Das Dilemma des Jörg Ziercke

in (30.11.2007)

Um nicht mißverstanden zu werden: BKA-Präsident Jörg Ziercke propagiert die Online-Durchsuchung und widerspricht auch sonst nicht seinem Dienstherrn Schäuble,

wenn dieser den freiheitlichen Rechtsstaat zu einem präventiven Sicherheitsstaat demontieren will, schließlich soll das ja im novellierten BKA-Gesetz verankert werden. Doch mit der Aufarbeitung der Nazivergangenheit des Bundeskriminalamtes hat sich Ziercke Verdienste erworben. Bis vor einem halben Jahr betrieb das Amt zudeckende Loyalität mit den Tätern und verlängerte deren Mauer des Schweigens. Daran änderte sich auch nichts mit dem Erscheinen meines Buches "Die braunen Wurzeln des BKA" (2001), und die Bundesregierung unterstützte diese Haltung. Auf eine Kleine Bundestagsanfrage von Ulla Jelpke antwortete sie: "Das BKA hat keine nationalsozialistische Vergangenheit, weil es 1951 gegründet wurde."

Mit dieser äußerst mißverständlichen Aussage hat Ziercke aufgeräumt - im Einvernehmen mit dem Bundesinnenminister, wie er betont. Gegen dessen Willen wäre es wohl auch nicht möglich gewesen, hat doch die Offensive nicht nur die Medien der Republik intensiv beschäftigt, sondern auch das Ausland. Von mir wurden beispielsweise Beiträge und Interviews in Frankreich (Le Monde), Polen (Dziennik Warszawa) und Israel (Haarez) gedruckt. Ob Schäuble aus Überzeugung oder zur Entlastung von sonst geübter Dauerkritik seine Genehmigung erteilte, sei dahingestellt.

Ziercke ist nach Horst Herold der zweite bedeutende Präsident des BKA. Die Präsidenten Heinrich Boge und Ulrich Kersten kamen aus dem Bundesinnenministerrium, bewegten nichts, wußten aber die Ministerialbürokratie hinter sich. Kersten antwortete auf meinen Vorschlag, sich von den als Naziverbrechern überführten ehemaligen Kollegen zu distanzieren: "Das habe ich nicht nötig, schließlich bin ich Jahrgang 1944." Hans Zachert war ein Zögling des eigenen Hauses und scheiterte an zu vielen Abhängigkeiten von ehemaligen Mitstreitern.

Ziercke, geboren in Lübeck, hat sich vom Streifenbeamten bis zum obersten Polizisten des Staates hochgearbeitet. Als Leiter der Polizeiabteilung im Innenministerium Schleswig-Holsteins ging ihm der Ruf eines versierten Polizeiexperten und aufrichtigen Mannes voraus. Er initiierte ein Projekt "Täter und Opfer unter dem Hakenkreuz - Eine Landespolizei stellt sich ihrer Geschichte". In Kiel ließ er ein Mahnmal vor einer Polizeidienststelle errichten, die vormals Sitz der Gestapo war. In den drei BKA-Kolloquien der vergangenen Monate ließ der Präsident keinen Zweifel daran, daß es ihm um rückhaltlose Aufklärung geht, auch im Interesse des Nachwuchses der Polizei. Der jüdische Publizist Ralph Giordano und Romani Rose, der Sprecher der Sinti und Roma in Deutschland, zollten als Teilnehmer an den Veranstaltungen Ziercke großen Respekt. Was die beschlossene externe interdisziplinäre Forschungsgruppe erarbeiten wird, bleibt abzuwarten. Ziercke stellte in Aussicht, die Akten des BKA zu öffnen. Aber da ergeben sich bereits Fragezeichen, zum Beispiel ob vielleicht schon manche Akte böswillig im Reißwolf gelandet ist und inwieweit die BKA-Mitarbeiter an der Aufklärung mitwirken oder ob sie sie mit ihrer bisher praktizierten kollektiven Gleichgültigkeit und ihrem Widerstand erschweren.

