Solidarischer Hauskauf

Die Generation 2.0 kauft lieber ein Haus, statt zu besetzen und sich jahrelange Fights zu liefern. Das Marburger selbstverwaltete Studierenden-Wohnheim "Bettenhaus" ist so eines.

"WIR BLEIBEN ALLE!!! Selbstorganisierte Räume erkämpfen und verteidigen." So lautet der Slogan der neuesten Kampagne von selbstorganisierten, linken Wohn-, Haus- und Kulturprojekten in Berlin. Sie reihen sich damit ein in die neue Welle von Kampagnen und Erhaltungskämpfen von selbstorganisierten, zum Teil noch besetzten oder in unsicheren Besitzverhältnissen befindlichen linken Projekten in Westeuropa. Der anhaltende (Straßen-)Kampf um das Ungsdomhuset in Kopenhagen, die erfolgreiche "here to stay"-Kampagne von linken Studi-WG-Häusern in Göttingen, die "Köpi-bleibt"-Kampagne in Berlin oder das endlose Ringen um das EKH in Wien sind nur einige Belege dafür, dass in den 1970er und 80er Jahren errungene, autonome Freiräume gegenwärtig verstärkt bedroht sind: Sei es durch Verkauf, Umnutzung oder Verwertung von Immobilienbesitzer_innen, sei es durch konservative-neoliberale Politiken von Stadt/Land/Uni/Studentenwerksverwaltungen. Gemeinsam ist allen Projekten, dass ihre nichtkommerzielle, kollektive, selbstbestimmte und experimentelle Ausrichtung von Leben, Wohnen, Kulturschaffen und Arbeiten in diesen Zeiten wohl besonders unbeliebt ist.

Doch an den genannten Kampagnen ist ablesbar, dass auch vonseiten der Freiraumverteidiger_innen ein Umdenken beim Erhaltungskampf stattgefunden hat. Sicherlich ist das auch den derzeitigen Kräfteverhältnissen einer an sich schwachen linken Bewegung geschuldet, die dem Kampf auf der Straße nicht gewachsen ist. Viele setzen dabei auf die Wirksamkeit von öffentlichem Druck durch Kampagnen und Vernetzung. Das Internet ist dabei ein hilfreiches Werkzeug. Ein weiteres neues Modell für die langfristige Sicherung ist in der BRD der Hauskauf im Verbund mit einem nichtkapitalistischen Unternehmer_innenverbund namens "Mietshäusersyndikat" geworden.
Ein solidarischer, nichtkapitalistischer Unternehmer_innenverbund? Was soll das denn bitte sein? Wir aus dem Marburger Wohnprojekt "Bettenhaus" haben uns das auch gefragt, als es darum ging, Lösungen für eine langfristige Perspektive für unser Haus zu entwerfen.
Das Bettenhaus in Marburg, zwischen Frankfurt/Main und Kassel, steht exemplarisch für genannte Freiräume mit prekärem Status. 1985 wurde es von hochschulpolitisch engagierten Linken als alternatives, kollektives Wohnprojekt für Studierende in einem ehemaligen Klinikgebäude gegründet. Die Idee und die Grundlage des gemeinsamen Wohnens sollte entfremdetem Wohnen solidarische Kollektivität entgegensetzen und auf paritätischen, diskriminierungsfreien Miteinander von Frauen und Männern, Nichtpassdeutschen und Passdeutschen beruhen. Ein wichtiger Pfeiler des Wohnprojektes sollte die Selbstbestimmung durch Selbstorganisation und Selbstverwaltung werden. Zu diesem Zweck wurde ein gemeinnütziger Verein für die Trägerschaft gegründet, dessen Mitglieder die Hausbewohner_innen sind und waren. Die Mitglieder- oder Hausversammlung trifft alle wichtigen hausübergreifenden Entscheidungen. Ansonsten agieren die 11 Wohngemeinschaften autonom, wie bei der Gestaltung der Räume oder des WG-Alltags.

Die Organisierung des gemeinsamen Zusammenlebens ist durchaus auch konfliktbehaftet - schon immer. So gibt es seit der Gründung Auseinandersetzungen darum, wer sich wie viel in dieses Projekt einbringen soll und was mit denen passiert, die nichts für das Haus tun. Eine ständig wieder aufkommende Auseinandersetzung gilt auch dem Selbstverständnis, in dem die so genannten "Spielregeln" als "minimal consens" für das gemeinsame Zusammenleben formuliert werden . Neben Eigenverantwortlichkeit gibt es die klare Positionierung gegen rassistische, sexistische, faschistische und homophobe Äußerungen und Handlungen wie auch gegen körperliche Gewalt. Das Ziel ist es, einen offenen, aber auch angstfreien Raum zu schaffen. "International" schreibt sich das Bettenhaus auf die Fahnen, weil der Anspruch formuliert wurde, eine Art Quote für Menschen ohne deutschen Pass einzuführen. Oft ist die Differenz zwischen Anspruch und Umsetzung jedoch sehr groß. Beim quantitativen Geschlechterverhältnis hingegen ließ sich dies wesentlich besser umsetzen. Derzeit sind viele der Aktiven des Wohnprojekts Frauen, die die neuen Entwicklungen rund um die Perspektivensicherung des Hauses gestalten. Ein in linken Strukturen eher ungewöhnliches Phänomen - und ein sichtbarer Erfolg unserer gelebten feministischen Praxis.

