Gorleben für AnfängerInnen

in (22.10.2008)

Du willst gegen Atomkraft und den Castor demonstrieren? Und nach Gorleben fahren? Warst aber noch nie da? utopia verrät dir, was du auf jeden Fall wissen solltest:

Anreise

Nach Gorleben kommen Menschen aus ganz Deutschland. Sicherlich ist auch jemand aus deiner Region dabei. Eine Anfahrt mit einer Fahrgemeinschaft ist immer netter und auch sicherer. Aus manchen Orten fahren auch Busse. Eine Übersicht findest du auf http://www.castor.de/nix12/bus.html. Im Wendland kannst du auch gut trampen. Viele Leute sind bereit, Atomkraftgegner/innen ein Stück mitzunehmen.

 

Demos

Die erste große Demo findet am Samstag statt. Dieses Jahr ist sie am 8. November in Gorleben. Dort werden Flugblätter und Zeitungen verteilt, es gibt Infostände und Durchsagen: Von den kommenden Demos erfährst du dort auf jeden Fall!

 

Eltern

Viele Eltern haben Angst, ihre Kinder zum Castor zu lassen. Das ist auch verständlich, vermittelt das Fernsehen doch oft ein Bild von harten Auseinandersetzungen (→Polizeigewalt). Wie du deine Eltern überzeugen kannst, dafür gibt es kein Patent-Rezept. Aber ein paar Anregungen: Wie soll ich mir ein Bild von den Protesten machen, wenn ich dort nicht vor Ort sein darf? Wie soll ich lernen, eigene Verantwortung zu übernehmen? Wie soll ich eigene, neue Erfahrungen machen? Wie soll ich zeigen, dass nicht alle Jugendlichen politikverdrossen sind? Wie kann ich zulassen, dass Castoren nach Gorleben rollen, damit die Atomkraftwerke weiter laufen können?

 

Ermittlungsausschuss

Der Ermittlungsausschuss (EA) kümmert sich um deine Probleme mit der Polizei. Die Nummer lautet in diesem Jahr: 05841/979430. Du erhältst sie außerdem auf der Auftaktdemo. Beim EA solltest du anrufen, wenn du von der Polizei festgenommen wurdest oder wenn du beobachtet hast, dass jemand anderes festgenommen wurde. Der EA kümmert sich darum, dass du möglichst schnell wieder auf freien Fuß kommst. Bist du wieder draußen, solltest du den EA erneut anrufen, damit sich die Leute keine Sorgen um dich machen.

Der EA gibt außerdem im Internet und in Info-Broschüren, die es auch bei der Auftaktdemo gibt, wertvolle Hinweise für dein Verhalten in brenzligen Situationen (→Illegale Aktionen).

Gewalt

Unter den Demonstrierenden herrscht schon seit Jahren Übereinstimmung, dass der Widerstand gewaltfrei sein soll. Aktionen des zivilen Ungehorsams, also die bewusste Regelüberschreitung, schließt das ein. Gerade im Wendland wurde gezeigt, dass gewaltfreier Protest durchaus effektiv sein kann. Zum Beispiel mit Hilfe der Fünf-Finger-Taktik, bei der sich die Demonstrierenden aufspalten um zu versuchen an möglichst vielen Stellen auf die Schiene zu kommen.

Auf Seiten der Polizei gibt es leider keine solche Übereinstimmung (→Polizeigewalt).

 

Illegale Aktionen

Wo Recht zu Unrecht wird, wird Widerstand zur Pflicht. Nicht die Demonstrant/innen sind die Kriminellen, sondern diejenigen, die die hochgefährliche Fracht zum Zwischenlager durchprügeln lassen. Dennoch haben hinterher oftmals die Demonstrant/innen eine Anzeige am Hals hängen: Unerlaubte Demonstration, Eingriff in den Schienenverkehr, Widerstand gegen die Staatsgewalt,...

