Sozial-ökologische Konflikte

Emanzipatorische Umweltpolitik ist radikal-demokratische Gesellschaftspolitik

Der Herbst und Winter 2006/2007 kann als Beginn einer intensiven gesellschaftlichen Diskussion zu Energie- und Klimafragen in Deutschland und anderen Ländern benannt werden ...

... Der Stern-Report zu den Kosten des Klimawandels und der vierte Sachstandsbericht des "Weltklimarates" (IPCC) intervenierten prominent in eine politische Konstellation, in denen die Knappheit der fossilen Energieträger deutlich wurde. Als dann auf dem G8-Gipfel in Heiligendamm die Regierungen - allen voran die bundesdeutsche - das Klimathema an die Spitze der Agenda setzten, verstärkte sich die öffentliche Auseinandersetzung nochmals.

Seit Herbst 2007 hat sich die Konstellation innerhalb der Linken verändert. Vor dem G8-Gipfel waren in Deutschland umweltpolitische Fragen lediglich ein Thema von NGOs, aber nicht von Bewegungen und schon gar nicht in der radikalen Linken (von der Anti-AKW-Bewegung abgesehen). Es gab kaum eine systematische Auseinandersetzung damit, geschweige denn eine ausgearbeitete und politisch diskutierte herrschaftskritische Position. Erst ab Herbst 2007, nicht zuletzt durch die relative Erfolglosigkeit der Bewegungen bei der Thematisierung energie- und umweltpolitischer Fragen im Umfeld von Heiligendamm, setzten breite Diskussionen zum Thema ein. Ein wichtiger Ausdruck dessen ist das im August 2008 stattfindende Klimacamp in Hamburg. Mit diesem Text wollen wir zur weiteren Klärung beitragen, ohne dass wir selbst schon alles "klar" hätten. Weiter gehende Diskussionen sind notwendig. Als ein Merkmal der aktuellen kapitalismuskritischen und emanzipatorischen Diskussionen sehen wir die Tendenz, das "Umweltthema" auf die Klimapolitik engzuführen. Es scheint fast, als wenn die politische Sau, die von Staat, Unternehmen und Öffentlichkeit durchs Dorf getrieben wird, in eine kapitalismuskritische Richtung gebracht werden soll. Dies erscheint an verschiedenen Stellen strategisch plausibel, impliziert jedoch Gefahren der Verkürzung. Gemäß dem alten und richtigen Motto: "Wir müssen da rein, wo die gesellschaftlichen Konflikte sind" wird die Klimapolitik zu einer zentralen Konfliktachse hochstilisiert. Nur: Ist der "Klimawandel" wirklich der aktuell zentrale Konflikt? Oder drohen wir mit einer solchen Sichtweise der staats- und unternehmensoffiziellen Behandlung des Themas auf den Leim zu gehen? Haben wir es nicht vielmehr mit einem spezifisch medial vermittelten und "katastrophisch" gerahmten Problem zu tun, das vor allem eines transportiert: mit neuester Technologie, westlichem Wissen, sensibilisiertem Staat und Unternehmen kann "die Wende" geschafft werden? Herrschende Klimapolitik inszeniert sich derzeit als Frage des "politischen Willens" und angemessener Unternehmensstrategien - in Verbindung mit einer individualisierend-moralisierenden Aufladung von "gutem Handeln". Diese technokratische Perspektive wird komplementiert durch zunehmend repressive Formen der Naturaneignung und Umweltpolitik - offen über Kriege für Öl oder etwa auch über exkludierende Mechanismen des Schutzes von biologischer Vielfalt.

Engführung auf den "Klimawandel"?

