Leben 2.0

Die "synthetische Biologie" versteht sich als Ingenieursdisziplin: Sie will das Leben in einzelne Bauteile und Schaltkreise zerlegen und von Grund auf selbst gestalten. In letzter Zeit konnten einige

GID, 183 - August 2007, S. 36 - 38 Die "synthetische Biologie" versteht sich als Ingenieursdisziplin: Sie will das Leben in einzelne Bauteile und Schaltkreise zerlegen und von Grund auf selbst gestalten. In letzter Zeit konnten einige ihrer Vertreter erste Erfolge vorweisen. Craig Venter hat sich als Gründer des Unternehmens Celera und Wissenschaftler einen Namen gemacht, als er mit der schnellen "Schrotschuss"-Methode das mit öffentlichen Geldern geförderten Humangenomprojekt einholen und das menschliche Genom zeitgleich mit diesem sequenzieren konnte. Venter ist weiterhin an vielen Fronten der Biotechnologie tätig. Schon 1999 hatte er die Herstellung von künstlichen Mikroorganismen angekündigt und das Minimal Genome Project an dem von ihm gegründeten Institute for Genomic Research (Rockville, Maryland) gestartet. Ziel der Forschung war es, anhand von Mycoplasma genitalium, dem einfachsten bekannten Bakterium mit nur 480 Genen, herauszufinden, wie viele Gene zur Lebensfähigkeit notwendig sind. Dazu wurden nacheinander einzelne Gene entfernt und überprüft, ob das Bakterium noch überlebensfähig ist. Die Idee dahinter war, dass man die einmal gefundene, einfacher zu konstruierende genetische Minimalausstattung des Bakteriums dann durch weitere Gene ergänzen könne, um auf diese Weise für spezifische Aufgaben gerüstete Bakterien zu erzeugen. Diese Idee, die den Ansatz der so genannten synthetischen Biologie am prägnantesten charakterisiert, liegt auch der Forschung von Wissenschaftlern am Massachussetts Institute of Technology (MIT) zugrunde. Sie haben schon Tausende von Biobricks - Gene mit bestimmten Funktionen - aufgelistet, die als genetische Plug-Ins an Bakterien mit einem Minimalgenom angefügt werden können, um so ganz nach Bedarf die biologischen Maschinen zu konstruieren.

Erste Erfolgsmeldungen

2003 hatte Venter bekannt gegeben, dass es seine Wissenschaftler erstmals geschafft hätten, in nur zwei Wochen aus künstlich hergestellten Genstücken einen Virus zu bauen. Dabei handelt es sich um den Bacteriophagen PhiX174, dessen kreisförmiges Genom in einer Proteinhülle aus 5.368 Basenpaaren besteht. Das künstlich hergestellte Virus war in der Lage, sich fast genauso wie seine natürlichen Verwandten in das Genom von Bakterien einzubauen, sich dort zu reproduzieren und die Wirte zu töten. Schon seit Jahren werden solche Projekt der synthetischen Biologie auch vom US-Energieministerium gefördert, Dort hofft man, auf diese Weise Bakterien herstellen zu können, mit denen sich auf biologischer Grundlage die Emission von Treibhausgasen reduzieren oder Energie herstellen lassen. Am 31. Mai 2007 hat nun das J.Craig Venter Institute - das 2006 aus der Fusion mehrere Insitute, darunter das bereits erwähnte Institute for Genomic Research hervorgegangen ist - einen Patentantrag für das künstlich hergestellte "Mycoplasma laboratorium" eingereicht. Dessen minimalisiertes Genom würde aus 350-381, maximal aus 450 Genen bestehen, also 30-130 weniger Gene als das natürlich vorkommende Bakterium Mycoplasma aufweisen, das als Grundlage dient. Zudem soll nach dem Patentantrag in das Genom einer oder mehrere von jeweils aus drei Genen bestehenden Genverbänden eingefügt werden, die dazu dienen, Phosphat aufzunehmen, Lipoprotein und/oder Glycerophosphoryl Diester Phosphodiesterase herzustellen sowie bestimmte RNA-Stränge zu codieren. Das so durch das Einfügen der Gene in eine Zelle hergestellte Bakterium könne in einer Umgebung, die frei von Stress ist und die notwendigen Nährstoffe enthält, autonom leben und sich reproduzieren. Aufgrund von Experimenten hätten 101 Gene identifiziert werden können, die zum Leben nicht notwendig sind. Das Patent erstreckt sich auf die Identifizierung der nicht notwendigen Gene, die Herstellung eines autonom lebenden Bakteriums, die Feststellung der Funktionen von Genen, indem sie in einem Bakterium ausgeschaltet, ersetzt oder mutiert werden, und die Herstellung von solchen Bakterien, die Wasserstoff oder Ethanol produzieren, woraus sich Bio-Treibstoffe herstellen oder womit sich Treibhausgase abbauen lassen. Möglicherweise ließen sich so große Profite etwa für die kostengünstige Herstellung von Bio-Treibstoffen erzielen, die derzeit massiv im Kommen sind. Allerdings kann Ethanol auch bereits durch andere genveränderte Bakterien wie E. Coli hergestellt werden. "Wenn wir", so verkündete Craig Venter, "einen solchen Organismus, der Treibstoff produziert, herstellen können, dann wäre dies der erste Milliarden-Dollar Organismus". Ob bereits ein solches künstliches und überlebensfähiges Bakterium hergestellt wurde, geht aus dem Patentantrag nicht hervor. Auf Anfrage von Medien wollte sich Venter, dessen Firma bereits von Kritikern als "Microbesoft" der Biologie bezeichnet wird, nicht konkret äußern, sagte aber, man sei nahe dran.