In Marburg wurde 2007 von der Uni Marburg und StadtpolitikerInnen ein renommiertes, internationales und selbstverwaltetes Studierendenwohnheim, das von den Allierten im Rahmen der Redemokratisierung Deutschlands gegründet wurde, abgewickelt. Im Rahmen der Schließungsverhandlungen und der Bekanntmachung von neuen Campusplänen teilte uns die Marburger Universitäts-Leitung mit, dass auch das Bettenhaus im Rahmen einer neoliberalen Reformierung der Uni als Kostenfaktor auf der Abschussliste steht.
Und nun - was tun? Eine Mitbewohnerin aus dem Projekt, fasst die Entscheidungsfindung zusammen: "Wir haben uns die Frage gestellt, ob wir die Situation einfach aussitzen und dann wenn nötig besetzen sollen. Beide Optionen wollen wir jedoch erstmal zurückstellen, denn wir sind an einer sicheren, langfristigen Perspektive interessiert. Dass Besetzen meist nicht dazu gehört, hat uns die Geschichte der letzten Jahrzehnte zu häufig schmerzhaft gezeigt." Motiviert durch das Beispiel eines Marburger Wohnprojekts, das sich im Verbund mit dem Freiburger Mietshäuser Syndikat ein Haus gekauft hat, haben wir uns ebenfalls dem Syndikat angeschlossen. Das Mietshäusersyndikat nutzt kapitalistische Rechtsformen wie die GmbH und Kreditvergaben, vor allem private Darlehen, um solidarische, antikapitalistische Werte zu schaffen.
Das funktioniert so: Gemeinsam mit dem Syndikat gründet unser Hausverein eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung. Das Syndikat nutzt sein Stimmrecht als Mitgesellschafter, um einen Verkauf der Immobilie zu verhindern. Es fungiert so als Garant, dass das Haus im Besitz der wechselnden Bewohner_innenschaft verbleibt. Finanziert wird der Kauf, wie auch zu erwartende Sanierungskosten, über die Einnahme von Direktkrediten von Privatpersonen, staatlichen Sanierungs- förderungskrediten und normalen Bankkrediten. Die Kredittilgung ist durch die weiterlaufenden Mietzahlungen garantiert, daher auch der Name Mietshäusersyndikat. Mit fortschreitender Kredittilgung fließt ein zunehmend größerer Teil der Mieten in den Solidarfond des Syndikats, wodurch weitere Wohnprojekte unterstützt werden können. Dieses Modell ermöglicht also auch finanzschwachen Projekten den Hauskauf und installiert ein solidarisches Netzwerk von Hausprojekten, die sich gegenseitig unterstützen, finanziell, aber auch mit Wissenstransfer. Mit kapitalistischen Instrumenten werden also nicht kommerzielle, solidarische Zwecke erreicht.

Die Arbeit, ein Haus zu übernehmen, bietet zudem die Möglichkeit, jede Menge zu lernen. Das können strategische Auseinandersetzungen um die Verhandlungspunkte für den Hauskauf sein, die Strategieentwicklung, wie eine positive Öffentlichkeit geschaffen werden kann, Buchhaltung oder das Bauen am Haus selbst: Wände einreißen, neue Fenster einsetzen, Isolierung, das Dach neu decken usw. Klassisches Empowerment, das Erlernen größerer Handlungsfähigkeit, wird in Projekten wie unserem zur Realität, die Selbstbestimmung wächst durch die Organisierung und durch das konkrete Lernen von neuen Fähigkeiten, die nicht auf Lohnarbeit bezogen sind. So ist auch garantiert, dass mensch aus der klassischen, paternalistischen Mietstruktur aussteigt.
Der Erfolg spricht für sich. Inzwischen gibt es bundesweit mehr als dreißig gekaufte Projekte und noch mal so viele Projektinitiativen im Syndikat. Das Syndikat selbst ist der Verbund aller Projekte. Die Koordinierung und Verwaltung liegt derzeit noch in Freiburg, die Berater_innen für neue Projekte kommen jedoch schon dezentral aus den bundesweiten Hausprojekten. Syndikatswichtige Entscheidungen werden basisdemokratisch, gemeinsam auf den Bundes-Mitgliederversammlungen diskutiert und gefällt. Dieses Hauskauf-Modell ist ein weiterer Versuch, selbstorganisierte (Wohn-)Räume langfristig zu erhalten. Hauseigentum wird unter den Bewohner_innen sozialisiert. Ähnlich verhalten sich auch Genossenschaftsmodelle. Neben oftmals erfolgreichen Kampagnen wie der Berliner Köpi-bleibt Kampagne, die im Frühjahr eine Mietvertragsverlängerung erwirkt hat, kann das Syndikats-Modell eine neue und sichere Alternative im Kampf um die Erhaltung, aber auch bei der Schaffung von alternativen Wohn-, Kultur- und Arbeitsprojekten sein. Für das Ausprobieren und Leben unserer Ideen von einer emanzipierten, solidarischen und selbstbestimmten Gesellschaft von Gleichen oder einfach nur für ein besseres Leben im Falschen brauchen wir Räume - kaufen wir sie!

Dieser Artikel erschien in: an.schläge, das feministische Magazin,
www.anschlaege.at