Um nicht missverstanden zu werden: Der Klimawandel hat höchst reale Dimensionen. Jüngere Studien weisen nachdrücklich darauf hin, dass es schon in den nächsten Jahren ökologische "Kipppunkte" geben kann, bei denen sich in bestimmten Regionen das Klima dramatisch verändert. Rasches politisches und ökonomisches Handeln ist zum Teil durchaus notwendig (teilweise durch Unterlassung), weil durch bereits eingeleitete, enorme Investitionen in Infrastruktur- und Energiesysteme Pfade für zukünftige Entwicklungen festgelegt werden. Abzuwehren sind auch Begehrlichkeiten der Atomwirtschaft, die im Aufwind der aktuellen Diskussion verlängerte Laufzeiten erreichen möchte, was das Einfallstor für den mittelfristigen Neubau von Atomkraftwerken darstellt. Aber auch in der dominanten Thematisierung geht es weniger um konkrete Auswirkungen des Klimawandels als um die Engführung auf ein recht abstraktes "2C-Ziel" (die Klimaerwärmung um mehr als durchschnittlich 2C soll verhindert werden). Dieser (politisch festgelegte) Schwellenwert wird sozusagen als Gewissensbarometer verwendet. Viel gravierender ist jedoch, dass die bestehenden politischen und wirtschaftlichen Institutionen und die herrschende Lebensweise in keiner Weise in Frage gestellt werden sollen. Zudem hat die Politik des raschen Handelns eine unübersehbar herrschaftliche Komponente: Nachdenken über die aktuellen Formen und Inhalte von Politik und ihre Kritik werden als unangemessen, weil zu langsam, denunziert. Deutlich wird dabei: Umweltpolitik und vor allem Klimapolitik ist ein Terrain, auf dem symbolisch gepunktet werden kann. Alle wollen etwas ändern, alle stimmen in der Diagnose überein, dass sich schnell viel ändern muss, und alle ahnen, dass es unter den gegebenen Bedingungen nicht gelingen wird. Dennoch werden gute Geschäfte gemacht: kein Auto mehr ohne den Nachweis, dass es "nachhaltig" ist, der Emissionshandel wird zu einem Milliardengeschäft. Und über symbolische Umweltpolitik kann obendrein der Legitimationskrise neoliberaler Politik entgegen gearbeitet werden. Über all dies besteht, soweit wir das überschauen, in der Linken weitgehender Konsens. Verkürzt-abstrakte Argumente zum Zusammenhang von sozial-ökologischen Krisen und kapitalistischer Produktionsweise sind eher die Ausnahme. Es scheint, als würden beim Verhältnis von Kapitalismus und gesellschaftlichen Naturverhältnissen die vielen konkreten - mehr oder weniger radikalen - Konflikte um Naturaneignung und damit verbundene Lebenschancen zunehmend mitberücksichtigt. Unterschiedliche Einschätzungen gibt es u.E. allerdings hinsichtlich der Frage, welche Konsequenzen hieraus zu ziehen sind: Sollte die Linke angesichts der Dringlichkeit des Problems eine eigenständige klimapolitische Position entwickeln? Oder geht es eher darum, die aktuelle klimapolitische Aufgeregtheit in einem umfassenderen Sinn als Ausdruck einer keineswegs so neuen, wenn auch sich zuspitzenden Krise der gesellschaftlichen Naturverhältnisse zu begreifen? Wenngleich wir gezielte Interventionen in die aktuelle Klimapolitik für durchaus notwendig erachten, plädieren wir für letzteres. D.h., wir schlagen vor, die aktuell herrschende Konstellation - Klimaveränderungen, Energiepreise, Nahrungsmittelknappheit u.a.m. - zu nutzen, um auf die ihnen zu Grunde liegenden gesellschaftlichen Probleme hinzuweisen und sie emanzipatorisch statt herrschaftlich zu bearbeiten. Umweltfragen sind Macht- und Herrschaftsfragen und müssen entsprechend thematisiert werden. Sie hängen zusammen mit dem unterschiedlichen Zugang zu Ressourcen, der in unseren Gesellschaften meist über Geld vermittelt ist. Beim Treibhauseffekt handelt es sich nicht nur um einen Kollateralschaden von Wirtschaftswachstum und Wohlstand, sondern um bewusste Strategien von fossiler Energiegewinnung, konsumistischen Lebensweisen und Gewinnmaximierung sowie um Effekte gesellschaftlich tief verankerter Wahrnehmungen des Umgangs mit Natur, welche diese zuvorderst als ausbeutbare Ressource ansehen. Es geht auch hier um die Frage, wer gesellschaftliche Werte herstellt, wer sie sich aneignet und wem sie enteignet werden.

