Streetwear

BR 69 und CopaSacana: Hurenmode aus Rio de Janeiro sorgt für neue Selbstachtung von Prostituierten und mobilisiert erfolgreich gegen gesellschaftliche Stigmatisierung.

Lastwagenfahrer sind die besten Kunden. Solch eine Überlegung in die Modekollektion einfließen zu lassen, ist nichts Ungewöhnliches für die Frauen rund um "DASPU". Das brasilianische Modelabel "von den Huren" (das putas) stellte 2006 seine erste Gesamtkollektion "BR 69" vor. Benannt ist sie nach einer stark frequentierten Fernfahrer-Route und präsentiert wurde sie zeitgleich mit der Rio-Fashion-Week. Allerdings auf dem Arbeitsplatz der Mode- macherinnen: der Straße. Und mit dem entscheidenden Unterschied, dass die sexy Mode auch kurvigen Frauen steht. "Wir machen Kleidung für alle Frauen. Die kann in der Prostitution und im Alltag getragen werden". Gabriela Silva Leite, Aktivistin der Prostituiertenorganisation "Davida", und den Frauen, die an der Praça Tiradentes im Zentrum von Rio anschaffen, gelang es innerhalb von wenigen Monaten, DASPU weit über die Grenzen Brasiliens hinaus bekannt zu machen.
Der mediale Wirbel wurde durch eine Unterlassungsklage des in São Paulo ansässigen Luxusmodegeschäft "Daslu" zusätzlich angeheizt, das sich ob der (nicht gerade zufälligen) Namensähnlichkeit empörte. Aber anstatt Anwälte mit dem Fall zu beauftragen, gab Davida die Androhung an die Presse weiter und erhielt enorme Solidaritätsbekundungen gegen das superteure, in einen Korruptionsskandal verwickelte Daslu.

Aus dem Ghetto geholt. Um der "Prostitution Würde zu verleihen" wurde Davida von der ehemaligen Prostituierten Gabriela Silvia Leite 1992 gegründet. Leite gilt als Pionierin der Hurenbewegung, seit sie nach der Ermordung dreier Prostituierter 1979 in São Paulo eine Demonstration gegen Polizeigewalt mitinitiierte und in weiterer Folge Prostituiertenkongresse in Brasilien organisierte. Unter dem Motto "Frauen des Lebens - es ist wichtig zu sprechen" fand der erste Kongress 1987 statt, aus dem das Prostituiertennetzwerk (Rede Brasileira de Prostitutas) hervorging. Und zum ersten Mal wurde öffentlich über die Stigmatisierung der "Mulheres da Vida" diskutiert. Leite: "Wir haben gesehen, wie Prostituierte sprechen lernen. Sie entdecken, dass sie die Stimme einer Gesellschaft sind, die bei der Konfrontation mit Sexualität zu Tode erschrickt. Die Prostituierte muss aus dem Ghetto geholt werden, um sie in die brasilianische Realität zu platzieren"1. Das brasilianische Netzwerk der Sex-Professionellen, dem auch männliche Sexarbeiter und Transvestiten angehören, umfasst mittlerweile 27 Organisationen.
"Ein Anliegen von Davida ist, Frauen zu animieren, neue Hurenorganisationen zu gründen". Friederike Strack, eine von insgesamt sieben Davida-MitarbeiterInnen, arbeitete auch schon für die deutsche Prostituiertenorganisation Hydra und verfolgt die Aktivitäten von Davida seit 1993.

Sexarbeit noch ohne Rechte. Neben der Koordination des Netzwerkes hilft der Verein Davida bei gesetzlichen Fragen, betreut, klärt auf und kämpft für die arbeitsrechtliche Anerkennung von Sexarbeit. "Die Prostituierte ist nicht kriminalisiert, kriminalisiert wird nur, wer von der Ausübung der Prostitution lebt, also der Besitzer des Bordells oder des Hotels, in dem Prostitution stattfindet. Die Ausübung der Prostitution ist an sich legal, aber im Alltag verschwimmen die Grenzen, die meisten wissen nicht genau, was legal ist und was nicht", umreißt Leite 2000 in einem
Interview die Problematik in Brasilien.
Davida arbeitete eng mit dem Kongressabgeordneten und ehemaligen Guerillero Fernando Gabeira (Die Grünen) an einem Gesetzesentwurf (2003) zur Regulierung der Rechte von SexarbeiterInnen zusammen. An die deutsche Gesetzgebung angelehnt, wird darin gefordert, Prostitution als Gewerbe anzuerkennen. Sexprofessionelle erhielten damit Pensionsansprüche, Krankenversicherung und die Möglichkeit, ausständigen Lohn einzufordern. Ende November 2007 wurde der Vorschlag, "obwohl bis zu siebzig Prozent der Bevölkerung diesem Entwurf zustimmen", wie Friederike Strack erläutert, von der CCJC (Comissão de Constituição e Justiça de Cidadania2) mit großer Mehrheit abgelehnt. Aussichtslos ist der Kampf um die umstrittenen Arbeitsrechte für Strack jedoch nicht. Die Hoffnung, dass der Entwurf ins Parlament zur Abstimmung gelangt, existiert weiterhin. "Unsere Aufgabe besteht weiterhin darin, viel PR-Arbeit zu leisten und darüber zu informieren, welche Vorteile es mit sich bringen würde." Immerhin hat das Arbeitsministerium 2002 Prostitution als Arbeit anerkannt und eine Beschreibung der selbstständigen Tätigkeit auf der offiziellen Homepage - neben 600 anderen gewöhnlichen Berufen - veröffentlicht.