Bei Blockaden kommt es aber auch öfters vor, dass sie von der Polizei einfach nur geräumt werden. Manchmal nimmt die Polizei die Personalien auf und in wenigen Fällen stellt sie eine Anzeige. Eine normale Blockade ist übrigens eine Ordnungswidrigkeit und insofern vergleichbar mit Falschparken. Ob du tatsächlich ein Bußgeld zahlen musst, hängt auch davon ab, ob die Polizei rechtliche Fehler gemacht hat. Solltest du dazu aufgefordert werden, ist es also ratsam, dich mit Leuten in Verbindung setzen, die bei der Aktion ebenfalls dabei waren. Sie können dir sicher sagen, welche Möglichkeiten du hast. Ansonsten hilft der →Ermittlungsausschuss weiter.

Möchtest du sichergehen, dass du keine Anzeige erhältst, so kannst du einfach andere Aktionsformen wählen: Es gibt viele angemeldete →Demos, die Blockiererinnen wollen mit Essen und Trinken versorgt sein, es gibt genügend Möglichkeiten aktiv zu werden ohne eine Anzeige zu riskieren.

 

Informationen

Sollten deine Fragen noch nicht ausreichend beantwortet sein, kannst du auf verschiedenen Wegen weitere Infos erhalten: Du kannst mit Leuten sprechen, die schon mal im Wendland waren. Du kannst dich auf folgenden Internetseiten umschauen: www.castor.de, www.x-tausendmalquer.de, www.bi-luechow-dannenberg.de. Und du kannst dich natürlich vertrauensvoll an die utopia-Redaktion wenden.

 

Kälte

Castor-Zeit ist eine kalte Zeit. Es kann sogar sein, dass es friert. Das sollte dich aber nicht aufhalten, denn: Es gibt kein falsches Wetter, es gibt nur falsche Bekleidung! Dicke Jacke, warme Pullis, lange Unterhose, Handschuhe, Schal und Mütze sind sehr hilfreich. Wenn dir das immer noch zu kalt ist, kannst du dich an einem der zahlreichen Lagerfeuer oder in beheizten Räumen aufwärmen. Für die Blockaden empfehlen sich außerdem Wärme-Isolier-Folien. Und nicht vergessen: Das kalte Wetter ist von der Polizei beabsichtigt. Nicht ohne Grund fährt der Castor um diese Jahreszeit. Wir sollten dennoch nicht davor zurückschrecken, zu protestieren!

 

Polizeigewalt

Wer im Fernsehen die Bilder vom brutalen Vorgehen der Polizei sieht, möchte nicht gern in der Haut der Demonstrantinnen stecken. Und tatsächlich geschehen seitens der Polizei die unglaublichsten Dinge. Dennoch kannst du durch die Wahl deiner Aktionsformen bestimmen, wie sehr du dich auf eine Konfrontation mit der Polizei einlässt. Bei der Auftaktdemo (→Demos) wird dich die Polizei beispielsweise nicht verprügeln. Und auch danach kannst du entscheiden, wie weit du gehen möchtest: Gehst du zu den angemeldeten Demonstrationen oder auf die Schiene? Stehst du auf, wenn die Polizei dich auffordert, oder bleibst du sitzen? Lässt du dich davon tragen oder hältst du dich an deiner Nachbarin fest?

Eine Fernsehkamera in der Nähe ist immer ein guter Schutz, denn die Polizei möchte ungern öffentlich zeigen, wie sie mit unliebsamen Demonstrierenden umgeht. Und wenn wegen der Polizeigewalt tatsächlich weniger Leute demonstrieren würden - wäre das nicht ein Armutszeugnis für die Meinungsfreiheit?

 

Schule

Damit möglichst wenige Schülerinnen zum Castor kommen, fährt dieser während der Schulzeit. Du hast nun drei Möglichkeiten, damit umzugehen.

