...morden mit in aller Welt

Deutsche Kleinwaffen ohne Grenzen

Das mediale Interesse an deutschen Waffenexporten konzentriert sich auf Panzer und U-Boote. Dabei haben gerade deutsche Kleinwaffen-Hersteller Strategien entwickelt, die Ausfuhrkontrollen zu umgehen.

Ob Kenia, Birma, Kolumbien oder Sudan - den blutigsten Konflikten unserer Zeit, die so komplexe wie unterschiedliche Ursachen haben, ist eines gemeinsam: Sie alle werden in erster Linie mit Kleinwaffen ausgetragen, nicht mit Großwaffensystemen. Die massenhafte Verbreitung automatischer Gewehre ist in diesen Krisenregionen ein entscheidendes Hindernis für Frieden. Abermillionen Menschen sind durch diese "Massenvernichtungswaffen" zu Tode gekommen, eine vielfache Zahl wurde verstümmelt, vertrieben und traumatisiert. Hierzulande denkt man in diesem Zusammenhang vielleicht zuerst an die Kalaschnikow und das amerikanische M16-Gewehr mit seinem prägnanten Design. Das zweithäufigste Mordinstrument in jenen Ländern ist jedoch das G3-Sturmgewehr von Heckler & Koch (H&K) aus Oberndorf am Neckar.

Die "Braut" als Filmrequisite
In Kenia wurden bei den Unruhen der vergangenen Wochen laut UN allein in Kisumu 44 Menschen von Polizei und Armee erschossen. Auf Bildern von den Kämpfen ist das G3-Gewehr - früher in der Bundeswehr "die Braut des deutschen Soldaten" genannt - zu identifizieren. Es ist seit über 30 Jahren die Standardwaffe der kenianischen "Sicherheitskräfte". Nach Angaben des Informationsdienstes Jane´s verfügen diese auch über die MP5-Maschinenpistole und das HK21-
Maschinengewehr, beides G3-Ableger. Dem Kleinwaffenexperten Edward Ezell zufolge stammen sie aus englischer Lizenzproduktion. Der Vertrag von 1970 mit den Royal Ordnance Factories in Enfield beweist, dass H&K die Kooperation einging, um Märkte zu erschließen, die von der BRD aus nicht zugänglich waren. Das Bundesverteidigungsministerium, das die Entwicklung des G3 finanziert hatte und die Rechte daran hielt, vergab die notwendige Lizenz.
Nach gleichem Muster ging H&K eine Partnerschaft mit der Manufacture Nationale d´Armes de St. Etienne ein. Dokumente des Auswärtigen Amtes (AA) belegen, dass H&K auf diesem Umweg auch Uganda hochrüstete. Als die Bundesregierung 1971 den Verkauf von G3 an Kenias Nachbarland blockierte, lieferten die Franzosen. Einige dieser G3 sind original in dem Oscar-gekrönten Film "Der letzte König von Schottland" zu sehen: Die Requisiten stammen aus ugandischen Armeedepots. In dem Dokumentarfilm "General Idi Amin Dada" ist zu sehen, wie der Diktator selber ein G3 abfeuert. Weil die Bundesregierung H&K andererseits Exporte nach Tansania erlaubte, konnten auch Amins Feinde ihren Kampf mit dem G3 führen. Es gilt als ähnlich robust wie die Kalaschnikow, hat aber eine viel größere Durchschlagskraft.
In Kenia hat das G3 nicht erst jetzt die Spannungen befeuert. Schon zuvor gab es häufig Berichte über die verheerenden Wirkungen des deutschen Exportschlagers, bei Verteilungskonflikten im Norden ebenso wie durch das Handwerk von Wilderern. Diese G3 wurden teils von korrupten Offizieren verkauft, andere kommen aus den Nachbarländern Somalia und Sudan. Sudan, der größte Flächenstaat Afrikas, in dem seit 1955 fast durchgehend Krieg herrscht, wurde mit G3 geradezu vollgepumpt. In den 1960er und 70er Jahren lieferte die BRD, in den 80ern Saudi-Arabien und seit den 90ern Iran und Pakistan aus ihren Lizenzfertigungen. Eine Munitionsfabrik bei Khartum, die die bundeseigene Firma Fritz-Werner ab 1959 betrieben hatte, wird heute offenbar von den Pakistan Ordnance Factories betreut. Eine aktuelle Studie des Genfer Small Arms Survey belegt, dass das G3 im Südsudan die am zweithäufigsten verbreitete Waffe ist. Gleiches gilt für den Krieg, der in Darfur und den angrenzenden Regionen wütet. Der Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag, Luis Moreno-Ocampo, hat den Haftbefehl gegen Staatsminister Ahmed Harun unter anderem damit begründet, er habe die Janjaweed-Milizen mit G3 ausgerüstet. Nach Erkenntnissen des Harvard-Dozenten Alex de Waal soll sogar in dem Namen "Janjaweed" das Wort "G3" mitschwingen.