Vom Bio-Terror zum Bio-Error?

In einem Bericht über synthetische Biologie hatte die kanadische Umweltorganisation Action Group on Erosion, Technology and Concentration (ETC) mit Verweis auf die Aktivitäten Venters davor gewarnt, dass die Herstellung künstlichen biologischen Lebens nicht nur Vorteile habe: "Letztlich bedeutet künstliche Biologie billigere und leicht zugängliche Mittel zur Herstellung von biologischen Waffen, gefährlichen Pathogenen und künstlichen Organismen, die eine ernsthafte Bedrohung für die Menschen und den Planeten darstellen können. Die Gefahr besteht nicht nur im Bio-Terror, sondern auch im Bio-Error." Tatsächlich wäre es ohne Weiteres denkbar, dass bei einer ausgereiften "synthetischen Biologie" nicht nur Labors, sondern womöglich auch Gruppen oder Einzelne mit geringen Kenntnissen und ohne große Ausrüstung mit einem Werkzeugkasten eine bakterielle Grundform mit einem Minimalgenom zu einer gefährlichen Waffe umfunktionieren könnten. ETC fordert, dass das US-Patentamt den Antrag abweisen soll, weil damit ein "kommerzielles Wettrennen auf die Herstellung und Privatisierung von künstlichen Lebensformen" einsetze, das zu ähnlichen Monopolen wie im Softwarebereich führen könne. Die Organisation will auch eine Klage beim Patentamt einreichen. "Zum ersten Mal", so Pat Mooney von ETC, "hat Gott Konkurrenz bekommen". Das mag nun für viele weniger bedenklich sein, höchst problematisch allerdings könnte werden, wenn solche ingenieurtechnisch designten künstlichen Mikroorganismen in die freie Wildbahn gelangen, sich dort unkontrolliert vermehren, mutieren oder auch nur andere Organismen verdrängen.