"Hemdchen" gegen Aids. Davida wie auch andere Hurenorganisationen finanzieren sich mehrheitlich durch die Teilnahme an Aidspräventionsprogrammen des Gesundheitsministeriums, regelmäßige Förderungen für die Vereine gibt es keine.
Unter anderem suchen die (an den Programmen) beteiligten Organisationen nach Orten für Kondomautomaten. Strack: "Die sind in Brasilien keine Selbstverständlichkeit und durch preisliche Vergünstigungen soll die Inanspruchnahme verbreitert werden." Wurden Kondome früher nach Brasilien importiert und in Ländern wie etwa Indonesien und Indien hergestellt, soll in Zukunft die staatliche Kondomfabrik in Acre die "camisinhas" (Kondome werden in Brasilien "Hemdchen" genannt) herstellen.
Friederike Strack bemerkt im Interview, dass diese Präventionsarbeit aber weit mehr umfasst als Aids-Aufklärung und Kondomverteilung: "Wir machen auch auf die Rechte der Frauen aufmerksam."
Die Strategien von Davida mit diesen Anliegen an die Öffentlichkeit zu gehen sind vielfältig, kreativ und medienwirksam. Das Straßentheater über Aids z. B., "Cabaré da Vida", wird auf öffentlichen Plätzen, in der Nähe der Rotlichtviertel aufgeführt. Und die AntiAids-Kampagne "Maria ohne Scham", mit dem "kultigen" Logo und den frechen Sprüchen wie "Ich habe einen Beruf", "Ich benutze Kondome" auf Aufklebern und Kalendern war so beliebt, dass sie 2007 wieder aufgenommen wurde.
Ein- bis zweimonatlich, je nach finanziellen Ressourcen, erscheint seit 1988 auch die einzige Prostituiertenzeitung Brasiliens: "Beijo da Rua" - Kuß der Straße. Davida verschickt die Ausgaben an alle Prostituiertenorganisationen, die sich anschließend um die Verteilung kümmern. Die Onlineversion der Zeitschrift umfasst neben Gedichten, Reportagen und Berichten aus dem Rotlichtmilieu auch aktuelle Meldungen.
Aufmerksamkeit erregte Davida außerdem bei der Biennale-Eröffnung 2006 in São Paulo. Der slowenische Künstler Tadej Pogacar - er arbeitet unter dem Arbeitstitel Code Red schon seit längerem mit Sexarbeiterinnen aus der ganzen Welt zusammen - präsentierte dort mit den Frauen ein (aus Bettlaken der Stundenhotels in Rio de Janeiro gefertigtes) Brautkleid mit Kondomschleier.

Huren machen Kleider. Die Prostituierten, die DASPU vorantreiben, sehen das Modemachen aber nicht als Ausstieg aus dem Rotlichtmilieu. Sie wollen gar nicht mit ihrer Arbeit aufhören, sondern einfach nur Achtung und Anerkennung.
10.000 T-Shirts und Baumwollkleider, genug um eine zweite Kollektion zu finanzieren, verkaufte DASPU im ersten Jahr. Das Büro von Davida ist zugleich Vertriebsbüro und Zentrale des Modelabels. Hier wird die von Sylvio de Olivera entworfene T-Shirt-Linie verschickt, neue Gesamtkollektionen in Zusammenarbeit mit anderen ModedesignerInnen zwei Mal jährlich entworfen. Das Thema für die diesjährige Sommerkollektion steht noch nicht fest und wird in Zusammenarbeit mit der Universität von Belo Horizonte im Februar entwickelt. Zum Jahreswechsel aber wurden neue T-Shirts mit der Glücksfarbe weiß - nach brasilianischer Tradition wird zu Silvester weiß getragen - auf den Markt gebracht.
"DASPU wurde mit der Idee ins Leben gerufen, unabhängig und selbstbestimmt die Projekte von Davida zu finanzieren. Davida möchte nun deshalb eine Kooperative gründen, damit das Modelabel auf eigenen Beinen steht", erklärt Friederike Strack den weiteren Umgang mit dem Erfolg. Mitglieder der Kooperative sind Prostituierte und Unterstützerinnen. Die Idee dahinter ist, dass die Gewinne von DASPU einerseits dazu dienen, die MitarbeiterInnen zu zahlen, andererseits neue Projekte ermöglichen, die unabhängig von den staatlichen Projektausschreibungen zur Aidsprävention sind. Wir freuen uns jedenfalls schon auf die nächsten "Provokationen".

Fußnoten:
1 Friederike Strack.: Von der Sexarbeiterin zur Prostituierten. In: Lateinamerikanachrichten, Nummer 377, November 2005,
2 Ausschuss für Verfassung, Justiz und Bürgerrechte

Dieser Artikel erschien in: an.schläge, das feministische Magazin,
www.anschlaege.at