"Trip away to genderfuck"

Musik, Tanz, Show, Theater, Striptease: Virginia Woolfs "Orlando" als queere Burlesque.

Orlandos viel gepriesene Beine strecken sich goldglänzend dem Publikum entgegen. Er schläft. Das Glänzen seiner Hosen wird von den glitterbedeckten Gesichtern der Näherinnen zitiert, die im Halbdunkel hinter ihm sitzen. Sie singen: "Ich bin fertig mit den Menschen". Virginia Woolf lässt Orlando diesen Satz sagen und ihn fortan verstärkt die Nähe zu Hunden und seinem Eichbaum suchen, nachdem seine literarischen Versuche schmählich gescheitert waren. Und erstaunlicherweise ist es neben seinem herausragenden Platz im Kanon der Gender-Literatur auch diese Hinwendung zur Natur, die Woolfs Roman "Orlando" für die "queer-burlesque" Dramatisierung "Orlanding the Dominant" so interessant machte. "Take me as I am" ruft das Kollektiv aus SV Damenkraft, Gustav und Tomka Weiss von den Sissy Boyz in einer anderen Szene "Nature, Nature" direkt an. Dieses Anrufen, "ja vielmehr Anbrüllen der Natur" ist bei Woolf aber kein Rekurs auf Biologie, sondern durchaus im queer-feministischen Sinne eine Forderung nach Akzeptanz, meint Katrina Daschner.
Um die Akzeptanz aller Körper, die Akzeptanz von geschlechtlicher Uneindeutigkeit und wechselnden Geschlechts- identitäten zu fordern, eignet sich der große Roman vom Mann, der eine Frau wurde, aber auch insgesamt natürlich gut. Und es lässt sich daraus zudem eine Performance machen, die sich außer mit dem Gender-Thema auch mit dem Reisen durch die Zeit beschäftigt. Was für Sabine Marte eine weitere Motivation war, sich des feministischen Klassikers anzunehmen.
Die Zeitreise ist vor allem eine musikalische, wobei die Musik, "die in der jeweiligen Epoche gerade en vogue war, nicht einfach historisierend eingesetzt wurde", sagt die, besser als "Gustav" bekannte, Musikerin Eva Jantschitsch. Es ging vielmehr darum, "eine Stimmung einzufangen und daraus im Kollektiv zeitgemäße Interpretationen zu entwickeln." Im Format der gewählten Burlesque lässt sich diese Musik dann mit anderen Genres wie Tanz und Theater verbinden. Und da zu einer Burlesque traditionsgemäß auch ein Striptease gehört, erlaubt sie auch eine dem Sujet gemäße, ironisch-offensive Zurschaustellung von Körpern. Von Körpern, die aus Kostümen von "fabrics interseason" geschält werden, was beispielsweise bedeutet, einen Berg Luftballons vorm in schwarze Spitze gehüllten Bauch zum Platzen bringen zu müssen.
Mit dem gelungenen Stilmix der Outfits korrespondiert auch die Mischung der unterschiedlichen künstlerischen Einflüsse. Showelemente der Sissy Boyz zeigen sich unübersehbar in einer Tanzeinlage mit Tüllröckchen. Manche Lieder klingen ganz deutlich nach Gustav. Und sie klingen schön. Aber vor etwaigem Pathos bewahrt stets der brachial-ironische Einsatz musikalischer Kalauer durch SV Damenkraft.
Die Performance vollzieht eine Erweiterung der Romanvorlage im "queer-burlesquen Sinne", so Gini Müller. Ihr Rahmen wird deshalb nicht zuletzt auch zeitlich gesprengt. Beendet Orlando seine Jahrhundertreise bei Woolf mit Erscheinen des Romans 1928, endet sie bei "Orlanding the Dominant" immer erst mit dem Aufführungszeitpunkt.
Weshalb Orlando hier auch die feministischen Heroinnen des 20. Jahrhunderts auf die Bühne bittet: Von Künstlerinnen wie Export mit Körperkino und Abramovic mit Trennungsperformance auf der chinesischen Mauer bis zur kotzenden Krystufek und den Guerilla Girls. Valerie Solanas und Lieselotte Pulver. Beatriz Preciado, Judith Butler und den Mann mit den Brüsten. Judith Jack Halberstam und Annie Sprinkle.
Und am Schluss wacht Orlando mit ihnen allen gemeinsam auf. Sie singen, und alles ist gut: "Thousand years of troubled gender, now weÂ’re here to live it all."

Dieser Artikel erschien in: an.schläge, das feministische Magazin,
www.anschlaege.at