Anläßlich eines Umtrunkes zu seinem 60jährigen Geburtstag im Sommer diesen Jahres fragte Ziercke seine Abteilungspräsidenten, ob sie hinter seinen Plänen stehen. Alle stimmten zu, doch bereits Horst Herold wußte ein Lied davon zu singen, welche Macht die Abteilungsleiter hinter seinem Rücken ausübten. Für Ziercke jedenfalls muß sehr irritierend wirken, daß einzelne Mitarbeiter seine Initiative kritisieren, die BKA-Historie zu erforschen. "Haben wir nichts Besseres zu tun?", schrieben sie, und ein Ewiggestriger distanzierte sich mit den Worten: "Dies ist nicht mehr mein BKA." Niemand weiß die Frage zu beantworten, ob es sich um Einzelstimmen oder die Meinung einer schweigenden Mehrheit handelt, denn die eigene Gesinnung zu offenbaren, bedarf der Zivilcourage, die im BKA nicht verbreitet ist. Leserbriefe im Journal der Gewerkschaft der Polizei (GdP) für die Beschäftigten des Amtes beklagen, daß mit der "Nabelschau diejenigen desavouiert werden, die in redlicher und rechtsstaatlicher Weise der BRD treue Dienste geleistet haben". Man hätte das Geld sinnvoller für ein Seminar "Menschenführung" ausgeben sollen. Oder: "Der Präsident braucht kritische Berater." Gemeint sind wohl solche, die es schon immer für den Ruf des Amtes schädlich gehalten, nicht länger zu verhehlen, daß es zum Teil von Naziverbrechern aufgebaut worden ist.

Die Organisatoren der drei Kolloquien räumen ein, einen Fehler begangen zu haben: Sie vergaßen schlichtweg, die Gewerkschaft der Polizei rechtzeitig einzubinden. Nun fühlt sie sich übergangen und reagiert aggressiv. Anstatt den Werdegang der GdP im BKA in den Vordergrund zu stellen, die weiß Gott einen schweren Stand hatte und von den Altnazis diskriminiert wurde, ergeht sich der Vorsitzende der Gewerkschaft im Organisationsbereich BKA, Jürgen Vorbeck, in Vorwürfen an Ziercke, der angeblich das Amt unter einen NS-Generalverdacht stelle. Das Amt trage, so Vorbeck, selbst dazu bei, in einem schlechten Licht zu erscheinen, man hätte erst forschen und dann sich an die Öffentlichkeit wenden sollen. Sein an der Sache vorbeigehender Vorschlag, es wäre besser gewesen zu ergründen, ob standhafte Polizisten in der Nazizeit in den Widerstand gegangen seien, beweist, daß der Gewerkschafter nicht erfaßt hat, worum es Ziercke auch ging, nämlich um einen Imagegewinn für das BKA.

Der wegen einer an sich guten Sache von seinen Mitarbeitern Gescholtene geht mit der Kritik offensiv um, stellt sich ihr in der Diskussion, argumentiert gelassen und souverän. Er macht ganz einfach eine gute Figur, und man ertappt sich dabei, vereinnahmt zu werden. Ziercke, das ist einer, mit dem man gerne mal ein Bier trinken würde. Doch dann fällt einem die geplante Online-Durchsuchung wieder ein, die der hessische Datenschutzbeauftragte als eine "datenschutzrechtliche Sauerei" bezeichnet. Und man kann nicht sicher sein, daß die Zeilen, die man gerade schreibt, bereits irgend ein Geheimdienst von der Festplatte holt und eine Kopie an das BKA mailt, noch bevor sie gedruckt sind. Mit hoher Wahrscheinlichkeit ist das nicht der Fall, aber ein Grundvertrauen ist bereits jetzt verlorengegangen, und das ist von Übel. Vermutlich findet es der Präsident auch nicht gut, daß 104 von 186 Mitgliederstaaten der Interpol foltern und mißhandeln und daß sein BKA Polizeihilfe an Folterregime leistet. Aber er reagiert enttäuschend: "Ich muß mit Diktaturen zusammenarbeiten, um den Bürger zu schützen." Und: "Die Polizeihilfe dient der Demokratisierung", was allerdings nicht stimmt, denn das Foltern geht trotzdem weiter. Wieso eigentlich muß er mit Birma, dem Sudan oder Simbabwe zusammenarbeiten? Man wünschte sich vielmehr, daß Herr Ziercke seinem Minister in den Arm fällt, wenn dieser die Verfassung aushöhlen will. Spätestens jetzt merkt der kritische Zeitgenosse, daß ein BKA-Präsident immer zwischen den Stühlen sitzt. Er kann seine eigene Gesinnung nur bedingt einbringen, denn er muß Kompromisse eingehen. Er muß sich mit seiner konservativ geprägten Führungsmannschaft - um es vorsichtig auszudrücken - genau so arrangieren wie mit seinem Minister, dem Innenausschuß des Bundestags, der Innenministerkonferenz oder den Chefs der Landeskriminalämter. Ist er nicht fähig oder willens, sich zu beugen, sitzt alsbald ein anderer auf dem Chefsessel des BKA. Den Preis der Anpassung zahlt auch Jörg Ziercke, der sich mit der Aufarbeitung der Nazi-Vergangenheit seines Amtes weit aus dem Fenster gelehnt hat, denn im Bundesinnenministerium regen sich bereits unmutige Stimmen. Einer der unbeugsam war und für seine Gradlinigkeit bezahlen mußte, war Horst Herold: Er wurde gefeuert.