Pleiten, Pech und Pannen

Daß es die Idealisten und Patrioten, selbst wenn sie denn immer in der
Minderheit gewesen sein mögen, in den Jahrzehnten des Kalten Krieges
auch bei der CIA nicht eben leicht hatten, wissen wir spätestens seit
Robert De Niros beeindruckendem Streifen »The good shepherd«. Wenn man sich allerdings eine Vorstellung davon machen will, wie fundamental
und wie hoffnungslos andauernd der Schlamassel tatsächlich war
und ist, dann muß man Tim Weiners 864-Seiten-Wälzer »CIA: Die ganze
Geschichte« lesen, für den der doppelte Pulitzer-Preisträger 2007 mit dem
National Book Award für Sachbücher ausgezeichnet wurde.


Spezifisches Gewicht erhält dieses Buch nicht zuletzt dadurch, daß hier
nicht ein erklärter Gegner von Geheimdiensten oder auch nur der CIA
abrechnet, sondern daß vielmehr ein bekennender Befürworter die Anamnese
erstellt hat. »Ich bin für Spionage«, so der Autor in einem Interview
mit der taz. »Denn wenn ein Geheimdienst erfolgreich ist, kann er
Kriege verhindern.«


Weiner steht nicht nur seit zwei Jahrzehnten in der Materie, er hat in
den vergangenen Jahren auch … zigtausende gerade erst frei gegebene
Dokumente der CIA, des State Department und des Weißen Hauses ausgewertet
sowie eine Vielzahl von Interviews mit ehemaligen und mit aktiven
Mitarbeitern und Protagonisten der Agency geführt. Seine vernichtende
Gesamtbilanz lautet: »Die CIA konnte ihrer Rolle als Nachrichtendienst
Amerikas nicht gerecht werden.« In sechzig Jahren hätten »Zehntausende
von Geheimdienstbeamten nur kleinste Fetzen an wirklich wichtigen
Informationen zusammengetragen«.


Entsprechend lang ist die Liste der wichtigen internationalen Ereignisse,
die die CIA, an deren Wiege 1947 die Intention Pate stand, die Sowjetunion
und den Vormarsch des Kommunismus in der Welt einzudämmen,
»verschnarcht« hat und von denen demzufolge die politische
Führung des Landes überrascht wurde. Dazu zählen der erste Test einer
sowjetischen Atombombe ebenso wie der Beginn des Korea-Krieges oder
die Ereignisse in der DDR 1953 und in Ungarn 1956. Selbst das Heraufziehen
des Suez-Krieges von 1956, der sich quasi in der eigenen Hemisphäre
abspielte und an dem die NATO-Partner Großbritannien und Frankreich
beteiligt waren, entging den Schlapphüten in Langlay.


An dieser »Trefferquote« hat sich bis zum Ende der Systemkonfrontation
nichts geändert. Von der Öffnung der Berliner Mauer 1989 wurde die
CIA ebenso kalt erwischt wie vom Zusammenbruch der Sowjetunion
1991, der noch kurz zuvor in Analysen der Agency wirtschaftliche Prosperität
bescheinigt worden war. Auch in den Folgejahren wurde die Ergebnisqualität
der CIA nicht besser, wie die Terroranschläge vom 11. September
2001 besonders drastisch offenbarten.


Weiners Ursachenanalyse für diese Bilanz läuft zum einen darauf hinaus,
daß es praktisch zu keinem Zeitpunkt seit Gründung der CIA nachhaltige
Bemühungen gegeben hat, einen »klassischen« Nachrichtendienst
aufzubauen, der sich – worauf sein Gründungsdokument, der
National Security Act von 1947, durchaus abhob – auf das Sammeln, Beschaffen und Analysieren sicherheitsrelevanter Informationen konzentrierte.
Vielmehr dominierten stets verdeckte Operationen die Aktivitäten
der CIA, und so wurde sie zu einem Synonym für Sabotage, Terror,
Putsche und Staatsstreiche, also für die dreckige Seite geheimdienstlicher
Tätigkeit.


