung zu organisieren. Bewusst beriefen wir uns auf feministische Projekte der Vergangenheit, wie die von VALIE EXPORT 1975 in Wien organisierte internationale Ausstellung MAGNA. Feminismus: Kunst und Kreativität oder die im Kollektiv erarbeitete, 1985 stattgefundene Ausstellung Kunst mit Eigen-Sinn. Aktuelle Kunst von Frauen. Unser Projekt hatte nicht den Anspruch auf eine lückenlose Dokumentation feministischer Kollektivität in Österreich - viel mehr sahen wir es als einen Beitrag dazu. Abgesehen davon, dass feministische Arbeit ein kontinuierlich andauerndes und nicht ein abgeschlossenes Unterfangen ist.

Die bedeutendste - auch bereits kanonisierte - Aufklärungsarbeit in Sachen Feminismus und Kunst leisten seit 1985 die Guerrilla Girls. Sie sind ein international agierendes feministisches Kollektiv, deren wirkliche Persönlichkeiten sich hinter den von verstorbenen prominenten Künstlerinnen geliehenen Namen wie Eva Hesse, Frida Kahlo oder Gertrude Stein verbergen. Ihre Arbeit starteten sie anlässlich der Ausstellung An International Survey of Painting and Sculpture im Museum of Modern Art in New York. Diese Ausstellung sollte einen aktuellen Überblick über die wichtigste Kunstproduktion der Welt geben, und es ging die Sage, dass KünstlerInnen, die nicht in der Ausstellung vertreten waren, ernsthaft ihre Karriere überdenken sollten - allerdings waren an der Ausstellung von 169 KünstlerInnen nur 13 Frauen beteiligt und alle Positionen entweder in Europa oder den USA verortet. Die Guerrilla Girls bedienen sich in ihren Aktionen, in denen sie auf das Missverhältnis der Präsentation von Frauen und minoritären Positionen in der Kunst hinweisen, Posterkampagnen und aktivistischen Interventionen. Ihre bekannteste Aktion ist die Posterkampagne The Advantages of Being a Woman Artist (Die Vorteile eine Künstlerin zu sein) von 1988, mit deren Aussagen wie "Being included in revised versions of art history" oder "Having an escape from the art world in your 4 free-lance jobs" sich nach wie vor weltweit nicht nur Künstlerinnen identifizieren.

Einen anderen Weg, um Wissen über die Produktion von Künstlerinnen zu verbreiten, gingen 1992 Ute Meta Bauer, Tine Geissler und Sandra Hastenteufel mit ihrem Informationsdienst. Anders als bei der Documenta 12 im letzten Sommer, waren 1992 auf der Documenta 9 nämlich kaum Künstlerinnen vertreten. Dem fadenscheinigen Argument, es gäbe eben nicht so viele gute Künstlerinnen, setzten sie dieses aus mehreren Rollwägen bestehende Archiv mit Dossiers und Publikationen zu den Arbeiten von rund 100 zeitgenössischen Künstlerinnen entgegen. Der Informationsdienst wurde parallel zur Documenta 9 in Kassel gezeigt und tourte anschließend durch Europa und die USA.

Mit der Flugblattaktion "Go Jenny Go!" intervenierte das Kollektiv a room of one's own 2003 bei der Eröffnung der Ausstellung Go Johnny Go! in der Kunsthalle Wien, um auf die geringe Beteiligung von Künstlerinnen hinzuweisen. In ihrem Beitrag POST für die Ausstellung Das Neue Europa in der Generali Foundation 2005 tauschten sie sich via Postkarten mit der rumänischen Künstlerinnengruppe H.arta aus Timisoara aus und machten sich so ein Bild von den jeweils ortsspezifischen Diskursen und feministischen Auseinandersetzungen. H.arta wiederum organisierten im Herbst 2007 im Rahmen des Kunst im öffentlichen Raum Projekts Public Art Bucharest einen Monat lang einen Projektraum in Bukarest, in den sie rumänische NGOs und autonome Gruppen - auch das Ladyfest Bukarest beteiligte sich - einluden, ihre Arbeit vorzustellen. Für 2008 hat die Gruppe einen Kalender produziert, der Auskunft über die "inoffizielle" Geschichte Rumäniens gibt, wie z. B. das Verhütungs- und Abtreibungsverbot während der Diktatur.

Das feministisch-queere Künstlerinnenkollektiv LTTR (Abkürzung für z. B. Lesbians To The Rescue, Lesbians Tend To Read und Lacan Te - aches To Repeat) gründete sich 2001 in New York und hat seither fünf Ausgaben des gleichnamigen Magazins herausgegeben. In ihrem Journal stellen sie die Arbeit radikaler Communities in den Mittelpunkt, deren Ziel grundlegende Veränderung, "queer pleasure" und kritisch-feministische Produktivität ist. In der Generali Foundation veranstalteten sie zur Präsentation von LTTR V ein Radical Read-In.

All diesen Kollektiven gemeinsam ist das Bestreben, strukturelle Missstände sichtbar zu machen, andere Bilder und Informationen zu verbreiten und dadurch Wissen zu produzieren. Die aktivistische Selbstorganisation stellt dabei nicht nur einen Akt der Selbstermächtigung und die Etablierung einer feministischen Gegenkultur dar, sondern durch das Wissen um und Anknüpfen an frühere Aktivitäten wird auch eine Fortführung dieser garantiert. Die daraus hervorgehende Vernetzung wird bei der Formulierung politischer Forderungen nach eigenen Räumen oder Mitspracherecht eingesetzt. Sicherlich darf dabei nicht die Problematik der prekären Organisationsformen und Lebenssituationen vergessen werden, doch diese mit Vehemenz zu kritisieren, ist ohnehin oft Teil des kollektiven Arbeitens und Bewusstseins. Denn diese Form der Arbeit findet immer im Spannungsfeld zwischen Selbstausbeutung und Selbstermächtigung statt. Aber das Versprechen der Möglichkeiten, die ein gemeinsames Handeln birgt, überwiegt.

[1] Die Ausstellung wurde gemeinsam von Sonja Eismann und Christiane Erharter organisiert.
[2] AEP, an.schläge, ArchFem, a room of one's own, AUF, Clever Gretel, Cuntstunt, female:pressure, fiber, FO/GO Lab, Frauenhetz, grrrlzines.net, "Ich schau dir in die Augen Â… prekäres, atypisches Leben!", Ladyfest Wien, Ladyspaces, Lila Tipp, Lookism, maiz und migrazine.at, Quote, Radikales Nähkränzchen, Radio Orange 94.0 / FrauenLesben-Schiene (Bauch, Bein, Po; Brüllzimmer; Orangina), Rhythm King and her friends, Schwarze Frauen Community, Schwestern Brüll, Sic!, STICHWORT, u. a.

Dieser Artikel erscheint in Bildpunkt. Zeitschrift der IG Bildende Kunst, "Kollektivkräfte", Wien, Winter 2007/2008.