Synthetic Biology 3.0

Die Befürworter der synthetischen Biologie werden derzeit deutlicher hörbar. So fand unlängst der Kongress "Synthetic Biology 3.0" an der ETH Zürich statt. Dort heißt es, dass "die neue und sich schnell entwickelnde Forschungsrichtung" das Ziel habe, "(neue) biologische Sys-teme (neu) zu entwerfen und herzustellen". Potenzielle Anwendungen gebe es viele. Die Vorträge beschäftigten sich mit der minimalen Zelle, der Weiterentwicklung von Genomen, neu verbundenen Gennetzwerken von Bakterien, der Herstellung von menschlichen Zellen, Gensynthese oder eben einem "Ab Initio Design of Complete Living Organisms". Es wurden auch Sicherheitsvorkehrungen behandelt und Anwendungen in der Chemie, der Material- und Sys-temforschung diskutiert, beispielsweise die Herstellung eines künstlichen menschlichen Chromosoms, Verfahren mit denen verhindert wird, dass sich genetisch veränderte Mikroorganismen unkontrolliert reproduzieren können, oder die technische Umsetzung der bakteriellen Chemonavigation. Es tut sich eine neue Welt auf, die schon länger angekündigt wurde, aber nun langsam betreten werden kann und große Möglichkeiten verspricht, aber auch unbekannte Risiken mit sich bringen kann. ETC monierte anlässlich des Kongresses in der Schweiz, dass die neue Technologie bislang weitgehend unkontrolliert entwickelt werden kann: "Obwohl die synthetische Biologie weit über bisher übliche gentechnische Verfahren hinausgeht, wurden bis heute keine Gesetze oder Regulierungen entwickelt, um ihre Sicherheit zu bewerten und zu garantieren". Die Biologin Florianne Koechlin von der Schweizerischen Arbeitsgruppe Gentechnik (SAG) fügt hinzu: "Und einmal mehr hören wir von der Wissenschaft, unterstützt von Industrie und Militär, man habe das Leben im Griff und könne es bald konstruieren. Doch Leben ist mehr als die Summe seiner Teilchen." Koechlin ist Mitglied der eidgenössischen Ethikkommission EKAH, die sich demnächst mit den Auswirkungen der synthetischen Biologie auseinandersetzen wird. Internationale Wissenschaftler haben nach einer Konferenz über synthetische Biologie, die von der kalifornischen Kavli Foundation organisiert wurde und vom 11. bis 15. Juni 2007 in Grönland tagte, eine Erklärung verabschiedet, in der sie dazu aufrufen, die Forschung in diesem neuen Bereich stärker zu fördern. Die synthetische Biologie, in der sich Ingenieurtechnik mit der Nanowissenschaft und der Molekularbiologie verbindet, würde die Wissenschaft ebenso revolutionieren wie die Entdeckung der DNA oder die Erfindung des Transistors und könne Lösungen für viele Probleme mit sich bringen: "Das frühe 21. Jahrhundert ist eine Zeit großer Versprechen und Gefahren. Wir stehen gewaltigen Problemen des Klimawandels, der Energie, der Gesundheit und der Wasserressourcen gegenüber. Synthetische Biologie bietet Lösungen für diese Probleme an: Mikroorganismen, die Pflanzen in Treibstoffe umwandeln, neue Medikamente herstellen oder kranke Zellen im Körper zerstören können." Die Wissenschaftler sind, wie nicht anders zu erwarten, optimistisch, dass schnell weitere Fortschritte erzielt werden können. Da sich die Techniken zur Sequenzierung und Herstellung von DNA in den letzten Jahren schnell entwickelt haben und gleichzeitig die Kosten gesunken sind, könne man davon ausgehen, dass es bald möglich sein wird, beliebige Gensequenzen in der Größenordnung von Genomen herzustellen und diese künstlichen Genome in "funktionierende Einzellerfabriken" umzuwandeln. Auf der Seite der "Hardware" würde der Zug bereits den Bahnhof verlassen, man müsse nur das Ziel festlegen. Noch bereite allerdings die "Software" Probleme. Aufgrund der Komplexität sei es jetzt noch nicht möglich, neue Gene oder Genome zu konstruieren.

Visionen vom "intelligent design"