Dieser Teil der CIA-Bilanz ist ebenfalls lang. Iran 1953, Guatemala 1954
und Chile 1973 sind nur einige Wegmarken, und daß die CIA bei der Ermordung
des kongolesischen Ministerpräsidenten Patrice Lumumba
1961, von Ernesto Che Guevara 1967 sowie bei diversen Mordversuchen
gegen Fidel Castro die Finger im Spiel hatte, ist ebenfalls aktenkundig.
Aber selbst in dieser Hinsicht war der Dilettantismus, speziell das vollständige
Ignorieren der konkreten Gegebenheiten vor Ort, laut Weiner
häufig dominierend, so daß etwa die Agenteneinsätze hinter dem Eisernen
Vorhang in den fünfziger Jahren fast vollständig schief gingen und
auch größere Aktionen immer wieder zum Desaster gerieten – wie in der
Schweinebucht 1961 oder beim Versuch zur Befreiung der amerikanischen
Geiseln im Iran 1980.


Zum anderen zeigt Weiners Ursachenanalyse auf, daß die Negativbilanz
der CIA noch auf eine weitere Konstante zurückzuführen ist: Praktisch
alle amerikanischen Präsidenten seit Harry S. Truman legten viel
weniger Wert auf politisch relevante Analysen der Agency. Vielmehr bestärkten
sie diese nur noch in ihrer Präferenz für verdeckte Aktionen.
Und nicht zuletzt wurde die CIA bei Bedarf vom Weißen Haus dafür
herangezogen, rechtfertigende Geheimdienstberichte für fragwürdige
außenpolitische und/oder militärische Aktivitäten der USA zu liefern.
Wo Fakten dafür nicht zu finden waren, hat die CIA sie dann gegebenenfalls
»produziert« – wie jene Liste von 926 Orten, an denen das Saddam-
Regime im Irak angeblich Massenvernichtungswaffen untergebracht
hatte. Diese Liste war bekanntlich einer der Hauptrechtfertigungsgründe
für den zweiten Irakkrieg und erwies sich im Nachhinein als
hundertprozentig falsch oder besser gesagt – gefälscht. Im Sinne ihrer
Auftraggeber war die CIA in diesem Fall durchaus erfolgreich, hat damit
aber nicht – so Weiners eingangs zitierte These – Krieg verhindert, sondern
ermöglicht!


Fast als beiläufigen Kollateralschaden von Weiners Darstellung könnte
man die Demontage der zwei Ikonen in der Riege der amerikanischen
Nachkriegspräsidenten betrachten – Dwight D. Eisenhower und John F.
Kennedy. Sie sind im mehrheitlichen Bewußtsein der amerikanischen
Öffentlichkeit nach wie vor eher Lichtgestalten. Bei Weiner erscheinen
sie rabenschwarz. Nur zwei Beispiele: Eisenhower gab den Mordbefehl gegen Lumumba, und Kennedy gab Mordkomplotte gegen Castro in Auftrag.

Die scharfsinnigsten und gründlichsten Kritiker von Mißständen sind
häufig nicht die erklärten Gegner eines Objektes, das ihnen so damit behaftet
scheint, daß sie allein seine Abschaffung als Ziel vor Augen haben,
sondern Befürworter, die dem Objekt selbst offen bejahend gegenüberstehen
und es mit dem Ziel analysieren, einen grundsätzlichen
Wandel zum Besseren herbeizuführen. Damit ist auch das Verhältnis
von Weiner zum Gegenstand seiner Darstellung beschrieben. Weiners
faktenreich dokumentierte Ergebnisse hingegen geben keinerlei Veranlassung
zu Optimismus im Hinblick auf seine Zielstellung. Dem Autor
dieser Zeilen kam ein Wort von Walter Benjamin in den Sinn: »Daß es
›so weiter geht‹, ist die Katastrophe.«


Tim Weiner: CIA. Die ganze Geschichte, S. Fischer Verlag Frankfurt am
Main 2008, 864 Seiten, 22,90 Euro