Militärdiktatoren zählen auf H&K
Als kürzlich die birmanische Junta die friedlichen Proteste niederschlagen ließ, sorgten besonders die Bilder von der Erschießung des japanischen Fotografen Kenji Nagai für weltweites Entsetzen. Das Gewehr, aus dem der Schuss kam, sieht wie ein G3 aus, könnte aber auch ein belgisches FN FAL sein. So oder so: laut Janes ist das G3 noch immer eine Standardwaffe der birmanischen Armee, wie das MG3 von Rheinmetall, das nach Angaben von ExpertInnen in den 1990er Jahren aus pakistanischer Lizenzfertigung geliefert wurde. Fotos dokumentieren, dass 1988 tausende Demonstranten mit G3 niedergemetzelt wurden. Die Hardthöhe hatte bereits 1960 die G3-Lizenz nach Rangun verkauft. Die Fertigungsstätten baute wiederum Fritz-Werner auf, wie auch solche für Gewehr- und Mörsermunition. Aber weil es "unbillig" war, Thailand zu verweigern, was man Birma gewährte, durfte auch der rivalisierende Nachbarstaat eine H&K-Produktion aufbauen. Das AA genehmigte 1971 die Ausfuhr einer Fabrik für den G3-Ableger HK33. Kurz darauf stellte die birmanische Armee HK33 bei "U Nu"-Rebellen sicher; laut Ezell gelangten auch die Karen-Rebellen an HK33. Nicht zuletzt dank der weitgehend autarken Rüstungsindustrie kann die birmanische Militärdiktatur internationalen Sanktionen trotzen.
Fritz-Werner, 1990 vom Bund an MAN Ferrostaal verkauft, ist noch immer dort aktiv: mit einer Niederlassung der "Fritz Werner Industrie-Ausrüstungen" und "Myanmar Fritz Werner Industries Co., Ltd.", einem Joint-Venture mit dem Schwerindustrieministerium, das für den Rüstungskomplex zuständig ist. Laut amtlichen birmanischen Medien empfangen Top-Generäle regelmäßig deutsche Fritz-Werner-Manager. In einer Stellungnahme hat Ferrostaals Kommunikationsdirektor erklärt, das Engagement umfasse seit 1990 ausschließlich zivile Projekte, die der Bevölkerung zugute kommen. Das Joint-Venture betreibe seit 1984 allein nicht-militärische Vorhaben. Dem widerspricht jedoch ein interner Bericht von 1990, der dem Svenska-Dagbladet-Korrespondenten Bertil Lintner zugespielt wurde. Und einem Report des US-Außenministeriums von 1996 zufolge führte Fritz-Werner Importe für die "Myanmar Economic Holding" durch, die laut EU-Amtsblatt dem Beschaffungsamt des Verteidigungsministeriums gehört.