Krise gesellschaftlicher Naturverhältnisse

Damit leugnen wir nicht die Materialität des Klimawandels. Wir begreifen diesen aber auf eine bestimmte Weise, nämlich weniger stark als globales Bedrohungsszenario, sondern als höchst reale Verstärkung von (lokalen) Krisen und Konfliktkonstellationen, z.B. in den Bereichen Biodiversität, Wasser, Ernährung oder Gesundheit. Diese werden von verschiedenen Gruppen - entlang von miteinander verwobenen strukturierenden Prinzipien wie StaatsbürgerInnenschaft, Ethnizität, Geschlecht oder Klasse - sehr unterschiedlich erlebt und nehmen oft auch ohne Klimawandel katastrophische Formen an. Die lokal sehr unterschiedlichen Ausprägungen von naturräumlichen Veränderungen, die auch mit der Klimaerwärmung zu tun haben, verschärfen diese Krisen noch. Ein solcher Zugang zur Klimaproblematik ist nicht nur eine analytische Frage, sondern hat weitreichende politische Implikationen. Denn es wird deutlich, dass linke Klimapolitik gar nicht so sehr (nur) Klimapolitik ist, sondern ebenso Landwirtschafts-, Energie-, Verkehrs- oder Gesundheitspolitik. Sie ereignet sich überall dort, wo Menschen die bestehenden gesellschaftlichen Naturverhältnisse politisieren und demokratisch zu gestalten versuchen. Die herrschaftsförmige und selektive Behandlung des Klimawandels als "Umweltproblem" ist damit ebenso zurückzuweisen und als Teil des Problems zu begreifen wie der (von vielen NGOs reproduzierte) Katastrophismus, der nach der großen, paradoxerweise mit staatlichen und marktwirtschaftlichen Mitteln herbeizuführenden Kehrtwende verlangt. Ferner öffnen sich andere Perspektiven einer emanzipatorischen Bearbeitung des Klimawandels, es treten Konflikte und Alternativen in den Vordergrund, in denen es nicht primär um "das Klima", noch nicht einmal notwendigerweise um "die Umwelt" geht, sondern in denen soziale Herrschaftsverhältnisse bekämpft werden. Insofern sich solche Kämpfe auch gegen die bestehenden Muster der Produktion, der Arbeitsteilung, des Konsums und von Politik richten, haben sie eine wichtige klimapolitische Dimension. Von ihnen wird es abhängen, ob der Klimawandel in seinen bereits heute katastrophischen Auswirkungen zumindest abgemildert werden kann. Es müsste linker Politik mithin gelingen, das Klimaproblem vielfach zu verknüpfen: Mit Fragen der (nicht-)demokratischen Gestaltung der Gesellschaft, der Verfügung über Eigentum, neben den ressourcenintensiven Industrien auch im Verhältnis zu Finanzmärkten und deren Rolle beim Raubbau an Natur, mit Diskussionen über ein gutes Leben, über Gerechtigkeit und andere Nord-Süd-Verhältnisse, mit der Frage von Krieg und Frieden, denn viele Kriege werden um Ressourcen und die Aufrechterhaltung der bestehenden weltweiten Ressourcen- und Energieordnung geführt. Klimapolitik ist also weit mehr als "nur" der effektive Umgang mit dem von Menschen verursachten Treibhauseffekt. Es ist ein Terrain, auf dem in einem viel umfassenderen Sinne um die Gegenwart und die Zukunft der (Welt-) Gesellschaft gestritten wird. Die aktuellen klimapolitischen Debatten sind auch deshalb wichtig, weil sich darin zeigt, dass in bestimmten Konflikten sich die unterschiedlichen Entwicklungsvorstellungen verschiedener gesellschaftlicher Gruppen gleichsam verdichten. Hier kommen die verschiedenen Vorschläge auf den Tisch, wie Gesellschaft gestaltet werden soll. Das war historisch der Fall etwa in der Frage der Arbeitszeitverkürzung und des Gesundheitsschutzes, der Stellung zu imperialistischen Kriegen, des Verhältnisses zum Sozialstaat und anderem. Die Linke müsste darauf drängen, dass es nicht bei symbolischer Politik und moralischen Appellen bleibt, dass nicht die Frage der "Energiesicherheit" für die reichen Teile der Welt bald wieder die Agenda bestimmt, dass Klimapolitik mit einer umfassenden Gesellschaftspolitik verbunden wird, welche nicht nur auf das "eigene" Land schielt, sondern internationalistisch ist. Hier müssten innerhalb der Linken Diskussionen geführt und entsprechende Strategien entwickelt werden, denn die naturblinde Wachstumsgläubigkeit ist auch hier weit verbreitet.

Die Notwendigkeit von Klärungsprozessen

Zum Schluss: Beobachten wir nicht bereits einen medialen Aufmerksamkeits-Rückgang des "Klimawandels"? Seit Frühjahr 2008 wird das Klimathema von dem der Nahrungsmittelkrise überformt. Beide sind eng miteinander verbunden und veranschaulichen, wie eine verkürzte Krisenintervention zu einer Perpetuierung oder Verschärfung existierender Problemlagen führen kann. Die Flächenkonkurrenz zwischen Nahrungsmitteln und Agrartreibstoffen und die Abholzung oder Brandrodung der Wälder für den Anbau der entsprechenden "Energiepflanzen" werden gerade auch mit dem Klimawandel gerechtfertigt. Die diskursive Kurzlebigkeit selbst der drängendsten "Umweltprobleme" unterstreicht, wie wichtig es ist, die ihnen zugrunde liegenden sozialen Herrschaftsverhältnissen in den Blick zu nehmen. Ulrich Brand, Bettina Köhler, Markus Wissen, Wien

Mit dem vorliegenden Diskussionsbeitrag fällt der Startschuss für eine ak-Debatte zum Thema "die Linke und die sozial-ökologische Frage". Der vorliegende Text ist im Rahmen von Diskussionen innerhalb der Bundeskoordination Internationalismus (BUKO) entstanden und spiegelt ausschließlich die Meinung der VerfasserInnen wieder. Ein Ergebnis der Debatten ist die Gründung des BUKO-Arbeitsschwerpunktes Soziale Ökologie (ASSÖ). Dort wurden unterschiedliche Herangehensweisen an das Thema und ein enormer Klärungsbedarf deutlich. Für Kontroversen sorgte u.a. der Text "Vergesst Kyoto! Die Katastrophe ist schon da", der im Juli im Widerspruch Nr. 54 (www.widerspruch.ch) erscheinen wird. Dieser Text ist vorab unter www.buko.info/asso/asso_klima.html zu finden. So wie im Rahmen der BUKO entstehen gerade auch andernorts Arbeits- und Diskussionszusammenhänge, die das Verhältnis von Gesellschaft und Natur aus einer herrschaftskritischen Perspektive thematisieren. Die ak möchte diesen Debatten ein Forum bieten. Die Diskussion wird in der nächsten Nummer fortgesetzt. aus: ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis/Nr. 529/20.6.2008