Perfektion des Grenzregimes

Das Border Package der EU-Kommission

Am 13. Februar 2008 hat Franco Frattini, Vizepräsident der EU-Kommission und Kommissar für Justiz, Sicherheit und Freiheit, das sogenannte Border Package der EU-Kommission vorgestellt, übertitelt .

... "A comprehensive vision for an integrated European border management system for the 21st century". Das Paket umfasst vor allem drei Teile. Der erste ist eine Evaluation und Perspektive für Frontex, die europäische Grenzschutzagentur. Der zweite Teil befasst sich mit dem Aufbau eines Europäischen Grenzüberwachungssystems (EUROSUR - European Border Surveillance System). Der dritte Teil diskutiert die Schaffung eines Einreiseregisters. Franco Frattini betonte auf der Pressekonferenz mehrmals, dass das Border Package ein Vorschlag der EU-Kommission zur zukünftigen Architektur des EU-Außengrenzenmanagements sei, der nun mit dem EU-Rat, dem EU-Parlament und den Mitgliedsstaaten diskutiert werden solle. Auch wenn eine Umsetzung erst in den nächsten fünf bis zehn Jahren folgen soll, sind erste konkrete Schritte der EU hin zu einer noch rigideren Abschottungspolitik in Kürze zu erwarten. Ausweislich der Äußerungen von Frattini hat die EU-Kommission offensichtlich eine Evaluation von Frontex vorgenommen (oder ist noch dabei, diese fertigzustellen). Demnach habe Frontex 2006 und 2007 zusammen 53.000 Personen aufgegriffen oder an der Grenze abgewiesen. Ob dies die Operationen in den Küstengewässern von Mauretanien und Senegal (1) einschließt, ist nicht klar. Des Weiteren habe Frontex 2.900 gefälschte Dokumente eingezogen und 58 Schlepper gefasst. Lobende Erwähnung findet auch das European Patrols Network (EPN), in dem EU-Mittelmeeranrainerstaaten bilateral kooperieren. Das EPN ist wohl paradigmatisch für die Arbeit von Frontex: erst verknüpfen und harmonisieren, dann europäisieren. Für die nahe Zukunft schlägt die Kommission vor allem zwei Punkte vor. Zum einen sollen regionale Frontexbüros (Specialised Branches of the Agency) aufgebaut werden. In der Pressekonferenz zum Border Package ließ Frattini durchblicken, dass ein solches Büro in Malta geschaffen werden könnte, ein weiteres scheint in A Coruña, Galizien, Spanien zu entstehen. (2)