Löcher im Kontrollgesetz
Die Nachhaltigkeit von Gewaltkonflikten ist an den nachhaltigen Zugang zu Kleinwaffen gebunden. Seit 1948 tobt in Kolumbien ein Bürgerkrieg, der Hunderttausende Opfer gefordert hat. Ab 1955 half Fritz-Werner beim Aufbau der staatlichen Industria Militar (Indumil), zunächst mit Anlagen für die Herstellung von Karabinern der Firma Mauser, die wie H&K ihren Sitz in Oberndorf hat. Aus einem Brief von H&K an das AA von 1975 geht hervor, dass Indumil auch die Lizenzen für G3, MP5 und HK21 erwarb. Die Technik lieferten H&K und die Fritz-Werner-AG, die auch Munitionsmaschinen an Indumil verkaufen durfte. Für die Bonner DiplomatInnen war dies ein probates Schlupfloch im Kriegswaffenkontrollgesetz (KWKG), weil Kolumbien dadurch "von Munitionsimporten unabhängig [wurde], was nicht zuletzt auch unseren Zielsetzungen, Lieferungen nach dem KWKG in Länder wie Kolumbien zu unterbinden, entspricht." Ähnlich verquer argumentierte man im Falle Pakistans, dass "die Förderung der Herstellung von Waffen [..] uns der Notwendigkeit enthebt, Anträge auf Lieferung von Fertigwaffen entsprechend unserer grundsätzlichen Haltung in dieser Frage abzulehnen."
Die Hochrüstung Kolumbiens führte zu einer umso heftigeren Eskalation, da die anderen Konfliktparteien nachzogen. Ezell zufolge kauften Drogenbarone portugiesische G3 aus angolanischen Beutebeständen in Kuba. 1989 wurden auf Jamaika G3 aus portugiesischer Lizenzfertigung beschlagnahmt, die für linksextreme Guerillas bestimmt waren. In den letzten Jahren gab es Berichte über illegale Einfuhren von G3 aus Ecuador und Peru. Und im Juni 2007 stellte die kolumbianische Polizei bei den rechten Todesschwadronen der "Aguilas Negras" G3 sicher, die anscheinend ein korrupter Polizeioffizier verkauft hatte. Ob rechte Militärs oder linke RebellInnen - entscheidend für den Zugang zu H&K-Waffen ist die Zahlungsfähigkeit der KundInnen.
Die Beispiele zeigen, dass Deutschland eine massive Mitverantwortung für das unermessliche Leid hat, das die Proliferation von Kleinwaffen angerichtet hat und noch immer anrichtet. Dies gilt für West wie Ost, da die DDR u.a. hunderttausende Kalaschnikows an Äthiopien geliefert hatte, von denen zahlreiche bis heute im Einsatz sein dürften. Die Bundesregierung muss sich daher zu den Erblasten des Kalten Krieges bekennen. Schließlich hat der Bund über Jahrzehnte an den Lizenzeinnahmen für das G3 und den Fritz-Werner-Profiten verdient. Dieses Geld sollte mit Zins und Zinseszins für großflächige Entwaffnungsprojekte verwendet werden.
Es geht aber nicht nur um die Bewältigung längst vergangener Geschichte. Vielmehr muss dringend verhindert werden, die früheren Fehler zu wiederholen. Derzeit hat das HK G36 in dutzenden Ländern gute Absatzchancen, z.B auf den Philippinen. Aktuell meldet www.hkpro.com, die Türkei wolle ihre G3, die gerade wieder im Kampf gegen die PKK zum Einsatz kommen, durch das HK416 ersetzen. Und im Rüstungsexportbericht der Bundesregierung für 2006 ist festgehalten, dass sie Großausfuhren an Kleinwaffen nach Saudi-Arabien erlaubt hat. Dies spricht der offiziell restriktiven Politik Hohn. Gegendruck kann allein eine kritische Öffentlichkeit erzeugen. Sie nimmt die ungeheuren Dimensionen der Kleinwaffen-Problematik und die besondere deutsche Rolle bislang aber leider kaum zur Kenntnis.

Roman Deckert ist Kleinwaffen-Experte im Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit (BITS).