She-Porn

in (01.12.2007)

Beim 2. Pornfilmfestival in Berlin standen rund hundert Filme abseits des üblichen kommerziellen Pornoangebots auf dem Programm. Darunter auch Produktionen von feministischen Pornoregisseurinnen.

"Unterhaltsam, Horizont erweiternd, lustig, schamlos, verblüffend, sexy" - so beschreiben die Festival-KuratorInnen Jürgen Brüning, selbst Filmemacher und Produzent schwuler Pornos, und Manuela Kay, Redakteurin des lesbischen Magazins "L-Mag" aus Berlin, das mit Hetero- und queeren Filmen gespickte Festivalprogramm. Dass zusätzlich Ausstellungen, Workshops, Diskussionsveranstaltungen, Performances und Partys auf dem Programm standen, bescherte so manchen Terminkollaps. Nicht überall, wo Porno draufstand, war auch Porno (im herkömmlichen Sinne) drin: Neben den bekannten Spielfilm-Formaten und neu entdeckten "Classic Porns" aus den 1970er und 1980er Jahren waren in den drei Berliner Festivalkinos auch Dokumentationen über die Sexindustrie und experimentelle Kurzfilme zu sehen, die mehr Arthouse-Flair denn schwitzige Pornokino-Stimmung verbreiteten. Umgekehrt lässt sich das Porno-Thema schon seit Jahren insbesondere im westeuropäischen Arthouse-Kino finden. Nicht nur deshalb gilt es, die herkömmliche wie fragwürdige Trennung in "ernstzunehmendes Kino hier, Schmuddelfilme dort" neu zu überdenken. Auch im kulturwissenschaftlichen Feld wird "Porno" mit großem Interesse aufgenommen, wie etwa diverse Konferenzen, Schwerpunkte in bekannten Theorie- und Kunstzeitschriften, die Vorstellung von "Porn Studies" an den US-Hochschulen und auch Filmfestivals wie eben dieses zeigen.
Eine weitere Entmystifizierung erfuhr das Genre auch durch die, für viele neuartige, Erfahrung, Pornos im Rahmen eines Festivals zusammen mit anderen zu betrachten (das heterogene Pubilkum reichte vom "aufgeschlossenen" Hetero-Seniorenpaar bis zur queeren "Post Porno"-Theoretikerin) und die Filme damit vom (oft heimlichen) privaten Konsum in eine öffentliche Diskussion zu überführen.

PorNo & Pro-Sex. In Deutschland kritisieren Alice Schwarzer und die EMMA mit ihrer dritten "PorNo"-Kampagne die "Pornografisierung von Medien, Mode und Kultur" und stellen eindeutige Zusammenhänge zwischen Pornokonsum und sexueller Gewalt her. Zeitgleich trat auf dem Pornfilmfestival, das vorzugsweise die Ränder der Industrie - mit ihrem Interesse am Experimentellen, an feministisch/queeren Darstellungsweisen und an ethnischer Diversität - in seinen Fokus nahm, ein ganz anderer Diskurs zutage: Porno als Medium zur Kritik an herrschenden gesellschaftlichen Verhältnissen und als Experimentierfeld für alternative Identitätsentwürfe. Größer könnte der historische Spagat zwischen den PorNo-Aktivistinnen und Andrea Dworkins radikalfeministischem Anti-Porno-Manifest "Pornography - Men possessing Women" von 1979 und den feministischen und queeren pro-Sex-Diskursen der Gegenwart nicht sein.
Rund dreißig Prozent der auf dem Festival gezeigten Produktionen stammten von Frauen - ein höherer Anteil als auf der Berlinale. Auf der Panel-Diskussion "Good Porn For Good Girls" im Kant-Kino berichteten Porno-Regisseurinnen aus Deutschland, Großbritannien, Spanien, Frankreich, Australien und den USA von den Arbeits- und Produktionsbedingungen, wie sie im derzeitigen Pornobusiness für Filmemacherinnen vorherrschen, sowie ihren Strategien einer autonomen Bildproduktion. Auch angesichts der wachsenden ökonomischen Dimension der Porno-Industrie, die mit ihren Umsätzen jene von Hollywood-Produktionen übertrifft (in Japan überholte das Sex-Biz dieses Jahr erstmals die Autoindustrie), stellt sich die Frage nach möglichen feministischen Positionen innerhalb des Genres neu dar.