Die EU-Kommission hat neue Pläne für die Frontex

Zum anderen soll das Centralised Record of Available Technical Equipment (CRATE) ausgebaut werden, Frontex soll eigenes Grenzschutzmaterial erwerben, um dessen Verfügbarkeit bei RABIT-Einsätzen gewährleisten zu können. Für Einsätze setzt die Agentur auf das Konzept sogenannter Rapid Border Intervention Team (RABITs), Einheiten die für einen begrenzten Zeitraum in Ausnahmesituationen und dringenden Fällen eingesetzt werden. Die hierfür benötigte technische Ausrüstung wird im Bedarfsfall über das extra hierfür geschaffene CRATE bereitgestellt. Dies könnte im Rückschluss bedeuten, dass die Kritik von Frontex-Exekutivdirektor Ilkka Laitinen aus dem Sommer 2007, dass die Materialen des CRATE nur nominell zur Verfügung stehen, ungehört verhallt ist. Ein kritischer Punkt ist in diesem Zusammenhang der Vorschlag der EU-Kommission, dass Frontex eigene Flugzeuge kaufen oder leasen könne, die dann für gemeinsame Abschiebungen genutzt werden sollen. Dies stellt eine weitere gefährliche Entwicklung dar: Nachdem Abschiebungen mit kommerziellen Flugzeugen tendenziell angreifbar waren, sollen nach dem Chartern von ganzen Flugzeugen nun eigene Abschiebeflugzeuge bereitgestellt werden. Insgesamt hat Frontex schon an neun solchen gemeinsamen Abschiebeoperationen teilgenommen, es sollen kurzfristig sechs weitere folgen. Eine Ausweitung der Abschiebeaktivitäten von Frontex wird von der EU-Kommission ausdrücklich gewünscht. Für die Langzeitperspektive hat die EU-Kommission weitere Vorschläge. So soll Frontex die Kooperation mit Drittstaaten ausbauen, diese Länder also in die EU-Abschottungspolitik einbeziehen. Bisher existieren Arbeitsvereinbarungen auf technischer Ebene mit der Schweiz, Russland und der Ukraine, mit Kroatien wird derzeit verhandelt. Weiter hat Frontex ein Mandat für Verhandlungen mit Mazedonien, der Türkei, Ägypten, Libyen, Marokko, Mauretanien, Senegal, Kapverde, Moldowa und Georgien. Weitere Vereinbarungen mit Ländern des westlichen Balkans, Westafrika, den USA und Kanada sollen folgen. Dabei liegt eine Priorität auf denjenigen Ländern, die Frontex als Ursprungs- und Transitländer ausgemacht haben will. An der Grenze soll das Integrated Border Management ausgebaut werden. Vorgesehen ist, dass Frontex nun nicht mehr nur die Arbeit der nationalen Grenzschutzbehörden koordinieren und zusammenführen soll, nun sollen auch die jeweiligen Zollbehörden eingebunden werden. Frattini hat dies noch einmal explizit auf der Pressekonferenz als "Vision" hervorgehoben. In der Vorbereitung für das zu etablierenden European Border Surveillance System (EUROSUR) soll Frontex eine zentral Rolle spielen. Frontex soll zum zentralen Knotenpunkt (hub) im Informationsaustausch der im EUROSUR vernetzten Informationssysteme werden und direkten Zugriff auf alle Systeme erhalten. Auf der Einsatzebene hat die EU-Kommission die Idee einer Europäischen Grenzschutzpolizei (European Border Guard Corps, EBGC) wieder aufleben lassen, dies soll allerdings erst angegangen werden, sobald genug Erfahrungen mit den RABITs gesammelt worden sind. Auf der technischen Pressekonferenz wurde ausgeführt, dass diese EBGC aus den einzelnen nationalen Grenzschutztruppen bestehen kann, die dann eine EU-Flagge auf der Uniform tragen würde. Kurzfristig sollen jedoch weiter Mittel für die Aufrüstung der Grenzen und Grenzschutztruppen bereitgestellt werden, im Europen Borders Fund stehen für 2007-2013 1.820 Millionen Euro zur Verfügung. Die Evaluation und die Vorschläge der EU-Kommission legen nahe, dass Frontex nicht die Behörde ist, die sich um das eigentlich Geschäft des "Managements" der Grenze kümmern soll. Es ist vielmehr ein Kristallisationspunkt für die Entstehung eines europäisierten Grenzregimes. Frontex ist zum einen ein Knotenpunkt, an dem Informationen zusammenlaufen und verarbeitet werden, zum anderen eine Agentur, die Projekte und Studien durchführt, die zum Entstehen einer Europäischen Grenzschutzarchitektur führen soll (EBGC, EUROSUR, EPN). Wie Frattini auf der Pressekonferenz ausführte, ist Frontex nur zur Zeit mit der Kontrolle und Abwehr irregulärer Migration betraut, in Zukunft soll Frontex die Koordinierung des Integrated Border Management System übernehmen, das über Migrationsaspekte hinausweist und Aspekte wie Sicherheit und Zoll miteinbezieht.

Frontex: der zentrale Knotenpunkt im EUROSUR

EUROSUR, das European Border Surveillance System, soll nach dem Willen der EU-Kommission in der nahen Zukunft aufgebaut werden. Die Idee ist, bestehende Grenzüberwachungstechnologien zu vernetzen, dies bezieht Technologien wie Satelliten, Drohnen und Radar mit ein. Vorbild scheint das spanische SIVE (Sistema Integrado de Vigilancia Exterior) zu sein, das 2003 seine Arbeit aufnahm. (3) Pro Asyl beklagt, dass das SIVE zum Anstieg der Todesfälle unter MigrantInnen geführt und die Migration keineswegs verhindert, sondern nur die Wege verlängert und erschwert hat. (4) EUROSUR ist zweiteilig konzipiert. Zum einen soll es einen Informationsverbund der existierenden Überwachungstechnologien bereit stellen, zum anderen sollen auch neue Technologien installiert werden. In einer ersten Phase soll die Interoperabilität der existierenden Systeme gewährleistet werden. Nach Frattinis Aussage bedeutet dies, rund 50 nationale Institutionen zu harmonisieren, was auch für die EU keine unerhebliche Aufgabe ist. Aus dem European Borders Fund soll zudem die Ausstattung der Grenzüberwachung bezahlt werden. Die Einbeziehung von Drittländern ist ausdrücklich vorgesehen. Dies kann zum Beispiel bedeuten, dass westafrikanische Küsten mit Einwilligung der jeweiligen Regierung mit Satelliten überwacht werden können. In der zweiten Phase sollen die Technologien verbessert werden, mit dem Anspruch, das Territorium vor der Grenze (pre-frontier area) überwachen zu können, außerdem soll die Vernetzung weiter vorangetrieben werden. In der dritten Phase, die nur die Seegrenzen betrifft, soll ein weiterer Informationsverbund aufgebaut werden (Common Information Sharing Environment for the EU Maritime Domain). Das Entry/Exit System ist das ambitionierteste Vorhaben der EU. Geplant ist ein System, das jede Ein- und und Ausreise von Drittstaatenangehörigen aufzeichnet. Nach Angaben der EU-Kommission finden pro Jahr 300 Mio. Ein- und Ausreisen in die EU statt (andere Schätzungen gehen von 800 Mio. aus). Alle Drittstaatenangehörigen, die sich bis zu 90 Tage in der EU aufhalten, sollen von dem System erfasst werden, auch Angehörige von Staaten, die der Visumpflicht nicht unterliegen. Dies bedeutet, dass jede Ein- und Ausreise von Nicht-EU-BürgerInnen im neuzuschaffenden Visa Information System (VIS) aufgezeichnet würde. Zu diesem Zweck soll ein System der biometrischen Überprüfung an allen Grenzübergängen aufgebaut werden. EU-BürgerInnen könnten sich dann mit ihren biometrischen Pässen identifizieren/authentifizieren, für alle anderen müssen biometrische Merkmale bei der Visumbeantragung oder im Fall der Visumfreiheit beim Grenzübertritt hinterlegt werden. Langfristig scheint die Kommission außerdem zu planen, das System der Visa durch das STA (System for Travel Authentification) (5) abzulösen. Dabei scheint es sich um die Hinterlegung der Visumdaten mit biometrischen Merkmalen in einer zentralen Datenbank zu handeln. Im Gegenzug soll es für Vielreisende (Bona Fide Travellers) ein System der Vorregistrierung geben, die eine besonders schnelle Einreise erlaubt. Dafür müssen Irismerkmale hinterlegt werden, die dann angeblich innerhalb von 15 Sekunden überprüft werden können. Diese Entscheidung scheint ein Resultat der Borsec-Studie (6) zu sein, die ebenfalls von Frontex in Auftrag gegeben wurde. Das Anliegen der EU-Kommission scheint ein weiterer Kontrollanspruch zu sein, diesmal über die Ein- und Ausreisen in die EU. Das Vielreisendeprogramm ist dabei als Versprechen an die Öffentlichkeit zu sehen, dass der ganze Aufwand (biometrische Totalerfassung der Bevölkerung, Kosten von 20 Mio. Euro, Aufrüstung der Grenze) auch Vorteile für die Bürgerin hat.