Erstens: Du wendest dich an deinen Klassenlehrer oder deine Schulleiterin. Von ihnen kannst du beurlaubt werden, zum Beispiel für eine Bildungsveranstaltung (in Gorleben lernst du sicher jede Menge)! Eventuell hat deine Bitte um Beurlaubung bessere Aussichten auf Erfolg, falls deine Eltern eine Beurlaubung beantragen. Generell solltest du so vorgehen, wenn du davon ausgehst, dass eine Lehrerin dich beurlauben würde. Nachteil: Wenn dein Antrag nicht bewilligt wird, ist es schwierig eine der folgenden Methoden anzuwenden.

Zweitens: Du schreibst dich krank oder lässt dich krankschreiben. Das können in der Regel deine Eltern machen. Eine Ärztin tut das aber normalerweise auch, wenn du darlegst, wie krank du dich fühlst. Übrigens sind auch im Wendland genügend Ärzte, die wissen, dass Atomkraft krank macht. Vorteil: Die Schule kann nicht viel einwenden. Du fehlst ganz legal. Nachteil: Du solltest aufpassen, dass du nicht im Fernsehen auftauchst. Außerdem solltest du nicht groß erzählen, dass du trotz deiner Krankheit genug Kraft hast, um zu demonstrieren.

Drittens: Du fehlst unentschuldigt. In diesem Fall kannst du deinen Lehrerinnen und Mitschülern sagen, was du warum machst und so eine Diskussion anregen. Du solltest dich auf jeden Fall vorher erkundigen, welche Konsequenzen das haben könnte. Je nach Bundesland und Jahrgangsstufe können die unentschuldigten Fehlstunden auf dem Zeugnis stehen. Bewerben musst du dich mit dem Zehner- oder dem (Fach-)Abiturzeugnis. Vorteil: Du kannst offen und ehrlich sein. Nachteil: Einige Lehrer/innen könnten darüber verärgert sein (andere hingegen erfreut).

 

Strahlung

Die Castoren, die nach Gorleben rollen, sind gefährlich. Die Strahlung soll zwar angeblich nicht gesundheitsschädlich sein, dennoch wird den Polizisten, die neben dem Castor herlaufen, geraten, in den nächsten Jahren keine Kinder zu zeugen. Musst du dich deswegen vor der Strahlung fürchten? Zunächst wirst du in die unmittelbare Nähe des Castors nur ganz kurz kommen - wenn überhaupt. Eigentlich möchtest du ja vor dem Zug sitzen und nicht neben ihm. Außerdem ist die Strahlung des Castors nicht vergleichbar mit den Gesundheitsschäden, die durch einen Atomkraftwerksunfall passieren können. Daher ist es umso wichtiger, ein deutliches Zeichen gegen Atomkraft zu setzen.

 

Übernachtung

Im Wendland gibt es ausreichend Übernachtungsmöglichkeiten. In der Regel handelt es sich dabei um Scheunen, in deren Heu du dich mit deinem Schlafsack kuscheln kannst (→Kälte). Einige Scheunen sind beheizt, es gibt sogar Häuser, die den gewohnten Luxus einer Jugendherberge bieten. Du kannst dir deine Unterkunft vorher suchen oder aber während der Auftakt-Demo (→Demos). Dort wird es dazu auch Infos geben.

 

Zu guter letzt...

Protest macht auch Spaß. In Gorleben triffst du auf viele interessante Leute. Menschen, die sich Gedanken machen um die Zukunft unseres Planeten, die Angst haben, dass er, wenn ihre Kinder groß sind, auf Grund von verantwortungsloser Energiepolitik nicht mehr bewohnbar ist, und die sich nicht von einer Handvoll AKW-Betreiberfirmen täuschen lassen wollen. Sie alle protestieren gemeinsam und denken sich lauter kreative Aktionen aus, um Widerstand zu leisten. Du merkst schon - trotz Kälte und Polizeigewalt kannst du in Gorleben viel Spaß haben, neue Bekanntschaften machen und Pläne schmieden, was wir gemeinsam - auch dann, wenn gerade kein Castor rollt - der Atomkraft-Lobby entgegensetzen können!

 

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