Hardcore Feminism. Zwar leiteten die Vertreterinnen am Podium - darunter Audacia Ray (New York), Petra Joy (Brighton), Ovidie (Paris), Jessica Grenier (Melbourne) und Erika Lust (Barcelona) - ihre Positionen klar aus der feministischen Bewegung ab, trotzdem gingen die Meinungen darüber, was denn nun einen "feministischen Porno" bzw. "Pornos für Frauen" ausmache und wie sich solche definieren, deutlich auseinander: "Weil ich mich als feministisch definiere, fallen meine Filme nicht automatisch in die Kategorie ‚Pornos für FrauenÂ’. Ich mache Pornos für Frauen und Männer", erläuterte beispielsweise Audacia Ray ihren Zugang und kritisierte essenzialistische Zuschreibungen à la "Pornos von Frauen sind gut, männliche Pornos hingegen per se schlecht".
Rays Film "The Bi Apple" wurde von "Adam & Eve", einem der größten Pornounternehmen in den USA, produziert, das durch den Blog "Waking Vixen" auf die Filmemacherin aufmerksam wurde. "The Bi Apple" sei ein "Non-Mainstream-Film für ein Mainstream-Unternehmen" - der sich zudem überraschend gut verkaufte. "Überraschend", weil der Film mit "Man on Man"-Action aufwartet (männliche Bisexualität stellt in herkömmlichen Pornos noch immer das größte Tabu dar), Frauen mit Strap-On-Dildos Männer vögeln und der Film zudem aus der Subjektposition einer Schwarzen Frau erzählt wird. Allerdings musste Audacia Ray sämtliche PR-Arbeit selbst leisten, da Adam & Eve keine Budgetmittel für Werbung zur Verfügung stellte. Rays Strategie lautet: Den Mainstream infiltrieren so gut es geht. Der Preis dafür ist hoch: Sämtliche Rechte am Film- und Bildmaterial liegen bei Adam & Eve.
Petra Joy, die all ihre Filme selbstständig realisiert (u. a. "SailorÂ’s Bride"), betonte im Gegensatz zu Audacia Ray die absolute Notwendigkeit, unabhängig zu produzieren und sah in den von Frauen gedrehten Pornos echte Alternativen zum herkömmlichen kommerziellen Angebot, zumal sie auch humorvoller mit Sex umgehen würden. Von Joy wurde auch die Etikettierung als "Porno" grundsätzlich in Frage gestellt - die Klassifizierung "Hardcore Porno" erfolgt oft unfreiwillig und hängt von den länderspezifischen gesetzlichen Definitionen ab. Doch eben das Label "Hardcore" hat deutliche Auswirkungen auf die Vetriebsstruktur, etwa ob der Film frei über das Internet verkauft werden darf oder nur in speziell lizensierten Sex-Shops, um jugendschutzrechtliche Bestimmungen zu erfüllen.
Darstellerin und Regisseurin Ovidie (auf dem Festival mit dem Film "Les Concubines" vertreten) aus Paris war die einzige in der Runde, die von ihrer Arbeit im Sex-Business auch leben kann - allerdings arbeitet sie nicht autonom, sondern ist beim französischen TV-Sender "Canal+" angestellt. Zwar ist Ovidie damit nicht unabhängig, doch müssen andere Filmemacherinnen wie Erika Lust ("Five Hot Stories For Her"), die auf dem freien Markt agieren, mit dem Drittel des Budgets auskommen, das männliche Kollegen von den Produktionsfirmen zur Verfügung gestellt bekommen. Zudem habe das Fernsehen andere klare Vorteile: Es wird Safer Sex betrieben (die Darsteller tragen verpflichtend Kondome) und es gibt keine Cum-Shots, sprich männliche Ejakulationen in den Mund der Darstellerinnen - etwas, das in kommerziellen Hetero-Pornos zum Standard-Repertoire zählt.
Die Fotografin Jessica Grenier, die
u. a. Content für die Webseiten beautifulagony.com produziert, erläuterte am Beispiel der verwandten Internetseite abbywinters.com mögliche alternative Darstellungsweisen und Gestaltungsmöglichkeiten von Pornos: "No cuts, real time, all natural pubic hair, no plastic surgery." Es ist wenig verwunderlich, dass im "Alternative Porn" - zu denen auch die genannten Produktionen der "She-Porn"-Macherinnen zählen - Natürlichkeit und Authentizität einen großen Stellenwert einnehmen.

diffÂ’rent strokes for diffÂ’rent folks? Wenn der klassische kommerzielle Porno männerdefiniert und -zentriert ist, bestehen feministische/queere Gegenstrategien in der Kreation eigenständiger Bilder und der Visualisierung der eigenen Lust. Oder aber in der subversiven Aneignung herrschender Darstellungen durch die Entwicklung einer Lesart, die "gegen den Strich" geht. Kritischerweise wird bei ersterem Zugang "Authentizität" eine zentrale Bedeutung beigemessen.
Wie die Filmwissenschafterin Linda Williams in ihrem Buch "Hard Core" bereits Ende der 1980er deutlich machte, wohnt dem Sex keine Natürlichkeit inne - es geht also weniger um eine aufzudeckende Wahrheit des (oder im) Sex als um jene Machtkonstellationen, die bestimmte Bilder von Sex als selbstverständlich natürlich (oder unnatürlich) erscheinen lassen. Zudem machte sie auf eine weitere Schwierigkeit aufmerksam: "Die neue Vielfalt der Sexualitäten" könne zwar als "demokratisierender Prozess" und als "Chance zur sexuellen Gleichberechtigung" gelesen werden, doch sie bewegen sich deshalb nicht von vornherein außerhalb der "Ökonomie des Begehrens".1 "DiffÂ’rent strokes for diffÂ’rent folks" bezeichnet Williams das, was man auch aktuell als neue Nischenbildungen im Porno-Business beobachten kann. Aber gibt es überhaupt ein solches "Außerhalb" der Industrie und wie könnte eine solche Position aussehen? Möglichweise sind die neuen queeren und feministischen Pornos sowohl "diffÂ’rent strokes for diffÂ’rent folks" (schließlich wollen sie auch als Pornos funktionieren) als auch derart positioniert, dass sie die herrschenden Regeln des Genres grundlegend herauszufordern vermögen. Dazu bräuchte es aber wiederum größere ökonomische Ressourcen, um solche parallelen "Gegenbilder" zu verbreiten und neue Kanäle, um die Nischen, in denen sie produziert werden, verlassen zu können. Räume wie das Pornfilmfestival Berlin bieten hier zumindest die temporäre Möglichkeit, von den Rändern ins Zentrum der Aufmerksamkeit zu rücken.

Dieser Artikel erschien in: an.schläge, das feministische Magazin,
www.anschlaege.at