Umfassendes System der biometrischen Überprüfung

Vielmehr ist die EU-Kommission jedoch daran interessiert, den Hauptweg der irregulären Migration zu versperren. Auch Frontex gesteht ein, dass die meisten irregulären MigrantInnen nicht irregulär über die Grenze reisen, sondern nach Ablauf ihres Aufenthaltstitels in der EU verbleiben (sogenannte Visa Overstayers). Diese Möglichkeit würde nun erschwert, da das VIS automatisiert alle registrierten VisumhalterInnen in der EU, deren Visum abgelaufen ist, an die Mitgliedsstaaten melden und zur Fahndung ausschreiben würde. Auch wenn dies nicht den sofortigen Aufgriff bedeutet, entfaltet sich an diesem Punkt jedoch der Wissensanspruch der EU, wenigstens zu wissen, wer sich unberechtigt auf dem Territorium der EU aufhält. Zur Zeit geht die EU-Kommission davon aus, dass sich 2006 rund acht Millionen irreguläre MigrantInnen in der EU aufhalten. Die Seriosität dieser Zahl kann in Zweifel gezogen werden. Sie basiert auf der Zahl von 500.000 Aufgriffen irregulärer MigrantInnen in der EU 2006 (von denen lediglich 40% abgeschoben wurden!). Weiter geht die Kommission von einer Overstay-Rate von 50% aus, die auf verschiedenen Studien basiert. Die EU-Kommission plant damit ein höchst umfangreiches Datensammelprogramm, das in dieser Art und Weise auf der Welt einzigartig wäre. An diesem Punkt muss eine Debatte geführt werden, ob solche wissenstechnischen Vorhaben erfolgreich sein können, ob sie schon an der Komplexität scheitern oder ob es neue Strategien gegen diese Totalüberwachung geben kann. Das Vorhaben der EU-Kommission ist sehr ambitioniert, es ist aber davon auszugehen, dass die Innenminister der EU-Mitgliedsstaaten diesen Vorschlägen folgen werden (oder sie selbst aktiv vorangetrieben haben). Kritik an den Vorhaben hat sich bisher auf Datenschutzargumente berufen. Hier gilt es, eine weiterführende Perspektive zu entwickeln. Bernd Kasparek Anmerkungen: 1) http://hrw.org/german/docs/2008/01/31/eu17937.htm 2) www.lavozdegalicia.es/coruna/2007/10/04/00031191482706254873.htm 3) www.guardiacivil.org/prensa/actividades/sive03/index.jsp 4) http://jungle-world.com/seiten/2008/08/11522.php 5) Der Begriff "Electronic Travel Authentification" (ETA) ist wegen der missverständlichen Abkürzung abgelehnt worden, auch wenn sich dies bei der Pressekonferenz noch nicht bis zu Frattini durchgesprochen hatte. 6) http://frontex.antira.info/glossar#borsec aus: ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis/Nr. 527/18.4.2008