Man müsse aber auch die Risiken im Auge behalten und Vorkehrungen treffen. Die Wissenschaftler aus Deutschland, den Niederlanden, Frankreich, Japan und den USA fordern Schutzmaßnahmen vor Unfällen und vor dem Miss-brauch. Es müssten Regeln entwickelt werden, um "die positiven Anwendungen der Technik zu fördern und die negativen zu unterdrücken. Die Risiken sind real, aber die potenziellen Vorteile sind wirklich außerordentlich." Die synthetische Biologie werde in 50 Jahren, so glauben die Wissenschaftler, ähnlich wichtig sein wie heute die Elektronik. In einem Punkt sind sie sogar mit den Kritikern der Forschung einig, nämlich dass die Entscheidungen, die jetzt getroffen oder auch nicht getroffen werden, einen großen Einfluss auf die Gestaltung der Zukunft haben werden. Erforderlich wäre in der Tat zumindest ein "intelligent design" des künstlich hergestellten Lebens. Dafür wäre aber der Mensch und nicht Gott zuständig, der nach Ansicht der religiös motivierten Kritiker der Evolutionstheorie das Leben entworfen hat, wobei allerdings die Intelligenz des Lebensdesigns oft nicht wirklich einleuchtet und höchstens dem unbegreifbaren göttlichen Willen zugeschrieben werden kann. Von einem ersten Erfolg auf dem Weg zu künstlichen Bakterien haben Ende Juni Wissenschaftler vom J. Craig Venter Institute in Science berichtet. Ihnen ist nicht nur gelungen, in einem Bakterium einzelne Genstränge zu verändern oder einzufügen; sie haben ein ganzes Genom mit 1,08 Millionen Basenpaaren aus einem Bakterium herausholen und in ein anderes einpflanzen können. Als Spender diente Mycoplasma mycoides, als Empfänger Mycoplasma capricolum. Mycoplasma-Bakterien haben den Vorteil, relativ kleine Genome und keine Zellwände zu besitzen. Erleichtert hat die aufwändige Transplantation sicherlich, dass sich die Genome der Bakterienarten in hohem Maße gleichen. Über 76 Prozent der Basenpaare sind praktisch identisch. Die Wissenschaftler räumen allerdings ein, dass sie noch nicht wirklich verstanden haben, wie die Transplantation gelingt. John Glass, einer der Wissenschaftler, geht davon aus, dass beide Genome zunächst im Empfängerbakterium vorhanden sind und sie erst durch fortlaufende Teilung getrennt werden. Sonderlich effizient ist das Verfahren bislang jedenfalls nicht. Nur in eine Empfängerzelle von 150.000 konnte das vollständige Genom eingefügt werden. Unklar ist auch, ob das zwischen anderen Bakterien funktionieren würde. Für den Beweis der Transplantation wurden zwei Gene als Marker eingeführt, eines bewirkt Resistenz gegenüber Antibiotika, das andere lässt die Bakterien blau werden. Die aus der Genomtransplantation hervorgegangenen Zellen seien phänotypisch identisch mit Mycoplasma mycoides-Bakterien gewesen. Die Genomtransplantation geht weit über die bislang realisierten Möglichkeiten hinaus, DNA in bakterielle Genome einzuführen, wo sie "nur" rekombiniert wird, und ist vergleichbar mit der Einführung eines Zellkerns in eine entkernte Ei- oder Körperzelle, wie dies beim Klonen gemacht wird.

Steigende Aktien und Bedenken

Im Rahmen der Forschung, künstliche Bakterien mit gewünschten Eigenschaften und einem minimalen, auf das notwendige zugeschnittene Genom zu schaffen, wäre die Möglichkeit, künstliche zusammengebaute Genome in einer Zelle einzubauen, ein entscheidender Schritt. Daher ist die Übertragung eines ganzen Genoms von einem Bakterium in ein anderes eine wichtige Voraussetzung. Die Wissenschaftler sprechen von der Grundlage des neuen Feldes der "Synthetischen Genomik", die die Herstellung von "nützlichen Mikroorganismen" ermöglicht, um "drängende gesellschaftliche Probleme in der Energieproduktion, dem Umweltschutz und der Medizin zu lösen". Davon sind die Wissenschaftler des J. Craig Venter Institute sicherlich bei allen Einschränkungen der Methode noch weit entfernt. auch wenn sie ihre Erfindung natürlich anpreisen. Die Frage ist, ob die Übertragung auch bei Bakterien gelingen kann, die nicht so eng verwandt sind, und vor allem, ob es auch bei Bakterien mit Zellwänden und mit größeren Genomen gelingt. Allein aber schon die Meldung dieses Erfolgs dürfte die Aktien der synthetischen Biologie ebenso weiter steigen lassen wie die Bedenken. Im Sommer wollen Venter und sein Institut zusammen mit dem Center for Strategic & International Studies (CSIS) und dem Massachusetts Institute of Technology (MIT) einen Bericht über die Risiken und Möglichkeiten der synthetischen Biologie veröffentlichen, worin auch die Schutzmaßnahmen ausgeführt werden sollen, um Gefährdungen, beispielsweise durch Bioterrorismus, zu verhindern. Darauf darf man gespannt sein. Florian Rötzer ist Chefredakteur beim Online-Magazin telepolis (www.heise.de/tp/)